Geschlechterunterschiede bei Schlaganfällen ▷ Studie
Gibt es Geschlechtsunterschiede in der Prävalenz eines Schlaganfalls?
Schlaganfälle betreffen sowohl Männer als auch Frauen. Weltweit sind 43 Prozent der Schlaganfall-Betroffenen männlich und 57 Prozent weiblich.1
Einschränkend ist anzumerken, dass von den weltweiten Geschlechterunterschieden nur bedingt auf die Geschlechterunterschiede in Deutschland geschlossen werden kann. Denn das Auftreten von Schlaganfällen wird von Faktoren beeinflusst, die sich von Land zu Land unterscheiden.
So beeinflussen beispielsweise Unterschiede im Gesundheitssystem und in der Ernährung sowie sozioökonomische Unterschiede das Auftreten von Risikofaktoren.
Dennoch ist auch in Deutschland ein höherer Anteil von Frauen unter den Schlaganfall-Betroffenen festzustellen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Frauen eine höhere Lebenserwartung haben als Männer. Damit steigt automatisch die Wahrscheinlichkeit für Frauen, im Laufe ihres Lebens einen Schlaganfall zu erleiden.2
Risikofaktoren für Männern und Frauen
Für Männer und Frauen gelten grundsätzlich die gleichen Risikofaktoren. Die Bedeutung der einzelnen Faktoren für das tatsächliche Schlaganfallrisiko unterscheidet sich jedoch zwischen den Geschlechtern.
So gibt es Hinweise darauf, dass Diabetes bei Frauen ein bedeutenderer Risikofaktor für einen Schlaganfall sein könnte als bei Männern. Eine mögliche, aber noch nicht gesichterte Erklärung für diesen Geschlechterunterschied könnten Unterschiede im Stoffwechsel von Männern und Frauen sein.
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So besteht die Vermutung, dass die Stoffwechsel- und die Gefäßrisikofaktoren bei Frauen mit Diabetes zum Zeitpunkt der Diagnose bereits ausgeprägter sind als bei Männern.3 Zudem ist der Risikofaktor Vorhofflimmern für Frauen gefährlicher.4
Dahingegen zeigt sich, dass Männer im Vergleich zu Frauen einen weniger gesunden Lebensstil haben. Risikofaktoren wie Rauchen oder Alkoholkonsum erhöhen das Schlaganfallrisiko bei Männern daher stärker.5
Als frauenspezifischer Risikofaktor gilt die Einnahme hormoneller Verhütungsmittel wie der Pille. Aber auch Komplikationen während der Schwangerschaft und eine frühe Menopause erhöhen das Schlaganfallrisiko bei Frauen.5
Bei Männern hingegen gelten die Androgendeprivationstherapie (Hormontherapie zum Entzug der männlichen Geschlechtshormone) und Impotenz als Risikofaktoren für einen Schlaganfall.5
Geschlechterunterschiede bei den Symptomen
Die typischen Symptome eines Schlaganfalls sind bei beiden Geschlechtern gleich. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass Frauen häufiger von Inkontinenz, Bewusstlosigkeit und Schluckstörungen betroffen sind als Männer.5
Wie unterschiedlich sind der Schweregrad und die Behandlung eines Hirninfarkts bei Männern und Frauen?
Eine deutsche Studie aus dem Jahr 2021 beschäftigt sich näher mit dieser Fragestellung.6
Die Studie
Analysiert wurden die Schwere des Schlaganfalls und die Erholung davon in einem Zeitraum von 2000 bis 2018. Auch die akute Behandlung wurde berücksichtigt: Sowohl die medikamentöse intravenöse oder intraarterielle Lysetherapie als auch die operative Entfernung eines Gerinnsels durch die mechanische Thrombektomie.
Die Daten wurden unter Berücksichtigung des Alters der Patienten, des Aufnahmejahrs, der Schwere des akuten Schlaganfalls und der therapeutischen Ergebnisse bewertet. Auch die Beeinträchtigungen vor dem Schlaganfall, Begleiterkrankungen und die Ursache des Schlaganfalls wurden berücksichtigt.
Insgesamt wurden Daten von 761.106 Patientinnen und Patienten mit einem akuten ischämischen Schlaganfall (Hirninfarkt) eingeschlossen. Diese Daten wurden zuvor aus dem Schlaganfall-Register Nordwestdeutschland gesammelt und in eine frühe (2000–2009) und eine späte Periode (2010–2018) aufgeteilt.
Das mittlere Alter der untersuchten Patienten war 72 Jahre, 48 Prozent waren weiblich.
Unterschiede in der Behandlung
Es stellte sich heraus, dass es keine Geschlechterunterschiede in Bezug auf die Behandlung mit einer intravenösen Thrombolyse gab. Das bedeutet, dass Männer und Frauen gleich häufig eine solche Behandlung erhalten haben.
Frauen erhielten deutlich häufiger eine intraarterielle Thrombolyse als Männer. Das war nicht mit dem Alter oder dem Schweregrad des Schlaganfalls erklärbar.
Unterschiedliche Beeinträchtigung vor dem Schlaganfall
Weibliche Patienten wiesen bei der Aufnahme in das Krankenhaus häufiger eine höhere Behinderung auf und waren im Durchschnitt älter als die männlichen Patienten.
Die Folgen und die Erholung nach einem Schlaganfall
Weibliche Patienten konnten letztendlich das Krankenhaus mit weniger Beeinträchtigungen verlassen. Diese Entwicklung lässt auf eine bessere Erholung während des Krankenhausaufenthaltes für weibliche Patienten schließen. Zudem hatten sie eine geringere Krankenhaussterblichkeit als männliche Patienten.
Weiterer Klärungsbedarf
Obwohl über 700.000 Patientendaten für die Studie verwendet wurden, repräsentiert die Studie nur einen Teil der Gesellschaft aus Nordwestdeutschland.
Es sind somit weitere deutschlandweite Studien notwendig, um das exakte Ausmaß der Unterschiede in der Behandlung eines Schlaganfalls in Bezug auf das Geschlecht zu verstehen.
Darüber hinaus fordern die Autoren weitergehende Analysen zur Klärung der Frage, ob und warum es nach dem Klinikaufenthalt zu gravierenden Unterschieden in der Nachsorge kommen kann. Diese Erkenntnisse würden vor allem die Prävention, aber auch die klinische Therapie und Rehabilitation von Schlaganfällen optimieren.
Mögliche Erklärungen für Geschlechtsunterschiede
Dass Frauen im Durchschnitt schwerere Schlaganfälle erleiden als Männer, konnte auch in Studien aus anderen Ländern beobachtet werden.7,8 Häufig folgt auf diese Beobachtung die Erklärung, dass die Frauen beim Auftreten des Schlaganfalls im Durchschnitt älter sind und bereits vorher beeinträchtigter waren.9
Darüber hinaus wird diskutiert, inwieweit unterschiedliche Ursachen für Schlaganfälle bei Männern und Frauen diesen Effekt erklären können.
So ist bekannt und oben bereits erwähnt, dass Frauen häufiger einen Schlaganfall durch Vorhofflimmern erleiden als Männer und dieser in der Regel schwerer ausfällt.10,11
Forderung: Eine höhere Frauenquote in den Studien
Da Frauen häufiger schwere Schlaganfälle erleiden als Männer, ist es erforderlich, diese Unterschiede weiter zu erforschen, um daraus geschlechtsspezifische Präventions- und Behandlungsstrategien ableiten zu können. Dafür ist es erforderlich, die Frauenquote in den Studien zu erhöhen. In klinischen Studien sind Frauen häufig unterrepräsentiert.12
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Artikel erstmalig veröffentlicht am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autoren
unter Mitarbeit von Marieke Theil, M.Sc.
Prof. Dr. med. Hans Joachim von Büdingen ist niedergelassener Facharzt für Neurologie und Psychiatrie am Neurozentrum Ravensburg. Als Chefarzt leitete er die Abteilung für Neurologie und Klinische Neurophysiologie am Krankenhaus St. Elisabeth in Ravensburg. Zu den Schwerpunkten seiner Arbeit gehört die Diagnostik und Behandlung von Schlaganfällen. [mehr]Sie erhalten von uns regelmäßig und kostenlos aktuelle Informationen rund um den Schlaganfall.
Quellen
- Global Stroke Fact Sheet 2022 – World Stroke Organization (WSO) – URL: https://www.world-stroke.org/assets/downloads/WSO_Global_Stroke_Fact_Sheet.pdf
- Gesundheit in Deutschland. Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Gemeinsam getragen von RKI und Destatis – DOI: 10.17886/rkipubl-2015-003-2
- Diabetes as a Risk Factor for Stroke in Women Compared with Men: A Systematic Review and Meta-Analysis of 64 Cohorts, Including 775 385 Individuals and 12 539 Strokes – Autoren: Peters, Sanne A. E., Rachel R. Huxley, Mark Woodward – Publikation: The Lancet, 383.9933 (2014), 1973–80 – DOI: 10.1016/S0140-6736(14)60040-4
- Female Sex Is a Risk Modifier Rather Than a Risk Factor for Stroke in Atrial Fibrillation – Autoren: Nielsen, Peter Brønnum, Flemming Skjøth, Thure Filskov Overvad, Torben Bjerregaard Larsen, Gregory Y. H. Lip – Publikation: Circulation, 137.8 (2018), 832–40 – DOI: 10.1161/CIRCULATIONAHA.117.029081
- Sex Matters in Stroke: A Review of Recent Evidence on the Differences between Women and Men – Autoren: Carcel, Cheryl, Mark Woodward, Xia Wang, Cheryl Bushnell, Else Charlotte Sandset – Publikation: Frontiers in Neuroendocrinology, 59 (2020) – DOI:
10.1016/j.yfrne.2020.100870 - Female Stroke – Autoren: Bonkhoff, Anna K., André Karch, Ralph Weber, Jürgen Wellmann, Klaus Berger – Publikation: Stroke, 52.2 (2021), 406–15 – DOI: 10.1161/STROKEAHA.120.032850
- Gender Differences in Outcomes after Ischemic Stroke: Role of Ischemic Lesion Volume and Intracranial Large-Artery Occlusion – Autoren: Silva, Gisele S., Fabricio O. Lima, Erica C. S. Camargo, Wade S. Smith, Michael H. Lev, Gordon J. Harris et al. – Publikation: Cerebrovascular Diseases, 30.5 (2010), 470–75 – DOI: 10.1159/000317088
- Sex Disparities in Stroke: Women Have More Severe Strokes but Better Survival Than Men – Autoren: Dehlendorff, Christian, Klaus Kaae Andersen, Tom Skyhøj Olsen – Publikation: Journal of the American Heart Association, 4.7 (2015), e001967 – DOI: 10.1161/JAHA.115.001967
- Confounding by Pre-Morbid Functional Status in Studies of Apparent Sex Differences in Severity and Outcome of Stroke – Autoren: Renoux, Christel, Janie Coulombe, Linxin Li, Aravind Ganesh, Louise Silver, Peter M. Rothwell – Publikation: Stroke, 48.10 (2017), 2731–38 – DOI: 10.1161/STROKEAHA.117.018187
- 2016 ESC Guidelines for the Management of Atrial Fibrillation Developed in Collaboration with EACTS – Autoren: Kirchhof, Paulus, Stefano Benussi, Dipak Kotecha, Anders Ahlsson, Dan Atar, Barbara Casadei et al. – Publikation: EP Europace, 18.11 (2016), 1609–78 – DOI: 10.1093/europace/euw295
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- Under-Enrollment of Women in Stroke Clinical Trials – Autoren: Carcel, Cheryl, Mathew Reeves – Publikation: Stroke, 52.2 (2021), 452–57 – DOI: 10.1161/STROKEAHA.120.033227