Einem erneuten Schlaganfall mit Medikamenten vorbeugen ▷ Sekundärprophylaxe
In diesem Artikel:
- Warum ist die medikamentöse Sekundärprävention so wichtig?
- Thrombozytenfunktionshemmer
- Orale Antikoagulation (“Blutverdünner”)
- Blutfettsenker
Warum ist die medikamentöse Sekundärprävention so wichtig?
Patienten, die eine Transitorische ischämische Attacke (TIA) oder einen ischämischen Schlaganfall erlitten haben, haben ein erhöhtes Risiko für einen erneuten Schlaganfall. Bei jedem zehnten Schlaganfallpatienten kommt es innerhalb eines Jahres zu einem erneuten Schlaganfall.1
Daher ist die Vorbeugung vor einem erneuten Schlaganfall das wichtigste Therapieziel. Das Vorgehen, ein erneutes Ereignis zu verhindern, wird Sekundärprävention genannt.
Die Primärprävention hingegen bemüht sich um die Erhaltung von Gesundheit und die Vorbeugung von Erkrankungen, bevor eine Schädigung oder Krankheit überhaupt eintritt. Sie richtet sich an jeden gesunden Mensch und an Menschen mit bekannten Risikofaktoren für eine Erkrankung.
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Die Sekundärprophylaxe stützt sich auf die Kenntnis der Ursachen einer Erkrankung. Sie soll deren Fortschreiten oder das erneute Auftreten von Krankheitssymptomen verhindern. Damit kann verhindert werden, dass diese Erkrankung dauerhaft besteht, also chronisch wird.
Ziele der medikamentösen Sekundärprophylaxe des Schlaganfalls sind im Wesentlichen:
- die kontrollierte und konsequente Behandlung von Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen, Übergewicht u.a.
- die Verhinderung der Entstehung von Blutgerinnseln im Rahmen einer arteriosklerotischen Gefäßerkrankung oder bei Herzrhythmusstörungen, vor allem bei Vorhofflimmern. Diese Medikamente werden umgangssprachlich auch “Blutverdünner” genannt. Allerdings verdünnen sie nicht das Blut. Sie hemmen bzw. verzögern die körpereigene Blutgerinnung. Dadurch fließt bei einer Verletzung länger Blut, bevor es gerinnt. Es entstehen leichter “blaue Flecken” in der Haut und Blutergüsse fallen größer aus.
Die medikamentöse Therapie eines Schlaganfalls
Welches Medikament für welchen Menschen am besten geeignet ist, wird vom behandelnden Arzt in Abstimmung mit dem Patienten festgelegt.2
Thrombozytenfunktionshemmer
Sie werden auch Thrombozytenaggregationshemmer genannt.
Thrombozytenaggregationshemmer verhindern oder erschweren die Bildung von Blutgerinnseln. Diese Art von Medikamenten wird häufig zur Vorbeugung eines Schlaganfalls eingesetzt, wenn die Gefahr der Bildung von Blutgerinnseln in arteriosklerotisch eingeengten Arterien erhöht ist.
Hintergrund:
Die Blutplättchen (Thrombozyten) haben die Funktion, sich zu verklumpen oder zusammenzuballen, um ein Blutgerinnsel zu bilden und eine Blutung zu beenden. Diese Funktion ist bei der Wundheilung entscheidend, damit das Blut nicht über längere Zeit aus einer Wunde austritt. Wird sie medikamentös eingeschränkt, sinkt die Wahrscheinlichkeit der Bildung eines Blutgerinnsels in der Blutbahn.
Hierbei handelt es sich nicht um eine Blutverdünnung.
Gängige Präparate, die nach einem Schlaganfall eingesetzt werden, sind:
- Acetylsalicylsäure (ASS, Aspirin)
- Clopidogrel
- Seltener auch Ticagrelor
Eine wissenschaftliche Studie (POINT-Studie) hat 2018 ergeben, dass es nach einem „Mini-Schlaganfall“ (transitorische ischämische Attacke, kurz TIA) oder einem leichten ischämischen Schlaganfall für eine begrenzte Zeit von 21 Tagen sinnvoll sein kann, eine Kombinationstherapie mit den zwei Blutplättchenhemmern Aspirin und Clopidrogrel durchzuführen.3
In ausgewählten Fällen kann es erforderlich sein, für einen begrenzten Zeitraum zwei verschiedene Thrombozytenfunktionshemmer in Kombination einzunehmen. Dies ist der Fall:
- nach einer Transienten Ischämischen Attacke (TIA)
- nach einem leichten ischämischen Schlaganfall
- bei hochgradigen Einengungen der Hirnarterien
- nach Implantation eines Stents in der Halsschlagader oder den Herzkranzgefäßen
Orale Antikoagulation (“Blutverdünner”)
Antikoagulation ist der medizinische Begriff für die Hemmung der Blutgerinnung. Der umgangssprachliche Ausdruck für Antikoagulatien ist Blutverdünner. Allerdings wird das Blut nicht verdünnt oder flüssiger. Da die Blutgerinnung eingeschränkt oder aufgehoben wird, erschwert sich die Bildung von Blutgerinnseln in der Blutbahn. Bei einer äußeren oder inneren Verletzung kommt die Blutung nur sehr verzögert zum Stehen. Daher wird vor Verletzungen oder Stürzen gewarnt.
Was machen orale Antikoagulatien?
Antikoagulantien beeinflussen die Gerinnungsfaktoren im Blut. Sie greifen direkt in die Blutgerinnung und in die Bildung von Gerinnungsfaktoren ein. Sie sind somit umfangreicher wirksam als Thrombozytenaggregationshemmer.
Wann werden orale Antikoagulatien eingesetzt?
Vorzugsweise dann, wenn das Risiko einer Thrombose durch Bildung eines Blutgerinnsels besteht. Sie können für einen begrenzten Zeitraum oder als Dauertherapie verordnet werden. Dies ist der Fall bei:
- Vorhofflimmern
- Venenthrombose
- Lungenembolie
- Längerer Bettlägerigkeit
- Bei oder nach Operationen
- Herzklappenprothesen
Wirkstoffe sind die sogenannten indirekten Antikoagulantien wie die Heparine und Vitamin-K-Antagonisten (z. B. das altbekannte Marcumar) und die direkten oralen Antikoagulantien (DOAK), die heutzutage vorzugsweise eingesetzt werden. Vertreter sind Apixaban, Dabigatran, Edoxaban oder Rivaroxaban mit entsprechenden Handelsnamen.
Bei der Einnahme von Marcumar® ist eine regelmäßige Überprüfung der Blutgerinnung durch den behandelnden Arzt oder durch den Patienten im Selbsttest nötig (Kontrolle von INR- oder Quick-Wert).
Bei den anderen Präparaten ist dies nicht erforderlich, allerdings können diese nicht bei Patienten mit schweren Nierenfunktionsstörungen eingesetzt werden.
Blutfettsenker
Statine
Statine werden bei Vorliegen erhöhter Blutfettwerte verschrieben. Sie senken die Blutfettwerte (Lipide). Dazu gehören das Cholesterin und die Triglyceride.
Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zur lipidsenkenden Therapie:4
Nach der S2k-Leitlinie (2022): “Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke (TIA) – Teil 1 und Teil 2” werden folgende Empfehlungen ausgesprochen (wörtlich zitiert):
- Patienten mit ischämischem Schlaganfall oder TIA sollen mit einem Statin behandelt werden.
- Bei Patienten mit Schlaganfall und Hinweisen für eine manifeste Atherosklerose ist eine intensive LDL-C-Senkung auf Werte <70 mg/dl einer moderaten LDL-C-Senkung unter 100 mg/dl überlegen. Als Zielwert der cholesterinsenkenden Therapie soll daher ein LDL-C-Wert von unter 70 mg/dl angestrebt werden. (Zu dieser Empfehlung gibt es ein Sondervotum der DEGAM, Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin: Patienten mit ischämischem Schlaganfall sollte eine sekundärpräventive Therapie mit einem Statin in fester Dosis angeboten werden. Weitere Lipidbestimmungen und Adjustierungen entfallen.)
- Ältere Patienten mit ischämischem Schlaganfall (>65 Jahre) sollen zur Sekundärprävention mit cholesterinspiegelsenkenden Medikamenten, primär mit Statinen, behandelt werden.
Gängige Präparate, die nach einem Schlaganfall eingesetzt werden, sind:
- Atorvastatin
- Fluvastatin
- Lovastatin
- Pravastatin
- Rosuvastatin
- Simvastatin
Fibrate
Fibrate werden weniger häufig als Statine eingesetzt, gelegentlich in Kombination mit einem Statin. Sie senken das LDL-Cholesterin und erhöhen das gute HDL-Cholesterin.
Vertreter sind Bezafibrat, Fenofibrat und Gemfibrozil. Wie die Statine werden auch die Fibrate eingesetzt, um die Blutfettwerte zu verbessern. Sie führen dazu, dass Blutfette abgebaut werden und behindern die Neubildung von Cholesterin, was zu einer geringeren Konzentration im Blut führt.
Ezetimib
Ezetimib behindert die Aufnahme von Cholesterin im Dünndarm. Es wird als Einzelsubstanz oder in Kombination mit einem niedrig dosierten Statin eingesetzt, um erhöhte Cholesterinwerte im Blut zu senken. Somit wird das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung reduziert.
Medikamenten-Adhärenz
Adhärenz bedeutet Therapietreue. Ein Arzt oder eine Ärztin trifft mit der Patientin oder dem Patienten im gegenseitigen Einvernehmen Vereinbarungen zur weiteren Therapie nach einem Schlaganfall.
Die Einhaltung dieser Vereinbarungen durch den Patienten wird Therapietreue oder Adhärenz genannt. Medikamenten-Adhärenz bedeutet, dass ein Patient die verschriebenen Medikamente richtig einnimmt. Also die Medikamente in der richtigen Dosierung, zum richtigen Zeitpunkt und über die vorgeschriebene Dauer einnimmt.
Im besten Fall kann der Patient oder die Patientin die Therapietreue selbst einhalten oder wird von einem Angehörigen unterstützt. Allerdings werden Studien zufolge nur etwa 50 Prozent der verschriebenen Medikamente wie vorgeschrieben eingenommen. Mögliche Gründe sind:
- Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen in Folge eines Schlaganfalls
- Angst vor Risiken und Nebenwirkungen
- Unkenntnis der Wirkung
Viele Menschen scheuen sich davor, Medikamente einzunehmen. Besonders dann, wenn eine langfristige Behandlung erforderlich ist. Patienten fragen sich: „Wie viel bringt mir das Medikament und wie sehr kann es mir schaden?”
Eine Nutzen-Risiko-Abwägung kann jedoch nur dann gelingen, wenn der Nutzen für die betroffene Person klar ersichtlich ist. Diese Abwägung sollte deswegen immer mit einem Arzt oder einer Ärztin erfolgen. Gemeinsam können Arzt und Patient erörtern, ob das Risiko der Medikamenteneinnahme den Nutzen übersteigt oder umgekehrt. Meistens ist das Medikament, wenn überhaupt, das kleinere Übel.
Zusammenfassung
Das Risiko für einen erneuten Schlaganfall (Rezidiv) kann mit einer medikamentösen Therapie gesenkt werden. Die medikamentöse Therapie richtet sich nach den Risikofaktoren, die zu dem Schlaganfall geführt haben. Dafür werden dem Patienten oder der Patientin Medikamente verschrieben. Die richtige Einnahme der Medikamente wird Medikamenten-Adhärenz genannt.
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- Was bedeutet Primärprophylaxe, was Sekundärprophylaxe?
- Wie häufig ereignen sich erneute Schlaganfälle?
- Was kann ich essen, um einem Schlaganfall vorzubeugen?
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Artikel erstmalig veröffentlicht am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autorin
Dr. med. Christina Rückert ist Fachärztin für Neurologie und Geriatrie und arbeitete mehr als 10 Jahre als Oberärztin an der Oberschwabenklinik in Ravensburg. Ihre berufliche Tätigkeit beinhaltete auch die stellvertretende ärztliche Leitung der Zentralen Notaufnahme. Seit Juli 2021 ist sie gemeinsam mit ihrem Mann – ebenfalls Facharzt für Neurologie – in eigener Praxis in Rothenburg ob der Tauber niedergelassen. Ein Schwerpunkt ihrer ambulanten Tätigkeit ist die Nachsorge von Patienten nach einem Schlaganfall. [mehr]
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Quellen
- The Frequency and Timing of Recurrent Stroke – An analysis of routine health insurance data – Autoren: Stahmeyer, J T; Stubenrauch, S; Geyer, S; Weissenborn, K; Eberhard, S – Publikation: Dtsch Arztebl Int 2019; 116: 711-7. – DOI: 10.3238/arztebl.2019.0711
- Den zweiten Schlaganfall verhindern – Autor: Prof. Dr. med. J. Röther – Publikation: Deutsches Ärzteblatt; 2015;112(49)/Pers.Neuro
- Clopidogrel and Aspirin in Acute Ischemic Stroke and High-Risk TIA. – Autoren: Johnston SC, Easton JD, Farrant M et al. – Publikation: N Engl J Med. 2018 Jul 19;379(3):215-225.
- S2k-Leitlinie: Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke (TIA) – Teil 1 und Teil 2 – Autoren: Gerhard F. Hamann, D. Sander, Armin Grau & J. Röther – Publikation: DGNeurologie volume 5, pages369–380 (2022) – DOI: 10.1007/s42451-022-00461-8