Wie häufig ereignen sich erneute Schlaganfälle? ▷ Rezidive
In diesem Artikel:
- Schätzung: 70.000 Rezidive pro Jahr in Deutschland
- Häufigkeit: Wie häufig sind Rezidive und wann treten sie auf?
- Mortalität: Wie viele Patienten versterben nach einem Schlaganfall?
- Wie können Rezidive verhindert werden?
Die zentrale Frage ist: Wie verhindere ich einen erneuten Schlaganfall, ein sog. Rezidiv?
Die medizinische Versorgungsforschung beschäftigt sich weltweit und zunehmend mit dieser Frage, da ein Großteil aller erstmalig und wiederholt auftretenden Schlaganfälle durch die Erkennung (Diagnostik) und Behandlung (Therapie) von wenigen Risikofaktoren verhindert werden könnte.
Sowohl der Vorbeugung (Primärprophylaxe), als auch der gezielten Nachbehandlung (Sekundärprophylaxe) kommt somit eine unschätzbare Bedeutung zu.
Schätzung: 70.000 Rezidive pro Jahr in Deutschland
In Deutschland erleiden jährlich etwa 270.000 Menschen einen Schlaganfall1. Es wird geschätzt, dass etwa 70.000 von diesen Rezidive sind. Schlaganfälle zählen zu den häufigsten Todesursachen2 und sind Hauptursache für dauerhafte körperliche, seelische und geistige Behinderungen3. Daher sind Zukunftsaussichten (Prognosen) für die Betroffenen, deren Angehörige und das erweiterte soziale Umfeld äußerst wichtig.
Zuverlässige Prognose für den Einzelfall noch nicht möglich
Kein Schlaganfall ist wie ein anderer. Er trifft immer einen einzigartigen Menschen. Faktoren wie Alter, Geschlecht, Erbanlagen, Risikofaktoren, Vorerkrankungen, Bildung und sozioökonomischer Hintergrund sind in ihrer Kombination derart unterschiedlich vermischt, dass es derzeit noch nicht möglich ist, für den Einzelfall eine zuverlässige Prognose abzugeben.
Hier besteht die Hoffnung, dass “Künstliche Intelligenz” (KI) in Zukunft genauere Prognosen zulassen wird. Allerdings sind anhand statistischer Analysen allgemeine Aussagen möglich.4
Dieser Onlinekurs erklärt Ihnen in 12 kompakten Modulen alles, was Sie jetzt wissen müssen.
Statistische Untersuchung zur Häufigkeit von Schlaganfall-Rezidiven
Eine aktuelle, statistische Erhebung5 gibt auf der Grundlage von Daten einer gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Antworten auf folgende Fragen:
- Wie häufig sind Schlaganfall-Rezidive und wann treten diese auf?
- Welche Faktoren beeinflussen das Auftreten von Rezidiven?
- Wie häufig sterben Patienten nach einem Schlaganfall, wie hoch ist also die Mortalität?
In der untersuchten Patientengruppe hatten in den Jahren 2010/2011 18.496 Patienten einen Schlaganfall erlitten.
An Risikofaktoren wurden bei 69 Prozent Patienten ein Bluthochdruck (arterielle Hypertonie), bei 33 Prozent ein Diabetes mellitus nachgewiesen, 31 Prozent wiesen erhöhte Blutfette auf und bei 13 Prozent wurde Vorhofflimmern festgestellt.
Wie häufig sind Rezidive und wann treten sie auf?
In dieser Analyse wurden erneute Schlaganfälle nur dann gewertet, wenn 1. zwischen der Erstbehandlung und dem Rezidiv mindestens 21 Tage lagen und 2. ein anderer Schlaganfalltyp vorlag oder eine andere Hirnregion betroffen war.
Das Rezidiv-Risiko beträgt:
- 1,2 % nach 30 Tagen
- 3,4 % nach 90 Tagen
- 7,4 % nach 1 Jahr
- 19,4 % nach 5 Jahren
Rezidiv-Risiko in den Jahren nach einem Schlaganfall:
Jahr | Risiko für ein Rezidiv |
---|---|
1 | 7,4 % |
2 | 3,7 % |
3 | 2,8 % |
4 | 2,9 % |
5 | 2,6 % |
Das beinhaltet ein Risiko für das 1. Jahr von insgesamt 7,4 Prozent, für 2. Jahr von 3,7 Prozent, 2,8 Prozent für das 3. Jahr, 2,9 Prozent für das 4. Jahr und 2,6 Prozent für das 5. Jahr.
Welche Faktoren beeinflussen das Rezidiv-Risiko und wie kann ein Rezidiv verhindert werden?
Der entscheidende Faktor zur Verhinderung eines erneuten Schlaganfalls ist die Therapietreue, auch Adhärenz oder Compliance genannt. Sie gilt als Schlüssel zum Erfolg zur Vermeidung eines erneuten Schlaganfalls. Adhärenz bedeutet die Einhaltung von Vereinbarungen, die in der Behandlungsphase nach der Akutbehandlung zwischen Arzt und Patient getroffen werden. Diese Vereinbarungen werden getroffen, um bestimmte Therapieziele unter Berücksichtigung des Risikoprofils des Patienten zu erreichen.
Die Vorbeugung (Sekundärprävention) gegen einen erneuten Schlaganfall ist das wichtigste Therapieziel. Um es zu erreichen, sind Patienten angehalten, gesund zu leben und die verordneten Medikamente einzunehmen. In den meisten Fällen ist durch ärztliche Untersuchungen bekannt, welche Risikofaktoren den Schlaganfall verursacht haben. Nach einem Schlaganfall geht es also darum, diese Risikofaktoren in den Griff zu bekommen.
Risikofaktoren
Die Behandlung bzw. Nachsorge nach einem Schlaganfall sollte langfristig gestaltet werden und engmaschige Kontrollen der Risikofaktoren beinhalten. Die meisten Risikofaktoren können medikamentös und/oder durch Änderung des Lebensstils positiv beeinflusst werden, um hierdurch das Risiko für ein Rezidiv zu senken.
Therapietreue
Im besten Fall kann der Patient oder die Patientin die Therapietreue, also die Adhärenz selbst einhalten. Allerdings leiden knapp 50 Prozent der Betroffenen nach einem Schlaganfall unter Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen. Im Praxisalltag zeigt sich, dass viele Schlaganfallbetroffene mit den teilweise komplexen Vereinbarungen und Empfehlungen überfordert sind. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich nur etwa jeder zweite Patient therapietreu verhält. Oftmals werden Patienten von ihren Angehörigen dabei unterstützt, die vereinbarten Therapieziele einzuhalten.
Gesunder Lebensstil
Wir wissen, was theoretisch unter einem gesunden Lebensstil verstanden wird: viel Bewegung, gesundes Essen, wenig oder möglichst kein Alkohol, keine Zigaretten oder andere Drogen.
Die Praxis sieht im Alltag anders aus: liebgewonnene Gewohnheiten oder gar eine Sucht aufzugeben, ist alles andere als leicht. Aber es lohnt sich sehr, um einem erneuten Schlaganfall vorzubeugen.
Medikamenteneinnahme
Aus Angst vor Risiken und Nebenwirkungen und in Unkenntnis der Wirkung und Notwendigkeit scheuen sich viele Menschen davor, Medikamente einzunehmen. Besonders dann, wenn eine langfristige Behandlung erforderlich ist. „Wie viel bringt mir das Medikament und wie sehr kann es mir schaden?”
Eine Nutzen-Risiko-Abwägung kann jedoch nur dann gelingen, wenn der Nutzen für die betroffene Person klar ersichtlich ist. Diese Abwägung sollte deswegen immer mit einem Arzt erfolgen. Gemeinsam können Arzt und Patient erörtern, ob das Risiko der Medikamenteneinnahme den Nutzen übersteigt oder umgekehrt.
Beispiele
Thrombozytenaggregationshemmer verhindern oder erschweren die Bildung von Blutgerinnseln. Diese Art von Medikamenten wird häufig zur Vorbeugung eines Schlaganfalls eingesetzt, wenn die Gefahr der Bildung von Blutgerinnseln in arteriosklerotisch eingeengten Arterien erhöht ist.
Orale Antikoagulation, sogenannte Blutverdünner, werden zur Verhinderung der Entstehung von Blutgerinnseln im Herzen bei Vorhofflimmern oder in arteriosklerotisch erkrankten Blutgefäßen eingesetzt.
Statine werden bei Vorliegen erhöhter Blutfettwerte verschrieben. Sie senken die Blutfettwerte (Lipide). Dazu gehören das Cholesterin und die Triglyceride. Statine werden zur Prävention der Arteriosklerose verschrieben. Cholesterin, vor allem das LDL-Cholesterin, spielt unbestritten eine große Rolle für die Entstehung von arteriosklerotischen Gefäßveränderungen. Eine cholesterin- bzw. lipidsenkende Therapie wird allerdings nur von 61 Prozent der Patienten 3 Monate nach der Verordnung eingenommen, von 55 Prozent nach 6 Monaten.6
Fibrate werden weniger häufig als Statine eingesetzt, gelegentlich in Kombination mit einem Statin. Sie senken das LDL-Cholesterin und erhöhen das gute HDL-Cholesterin.
Sie haben eine Frage zum Schlaganfall? Tauschen Sie sich mit anderen Betroffenen und Angehörigen in unserem Forum aus.
- Was versteht man unter Therapietreue bzw. Adhärenz?
- Schlaganfall: Intensivierte Sekundärprävention senkt Risiko
- Statistik: Weniger Menschen sterben nach einem Schlaganfall
- Studie: Ernährung beeinflusst Schlaganfallrisiko
- Was sind die Symptome und ersten Anzeichen eines Schlaganfalls?
Dieser Onlinekurs erklärt Ihnen in 12 kompakten Modulen alles, was Sie jetzt wissen müssen.
Artikel erstmalig veröffentlicht am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autoren
unter Mitarbeit von stud. med. Nina Siegmar
Prof. Dr. med. Hans Joachim von Büdingen ist niedergelassener Facharzt für Neurologie und Psychiatrie am Neurozentrum Ravensburg. Als Chefarzt leitete er die Abteilung für Neurologie und Klinische Neurophysiologie am Krankenhaus St. Elisabeth in Ravensburg. Zu den Schwerpunkten seiner Arbeit gehört die Diagnostik und Behandlung von Schlaganfällen. [mehr]Sie erhalten von uns regelmäßig und kostenlos aktuelle Informationen rund um den Schlaganfall.
Quellen
- Schlaganfallgeschehen in Deutschland – Zur Vergleichbarkeit von Krankenkassen-, Register- und DRG-Daten – Autoren: M. Kohler, J. Deutschbein, D. Peschke, L. Schenk – Publikation: Fortschr Neurol Psychiatr 2014; 82(11): 627-633 – DOI: 10.1055/s-0034-1385231 – PMID: 25383929
- Global, regional, and national age-sex specific mortality for 264 causes of death, 1980–2016: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2016 – Autoren: GBD 2016 Causes of Death Collaborators – Publikation: The Lancet Volume 390, Issue 10100, P1151-1210, September 16, 2017 – DOI: 10.1016/S0140-6736(17)32152-9
- 12-Monats-Prävalenz von Schlaganfall oder chronischen Beschwerden infolge eines Schlaganfalls in Deutschland – Autoren: Markus A. Busch, Ronny Kuhnert – Publikation: Journal of Health Monitoring · 2017 2(1) – DOI: 10.17886/RKI-GBE-2017-010
- Prävalenz des Schlaganfalls bei Erwachsenen im Alter von 40 bis 79 Jahren in Deutschland – Ergebnisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) – Autoren: M.A. Busch, A. Schienkiewitz, E. Nowossadeck & A. Gößwald – Publikation: Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz volume 56, pages656–660(2013) – DOI: 10.1007/s00103-012-1659-0
- The Frequency and Timing of Recurrent Stroke – An analysis of routine health insurance data – Autoren: Stahmeyer, J T; Stubenrauch, S; Geyer, S; Weissenborn, K; Eberhard, S – Publikation: Dtsch Arztebl Int 2019; 116: 711-7. – DOI: 10.3238/arztebl.2019.0711
- Effectiveness of adherence to lipid lowering therapy on LDL-cholesterol in patients with very high cardiovascular risk: A real-world evidence study in primary care – Autoren: Valeria Guglielmi, Alfonso Bellia, Serena Pecchioli, David Della-Morte, Damiano Parretti, Iacopo Cricelli, Gerardo Medea, Paolo Sbraccia, Davide Lauro, Claudio Cricelli, Francesco Lapi – Publikation: Atherosclerosis. 2017 Aug;263:36-41 – DOI: 10.1016/j.atherosclerosis.2017.05.018