Dringende Forderung nach Verbesserung der Gesundheitskompetenz
Was bedeutet Gesundheitskompetenz?
Gesundheitskompetenz (engl. Health literacy) ist bei Wikipedia definiert als “die Fähigkeit, Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden, um im Alltag Entscheidungen zur Gesundheit treffen zu können. Gesundheitskompetenz gehört zur Bildung und umfasst Wissen, Motivation und Handlungskompetenz. Sie wird in den Bereichen der Krankheitsbewältigung, der Prävention und Gesundheitsförderung für sich selbst, für seine Nächsten und für Menschen, für die man Verantwortung trägt, benötigt. Eine gute Gesundheitskompetenz ermöglicht, die Lebensqualität während des ganzen Lebens zu erhalten oder zu verbessern”. Gesundheitskompetenz bei den Menschen zu erreichen, ist im 21. Jahrhundert eine der größten Herausforderungen unseres Gesundheitswesens.
Wie steht es um unsere Gesundheitskompetenz?
Sie ist erschreckend gering ausgeprägt. Seit mehr als 40 Jahren beschreibt die internationale Literatur die Problematik der unterentwickelten Gesundheitskompetenz der Bevölkerung und sucht nach Erklärungen und Lösungen. Leider ohne wesentlichen Erfolg. Ein entscheidender Weck-Effekt wurde in Deutschland 2017 durch die Studie “Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland” ausgelöst, veröffentlicht im Deutschen Ärzteblatt.
In einer repräsentativen Umfrage wurde festgestellt, dass 54,3 Prozent der Befragten eine erheblich eingeschränkte Gesundheitskompetenz aufwiesen. Überraschend niedrig sei die Gesundheitskompetenz bei chronisch Erkrankten ausgeprägt. Erwartet wurde in dieser Gruppe wegen der vermeintlichen Krankheitserfahrung eine vergleichsweise bessere Gesundheitskompetenz. Das Gegenteil ist der Fall. Gründe hierfür sind Verunsicherung und ungelöste, krankheitsbedingte Probleme.
Warum wird Gesundheitskompetenz immer wichtiger?
Die Lebenserwartung der Bevölkerung in Deutschland hat in den vergangenen 100 Jahren um 30 Jahre zugenommen. In den kommenden 40 Jahren wird ein weiterer Anstieg um 7 – 8 Jahre erwartet. Das bedeutet z.B. auch eine weitere Verbreitung der “Seuche des 21. Jahrhunderts”, den Herz- und Kreislauferkrankungen, zu denen der Bluthochdruck, der Herzinfarkt und Schlaganfall zählen.
Ohne eine patientenzentrierte Förderung der Gesundheitskompetenz wird der Gewinn an Lebensjahren gerade bei chronischen Erkrankungen zu einer enormen Last für die Betroffenen, ihre Angehörigen, für unser Sozialgefüge und unser Gesundheitssystem werden.
So sind alle Akteure im Gesundheitswesen aufgefordert, alle Anstrengungen zu unternehmen, diese Entwicklung aufzuhalten. Durch Prävention und vor allem durch Verbesserung der Gesundheitskompetenz, beginnend in der Familie und den Schulen, fortgeführt in der Arbeitswelt und im täglichen Leben.
Kann die Digitalisierung Gesundheitskompetenz verbessern?
Mit aller Wahrscheinlichkeit ja.
Nach den Ergebnissen der o.g. Studie wurde im Jahr 2018 durch eine zivilgesellschaftliche Initiative, die von einer Gruppe von WissenschaftlerInnen mit finanzieller Unterstützung der Robert Bosch Stiftung 2016 ins Leben gerufen wurde, der “Nationalen Aktionsplan Gesundheitskompetenz” publiziert. In diesem Zusammenhang wurde die Einrichtung eines Internetportals angeregt, auf dem “unabhängige, wissenschaftlich belegte und leicht verständliche Gesundheitsinformationen” angeboten werden.
Dieses nationale Internetportal soll als seriöse Quelle für Gesundheitsinformationen Mitte des Jahres 2020 vom Bundesgesundheitsministerium, welches ein eigenes Referat hierfür eingerichtet hat, freigeschaltet werden. Es soll einen wichtigen Beitrag dazu leisten, einschlägige Informationen zunächst zu häufigen und chronischen Erkrankungen, zur “Gesundheit digital” und zur Pflege zu erhalten.
Als Problem wurde erkannt, dass die Digitalisierung zu einer unüberschaubaren Fülle an Informationen geführt hat, deren Qualität und medizinische Kompetenz von den Nutzern (Gesunde und Kranke) nur schwer einschätzbar sind. Digitalisierung und Gesundheitskompetenz sind allerdings bereits jetzt und vermehrt in Zukunft untrennbar verbunden.
Aus ärztlicher Sicht soll digitale Kompetenz das Verhalten der Menschen so verändern, dass Gesundheit und deren Risiken verstanden, Krankheiten vermieden und die Therapietreue (Adhärenz) verbessert werden. Strukturelle Veränderungen in der Kommunikation mit Patienten und Angehörigen durch die Digitalisierung (z.B. die “digitale Sprechstunde”) werden hohe Anforderungen an unser Gesundheitswesen, vor allem an Ärzte, medizinisches Fachpersonal und Pflegekräfte stellen. Auch sie sind aufgefordert, Gesundheitskompetenz zu verstehen und individuell unter Berücksichtigung der Herkunft (z.B. Migrationshintergrund), des Bildungsniveaus und des Sozialstatus der Betroffenen zu vermitteln.
Aus Sicht der BAG Selbsthilfe e.V. (Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung, chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen ist die Dachorganisation von ca. 120 bundesweit aktiven Selbsthilfeorganisationen) seien die sozialen Medien besonders gut geeignet, Gesundheitskompetenz niedrigschwellig zu vermitteln.
Im Januar 2019 wurde in Berlin das “Deutsche Netzwerk für Gesundheitskompetenz (Health Literacy Network Germany)”, DNGK e.V. gegründet. Das Netzwerk entwickelt, bewertet und verbreitet Methoden und Konzepte zur Förderung der Gesundheitskompetenz.
Tätigkeitsbereiche sind:
- Informationsvermittlung über Gesundheitskompetenz durch sein Internet-Portal (dngk.de, healthliteracy.online, netzwerk-gesundheitskompetenz.de)
- Förderung der Aus-, Weiter- und Fortbildung durch Entwicklung, Durchführung und Unterstützung von Lehrprogrammen
- wissenschaftlich-kritische Überprüfung und Weiterentwicklung von Methoden zur Stärkung der Gesundheitskompetenz
- Zusammenarbeit mit anderen Gruppen, die auf dem Gebiet der Gesundheitskompetenz aktiv sind
Zusammenfassung
Die Digitalisierung bietet die große Chance, Gesundheitskompetenz zu vermitteln und zu verbessern, wenn es gelingt, kompetente und verständliche Informationen über ein nationales Internetportal, gesteuert vom Bundesgesundheitsministerium oder dem Deutschen Netzwerk Gesundheitskompetenz, bereitzustellen.
Alle im Gesundheitswesen tätigen Akteure sind aufgefordert, Beiträge zu leisten, die es den Menschen erleichtern, Gesundheitskompetenz zur Verbesserung der persönlichen Gesundheit und Lebensqualität zu erlangen.
Ausdrücklich gilt dies für Patienten mit chronischen Erkrankungen, wie z.B. die Herz-Kreislauf-Erkrankungen, welche in den kommenden Jahrzehnten bedrohlich zunehmen und unser Gesundheitssystem mit einem enormen Kostenanstieg belasten werden.
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Autor
Prof. Dr. med. Hans Joachim von Büdingen ist niedergelassener Facharzt für Neurologie und Psychiatrie am Neurozentrum Ravensburg. Als Chefarzt leitete er die Abteilung für Neurologie und Klinische Neurophysiologie am Krankenhaus St. Elisabeth in Ravensburg. Zu den Schwerpunkten seiner Arbeit gehört die Diagnostik und Behandlung von Schlaganfällen. [mehr]
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Literatur:
- Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland – Ergebnisse einer repräsentativen Befragung – Autoren: Schaeffer, Doris; Berens, Eva-Maria; Vogt, Dominique – Publikation: Dtsch Arztebl Int 2017; 114: 53-60 – DOI: 10.3238/arztebl.2017.0053
- Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung, chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen (BAG SELBSTHILFE e.V.)
- Deutsches Netzwerk Gesundheitskompetenz e.V. (DNGK)
- Gesundheitskompetenz – Wikipedia – abgerufen am 27.03.2020 – GND: 1098455932