Gesundheitskompetenz in Deutschland ▷ Studie
Gesundheitskompetenz ist definiert als die Fähigkeit, Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden, um im Alltag Entscheidungen für die eigene Gesundheit zu treffen.
Seit Jahrzehnten wird die mangelhafte Gesundheitskompetenz der Bevölkerung beklagt. In letzter Zeit hat dieser Missstand erneut zu erhöhter Aufmerksamkeit der Gesundheitspolitik geführt. Die nachfolgende Studie wurde vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) gefördert. Dies weist darauf hin, dass die Zuständigkeit für Gesundheitskompetenz bei der Bundesregierung liegt.
Die 2021 veröffentlichte Studie “Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland vor und während der Corona-Pandemie. Ergebnisse des HLS-GER2” kommt in der Zusammenfassung auszugsweise zu folgenden Feststellungen:
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Die wichtigsten Ergebnisse mit prozentualen Angaben sind im Überblick dieser Studie zu finden.
Ein Kommentar von Prof. Dr. med. Hans Joachim von Büdingen
Facharzt für Neurologie und Psychiatrie
Warum ist die Gesundheitskompetenz (GK) so gering ausgeprägt?
Offenbar gelingt es den Akteuren unseres Gesundheitssystems nicht, nachhaltig ausreichende Gesundheitskompetenz zu vermitteln.
Wer sind die Akteure?
Erweitert sind besonders auch die Schulen und Hochschulen, die Ausbildungsstätten und Betriebe, die Sportvereine und nicht zuletzt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, wie auch die Nahrungsmittelindustrie gefragt. (Diese Zusammenstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).
Für das geforderte Kooperationsbündnis ist somit eine Vielzahl von Menschen und Einrichtungen sehr unterschiedlicher Struktur und Interessen vernetzt “unter einen Hut” zu bringen. Eine gewaltige Aufgabe mit sehr unsicheren Erfolgschancen.
Welche Bereiche werden in dieser Studie betont angesprochen?
- Der ärztliche Bereich. Er betrifft an erster Stelle den kranken Menschen. Erfreulich ist, dass die Interaktion und Kommunikation mit Ärzten generell sehr geschätzt wird. Allerdings beklagen gerade Patienten mit chronischen oder mehrfachen Erkrankungen, die zwangsläufig häufiger Ärzte und Krankenhäuser aufsuchen, die mangelhafte Vermittlung von Gesundheitskompetenz durch Ärzte. Angeschuldigt werden Zeitmangel und Unverständlichkeit der Sprache der Mediziner. Diese Klagen werden seit vielen Jahrzehnten geäußert. Geändert hat sich nichts, im Gegenteil, die Zeitverdichtung nimmt zu. Abhilfe könnte die längst fällige Aufwertung von Ziffern in der ärztlichen Gebührenordnung schaffen, welche das ärztliche Gespräch betreffen. Bessere und nachhaltige Verständlichkeit könnte durch “Patientenbriefe” und vertrauenswürdige Informationen von Ärzten über das Internet erreicht werden. Es besteht kein Zweifel daran, dass verständnisvolle Aufklärung und Vermittlung von Gesundheitskompetenz die Therapietreue (Adhärenz) fördern.
- Der Arzneimittelbereich. Hier stehen die Beipackzettel von Medikamenten in der Kritik, die sogenannten “Waschzettel”. Gehen wir davon aus, dass diese Informationen für den Verbraucher gedacht sind, sind diese Zettel oft unbrauchbar. Tatsächlich verständliche Informationen fehlen, wie auch die Übersichtlichkeit. Für viele ältere Menschen, also die Bevölkerungsgruppe, welche die meisten Medikamente nehmen sollten, sind diese Zettel nur schwer zu lesen. Abschreckend ist die Aufzählung der Nebenwirkungen, die im ärztlichen Gespräch erläutert und relativiert werden sollten. Abhilfe könnte eine völlig neu gestaltete, patientengerechte und leserliche Struktur der Beipackzettel schaffen. Es liegt auf der Hand, dass die Therapietreue (Adhärenz) wesentlich verbessert werden kann, wenn der Patient von der Notwendigkeit der Einnahme eines Medikaments überzeugt wird.
- Die digitale Gesundheitskompetenz. Es ist sehr bedenklich, dass es den digital über das Internet vermittelten Informationen zur Gesundheit bisher nicht gelungen ist, Gesundheitskompetenz zu fördern. Dies ist eine eher unerwartete Feststellung. Sie zwingt dazu, die Qualität des umfangreichen Medienangebots zur Gesundheit und Krankheit zu hinterfragen. Vertrauenswürdigkeit und Unabhängigkeit könnten durch ein unabhängiges Gremium und ein für den Nutzer sichtbares Gütesiegel ausgedrückt werden.
Pragmatisches Vorgehen ist gefragt, um endlich “alte Zöpfe” in unserem Gesundheitssystem abzuschneiden. Die ständige Wiederholung von wissenschaftlich evaluierten Missständen ohne Erfolg versprechendes Neudenken kann nicht zum Ziel einer verbesserten Gesundheitskompetenz führen. Alles Nachdenken führt zu dem Ergebnis, dass Gesundheitskompetenz und die Bedeutung der Selbstverantwortung am wirkungsvollsten beginnend in der Grundschule vermittelt werden sollten. Eine Forderung, die ebenfalls seit Jahrzehnten formuliert wird und erfreulicherweise an manchen Stellen bereits verwirklicht wird.
Das Zauberwort ist “Gesundheitskunde”.
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Artikel erstmalig veröffentlicht am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autor
Prof. Dr. med. Hans Joachim von Büdingen ist niedergelassener Facharzt für Neurologie und Psychiatrie am Neurozentrum Ravensburg. Als Chefarzt leitete er die Abteilung für Neurologie und Klinische Neurophysiologie am Krankenhaus St. Elisabeth in Ravensburg. Zu den Schwerpunkten seiner Arbeit gehört die Diagnostik und Behandlung von Schlaganfällen. [mehr]
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Quellen
- Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland vor und während der Corona Pandemie: Ergebnisse des HLS-GER 2 – Autoren: Schaeffer D, Berens E-M, Gille S, Griese L, Klinger J, de Sombre S, Vogt D, Hurrelmann K – DOI: 10.4119/unibi/2950305