Aphasie nach einem Schlaganfall ▷ Sprachstörung als Schlaganfall-Folge
In diesem Artikel:
- Was ist eine Aphasie?
- Was sind die Ursachen für eine Aphasie?
- Welche Formen der Aphasie gibt es?
- Diagnose: Wie wird eine Aphasie diagnostiziert?
- Behandlung: Wie wird eine Aphasie therapiert?
- Wie ist die Prognose?
- Was können Betroffene selber tun?
- Selbsthilfegruppen für Aphasiker
- Was können Angehörige tun?
Was ist eine Aphasie?
Der Begriff “Aphasie” kommt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich “Sprachlosigkeit”.
Unter Aphasie versteht man eine erworbene Sprachstörung aufgrund von Schädigungen im Gehirn. Betroffene haben Probleme beim Sprechen sowie beim Verstehen von Gesprochenem, häufig sind auch das Lesen und Schreiben gestört.
Damit können Betroffene sich schlecht verständlich machen und auch andere schlecht oder gar nicht verstehen. Trotzdem sind die geistigen Fähigkeiten meist nicht beeinträchtigt, auf Wissen und Erfahrungen kann weiterhin zugegriffen werden.
Die Fähigkeit, Situationen zu erkennen und zu analysieren, Zusammenhänge zu erkennen und nicht-sprachliche Zeichen und Signale zu erkennen, ist ungestört.
Sprachstörung vs. Sprechstörung
Aphasien sind sogenannte Sprachstörungen, d.h. die Fähigkeit, Sprache zu erzeugen und ihren Sinn zu verstehen, ist gestört. Bei einer Sprechstörung hingegen ist der Prozess der Wortbildung (z.B. Stottern) oder der Artikulation gestört (“Lallen”).
Was sind die Ursachen für eine Aphasie?
Etwa 80 Prozent aller Aphasien treten nach einem Schlaganfall auf und schätzungsweise 30 Prozent aller Patienten mit einem erstmals aufgetretenen Schlaganfall zeigen Symptome, die zu einer Aphasie passen.
Ca. 10 Prozent der Aphasien sind Folge einer Schädel-Hirn-Verletzung, 7 Prozent entstehen durch Hirntumore, auf Entzündungen im Gehirn oder Sauerstoffmangel sind ca. 3 Prozent aller Aphasien zurückzuführen.
Schätzungsweise sind über 100.000 Menschen in Deutschland zu jedem Zeitpunkt von einer Aphasie betroffen.
Welche Formen der Aphasie gibt es?
Bei einer Aphasie besteht in den allermeisten Fällen eine Kombination verschiedener Aphasie-Formen, wobei die Ausprägung sehr unterschiedlich sein kann.
Globale Aphasie
Die globale Aphasie ist die schwerste Form der Sprachstörung. Betroffen sind sowohl die Sprachproduktion als auch das Sprachverständnis. Es liegt nur wenig bis gar keine Sprachproduktion vor, die Kommunikation ist nahezu unmöglich.
Meistens gelingt es nur, einzelne Wörter zu sprechen und auch nur wenige Wörter oder sehr einfache Aufforderungen zu verstehen. Manche Patienten benutzen sich wiederholende Silben (“lalala”) oder Floskeln (“oh je”); oftmals gelingt das Fluchen fehlerfrei!
Broca-Aphasie
Bei dieser Form der Sprachstörung ist überwiegend das Formulieren gestört. Die Betroffenen verstehen ihren Gesprächspartner oftmals recht gut, können selbst Gesprochenes nur sehr mühsam und stockend formulieren.
Der Sprachstil wirkt wie ein Telegramm. Häufig werden Silben und Laute vertauscht (“Spille” statt “Spinne”, “Meskel” statt “Messer”). Die Betonung der Wörter, der Satzbau und weitere stilistische Elemente können nicht mehr so wie vorher verwendet werden. Betroffene mit einer Broca-Aphasie zeigen oftmals nur wenig oder keine spontane Sprache.
Wernicke-Aphasie
Betroffene können gesprochene Sprache nur teilweise oder gar nicht verstehen. Ihre Sprachproduktion ist oftmals fließend, aber ohne inhaltliche Logik, es entsteht “Kauderwelsch”.
Worte und Laute werden verwechselt, es werden lange, verschachtelte Sätze gebildet. Der Inhalt des Gesprochenen wirkt verworren und unverständlich.
Betroffene Patienten “erfinden” häufig neue Wörter, sogenannte Neologismen. Inhalte werden falsch assoziiert, z.B. wird ein Hund als Katze, ein Tisch als Stuhl bezeichnet.
Amnestische-Aphasie
Hierbei ist vor allem die Wortfindung gestört. Das Gegenüber wird gut verstanden, dem Sprechenden fehlen die Worte. Oft werden Platzhalter verwendet wie “das”, “das Ding da”, “das/der da” oder ein Begriff wird anhand seiner Eigenschaften oder Anwendung beschrieben (“das Ding, mit dem ich schreibe” statt “Kugelschreiber”).
Diese Form der Wortfindung wirkt sich auch auf das Schreiben aus.
Wie wird eine Aphasie diagnostiziert?
Die Diagnose wird von einem Sprachtherapeuten (Logopäde) gestellt. Dazu werden spezielle Testverfahren angewendet. Der Schweregrad einer Aphasie ist entscheidend für die Prognose.
Bei der Analyse der Aphasie wird auf Wortfindungsstörungen, Wortwiederholungen, Wort- und Lautverdrehungen geachtet. Beurteilt werden außerdem Aufmerksamkeit und Konzentration, das Sprachverständnis, das Nachsprechen von Silben, Worten und Sätzen, das Benennen von Gegenständen und Fähigkeit zu lesen und zu schreiben.
Gängige Tests
Aachener Aphasie-Bedside-Test:1 hierbei wird auf sprachliche Störungen beim Nachsprechen, Lesen und Schreiben geachtet. Das Sprachverständnis wird durch gezielte Fragen überprüft.
Token-Test:2 wird als Teil des Aachen Aphasie Tests durchgeführt und ist darauf ausgelegt aphasische von nicht-aphasischen Schädigungen zu unterscheiden.
Hierbei sollen Patienten von 5 farbigen Karten eine bestimmte Farbe erkennen und benennen können.
Behandlung: Wie wird eine Aphasie therapiert?
Ein frühestmöglicher Therapiebeginn nach Eintritt der Schädigung ist sehr wichtig. Eine Aphasie-Therapie ist eine langfristige Therapie, auch Jahre nach Krankheitsbeginn lassen sich mit geeigneten Therapien noch Erfolge und Verbesserungen erzielen.
Ziele der Aphasie-Therapie sind, erkrankte Hirnareale zu reaktivieren, gesunde Hirnbereiche anzuregen und die Aufgaben der gestörten Areale zu übernehmen.
Hierbei ist es sehr wichtig, den Patienten zum Sprechen anzuregen, ihm die Angst zu nehmen, Fehler zu machen oder nicht verstanden zu werden.
Die Aphasie-Therapie besteht aus Übungen für Sprechen, Konzentration und Verständnis, Bestandteil sind aber auch Rollenspiele, in denen Alltagssituationen nachgestellt und geübt werden. Auch das Kommunizieren über Gesten kann Behandlungsbestandteil sein.
Eine langfristige Aphasie-Therapie besteht aus drei Schritten:
- Aktivierungsphase: Hauptziel ist es, den Patienten zum Sprechen anzuregen. Diese Phase sollte so schnell wie möglich nach der Hirnschädigung beginnen. Bei Schlaganfallpatienten beginnt diese Übungsbehandlung noch auf der Stroke-Unit in der Akutklinik.
- Übungsphase: Diese besteht aus mehreren einstündigen Therapiesitzungen pro Woche. Diese Phase dauert mindestens 1 Jahr, meist eher länger. Da jede Aphasie-Form unterschiedlich ist, gibt es keine festen Zeitvorgaben. Die Dauer der Therapie richtet sich nach den Fortschritten und individuellen Bedürfnissen eines Patienten.
- Konsolidierungsphase: Hier soll der Patient lernen, seine erlernten Fähigkeiten im Alltag optimal einzusetzen und weiter auszubauen.
Die Intensität der Therapie ist stark abhängig davon, wie gut die Konzentration ist, ob die Aufmerksamkeit auf das Training fokussiert werden kann und ob die körperliche Verfassung eine Sprachtherapie überhaupt zulässt.
In den ersten Wochen sind die Symptommuster nicht konstant und können sich auch von Tag zu Tag verändern. Dadurch ist eine korrekte Diagnosestellung oft sehr schwierig und auch die darauf abgestimmte Therapie kann sich im Verlauf noch verändern.
Wie ist die Prognose?
44 Prozent der Patienten, die zunächst aphasische Symptome aufweisen haben nach 6 Monaten keine Aphasie mehr.3 In den ersten vier Wochen normalisiert sich bei circa einem Drittel die Sprachfunktion. Die Entwicklung der Aphasie und auch die Prognose sind davon abhängig, wie ausgeprägt sich die anfängliche Aphasie zeigt.
Was können Betroffene selber tun?
Häufig sind aphasische Symptome ein sehr belastender Einschnitt in das alltägliche Leben. Folgesymptome wie zum Beispiel Lähmungen nach einem Schlaganfall sind zusätzliche Belastungsfaktoren.
Gerade, wenn Gedanken, Gefühle und auch Beschwerden nicht mehr richtig geäußert werden können, ist es nicht selten, dass sich Betroffene einsam, hilf- und machtlos fühlen und sich schämen.
Wichtig ist es für Betroffene, geduldig und ruhig mit sich selbst zu bleiben. Durch die Sprachtherapie kann die Situation verbessert werden.
Wichtig ist es allerdings auch, dass Grenzen der Therapie akzeptiert werden können und Betroffene es lernen, mit den Einschränkungen so gut es geht zurechtzukommen. Es kann sehr hilfreich sein, in Selbsthilfegruppen in Kontakt mit anderen Betroffenen zu treten und sich auszutauschen.
Selbsthilfegruppen für Aphasiker
Für Aphasiker gibt es eigenständige Selbsthilfegruppen, welche sie unter folgenden Kontaktdaten erreichen können:
Wenzelstraße 19
97084 Würzburg
Tel.: 0931/250130-0
Fax: 0931/250130-39
E-Mail: [email protected]
Internet: www.aphasiker.de
Beate Gollan bietet telefonische Beratung für den Aphasie-Landesverband Hessen an. Ihre Beratung umfasst sprachtherapeutische Information zur Sprachstörung, deren Behandlungsmöglichkeiten und Prognosen:
Telefonische Terminvereinbarung: mittwochs von 18 bis 19 Uhr unter 0159 067 560 89
per E-Mail: [email protected]
Internet: https://www.hessenaphasie.de/beratung/beate-gollan-beratung/
Was können Angehörige tun?4
Der Verlust des Sprachvermögens und der Kommunikationsfähigkeiten ist für Betroffene äußerst verstörend. Viele sind frustriert, verzweifelt, aggressiv oder depressiv. Da es für diese Menschen sehr anstrengend ist, sich zu verständigen und andere zu verstehen, haben sie oft ein erhöhtes Ruhebedürfnis und sind schnell erschöpft.
Aphasie-Patienten sollten nicht bevormundet oder “wie Kinder” behandelt werden. Ihr Selbstvertrauen muss gestärkt werden, Lebensmut darf nicht verloren gehen.
Guter familiärer Rückhalt und soziale Einbindung sind positive Faktoren für die Rehabilitation der Aphasie-Symptome nach einem Schlaganfall.5
Folgende Tipps können beim Umgang mit Aphasie-Patienten helfen:
- Geduldig bleiben. Menschen mit Aphasie benötigen Zeit.
- Einfache Sätze benutzen und Gesprächspausen einlegen.
- Nicht das “Wort aus dem Mund nehmen”. Aphasiker suchen oftmals lange nach Worten. Das Finden des richtigen Wortes ist ein Erfolgserlebnis.
- Die Kommunikation erleichtern. Hier helfen einfache Fragen, die mit “ja/nein” beantwortet werden können. Gesten und entsprechende Mimik können beim Verstehen helfen.
- Nicht zu viel korrigieren. Aphasiker haben sehr oft Angst, beim Sprechen Fehler zu machen. Zu häufiges Korrigieren kann dazu führen, dass sich der Betroffene nicht mehr traut zu sprechen.
- Störquellen beseitigen. Menschen mit Aphasie fällt es schwer, sich auf mehrere Dinge gleichzeitig zu konzentrieren. Wenn mehrere Menschen an einem Gespräch beteiligt sind, sollten diese nicht durcheinander sprechen. Radio oder Fernseher sollten während eines Gesprächs abgestellt sein.
- Kontakte erleichtern. Angehörige von Betroffenen sollten anderen Menschen die Scheu nehmen, auf Aphasiker zuzugehen. Viele Menschen sind im Umgang mit Aphasikern sehr unsicher.
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Autorin
unter Mitarbeit von stud. med. Nina Siegmar
Dr. med. Christina Rückert ist Fachärztin für Neurologie und Geriatrie und arbeitete mehr als 10 Jahre als Oberärztin an der Oberschwabenklinik in Ravensburg. Ihre berufliche Tätigkeit beinhaltete auch die stellvertretende ärztliche Leitung der Zentralen Notaufnahme. Seit Juli 2021 ist sie gemeinsam mit ihrem Mann – ebenfalls Facharzt für Neurologie – in eigener Praxis in Rothenburg ob der Tauber niedergelassen. Ein Schwerpunkt ihrer ambulanten Tätigkeit ist die Nachsorge von Patienten nach einem Schlaganfall. [mehr]Sie erhalten von uns regelmäßig und kostenlos aktuelle Informationen rund um den Schlaganfall.
Quellen
- Biniek 1993
- Huber et al. 1983
- Pedersen et al. 1995
- Verhaltensstrategien für Angehörige gegenüber Betroffenen – Bundesverband für die Rehabilitation der Aphasiker e. V. – URL: https://aphasiker.de/angehoerige-betroffene/angehoerige/verhaltensstrategien-betroffene/
- Herrmann et al. 1989, Hemsley u. Code 1996