Muskelschmerzen als Nebenwirkung von Statinen sind sehr selten ▷ Nocebo-Effekt
In diesem Artikel:
- Die Metaanalyse
- Die Ergebnisse
- Placebo-, Nocebo- und Drucebo-Effekte
- Statine schützen vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Muskelprobleme sind als sehr seltene Nebenwirkungen von Statinen beschrieben und äußern sich zum Beispiel in Muskelschwäche oder -schmerzen. Schätzungsweise treten diese Muskelprobleme bei einer von 10.000 Personen pro Jahr auf. In einigen Medien kam es aber gehäuft zur Warnung vor Muskelproblemen durch die Einnahme von Statinen.
Allerdings sind die dort zitierten Studien häufig von geringer Qualität, zum Beispiel weil die Studienteilnehmer nicht nach dem Zufallsprinzip (Randomisierung) in eine Kontroll- und Versuchsgruppe aufgeteilt wurden. Bei dieser Art von Studien kommt es häufig zu Fehleinschätzungen.
Um den möglichen Nebenwirkungen von Statinen auf den Grund zu gehen und eine solide Datengrundlage zu schaffen, führten Forschende eine große Metaanalyse mit qualitativ hochwertigen Studien durch, die nun im Lancet, einem renommierten Fachmagazin, veröffentlicht wurde.
Die Metaanalyse
Für die Metaanalyse1 wurden 19 Studien herangezogen, in denen die Wirkungen und Nebenwirkungen von Statinen mit einem Placebo verglichen wurden. Das heißt, in den Studien gab es eine Kontrollgruppe und eine Versuchsgruppe.
Probanden der Kontrollgruppe sollten ein Placebo einnehmen und Probanden der Versuchsgruppe Statine. Die Probanden wurden zufällig auf die Gruppen aufgeteilt und wussten nicht, ob sie das Placebo oder Statine einnahmen. Anschließend wurden die Probanden aus den verschiedenen Studien im Durchschnitt 4,3 Jahre beobachtet.
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Insgesamt konnten so in die ganze Analyse Daten von 123.940 Menschen einbezogen werden. Durchschnittlich waren die Probanden 63 Jahre alt und über ein Viertel weiblich. Fast die Hälfte hatte vor Beginn der Untersuchung bereits eine Gefäßerkrankung, 18,5 Prozent wiesen Diabetes auf.
Die Ergebnisse
Muskel-Symptome unter der Behandlung mit einem Statin oder Placebo
Innerhalb des Beobachtungszeitraums berichteten 27 Prozent der Probanden, die Statine einnahmen, über Muskelschmerzen oder Muskelschwäche. Allerdings berichteten auch 26,6 Prozent der Probanden aus der Placebogruppe von den gleichen Symptomen.
Nach einem Jahr war die Statin-Therapie mit einem 7 Prozent höheren Risiko für muskuläre Beschwerden verbunden. Nach diesen Ergebnissen war also nur einer von 15 Fällen von Muskelschmerzen und -schwäche nach der Einnahme von Statinen tatsächlich auf die Statine zurückzuführen.
Das bedeutet, dass bei der Mehrheit der Personen, die Nebenwirkungen wie Muskelschmerzen beschrieben, diese gar nicht durch die Statine hervorgerufen wurden, sondern durch andere Ursachen.
Plausible Erklärungen sind das höhere Alter, eine Schilddrüsenerkrankung oder vorausgegangene sportliche Betätigung. In bis zu 70 Prozent der Fälle ist davon auszugehen, dass die Beschwerden Folgen des Nocebo- und Drucebo-Effektes sind.2
Placebo-, Nocebo- und Drucebo-Effekte
Während der Placebo-Effekt den meisten Menschen ein Begriff ist, sind die Nocebo- und Drucebo-Effekte weniger geläufig. Dennoch ist das Verständnis für diese Begriffe wichtig, um die Ergebnisse klinischer Medikamentenstudien zu verstehen.
Bei den Effekten handelt es sich um subjektive und unbewusste Effekte, die durch die Erwartung über die Wirkung einer Substanz oder einer Behandlung entstehen.
Diese Erwartungshaltung führt dann dazu, dass wir Wirkungen spüren, ohne dass diese durch biologische Mechanismen des Medikaments hervorgerufen werden. Sie treten zum Beispiel auch dann auf, wenn wir nur ein Placebo, also zum Beispiel eine Zuckerpille, schlucken.
Grundlagen hierfür sind neurobiologische und psychologische Mechanismen. Dazu gehört die Erwartungshaltung einer Person in Bezug auf das Medikament und das Ergebnis einer Behandlung. So vermittelt zum Beispiel der hohe Preis eines Medikaments den Eindruck, dass dieses Medikament besser wirkt als ein billigeres.
Der Placebo-Effekt
Der Begriff Placebo ist von dem lateinischen Verb placere (deutsch gefallen) abgeleitet.
Der Placebo-Effekt beschreibt, dass die meisten Menschen bei einer Therapie von einer Verbesserung des Gesundheitszustandes ausgehen. Diese Erwartungshaltung führt dann tatsächlich zu einer gefühlten Verbesserung, die aber nicht in direktem Zusammenhang mit dem Medikament oder der Behandlung stehen muss.
Ein Beispiel: Bei einer Erkältung greife ich auf ein Hustenmedikament zurück. Alleine die Erwartung, dass sich mein Zustand verbessert, lässt mich schon gesünder fühlen.
Der Nocebo-Effekt
Der Begriff Nocebo ist von dem lateinischen Verb nocere (deutsch schaden) abgeleitet.
Der Nocebo-Effekt ist also das Gegenteil des Placebo-Effekts. Der Effekt beschreibt, dass allein durch die Erwartung negativer gesundheitlicher Wirkungen diese mit höherer Wahrscheinlichkeit auftreten. Diese negativen Effekte einer Therapie entstehen dann nicht durch die Wirkung einer Substanz oder die Behandlung, sondern durch die negative Erwartungshaltung.
Der Drucebo-Effekt
Der Begriff Drucebo bezieht sich auf die Erwartungshaltung der Wirkungen und Nebenwirkungen nach Einnahme eines Medikaments (in Englisch drug) und schließt den Nocebo- sowie Placebo-Effekt mit ein.3
Statine schützen vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Statine konnten 25 Herz-Kreislauf-Ereignisse pro 1000 Personen innerhalb von 5 Jahren in der Allgemeinbevölkerung verhindern. Bei Patienten, die bereits eine Herz-Kreislauf-Erkrankung erlitten, verhinderten sie sogar 50 Herz-Kreislauf-Ereignisse pro 1000 Personen innerhalb von 5 Jahren.
Ein Problem ist, dass Patienten ihren “Fettsenker” (Statine u.a.) häufig absetzen, wenn sie Symptome wie Muskelschmerzen bemerken, weil sie denken, dass sie das Medikament nicht gut vertragen. In den meisten Fällen wird das Medikament dann ohne Rücksprache mit dem Arzt weggelassen, obwohl die Beschwerden gar nicht im direkten Zusammenhang mit den Statinen stehen.
Diese Ergebnisse der Metaanalyse konnten eindrücklich zeigen, dass das sehr geringe Risiko für Muskelsymptome nach der Einnahme von Statinen nicht mit dem Schutz vor einer lebensbedrohlichen Herz-Kreislauf-Erkrankung aufzuwiegen ist.
Den Nocebo- und Drucebo-Effekt vermeiden
Den Nocebo- und Drucebo-Effekt bei sich selbst zu vermeiden, ist nicht ganz leicht, da diese Effekte weder absichtlich noch bewusst sind. Daher kann eine Einzelperson auch schwer sagen, ob die Symptome dem Nocebo-Effekt geschuldet sind oder nicht.
Aus diesen Gründen kann es von Vorteil sein, sich im Vorhinein nicht zu intensiv mit möglichen Nebenwirkungen zu beschäftigen und sich die Wahrscheinlichkeit, dass eine Nebenwirkung auftritt, bildlich vor Augen zu führen.
Denn die Zahlen wie 10 pro 100.000 (1 von 10.000) können wir uns sehr schwer vorstellen.
Als Beispiel: Auf dieser Abbildung ist einer von 10.000 Menschen orange markiert:
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Autorin
Marieke Theil, M.Sc. hält einen Master of Science in Molecular Nutrition und hat sich in Gesundheitspsychologie weitergebildet. Im Rahmen ihrer Masterarbeit hat sie sich mit dem Einfluss verschiedener Ernährungsformen auf das kardiovaskuläre Risiko befasst. Damit verfügt sie über ein fundiertes Verständnis der Entstehung kardiovaskulärer Erkrankungen. [mehr]
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Quellen
- Introducing the “Drucebo” Effect in Statin Therapy: A Systematic Review of Studies Comparing Reported Rates of Statin-Associated Muscle Symptoms, under Blinded and Open-Label Conditions – Autoren: Penson, Peter E., G. B. John Mancini, Peter P. Toth, Seth S. Martin, Gerald F. Watts, Amirhossein Sahebkar et al. – Publikation: Journal of Cachexia, Sarcopenia and Muscle, 9.6 (2018), 1023–33 – DOI: 10.1002/jcsm.12344
- Statin Intolerance: Time to Stop Letting It Get in the Way of Treating Patients – Autoren: Banach, Maciej – Publikation: The Lancet, 400.10355 (2022), 791–93 – DOI: 10.1016/S0140-6736(22)01643-9
- Introducing the “Drucebo” Effect in Statin Therapy: A Systematic Review of Studies Comparing Reported Rates of Statin-Associated Muscle Symptoms, under Blinded and Open-Label Conditions – Autoren: Penson, Peter E., G. B. John Mancini, Peter P. Toth, Seth S. Martin, Gerald F. Watts, Amirhossein Sahebkar et al. – Publikation: Journal of Cachexia, Sarcopenia and Muscle, 9.6 (2018), 1023–33 – DOI: 10.1002/jcsm.12344