Lähmung (Hemiparese) ▷ Schlaganfall-Folgen
In diesem Artikel:
- Was ist eine Hemiparese?
- Was sind die Ursachen einer Hemiparese?
- Symptome: Wie äußert sich eine Hemiparese?
- Wann zum Arzt?
- Wie wird die Diagnose gestellt?
- Wie wird eine Hemiparese behandelt?
- Welche Komplikationen können auftreten?
- Prognose
- Tipps für Patienten
- Tipps für Angehörige
Was ist eine Hemiparese?
Unter einer Hemiparese (griechisch: hemi = halb, paresis= Erschlaffung) versteht man eine unvollständige Lähmung einer Körperhälfte. Hierbei kann noch eine Restaktivität vorhanden sein.
Im Unterschied hierzu bezeichnet eine Hemiplegie (griechisch: plege = Schlag, Lähmung) eine vollständige Lähmung einer Körperhälfte ohne jegliche Möglichkeit einer aktiven Bewegung. Eine Lähmung bezeichnet immer eine Einschränkung von Kraft und Motorik, das Gefühl und Empfinden kann dabei völlig intakt sein.
Eine Halbseitenlähmung stellt keine eigene Erkrankung dar, sondern ist immer das Symptom einer Grunderkrankung.
Was sind die Ursachen einer Hemiparese?
Eine Hemiparese entsteht durch Schädigungen im Gehirn.
Liegt eine Schädigung im Bereich der rechten Gehirnhälfte oder dem rechten Anteil des Stammhirns, dann ist die Hemiparese auf der linken Körperhälfte. Bei einer Schädigung im Bereich der linken Gehirnhälfte oder dem linken Anteil des Stammhirns findet sich die Hemiparese auf der rechten Körperhälfte. Dies begründet sich dadurch, dass die Steuerung des Gehirns zum Körper „über Kreuz“ verläuft.
Ursachen für eine Hemiparese sind zumeist Schlaganfälle (Hirninfarkte und Hirnblutungen), Schädel-Hirn-Verletzungen durch Unfälle, Entzündungen des Gehirns durch Bakterien oder Viren sowie Tumoren.
In seltenen Fällen kann eine Hemiparese auch durch halbseitige Schädigungen des Rückenmarkes entstehen. Dann befindet sich die Hemiparese auf der selben Körperseite wie die Schädigung, da die Kreuzung der Nervenbahnen oberhalb des Rückenmarks verläuft.
Eine Hemiparese kann auch angeboren sein, beispielsweise durch Schädigungen des Ungeborenen im Mutterleib, Verletzungen bei Geburt oder durch anlagebedingte / genetische Erkrankungen.
Symptome: Wie äußert sich eine Hemiparese?
Bei einer Hemiparese sind bestimmte Bewegungen sowie die Kraft des Armes und des Beines zwar möglich, aber eingeschränkt. Durch die Kraftminderung können Aktivitäten, für die viel Kraft oder Muskelstärke benötigt werden, nicht mehr ausgeführt werden. Oftmals gelingen dem Betroffenen grobmotorische Bewegungen deutlich besser als feinmotorische.
Eine Hemiparese betrifft für gewöhnlich Gesicht, Arm und Bein der selben Körperseite. Dabei kann das Ausmaß der Lähmung und die Verteilung sehr unterschiedlich sein.
Es kann möglich sein, trotz einer Halbseitenlähmung noch gehen zu können – möglicherweise mit Hilfsmitteln, das Gehen kann aber auch vollständig unmöglich sein. Es kann vorkommen, dass insbesondere das Gesicht und/oder der Arm, weniger aber das Bein von der Lähmung betroffen sind.
Wenn die Gesichtsmuskulatur gelähmt ist, so kann es passieren, dass dem Betroffenen unbemerkt Speichel aus dem Mund fließt, der Gesichtsausdruck ungleich ist und Sprechstörungen in Form einer undeutlichen Artikulation auftreten.
Wenn eine gesteigerte Muskelspannung vorhanden ist, die sich auch durch häufig schmerzhafte Verkrampfungen bemerkbar machen kann, spricht man von einer Spastik bzw. einer spastischen Hemiparese.
Welche Symptome und in welcher Schwere diese auftreten, ist jedoch davon abhängig, welche Hirngebiete geschädigt wurden, da unterschiedliche Hirnregionen verschiedene Funktionen erfüllen.
Wann zum Arzt?
Wenn Lähmungen plötzlich auftreten, sollte SOFORT medizinische Hilfe in Anspruch genommen werden. Besonders dann, wenn als Ursache der Hemiparese ein Hirninfarkt zugrunde liegt, besteht die Gefahr, dass bei zu spät begonnener Therapie die Hemiparese dauerhaft bestehen bleibt.
Daher gilt: je früher eine Diagnose gestellt und mit der Therapie begonnen werden kann, desto besser stehen die Chancen, dass sich die Lähmung zurückbildet und die Erkrankung einen positiven Verlauf nimmt.
Wie wird die Diagnose gestellt?
Da es sich bei der Hemiparese um ein Symptom einer zugrundeliegenden Erkrankung handelt und nicht um eine eigenständige Krankheit, muss der Arzt zunächst herausfinden, welche Grunderkrankung für die Lähmung verantwortlich ist. Die Ursachenermittlung ist deshalb so wichtig, damit eine entsprechende, geeignete und erfolgversprechende Therapie eingeleitet werden kann.
Tritt eine Hemiparese plötzlich auf, sollte durch Alarmierung des Rettungsdienstes umgehend medizinische Hilfe in Anspruch genommen werden. Bei Einweisung in die Klinik wird nach einer Ermittlung der Vorgeschichte (Anamnese) und einer neurologischen Untersuchung eine Bildgebung des Kopfes durchgeführt. Diese erfolgt in Form einer Computertomografie (CT) oder einer Kernspintomografie (MRT).
Diese Bildgebung ist ausschlaggebend für die weitere Therapie, denn hinter einer Hemiparese kann ein Hirninfarkt, eine Hirnblutung, ein Tumor oder eine Entzündung des Gehirns stecken.
Entwickelt sich eine Hemiparese schleichend über Wochen oder Monate, so ist meist der niedergelassene Facharzt für Neurologie der erste Ansprechpartner, der eine weitere Abklärung vornimmt und veranlasst.
Wie wird eine Hemiparese behandelt?
Erstes und akutes Ziel der Behandlung ist die Therapie der zugrundeliegenden Erkrankung. Im Weiteren besteht die Therapie der Hemiparese im Beüben verlorener Aktivität mit dem Ziel der Wiederherstellung größtmöglicher Selbstständigkeit des Betroffenen, eventuell auch mit Unterstützung durch geeignete Hilfsmittel.
Im Rahmen eines ambulanten oder stationären Rehabilitationsprogramms stehen hierbei Physiotherapie und Ergotherapie, bei zusätzlichen Lähmungen der Gesichtsmuskulatur auch die Logopädie an erster Stelle.
Das Wiedererlernen oder der Ausgleich verloren gegangener Körperfunktionen nach einem Schlaganfall ist möglich. Diese Erholung der Funktionen geschieht durch ein stufenweises Training. Zunächst wird der Patient in einfachen Vorgängen und Bewegungsmustern unterstützt, im Verlauf werden komplexere und zunehmend vom Patienten selbst steuerbare Bewegungsabläufe trainiert.
Je früher mit einer gezielten Therapie begonnen wird, umso besser. Daher wurde es zum Standard auf Schlaganfallstationen (Stroke Units), dass erste Übungen bereits innerhalb der ersten 24 Stunden nach dem Schlaganfallereignis beginnen. Bereits 2011 konnte eine australische Studie1 erstmals wissenschaftlich belegen, dass frühe Mobilisation erfolgreich und sicher ist.
Eine Studie aus den USA2 konnte 2010 nachweisen, dass sich Lähmungen nach einem Schlaganfall noch Jahre später bessern oder zurückbilden können. Mithilfe einer intensiven Physiotherapie konnten verloren gegangene Fähigkeiten wieder neu erlernt werden, selbst wenn der Schlaganfall bereits Jahre zurücklag (in der zitierten Studie bis zu 5 Jahre und mehr).
Wenn ein Patient durch die Lähmungen im Alltag stark verunsichert ist und beispielsweise unangemessene Ängste entwickelt vor einem Sturz, die dann dazu führen, dass sich der Patient keinerlei Übungstherapie zutraut, ist eine begleitende Psychotherapie angeraten und sinnvoll.
Welche Komplikationen können auftreten?
Eine Hemiparese kann zu verschiedenen Komplikationen führen. Durch die Einschränkung der Mobilität und Schwierigkeiten mit dem Gleichgewicht kann es zu Stürzen mit Verletzungen (Prellungen, Platzwunden, Knochenbrüche) sowie zu einer Angst vor Stürzen und einer damit verbundenen Bewegungseinschränkung kommen.
Lähmungen können zu massiven Einschränkungen der Gelenkbeweglichkeit führen bis hin zu einem Einsteifen von Gelenken, sogenannten Kontrakturen.
Wenn Betroffene aufgrund der Hemiparese bettlägerig werden und sich selbst gar nicht mehr bewegen oder drehen können, kann die Entstehung von Druckgeschwüren (Dekubitus), Gelenkversteifungen und Muskelschwund begünstigt werden.
Prognose
Die Prognose nach einem Schlaganfall ist in den ersten Tagen und Wochen im Wesentlichen durch mögliche Komplikationen bestimmt. Es ist immens schwierig, eine allgemeine Prognose für die Erholung einer Hemiparese zu machen.
Die Erholungsfähigkeit von Gehirngewebe mit Wiedererlernen von verlorenen Funktionen ist von einem Menschen zum anderen völlig verschieden und hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab, z.B. der durch den Schlaganfall betroffenen Hirnregion, die Größe des Schlaganfalles, dem körperlichen und geistigen Vorzustand des Patienten sowie komplexen Stoffwechselvorgängen im Gehirn, die weiterhin erforscht werden und über die immer noch Wissen fehlt.
Je mehr Komplikationen während der Akutphase auftreten, je älter ein Patient ist und je mehr Vorerkrankungen vorliegen, desto geringer sind die Heilungschancen3.
Daher können zwei Menschen, die einen Schlaganfall erlitten haben, einen völlig unterschiedlichen Verlauf ihrer Erholung aufweisen. Es gibt Patienten, die nach wenigen Tagen, Wochen oder Monaten keinerlei Symptome mehr haben, und andere, die ihr Leben lang durch ihre Hemiparese auf Hilfsmittel oder personelle Unterstützung angewiesen sind.
Tipps für Patienten
Bleiben Sie geduldig und verlieren Sie nicht die Hoffnung auf eine Genesung.
Wichtig ist, dass Sie als Patient an Ihren Therapien, wie intensive Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie konsequent „dranbleiben“ und nicht vorzeitig abbrechen.
Mithilfe der Therapien besteht die Möglichkeit, dass die Lähmungserscheinungen milder werden und vielleicht sogar komplett zurückgehen. Wann und ob die Lähmungen sich komplett zurückbilden, hängt auch von der Motivation des Betroffenen ab, seine Übungen und Therapien durchzuführen.
Wenn Sie Ihre Lähmungen sehr stark einschränken und Sie merken, dass sich das negativ auf Ihre seelische Gesundheit auswirkt, Sie Ängste und Unsicherheiten entwickeln, scheuen Sie sich nicht davor, psychotherapeutische Hilfe anzunehmen.
Denken Sie daran: Es kann immer bessere und schlechtere, erfolgreiche oder auch frustrierende Tage geben. Das ist bei der Erholung nach einem Schlaganfall normal!
Tipps für Angehörige: Wie kann man Patienten mit einer Lähmung unterstützen?
Die Unterstützung der Angehörigen ist für die Betroffenen enorm wichtig und kann großen Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung nehmen.
Es ist wichtig, dass Angehörige die Betroffenen dazu motivieren, Übungen und Therapien weiter umzusetzen. Hierbei sollten Angehörige auch kleine Erfolge der Betroffenen loben, um die Motivation hochzuhalten.
Den Betroffenen muss das Gefühl vermittelt werden, dass Sie nicht alleine sind, sondern sich auf die Hilfe und liebevolle Pflege der Angehörigen verlassen können. Keineswegs sollte ihnen der Eindruck gegeben werden, dass sie zur Last fallen.
Wichtig ist, dass die richtigen und geeigneten Hilfsmittel vorhanden sind, um eine gute Versorgung des Betroffenen zu ermöglichen. Eine Hilfsmittelversorgung mit Pflegebett, Toilettenstuhl oder –sitzerhöhung, Rollstuhl, Rollator etc. wird in der Regel durch die entlassende Akut- oder Rehaklinik in die Wege geleitet.
Oftmals haben die zu Hause weiter behandelnden Physio- und Ergotherapeuten aber gute Anregungen für Hilfen im Alltag (z.B. Griffverdickungen für Besteck oder Stifte, Anti-Rutschunterlagen für den Tisch). Sprechen Sie sie darauf an!
Folgende Tipps können hilfreich sein in der Pflege eines Menschen mit einer Hemiparese:
- Die gelähmte Seite immer zuerst: alle Aktivitäten sollten von der gelähmten Körperseite aus passieren.
- Die gelähmte Seite anregen: Patienten mit einer Hemiparese vernachlässigen oftmals ihre gelähmte Seite. Daher sollten Reize (Ansprechen, Aufhängen von Bildern im Zimmer, Bettposition im Zimmer) immer von der betroffenen Seite aus passieren, damit die Wahrnehmung für diese Seite angeregt wird.
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Artikel erstmalig veröffentlicht am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autorin
unter Mitarbeit von stud. med. Sedef Kuecuekuncular
Dr. med. Christina Rückert ist Fachärztin für Neurologie und Geriatrie und arbeitete mehr als 10 Jahre als Oberärztin an der Oberschwabenklinik in Ravensburg. Ihre berufliche Tätigkeit beinhaltete auch die stellvertretende ärztliche Leitung der Zentralen Notaufnahme. Seit Juli 2021 ist sie gemeinsam mit ihrem Mann – ebenfalls Facharzt für Neurologie – in eigener Praxis in Rothenburg ob der Tauber niedergelassen. Ein Schwerpunkt ihrer ambulanten Tätigkeit ist die Nachsorge von Patienten nach Schlaganfall. [mehr]Sie erhalten von uns regelmäßig und kostenlos aktuelle Informationen rund um den Schlaganfall.
Quellen
- Very early mobilization after stroke fast-tracks return to walking: further results from the phase II AVERT randomized controlled trial. – Autoren: Cumming TB, Thrift AG, Collier JM, Churilov L, Dewey HM, Donnan GA, Bernhardt J. – Publikation: Stroke 2011; 42: 153-8. – DOI: 10.1161/strokeaha.110.594598
- Robot-Assisted Therapy for Long-Term Upper-Limb Impairment after Stroke – Autoren: Albert C. Lo, M.D., Ph.D., Peter D. Guarino, M.P.H., Ph.D., Lorie G. Richards, Ph.D., Jodie K. Haselkorn, M.D., M.P.H., George F. Wittenberg, M.D., Ph.D., Daniel G. Federman, M.D., Robert J. Ringer, Pharm.D., Todd H. Wagner, Ph.D., Hermano I. Krebs, Ph.D., Bruce T. Volpe, M.D., Christopher T. Bever, Jr., M.D., M.B.A., Dawn M. Bravata, M.D., Pamela W. Duncan, Ph.D., Barbara H. Corn, Ph.D., Alysia D. Maffucci, J.D., Stephen E. Nadeau, M.D., Susan S. Conroy, D.Sc., P.T., Janet M. Powell, Ph.D., Grant D. Huang, Ph.D., and Peter Peduzzi, Ph.D. – Publikation: N Engl J Med 2010; 362:1772-1783 – DOI: 10.1056/NEJMoa0911341
- Prognosefaktoren in der Frührehabilitation nach schwerem Schlaganfall – Autoren: G. Seidel, L. Eggers, D. Kücken, E. Zukunft, R. Töpper, A. Majewski, K. Klose, C. Terborg, I. Klass, P. Wohlmuth, U. Debacher – Publikation: Aktuelle Neurologie 2016; 43(09): 541-547 – DOI: 10.1055/s-0042-118957