Klinisch stummer Schlaganfall ▷ Definition, Häufigkeit, Risikofaktoren und Behandlung

Klinisch stumme Schlaganfälle verlaufen ohne typische Symptome (Foto: MMD Creative | Shutterstock)
In diesem Artikel:
Schlaganfall ohne Symptome als Zufallsbefund
Ein Schlaganfall kann aber auch ohne Symptome ablaufen und somit unbemerkt bleiben. Bei einigen Menschen, bei denen das Gehirn mittels CT oder MRT untersucht wird, wird ein akuter oder (häufiger) ein länger zurückliegender Schlaganfall festgestellt. Und das, obwohl zu keinem Zeitpunkt typische Symptome bestanden haben.
Die genannten Untersuchungsmethoden werden immer häufiger zur Abklärung oder Verlaufskontrolle der verschiedensten Symptome und Erkrankungen eingesetzt. Entsprechend steigt auch die Rate der zufällig entdeckten Schlaganfälle.
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Häufiger als gedacht
Ein Schlaganfall ohne Symptome wird als „klinisch stumm“ bezeichnet. Klinisch stumme Schlaganfälle sind keine Seltenheit, sondern treten deutlich häufiger auf, als man intuitiv erwarten würde. Überraschenderweise sind sie sogar häufiger als die klassischen symptomatischen Schlaganfälle.

Die Häufigkeit von klinischen stummen Schlaganfällen steigt mit dem Alter: Während sie von 40 bis 59 Jahren bei circa 8 Prozent liegt, steigt sie ab 80 Jahren auf 28 Prozent an.2
Risikofaktoren für einen stummen Schlaganfall
Die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen von klinisch stummen Schlaganfällen steigt, wenn kardiovaskuläre Begleiterkrankungen wie die koronare Herzkrankheit (KHK) oder die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) bestehen. Bei Betroffenen mit einem erstmaligen symptomatischen Schlaganfall zeigten sich in einer Studie bei mehr als der Hälfte zusätzlich alte, klinisch stumme Schlaganfälle im MRT.3
Andere Erkrankungen mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für klinisch stumme Schlaganfälle sind Depression, Demenz und Migräne.
Unterschiede zwischen stummen und symptomatischen Schlaganfällen
Insgesamt decken sich die Risikofaktoren für klinisch stumme Schlaganfälle mit denen für symptomatische Schlaganfälle. Bluthochdruck, Hypercholesterinämie und Rauchen erhöhen neben anderen das Risiko.
Den größten Einfluss hat dabei der Bluthochdruck, der vor allem das Risiko für sogenannte lakunäre Schlaganfälle erhöht.1
Was ist ein lakunärer Schlaganfall?
Dabei handelt es sich um Hirninfarkte, die eher klein sind und tief im Gehirn im Marklager liegen.
Sie werden meistens durch eine Erkrankung der kleinen Blutgefäße verursacht (sogenannte Mikroangiopathie), für die wiederum ein Bluthochdruck die häufigste Ursache ist.
Auch bei den meisten klinisch stummen Schlaganfällen handelt es sich um lakunäre Infarkte. Kortikale Infarkte, also solche, die die Hirnrinde betreffen und meist größer sind als lakunäre Infarkte, verursachen hingegen oft Symptome. Sie sind also seltener klinisch stumm.
Erkrankungen wie Vorhofflimmern, die vor allem das Risiko für kortikale Infarkte erhöhen, sind deshalb für klinisch stumme Schlaganfälle weniger relevant.
Milde Symptome
Während klinisch stumme Schlaganfälle definitionsgemäß keine typischen Schlaganfallsymptome verursachen, sind sie dennoch häufig nicht komplett asymptomatisch. Je gründlicher eine Person mit einem klinisch stummen Hirninfarkt untersucht oder befragt wird, desto eher können subtile Symptome gefunden werden.
Häufig können kleinere Gesichtsfelddefekte, milde Störungen der Motorik oder eine allgemeine Schwäche festgestellt werden. Dabei sind die Ausfälle so subtil, dass der akute Beginn von den Betroffenen nicht bemerkt wird. Auch die kognitive Funktion kann bei klinisch stummen Schlaganfällen beeinträchtigt sein.4
Typische Schlaganfallsymptome
Oft äußert sich ein Schlaganfall mit typischen Symptomen: eine Halbseitenlähmung, eine Sprach- oder eine Sehstörung. Wenn diese Symptome plötzlich auftreten, ist ein Schlaganfall die wahrscheinlichste Ursache.
In diesem Fall muss schnell gehandelt werden, um Schlimmeres zu vermeiden: Es sollte unverzüglich die 112 gewählt und die Symptome geschildert werden.
So kann aus einem eigentlich symptomatischen ein stummer Schlaganfall werden:
Es kommt vor, dass die Symptome zwar bemerkt werden, aber von der betroffenen Person selbst oder den Angehörigen nicht einem möglichen Schlaganfall zugeordnet werden. Bis der vermeintlich stumme Schlaganfall dann festgestellt wird, vergeht einige Zeit und die Erinnerung an die Symptome, die vielleicht schnell wieder verschwunden sind, verblasst in der Zwischenzeit.
Begriffsbestimmung: stummer oder verdeckter Schlaganfall
Ganz so stumm, wie der Name suggeriert, sind klinisch stumme Infarkte also nicht. Der Name passt deshalb nicht ganz. Daher wurden in der Fachwelt andere Bezeichnungen wie „verdeckte” (englisch: covert) Schlaganfälle als passender vorgeschlagen. Etabliert ist aber weiter der Begriff „stummer” Infarkt.
Behandlung nach einem stummen Schlaganfall
Auch wenn klinisch stumme Schlaganfälle keine schwer beeinträchtigenden Symptome verursachen, zeigen sie ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko an. Nach einem klinisch stummen Infarkt verdoppelt sich das Risiko für einen symptomatischen Schlaganfall. Das Risiko für eine Demenz vervierfacht sich sogar.1
Durch dieses erhöhte Risiko ergibt sich die Frage, wie man auf die Entdeckung eines klinisch stummen Schlaganfalls reagieren sollte. Da sich die Risikofaktoren zum großen Teil mit denen von symptomatischen Schlaganfällen decken, sollten diese Faktoren untersucht und bestmöglich eingestellt werden.
Der Blutdruck und die Cholesterinwerte sollten gemessen werden. Wenn sich dort Auffälligkeiten ergeben, kann entsprechend nicht-medikamentös und/oder medikamentös behandelt werden.
Ursachensuche
Während bei akuten symptomatischen Schlaganfällen intensiv nach verschiedenen möglichen Schlaganfallursachen gesucht wird, kann die Suche bei klinisch stummen Schlaganfällen zielgerichteter sein. Wenn es sich um einen lakunären Infarkt handelt, ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Ursache eine Gerinnselbildung im Herzen beispielsweise durch Vorhofflimmern ist.
Behandlung mit ASS?
Nach symptomatischen lakunären (und anderen) Schlaganfällen ist eine Therapie mit Thrombozytenfunktionshemmern wie ASS etabliert, um das Risiko für erneute Schlaganfälle zu reduzieren. Nach klinisch stummen Infarkten ist eine Behandlung mit ASS nicht durch Studiendaten belegt und wird deshalb in Leitlinien auch nicht routinemäßig empfohlen.5
Auf der anderen Seite vertreten einige Fachleute die Meinung, dass ein klinisch stummer genauso wie ein symptomatischer Infarkt behandelt werden sollte und deshalb in jedem Fall eine Therapie mit einem Thrombozytenfunktionshemmer begonnen werden sollte.6
Die Therapieentscheidung muss individuell getroffen werden.
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Artikel aktualisiert am: - Nächste geplante Aktualisierung am:

Autor
Dr. med. Johannes Heinemann Facharzt für Neurologie an der Universitätsklinik Freiburg Dr. Johannes Heinemann ist Facharzt für Neurologie an der Universitätsklinik Freiburg. Sein klinischer Schwerpunkt ist die Notfall- und Intensivneurologie. Die Akutbehandlung von Schlaganfallpatienten bereitet ihm große Freude, da hier schnelle Entscheidungen und präzises Handeln gefragt sind. Sein Ziel ist es, Wissen über den Schlaganfall und seine Behandlung verständlich und praxisnah zu vermitteln, um Betroffenen und ihren Angehörigen zu helfen, den Weg der Genesung und Prävention besser zu verstehen und zu meistern. [mehr]
Quellen
- Silent brain infarcts: a systematic review – Autoren: Vermeer SE, Longstreth WT Jr, Koudstaal PJ – Publikation: Lancet Neurol. 2007 Jul;6(7):611-9. DOI: 10.1016/S1474-4422(07)70170-9 PMID: 17582361
- Measures of brain morphology and infarction in the framingham heart study: establishing what is normal – Autoren: DeCarli C, Massaro J, Harvey D, Hald J, Tullberg M, Au R, Beiser A, D’Agostino R, Wolf PA – Publikation: Neurobiol Aging. 2005 Apr;26(4):491-510. DOI: 10.1016/j.neurobiolaging.2004.05.004 PMID: 15653178
- Frequency and pathogenesis of silent subcortical brain infarction in acute first-ever ischemic stroke – Autoren: Adachi T, Kobayashi S, Yamaguchi S. – Publikation: Intern Med. 2002 Feb;41(2):103-8. DOI: 10.2169/internalmedicine.41.103 PMID: 11868595
- Association Between Silent Brain Infarcts and Cognitive Function: A Systematic Review and Meta-Analysis. – Autoren: Lei C, Deng Q, Li H, Zhong L. – Publikation: J Stroke Cerebrovasc Dis. 2019 Sep;28(9):2376-2387. DOI: 10.1016/j.jstrokecerebrovasdis.2019.03.036. Epub 2019 Jul 5. PMID: 31285116
- Prevention of Stroke in Patients With Silent Cerebrovascular Disease: A Scientific Statement for Healthcare Professionals From the American Heart Association/American Stroke Association. – Autoren: Smith EE, Saposnik G, Biessels GJ, Doubal FN, Fornage M, Gorelick PB, Greenberg SM, Higashida RT, Kasner SE, Seshadri S; American Heart Association Stroke Council; Council on Cardiovascular Radiology and Intervention; Council on Functional Genomics and Translational Biology; and Council on Hypertension. – Publikation: Stroke. 2017 Feb;48(2):e44-e71 DOI:10.1161/STR.0000000000000116. Epub 2016 Dec 15. PMID: 27980126
- Silent Brain Infarction – Time for Changing the Paradigm? – Autor: Schattner A. – Publikation: Am J Med. 2022 Jan;135(1):12-14. DOI: 10.1016/j.amjmed.2021.07.044. Epub 2021 Sep 8. PMID: 34508701