Botulinumtoxin zur Behandlung von Spastiken in der Schlaganfall-Therapie ▷ Therapie
In diesem Artikel:
- Was sind spastische Bewegungsstörungen?
- Welche Behandlung bei spastischen Bewegungsstörungen?
- Was ist Botulinumtoxin A?
- Warum Botulinumtoxin A?
- Wie erkenne ich eine spastische Bewegungsstörung?
- Was bringt eine frühzeitige Behandlung?
Spastische Bewegungsstörungen
Ein schwerwiegendes Symptom des Schlaganfalls ist die Spastik. Sie beschreibt eine gestörte sensomotorische Kontrolle, die durch die Schädigung des Zentralen Nervensystems verursacht wird. Die Symptome äußern sich als eine intermittierende oder länger anhaltende unwillkürliche Muskelaktivierung.1 Spastische Bewegungsstörungen treten bei 20 bis 40 Prozent der Schlaganfallpatient:innen bis zu einem Jahr nach dem Schlaganfall auf.2
Die Spastik lässt sich nicht heilen, es kann jedoch in vielen Fällen eine deutliche Verbesserung der Symptome erzielt werden. Dazu ist ein frühes effektives Management wichtig.3
Langfristige Schäden sind Muskelverkürzungen und Kontrakturen. Diese führen zu zusätzlichen Komplikationen in Form von Bewegungseinschränkungen, Schmerzen, Infektionen und Dekubiti.
Patient:innen haben Schwierigkeiten z. B. bei der Durchführung der körperlichen Hygiene, beim Ankleiden oder Sitzen. Insgesamt ist der Umgang mit der spastischen Bewegungsstörung sehr komplex4 und kann das Leben von Ihnen – und auch Ihrer Familienmitglieder – sehr stark beeinträchtigen.
Welche Behandlung bei spastischen Bewegungsstörungen?
Es gibt in der Medizin Leitlinien, die sich vor allem an Ärztinnen und Ärzte richtet. Diese geben Empfehlungen, wie eine Erkrankung festgestellt und behandelt werden soll. Sie fassen das aktuelle medizinische Wissen zusammen, wägen den Nutzen und den Schaden von Untersuchungen und Behandlungen ab und geben auf dieser Basis konkrete Empfehlungen zum Vorgehen. Leitlinien tragen dazu bei, dass Patient:innen angemessen behandelt und versorgt werden.
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So steht zum Beispiel in der Leitlinie „Therapie des spastischen Syndroms“, dass bei einer Spastik vor dem Gebrauch von Antispastiktabletten eine Injektionsbehandlung mit Botulinumtoxin A ein besseres Nutzen-Risiken-Verhältnis hat.5 Durch die Behandlung mit Botulinumtoxin A können die Symptome der Spastik abgeschwächt werden und die Lebensqualität von Patientinnen und Patienten massiv gesteigert werden.
Ein Beispiel aus der Praxis:
Frau Amberger weckt ihren Mann am Morgen. Ihr Mann schaut sie fragend an und stammelt ein paar unverständliche Silben. Er versucht aufzustehen, aber es gelingt ihm nicht. Frau Amberger verständigt sofort den Notarzt.
Das nächste Bild zeigt die Behandlungskette, wie ein Patient mit einem Schlaganfall versorgt wird.
Was ist Botulinumtoxin A?
Der Wirkstoff Botulinumtoxin Typ A ist ein Protein, das vom Bakterium Clostridium botulinum produziert wird. In einem aufwendigen Verfahren wird der Wirkstoff isoliert, gereinigt und für ein Medikament aufbereitet.
Für die medizinische Behandlung wird Botulinumtoxin in Form eines Arzneimittels hergestellt und in sehr kleinen Mengen injiziert. Der Wirkstoff gelangt direkt an den Zielort, also zum Muskel und wirkt auch nur gezielt.
Das Arzneimittel wird unter strengen Bedingungen aus dem Bakterium Clostridium botulinum gewonnen und aufbereitet. Die Wirkung von Botulinumtoxin ist so extrem, dass wenige Milliardstel Gramm ausreichen, Krämpfe zu lösen. Daher ist Botulinumtoxin ein Mittel bei Spastik, denn die überaktive Muskulatur wird dadurch zur Entspannung angeregt.
Warum Botulinumtoxin A?
Botulinumtoxin Typ A wirkt nur am Übergang zwischen Nerven und Muskeln. Die Übertragung des Signals von der Nervenzelle zum Muskel findet normalerweise auf der motorischen Endplatte statt, woraufhin der Muskel zur Kontraktion angewiesen wird. Die Übertragung des Signals erfolgt über chemische Boten. Bei einer Spastik steuert die Injektion von Botulinumtoxin die Deregulation neuronaler Signale, die die abnormale Kontraktion des Muskels verursacht. Überaktive Muskeln können sich vorübergehend entspannen und dadurch die Symptome der Spastik reduzieren.
Eine Besserung ist bereits einige Tage nach der Injektion mit Botulinumtoxin A zu spüren. Die Wirkung der Behandlung erreicht ihren Höhepunkt innerhalb weniger Wochen und dauert normalerweise zwei bis drei Monate an. Die Therapie muss in regelmäßigen Abständen wiederholt werden, da die Wirkung von Botulinumtoxin A zwischen den Nerven und Muskeln nur vorübergehend ist und der Wirkstoff vom Körper abgebaut wird.
Um dem Patienten:innen die richtige Dosis zu verabreichen, muss der Arzt diese anhand unterschiedlicher Untersuchungen ermitteln.
Dazu muss der Spannungszustand- und Funktionszustand der Muskulatur analysiert werden. Direkt in die übergereizte Muskulatur wird der Wirkstoff Botulinumtoxin A gespritzt. Dadurch wird die Spannung der Muskulatur gelöst und unwillkürliche Bewegungen gemindert. Bei jeder Behandlung muss die Dosis optimiert und neu eingestellt werden. Botulinumtoxin A ist ein verschreibungspflichtiges Medikament, das verspannte Muskeln entspannt.
Wie erkenne ich eine spastische Bewegungsstörung?
Um eine spastische Bewegungsstörung frühzeitig erkennen zu können, hat das Team der Bayerischen TelemedAllianz GmbH mit dem Geschäftsführer Prof. Dr. med. Siegfried Jedamzik die digitale Spastik-App entwickelt, die Patienten oder ihre Angehörigen dabei unterstützt, eine Spastik nach einem Schlaganfall frühzeitig zu erkennen.
Hierfür empfehlen wir Ihnen – aber auch Ihren Angehörigen – die Nutzung der kostenfreien Spastik-App nach Abschluss der Akutbehandlung. Diese App kann Ihnen dabei helfen, die Warnhinweise einer sich entwickelnden Spastik festzustellen und gibt Handlungsempfehlungen, wann ein Physiotherapeut, Hausarzt oder Neurologe kontaktiert werden soll. Die Spastik-App steht kostenlos im Apple App Store oder Google-Playstore zum Download zur Verfügung. Nähere Informationen erhalten Sie auf der Webseite www.spastik-app.de.
Was bringt eine rechtzeitige Behandlung?
Die frühzeitigen Injektionen mit Botulinumtoxin sind fast völlig nebenwirkungsfrei und müssen lediglich alle paar Monate wiederholt werden. Die Kosten hierfür werden von allen Krankenkassen getragen.
Ziel ist es, die Beweglichkeit zu verbessern, die Pflegesituation im Bedarfsfall zu erleichtern. Begleitend zu den Injektionen sind physiotherapeutische Behandlungen immer notwendig zur Verbesserung des Gesamtergebnisses.
Die Injektionen werden entweder in der Praxis in Anwesenheit Ihres Therapeuten bzw. Ihrer Therapeutin durchgeführt oder wenn notwendig z. B. in der Pflegeeinrichtung. Die Kombination aus Injektion und Krankengymnastik vermeidet langfristige Schäden wie Muskelverkürzungen und Kontrakturen, welche zu weiteren Komplikationen wie Bewegungseinschränkung, Schmerzen, Infektionen und Dekubiti führen.
Sie haben eine Frage zur Spastik nach einem Schlaganfall? Tauschen Sie sich mit anderen Betroffenen und Angehörigen in unserem Forum aus.
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Artikel erstmalig veröffentlicht am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autor
Dr. med. Siegfried Jedamzik ist seit über 30 Jahren Hausarzt und Vorstandsvorsitzender der Ärztenetze GO IN e.V. & MEDI Bayern e.V., Professor für Informatik in der Gesundheitswirtschaft an der Technischen Hochschule Deggendorf, Mitglied im Nationalen Expertengremium Interoperabilität des Bundesministerium für Gesundheit und Geschäftsführer der Bayerischen TelemedAllianz GmbH.
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Quellen
- Spastik: Überlegungen zu klinisch relevanten Definitionen und Messungen – Autoren: Pandyan A. – Publikation: Neuroreha 2010; 2: 106–110
- Behandlung der Spastizität nach Schlaganfall – Konsultationsfassung zur DGNR-Leitlinie. – Autoren: Winter T, Wissel J. – Publikation: Neurologie und Rehabilitation 2013; 19: 285–309
- Rehabilitation und Langzeitbetreuung von Schlaganfallpatienten – Autoren: Schupp W. – Publikation: Die Rehabilitation 2014; 53: 408–421
- Klinik der Spastik – spastische Bewegungsstörung – Autoren: Dietz V.- Publikation: Der Nervenarzt 2013; 84: 1508–1511
- AWMF online: Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Therapie des spastischen Syndroms. Deutsche Gesellschaft für Neurologie, S. 8 Langversion – URL: https://register.awmf.org/assets/guidelines/030-078l_S2k_Therapie_spastisches_Syndrom_2019-06-verlaengert.pdf