Placebo ▷ Einsatz und Wirkung von Scheinmedikamenten

Ein Placebo ist ein Scheinmedikament ohne aktive Bestandteile (Foto: Dmitry Demidovich | Shutterstock)
In diesem Artikel:
Was ist ein Placebo?
Mit dem Begriff Placebo wird ein Scheinmedikament beziehungsweise ein Scheinarzneimittel beschrieben. Es hat die gleiche äußere Form oder Erscheinung wie ein echtes Medikament. Ein Placebo beinhaltet jedoch keine aktiven Bestandteile, die notwendig wären, um eine pharmakologische Wirkung zu erzielen.
Statt eines Wirkstoffes bestehen Placebos in der Regel nur aus Stärke oder Milchzucker (bei Tabletten) beziehungsweise aus physiologischer Kochsalzlösung (bei Injektions- oder Infusionsmitteln). Ihre Einnahme kann trotzdem eine therapeutische Wirkung hervorrufen oder sogar zu Nebenwirkungen führen.
Das Wort Placebo ist aus der lateinischen Sprache abgeleitet: „placet“ bedeutet „es gefällt“.
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Der Placeboeffekt
In der Medizin und in der Forschung werden Placebos eingesetzt, um den Placeboeffekt zu untersuchen. Dieser Effekt beschreibt die therapeutische Wirkung, die durch psychologische Faktoren wie die positive Erwartung der Behandelten ausgelöst wird.
Ein Placebo kann auch in der Therapie eingesetzt werden, um die psychische Verfassung zu verbessern oder um Nebenwirkungen zu reduzieren.
In der Forschung dagegen werden Placebos häufig bei Kontrollgruppen verwendet, um die Wirksamkeit eines Medikaments zu bewerten.
Verschiedene Placebo-Typen
In der Medizin und in der Forschung wird zwischen drei verschiedenen Typen von Placebos unterschieden:
Echte oder reine Placebos
Echte oder reine Placebos sind Scheinmedikamente, die nur Zucker, Stärke oder Kochsalzlösung und unter Umständen Hilfsstoffe wie Geschmacks- oder Farbstoffe enthalten.
Aktive Placebos
Bei bestimmten klinischen Untersuchungen oder bei Prüfungen im Rahmen der Arzneimittelentwicklung werden aktive Placebos zur Kontrolle eingesetzt. Aktive Placebos sind Medikamente, die nicht die eigentliche therapeutische Wirkung eines echten Arzneimittels haben, aber die Nebenwirkungen des echten Arzneimittels nachahmen.
Sie werden in klinischen Studien eingesetzt, um den Placeboeffekt besser zu verstehen. Und, um zu verhindern, dass Studienteilnehmende die Untersuchungsbedingung erraten, indem sie die Nebenwirkungen des echten Medikaments erleben, ohne tatsächlich behandelt zu werden.
Pseudoplacebos
Das sind Medikamente, die jedoch im konkreten Anwendungsfall nach aktueller wissenschaftlicher Erkenntnis nicht wirken können, weil entweder die verabreichte Dosis zu niedrig ist oder das Wirkungsspektrum keinen spezifischen Einfluss auf die bestehende Krankheit hat.
Auch wirkungslose Medikamente können helfen. Dafür sorgt der Placeboeffekt, dessen ganz reale Wirkung sogar als Aktivierungsmuster im Gehirn beobachtet werden kann. Die Wirkung eines Placebos ist also keine Einbildung.
So lindert eine positive Erwartung etwa Schmerzen, indem durch sie die Ausschüttung von Endorphinen, also körpereigenen Opioiden (ein wichtiger Teil unserer eingebauten Schmerzhemmung), im Gehirn angeregt wird.
Nocebo
Bei der Behandlung mit einem Placebo können bereits durch die Erwartung, genau wie bei einem echten Medikament, Nebenwirkungen ausgelöst werden. In der Wissenschaft spricht man daher auch von einem Nocebo. Aus dem Lateinischen übersetzt heißt Nocebo: „Ich werde dir Schaden zufügen.“
Der Nocebo-Effekt beschreibt die unerwünschten Nebenwirkungen einer Scheinbehandlung – wenn diese also nicht heilt, sondern Beschwerden verschlimmert oder sogar erst hervorruft. Er ist somit das negative Gegenstück zum Placeboeffekt.
Es handelt sich dabei meist um Beschwerden oder Erkrankungen, denen im Allgemeinen ein hoher Grad an psychosomatischen Ursachen zugrunde liegt.
Diese von den Betroffenen beklagten Nebenwirkungen sind üblicherweise durch subjektive Symptome wie beispielsweise Übelkeit, Kopfschmerzen, Erschöpfung oder Benommenheit gekennzeichnet.
Des Weiteren sind allerdings auch objektive Symptome, insbesondere Hautausschlag, erhöhter Blutdruck und erhöhte Herzfrequenz, diagnostizierbar. Diese Symptome können leicht und vorübergehend, aber auch chronisch und im Extremfall sogar lebensgefährlich sein.
Auffällig häufiger treten Nocebo-Symptome bei Frauen als bei Männern und bei älteren als bei jüngeren Menschen auf.
Der dem Nocebo-Effekt zugrunde liegende psychische Mechanismus ist im Wesentlichen unbekannt. Eine wesentliche Rolle spielen jedoch nach gegenwärtigem Kenntnisstand offensichtlich die Konditionierung (das Erlernen von Reiz-Reaktions-Mustern) und die Erwartungshaltung.
Beispiele
In der großen langzeitigen Framingham-Herz-Studie des United States Public Health Service wurde festgestellt, dass Frauen, die von sich sagten, dass sie eher als andere Frauen an Herzkrankheiten erkranken, über einen Beobachtungszeitraum von 20 Jahren tatsächlich fast die vierfache Wahrscheinlichkeit zeigten, einen Herzinfarkt oder plötzlichen Herztod zu erleiden. Wobei die Ergebnisse mit den Risikofaktoren Nikotinkonsum, Bluthochdruck und hohes Cholesterin korrigiert wurden.
Ein großer Teil der leichten Impfreaktionen bei den Corona-Impfungen könnte laut einer US-amerikanischen Studie auf den Nocebo-Effekt zurückgehen und irrtümlich empfunden sein. Rund 75 Prozent der Patientenmeldungen zu den am ganzen Körper auftretenden Reaktionen nach der ersten Impfdosis und etwa 50 Prozent der Meldungen nach der zweiten Impfdosis ließen sich darauf zurückführen.
Bei den Placebo-kontrollierten Testimpfungen klagten 33 Prozent der Versuchspersonen, die lediglich Kochsalz injiziert bekommen hatten, über Kopfschmerzen und andere Auswirkungen am ganzen Körper.
Drucebo
Drucebo (eine Kombination aus DRUg und plaCEBO bzw. noCEBO) beschreibt positive oder negative Effekte eines Arzneimittels, die auf Erwartungen beruhen und nicht pharmakologisch durch das Medikament verursacht werden.
Beispiel
In einer systematischen Übersichtsarbeit konnte der Einfluss des Drucebo-Effekts bei der Statintherapie dargestellt werden. Statine (auch CSE-Hemmer genannt) werden zur Senkung erhöhter Cholesterinwerte eingesetzt.
Oft wurden diese Therapien zur Senkung des erhöhten Herz-Kreislauf-Risikos jedoch voreilig abgebrochen, da die Behandelten über vermeintliche statininduzierte Muskelsymptome klagten, die jedoch letztlich andere Ursachen hatten.
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Autor
Dr. med. Mark Dankhoff ist Facharzt für Allgemeinmedizin, Ernährungsmedizin, Diabetologische Grundversorgung, Hypertensiologie DHL, Adiposiologie DAG/AGA/DDG, Adipositas-Trainer AGA, Medizinischer Berater. Sein Schwerpunkt ist die Prävention und Therapie von kardiovaskulären Risikofaktoren und Erkrankungen. Seit 2021 ist er als Medical Advisor freiberuflich tätig. Dr. med. Mark Dankhoff ist Gründungsmitglied des „Im Puls. Think Tank Herz-Kreislauf e.V.“. [mehr]
Quellen
- Placebo in der Medizin: Herausgegeben von der Bundesärztekammer auf Empfehlung ihres Wissenschaftlichen Beirats – Publikation: Deutscher Ärzte-Verlag, 2011, EAN/ISBN 9783769134919
- Der Placebo- und Nocebo-Effekt – Autoren: H. Schröder, E. Grunwald – Publikation: Crotona Verlag GmbH, 1. Auflage, 2022. ISBN: 978-3-86191-241-5
- The Nocebo Effect – Autor: S. Justman – Publikation: Springer, 2016, ISBN: 978-1-137-52329-7
- The Framingham Heart Study – URL: www.framingham.com
- Der Nocebo-Effekt: Die Impfnebenwirkungen kommen oft gar nicht von der Impfung – Publikation: focus.de. 21. Januar 2022
- dpa/gub: Studie: Viele Impfreaktionen gehen wohl auf Nocebo-Effekt zurück – Publikation: welt.de. 20. Januar 2022 – URL: https://www.welt.de/wissenschaft/article236352995/Studie-Viele-Impfreaktionen-gehen-wohl-auf-Nocebo-Effekt-zurueck.html
- Corona-Impfungen: Jede zweite Impf-Nebenwirkung nur ein Placebo-Effekt – Publikation: mdr.de. 5. Februar 2022 – URL: https://www.mdr.de/wissen/jede-zweite-nebenwirkung-bei-corona-impfungen-eingebildet-covid-impfstoffe-102.html
- Methods of blinding in reports of randomized controlled trials assessing pharmacologic treatments: a systematic review – Autoren: I. Boutron, C. Estellat u. a. – Publikation: PLoS medicine. Bd. 3, Nr. 10, Oktober 2006, S. e425 – DOI: 10.1371/journal.pmed.0030425 – PMID: 17076559 – PMC: 1626553.
- Lipid and Blood Pressure Meta-Analysis Collaboration (LBPMC) Group and International Lipid Expert Panel (ILEP). Introducing the ‚Drucebo‘ effect in statin therapy: a systematic review of studies comparing reported rates of statin-associated muscle symptoms, under blinded and open-label conditions. J Cachexia Sarcopenia Muscle. – Autoren: Penson PE, Mancini GBJ, Toth PP, Martin SS, Watts GF, Sahebkar A, Mikhailidis DP, Banach M – Publikation: 2018 Dec;9(6):1023-1033.> DOI: 10.1002/jcsm.12344 – Epub 2018 Oct 11. – PMID: 30311434 – PMCID: PMC6240752.