Was ist eine TIA? ▷ Transitorische ischämische Attacke
Die Bildgebung liefert nach einer TIA nur selten Hinweise (Foto: Bokskapet | Pixabay)
In diesem Artikel:
- Was ist eine TIA?
- Was ist die Ursache einer TIA?
- Diagnose: Warum ist die Feststellung einer TIA so schwierig?
- Was sind typische Symptome einer TIA?
- Was tun nach einer TIA?
Was ist eine TIA?
Rasch vorübergehende neurologische Ausfallerscheinungen, wie z.B. die schmerzlose Schwäche einer Hand, eine Sprachstörung oder eine nur kurz andauernde Erblindung eines Auges (sog. Amaurosis fugax) sind eine besondere Herausforderung v.a. für den Betroffenen. Ausschlaggebend ist das Wissen, derartige Störungen als Ausdruck einer Durchblutungsstörung des Gehirns oder des Auges zu erkennen und als Notfall zu behandeln.
Kann eine nur Minuten dauernde Lähmung meiner linken Hand ohne Schmerzen Zeichen einer Durchblutungsstörung meines Gehirns sein?
Die Antwort ist eindeutig: Ja. Es kann sich um eine TIA handeln und damit um einen Notfall, der ohne Zeitverlust im Krankenhaus untersucht werden muss.
Typische Krankengeschichte
Einem 73-jährigen Mann fällt am 02.04.2017 plötzlich ohne Schmerzen vormittags beim Handwerken ein schwerer Hammer aus der rechten Hand. Seine Frau hört das Poltern und schaut nach ihrem Mann. Sie weiß aus der Erfahrung einer Freundin, dass die plötzliche Schwäche einer Hand möglicherweise Ausdruck einer Durchblutungsstörung des Gehirns sein kann und alarmiert unverzüglich gegen den Protest ihres Mannes den Notarzt (112), obwohl die Schwäche nach ca. 30 Minuten verschwunden war.
In der Notaufnahme des Krankenhauses wurde der Verdacht auf eine TIA bestätigt und der Patient auf der Stroke Unit, einer spezialisierten Überwachungsstation für Schlaganfälle, aufgenommen.
Die neurologische Untersuchung wie auch die Computer- und Kernspintomografie zeigten keinen Hinweis auf eine Hirndurchblutungsstörung. Die Monitorüberwachung auf der Stroke Unit mit ständiger Aufzeichnung des Elektrokardiogramms (EKG) zeigte kurze oder längere Phasen mit sehr unregelmäßigem Herzschlag.
Die Diagnose lautete: Vorhofflimmern (VHF). Eine Herzrhythmusstörung, bei der sich kleine oder größere Blutgerinnsel (Thromben) im linken Vorhof des Herzens bilden können, die dann mit dem Blutstrom in hirnversorgende Arterien eingeschwemmt werden. Dies wird als “kardiogene Thrombo-Embolie” bezeichnet. Im Versorgungsbereich der kurz- oder längerfristig verstopften Arterie kann hierdurch eine TIA oder ein Hirninfarkt ausgelöst werden.
Es wird geschätzt, dass ca. 20 Prozent aller Hirninfarkte durch Vorhofflimmern verursacht werden. Neben dem Vorhofflimmern wurden bei dem 73-Jährigen zudem ein bisher nicht bekannter Bluthochdruck und eine Fettstoffwechselstörung mit deutlich erhöhtem LDL-Cholesterin festgestellt. Neben Tipps für einen gesunden Lebensstil und eine gesunde Ernährung wurde die medikamentöse Behandlung des Bluthochdrucks und der erhöhten Cholesterin-Werte eingeleitet. Zur Verhinderung der Bildung von Blutgerinnseln wurde ein blutverdünnendes Medikament verordnet.
Erfreulicherweise war es unter der konsequenten Therapie und nach regelmäßigen Kontrolluntersuchungen beim Neurologen in einem Zeitraum von drei Jahren und acht Monaten zu keinem weiteren Ereignis im Sinne einer Hirndurchblutungsstörung gekommen.
Was bedeutet TIA ?
Die Abkürzung TIA steht für Transitorische Ischämische Attacke. Hierbei ist die Funktion einer umschriebenen Region des Gehirns durch Blutmangel vorübergehend gestört, in der Regel für weniger als eine Stunde. Es kommt also zu einer kurz andauernden Unterbrechung der Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen, die keinen dauerhaften Schaden hinterlässt.
Eine TIA und ein ischämischer Schlaganfall haben prinzipiell dieselben Ursachen und Symptome. Eine TIA kann ein “Frühwarnzeichen” oder Vorbote eines drohenden ischämischen Schlaganfalls (nachweisbarer Hirninfarkt) sein, wobei das Risiko hierfür in den ersten 24 bis 48 Stunden nach einer TIA am größten ist.
Was ist die Ursache einer TIA?
Ursache einer TIA ist ein kurz andauernder Verschluss einer Hirnarterie, z.B. durch ein Blutgerinnsel (Thrombus) aus einer der hirnzuführenden Arterien im Halsbereich oder aus dem Herzen z.B. bei Vorhofflimmern.
Die Kürze des Ereignisses erklärt sich durch die Fähigkeit der natürlichen, körpereigenen Blutgerinnung, kleinere Blutgerinnsel selbst, d.h., ohne ärztliches Eingreifen aufzulösen. Größere Gerinnsel können durch die intravenöse Lysetherapie zumindest teilweise und/oder durch die mechanische Thrombektomie entfernt werden.
Diagnose: Warum ist die Feststellung einer TIA so schwierig?2
Die Diagnose beruht überwiegend ausschließlich auf den Angaben des Patienten, da zum Untersuchungszeitpunkt durch einen Arzt in den allermeisten Fällen keine Symptome mehr nachweisbar sind. Das setzt allerdings voraus, dass der Betroffene über die Feststellung einer TIA und deren Symptome Bescheid weiß. Dies setzt eine gute Gesundheitskompetenz voraus.
Was ist bei einer TIA mit bildgebenden Verfahren (Computer- oder Kernspintomografie) nachweisbar?
Kernspintomografisch finden sich in nur wenigen Fällen Hinweise auf eine abgelaufene Durchblutungsstörung in einer umschriebenen Hirnregion.
Eine Studie der Universität Calgary aus 2018 (DOUBT-Studie: Diagnosis of Uncertain Origin Benign Transient Neurological Symptoms) konnte zeigen, dass bei Verdacht auf eine TIA und Durchführung einer Kernspintomografie innerhalb von 8 Tagen nach dem Ereignis nur bei 13,5 Prozent der Patienten eine sichtbare Veränderung des Hirngewebes durch eine Durchblutungsstörung (Ischämie) nachweisbar war.
Insbesondere bei Männern, bei motorischen Ausfallserscheinungen (Lähmungen) oder erstmaligen Ereignissen war die Wahrscheinlichkeit für den Nachweis einer frischen Ischämie höher. Fand sich keine sichtbare Durchblutungsstörung in der Kernspintomografie, so war das Schlaganfallrisiko in den nächsten 12 Monaten statistisch nicht erhöht.
Was sind typische Symptome einer TIA?3
Hauptmerkmale sind zum einen die Schmerzlosigkeit, also ein fehlendes Alarmzeichen, zum anderen die Dauer der Symptome, die meist nur wenige Minuten oder Stunden beträgt.
Die häufigsten Symptome sind:
- Kurz andauernde Lähmung einer Hand, eines Armes, eines Beines oder einer Körperhälfte (Halbseitenlähmung, med. Hemiparese)
- Kurz andauernde Gefühlsstörung (Taubheit, “Pelzigkeit”, Missempfindungen wie “Ameisenlaufen” einer Hand, eines Armes, eines Beines oder einer Körperhälfte (med. Hemihypästhesie)
- Kurz andauerndes Herabhängen des Mundwinkels einer Seite
- Vorübergehende Sprach- oder Sprechstörungen
- Kurz andauernde Erblindung eines Auges (med. Amaurosis fugax) oder vorübergehendes Doppeltsehen
- Vorübergehender Dreh- oder Schwankschwindel und Gangunsicherheit
All diese Symptome können auch Hinweise auf andere neurologische Erkrankungen sein, z.B. einen Hirntumor, einen epileptischen Anfall, eine Migräne u.a. sein. In jedem Fall ist aber eine Durchblutungsstörung des Gehirns die wahrscheinlichste Ursache.
Was tun nach einer TIA?
Wenn der Verdacht auf eine TIA besteht, ist das oberste Ziel, unverzüglich die mögliche Ursache zu klären, um einen nachfolgenden Schlaganfall zu verhindern. Dies bedeutet, dass eine TIA – genauso wie ein Schlaganfall mit andauernden Symptomen – ebenfalls ein Notfall ist und stationär auf einer Schlaganfall-Spezialstation, d.h. auf einer Stroke Unit untersucht und behandelt werden muss.4
Dann besteht die Chance, Risikofaktoren zu erkennen, die hirnversorgenden Arterien mit Ultraschall zu untersuchen, eine Computer- oder Kernspintomographie (MRT)5 durchzuführen und die Herztätigkeit hinsichtlich einer Rhythmusstörung (v.a. Vorhofflimmern) zu überwachen.
Keinesfalls darf eine auch nur kurzdauernde neurologische Störung, die auf eine TIA hinweisen kann, bagatellisiert werden. Falls nach einer TIA unverzüglich gehandelt wird, lässt sich das Risiko eines Schlaganfalls in den ersten 4 Wochen nach der TIA von 10 Prozent auf unter 2 Prozent senken.6
ABCD2-score und ABCD3-I-score
Nach einer TIA oder einem nachgewiesenen “kleinen Schlaganfall” (minor stroke) besteht in den ersten Tagen und Monaten das erhöhte Risiko für ein erneutes Ereignis, d.h., ein Rezidiv oder einen größeren Schlaganfall.
Um dieses Risiko abschätzen zu können, wurde der ABCD2-score entwickelt. In diesen Score fließen 5 Risikofaktoren ein:
- Alter (A)
- Blutdruck (B)
- Symptome (C Clinical features)
- Dauer der Symptome und Diabetes mellitus (D2)
Im weiterentwickelten ABCD3-I-score wird zusätzlich abgefragt, ob
- Eine zur betroffenen Gehirnseite feststellbare Einengung (Stenose) der Halsschlagader (Arteria carotis interna) von mehr als 50 % vorliegt. Man spricht auch von Karotisstenose und
- In der Kernspintomographie eine umschriebene Hirnschädigung durch Blutmangel (Hirninfarkt) nachweisbar ist.
Jedes Kriterium bekommt eine definierte Punktzahl.
Score Kriterien | ABCD2-score | ABCD3-I-score |
Alter (gleich oder älter 60 J.) | 1 | 1 |
Blutdruck (gleich oder höher 140/90 mmHg) | 1 | 1 |
Sprachstörung | 1 | 1 |
Einseitige Schwäche (Parese) | 2 | 2 |
Dauer der TIA weniger als 10 bis 59 Minuten | 1 | 1 |
Dauer der TIA länger als 60 Minuten | 2 | 2 |
Diabetes mellitus | 1 | 1 |
Karotisstenose | – | 2 |
Nachweis einer Hirnschädigung | – | 2 |
Punktzahl | 0 – 9 | 0 – 13 |
Die Lebensführung nach einer TIA konzentriert sich – neben der meist medikamentösen Behandlung von Risikofaktoren – auf einen gesunden Lebensstil mit angepasster Ernährung, Abbau von Übergewicht, regelmäßiger Bewegung, Rauchentwöhnung, Drogenentwöhnung und Einschränkung des Alkoholkonsums.
Die Bedeutung der Risikofaktoren
Von besonderer Bedeutung ist die konsequente Behandlung von Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, somit auch einer TIA oder eines Schlaganfalls. An erster Stelle der Risikofaktoren stehen der Bluthochdruck, Diabetes und Fettstoffwechselstörungen, Rauchen, Übergewicht und Bewegungsmangel.
Hier spielt das Wissen der Betroffenen die entscheidende Rolle. Je besser die Erkrankung verstanden wird, desto größer ist die Chance, ein erneutes Ereignis zu verhindern. Neben der ärztlichen Beratung und Behandlung ist somit die Selbstverantwortung gefordert.
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Artikel erstmalig veröffentlicht am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autoren
unter Mitarbeit von Dr. med Christina Rückert
Prof. Dr. med. Hans Joachim von Büdingen ist niedergelassener Facharzt für Neurologie und Psychiatrie am Neurozentrum Ravensburg. Als Chefarzt leitete er die Abteilung für Neurologie und Klinische Neurophysiologie am Krankenhaus St. Elisabeth in Ravensburg. Zu den Schwerpunkten seiner Arbeit gehört die Diagnostik und Behandlung von Schlaganfällen. [mehr]Sie erhalten von uns regelmäßig und kostenlos aktuelle Informationen rund um den Schlaganfall.
Quellen
- Epidemiology of Transient Ischemic Attacks Using Time- or Tissue-Based Definitions – Autoren: Diana Degan, Raffaele Ornello, Cindy Tiseo, Federica De Santis, Francesca Pistoia, Antonio Carolei, Simona Sacco – Publikation: Stroke. 2017;48:530–536 – DOI: 10.1161/STROKEAHA.116.015417
- 2021 Guideline for the Prevention of Stroke in Patients With Stroke and Transient Ischemic Attack: A Guideline From the American Heart Association/American Stroke Association – Autoren: Dawn O. Kleindorfer, Amytis Towfighi, Seemant Chaturvedi, Kevin M. Cockroft, Jose Gutierrez, Debbie Lombardi-Hill, Hooman Kamel, Walter N. Kernan, Steven J. Kittner, Enrique C. Leira, Olive Lennon, James F. Meschia, Thanh N. Nguyen, Peter M. Pollak, Pasquale Santangeli, Anjail Z. Sharrief, Sidney C. Smith Jr, Tanya N. Turan, Linda S. Williams – Publikation: Stroke. 2021;52:e364–e467 – DOI: https://doi.org/10.1161/STR.0000000000000375
- Abstract 99: Diagnosis of Uncertain Origin Benign Transient Events (DOUBT) – Autoren: Shelagh B Coutts, Michael D Hill, Francois Moreau, Mayank Goyal, Marie-Christine Camden, Negar Asdaghi, Thalia Field, Andrew Penn, Richard Swartz, Jean-Martin Boulanger, Bruce Campbell, Martin Krause, Robert Mikulik, Jennifer Mandzia – Publikation: Stroke. ;49:A99 – DOI: 10.1161/str.49.suppl_1.99
- DEGAM-Leitlinie Nr. 8: Schlaganfall, S3-Leitlinie, AWMF-Register-Nr. 053-011, Seite 138. – Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, 2020, Berlin
URL: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/053-011 - Meyer R 2019: Schlaganfallprognose: MRT nach transitorischer ischämischer Attacke zeigt Risiko auf späteren Hirninfarkt. Dtsch Arztebl 116 (42): A-1905
- Incidence of Transient Ischemic Attack and Association With Long-term Risk of Stroke – Autoren: Vasileios-Arsenios Lioutas, MD, Cristina S. Ivan, MD, Jayandra J. Himali, PhD et al – Publikation: JAMA. 2021;325(4):373-381 – DOI: 10.1001/jama.2020.25071