Das berufsrechtliche Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe entfällt ▷ Deutscher Ärztetag
Zukünftig können Ärzte in freier Entscheidung und nach ihrem Gewissen bestimmen, ob sie einem Menschen, der freiwillig aus dem Leben scheiden will, bei der Selbsttötung helfen bzw. assistieren. Allerdings wurde vom Deutschen Ärztetag eindeutig festgestellt: Trotz Aufhebung dieses Verbots wird ärztliches Handeln weiterhin lebens- und gesundheitsorientiert bleiben. Die Beihilfe zum Suizid ist keine ärztliche Aufgabe. Kein Arzt kann dazu verpflichtet werden.
Ein Rechtsanspruch des einzelnen Menschen auf ärztliche Hilfe zu einer beabsichtigten Selbsttötung besteht nicht, auch kein Rechtfertigungszwang des Arztes bei Ablehnung der Hilfe zum Suizid.
Der Präsident der Bundesärztekammer erklärte, dass nur wenigen sterbenskranken Menschen durch die Möglichkeiten der Palliativmedizin2 die Qualität des verbleibenden Lebens nicht verbessert werden könne.
Zentrale Aufgaben der Ärzte seien:
- das Leben zu erhalten
- die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen
- Leiden zu lindern
- die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten
- Sterbenden Beistand zu leisten
Auch durch die Neuregelung und im Hinblick auf zukünftige Regeländerungen bliebe das Thema Suizidbeihilfe für Ärzte sehr schwierig und konfliktbeladen.
Auf der Grundlage der oben eindeutig definierten Aufgaben sei es z.B. sehr problematisch, dem Verlangen eines nicht ernsthaft Erkrankten nach Suizidhilfe nachzugeben. Verhindert werden müsse eine Kommerzialisierung im Sinne einer “normalen Dienstleistung” des Arztes.
Bei ernsthafter Erkrankung sei aber in jedem Fall eine ärztliche Beratung durchzuführen. Das vertrauensvolle Gespräch mit dem Patienten über seinen Wunsch, das Leben zu beenden, sei eine Kernaufgabe der ärztlichen Tätigkeit.
Prävention einer Selbsttötung intensivieren
In Zusammenhang mit der Diskussion über diese Neuregelung rückte der 124. Deutsche Ärztetag die vernachlässigte Prävention einer Selbsttötung in den Vordergrund. Die Prävention müsse ausgebaut und damit verbessert werden. Es sei nämlich nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu befürchten, dass mehr Menschen mit persönlichen Konflikten, schweren körperlichen oder seelischen Erkrankungen oder Behinderungen den Willen nach einer ärztlichen Beihilfe zum Suizid beanspruchen. Hier sei Prävention nötig und nicht Assistenz zur Selbsttötung.
Im Jahr 2019 starben 9.041 Personen durch Suizid.3 76 Prozent waren Männer mit einem durchschnittlichen Alter von ca. 58 Jahren. Auch wenn die Suizidrate gegenüber 1980 (ca. 18.000) wesentlich gesunken ist, “müsse das psychosoziale Hilfesystem und das Gesundheitswesen personell und finanziell besser ausgestattet werden, damit allen Betroffenen ein niederschwelliges, zielgruppengerechtes, menschlich und fachlich kompetentes Hilfsangebot gemacht werden könne”.1
Forderungen des Deutschen Ethikrates
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26.02.2020 wurde am 17.12.2020 eine Anhörung von medizinischen Experten des Deutschen Ethikrates virtuell durchgeführt.
Diskutiert wurde ein neues “legislatives, d.h. gesetzliches Schutzkonzept” für den Suizidwilligen, das insbesondere die Freiwilligkeit, die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit seines Sterbewunsches hinterfragt und nach Möglichkeit sicherstellt. Eine sehr schwierige Aufgabe auch für Ärzte. Empfohlen wird ein intensiver Dialog mit dem Betroffenen durch:
- Aktives und unbefangenes Erfragen von Suizidgedanken oder Todeswünschen, wodurch Betroffene oft entastet werden.
- Empathisches Eingehen auf Hintergründe und Ursachen des Sterbewunsches, Fragen nach dem Lebenswillen.
- Erläuterung von Behandlungsoptionen, z.B. psychotherapeutisch oder palliativmedizinisch.
- Eine verbesserte Schulung für den Umgang mit Todeswünschen.
- Suche nach einem gemeinsamen Ausweg bzw. Distanzierung von Gedanken, sich selbst zu töten.
- Ablehnung der verbotenen Tötung auf Verlangen (“bitte geben Sie mir eine Spritze, damit es vorbei ist”).
In einer großen Studie zur Suizidalität von Kindern und Jugendlichen wurde gezeigt, dass ca. 36 Prozent der Jugendlichen zumindest einmal Suizidgedanken hatten.4 Weiterhin wurde festgestellt, dass bei über 90 Prozent der Suizide im Jugendalter eine psychische Erkrankung vorlag. Nicht selten unerkannt und medizinisch oder psychotherapeutisch unbehandelt. Suizidgedanken sind unabhängig von psychischen Erkrankungen, die für die meisten Suizidversuche und Suizide verantwortlich sind.
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Artikel erstmalig veröffentlicht am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autor
Prof. Dr. med. Hans Joachim von Büdingen ist niedergelassener Facharzt für Neurologie und Psychiatrie am Neurozentrum Ravensburg. Als Chefarzt leitete er die Abteilung für Neurologie und Klinische Neurophysiologie am Krankenhaus St. Elisabeth in Ravensburg. Zu den Schwerpunkten seiner Arbeit gehört die Diagnostik und Behandlung von Schlaganfällen. [mehr]
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Quellen
- Haserück, Andre, Richter-Kuhlmann, Eva (2021): Ärztliche Suizidassistenz. Berufsrechtliches Verbot entfällt. Deutsches Ärzteblatt (118) B 805-808
- Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e. V. – URL: https://www.dgpalliativmedizin.de/
- Suizide – Statistisches Bundesamt – URL: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Todesursachen/Tabellen/suizide.html
- Plener P.L., Straub J., Kapusta N. D., Fegert J. M., Spröber N. (2012): Erhebung von Suizidgedanken bei Jugendlichen. Vergleich zweier Instrumente. Prax.Kinderpsychol Kinderpsychiat. 61, 4-15