Kryptogener Schlaganfall ▷ Hirninfarkt ohne bekannte Ursache
In diesem Artikel:
- Häufige Ursachen
- TOAST-Klassifikation der Ursachen ischämischer Schlaganfälle
- ESUS
- Diagnostik und Therapie
Häufige Ursachen
In vielen Fällen eines vermeintlich kryptogenen Schlaganfalls steckt ein Vorhofflimmern (VHF) dahinter, wie verschiedene Studien zeigen. Demnach leidet fast ein Drittel der Betroffenen an Vorhofflimmern, wobei diese Rhythmusstörung jedoch aufgrund fehlender Beschwerden oft nicht erkannt wird.
Somit kann eine wiederholte oder kontinuierliche Überwachung des Herzrhythmus durch ein Langzeit-Elektrokardiogramm oder einen implantierbaren Monitor diagnostisch hilfreich sein, um festzustellen, ob u.U. Vorhofflimmern der auslösende Faktor ist.
Ebenfalls keine Beschwerden macht ein offenes Foramen ovale (PFO), welches bei 20 bis 25 Prozent der gesunden Bevölkerung nachweisbar ist. Durch dieses „Loch“ zwischen dem rechten und linken Vorhof des Herzens können Blutgerinnsel aus dem venösen in den arteriellen Kreislauf gelangen und dort zum Beispiel einen thromboembolischen Hirninfarkt auslösen.
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Allgemein bekannt ist die Beinvenenthrombose, die zu einer Lungenembolie, bei einem PFO aber auch zu einem ischämischen Hirninfarkt führen kann.
Bei jüngeren Schlaganfallpatienten findet sich ein PFO in bis zu 45 Prozent. Wenn keine andere Ursache des Hirninfarkts gefunden wird, werden in der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) „Kryptogener Schlaganfall und offenes Foramen ovale“ auszugsweise folgende Empfehlungen ausgesprochen:
Patienten im Alter zwischen 16 und 60 Jahren mit kryptogenem Schlaganfall und offenem Foramen ovale soll bei moderatem oder ausgeprägten Übertritt von Blut in den linken Vorhof des Herzens (Rechts-Links-Shunt) ein PFO-Verschluss empfohlen werden.
Patienten, die keinen PFO-Verschluss wünschen, wird die Behandlung mit einem Thrombozytenaggregationshemmer empfohlen, zum Beispiel mit ASS.
Derzeit (2023) ist wissenschaftlich (evidenzbasiert) noch nicht geklärt, ob auch Patienten im Alter über 65 Jahre von einem PFO-Verschluss profitieren. Abhängig von der individuellen Situation wird eine medikamentöse Behandlung mit einem „Blutverdünner“ empfohlen.
TOAST-Klassifikation der Ursachen ischämischer Schlaganfälle
Die TOAST-Klassifikation dient der Zuordnung zu einer Gruppe der verschiedenen Ursachen des ischämischen Schlaganfalls. Die Klassifikation wurde 1993 für die gleichnamige klinische Studie „Trial of Org 10172 in Acute Stroke Treatment“ (TOAST) entwickelt.
Diese Klassifikation unterscheidet fünf Gruppen:
Makroangiopathie (Erkrankung großer Blutgefäße)
Gemäß den TOAST-Kriterien wird die Ursache als Makroangiopathie klassifiziert, wenn eine über 50-prozentige Stenose (Verengung) oder ein Verschluss einer hirnversorgenden Arterie vorliegt. Die Diagnostik sollte keine Hinweise auf eine kardio-embolische Quelle als Ursache ergeben.
Mikroangiopathie (Erkrankung kleiner Blutgefäße)
Hirninfarkte, die durch den Verschluss kleiner, unter der Hirnrinde gelegener Arterien verursacht werden. Sie werden als lakunäre Infarkte bezeichnet. Eine Makroangiopathie gemäß den oben genannten Kriterien und eine kardio-embolische Quelle (s.u.) sollten ausgeschlossen sein. Das Vorliegen eines Bluthochdrucks und/oder eines Diabetes mellitus können die Klassifizierung als mikroangiopathischer Schlaganfall stützen.
Kardio-embolisch
Als kardio-embolische Infarkte werden Schlaganfälle klassifiziert, wenn eine kardiale Emboliequelle nachgewiesen wurde. Der Nachweis oder das Bestehen von Vorhofflimmern, eines Vorhofseptumdefektes (z.B. offenes Foramen ovale, PFO), Mitralklappenstenosen, kardialen Thromben (vor allem im Herzohr), eines Sick-Sinus-Syndroms, eines Vorhofmyxoms (gutartiger Tumor des Herzens) oder das Vorliegen von künstlichen oder bioprothetischen Herzklappen, gilt als relevant. Infarkte in unterschiedlichen Stromgebieten können die Klassifizierung als kardiale Embolie stützen.
Andere Ätiologie
Bei Nachweis einer Vaskulitis (Gefäßentzündung), Dissektion (Aufreißen der Arterienwand zwischen der inneren und der mittleren Wandschicht), Gerinnungsstörungen oder anderen Bluterkrankungen kann der Schlaganfall in diese Kategorie klassifiziert werden.
Kryptogen
Wenn keine Ursache (inklusive ESUS, s.u.) oder mehrere konkurrierende Ursachen gefunden werden, wird diese Zuordnung gewählt.
ESUS
Der Begriff des „Embolic Stroke of Undetermined Source“ (ESUS, zu deutsch: embolischer Schlaganfall unbekannter Quelle) wurde 2014 eingeführt. Unter dieser Definition sind alle ischämischen Schlaganfälle eingeschlossen, die nicht eine Mikroangiopathie (s.o.) zur Ursache haben.
Zudem müssen durch Ultraschall, CTA (computertomographische Angiographie) oder MRA (Magnetresonanzangiographie) hochgradige Stenosen der hirnversorgenden Gefäße im Gefäßgebiet des aktuellen Infarkts ausgeschlossen werden. Die minimale kardiale Diagnostik zum Ausschluss von Vorhofflimmern ist ein 24-Stunden-Monitoring (Langzeit-EKG).
Diagnostik und Therapie
Der diagnostische Aufwand bei unbekannter Ursache eines Schlaganfalls ist verständlicherweise sehr hoch. Hier ist besonders die enge Zusammenarbeit von Neurologen, Neuroradiologen und Kardiologen gefragt.
Neben den bildgebenden Verfahren der Neuroradiologen wie der Computertomographie (CT) mit Gefäßdarstellung (CT-Angiographie) und Kernspintomographie (MRT) mit MRT-Angiographie müssen aufwändige Ultraschalluntersuchungen wie die Doppler- und Duplexsonographie der hirnversorgenden Arterien und des Herzens durchgeführt werden.
Eine besonders große Rolle spielt die Herzdiagnostik zur Abklärung eines unbemerkten Vorhofflimmerns oder eines PFO. Gelegentlich ist eine langzeitige Herzrhythmusanalyse über ein bis drei Jahre erforderlich.
Die Behandlungsempfehlungen sind momentan die gleichen wie bei anderen Schlaganfällen unklarer Ätiologie. Bei mangelnder Indikation für eine orale Antikoagulation hat zumindest eine Therapie mittels Thrombozytenaggregationshemmern (z.B. ASS, Clopidogrel) zu erfolgen.
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Autor
Dr. med. Mark Dankhoff ist Facharzt für Allgemeinmedizin, Ernährungsmedizin, Diabetologische Grundversorgung, Hypertensiologie DHL und Adipositas-Trainer. Sein Schwerpunkt ist die Prävention und Therapie von kardiovaskulären Risikofaktoren und Erkrankungen. Seit 2021 ist er als Medical Advisor freiberuflich tätig. Dr. med. Mark Dankhoff ist Gründungsmitglied des „Im Puls. Think Tank Herz-Kreislauf e.V.“. [mehr]
Quellen
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- The value of transesophageal echocardiography for embolic strokes of undetermined source – Autoren: Aristeidis H. Katsanos, Rohini Bhole, Alexandra Frogoudaki, Sotirios Giannopoulos, Nitin Goyal – Publikation: Neurology. Band 87, Nr. 10, 6. September 2016, ISSN 0028-3878, S. 988–995 – DOI: 10.1212/WNL.0000000000003063
- Schlaganfall Georg – Autoren: Hans-Christoph Diener u. a. – Thieme Verlag, 2004, ISBN 978-3-13-136291-9, S. 48
- Kryptogener ischämischer Schlaganfall: Zeit für einen Paradigmenwechsel in Diagnose und Therapie? – Autoren: H. C. Diener, C. Weimar, B. Frank, K. Hajjar, M. Grond – Publikation: Aktuelle Neurologie 2014; 41(01): 35-39, DOI: 10.1055/s-0033-1360054
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- Embolic strokes of undetermined source: the case for a new clinical construct – Autoren: Robert G Hart, Hans-Christoph Diener, Shelagh B Coutts, J Donald Easton, Christopher B Granger – Publikation: The Lancet Neurology. Band 13, Nr. 4, April 2014, ISSN 1474-4422, S. 429–438, DOI: 10.1016/s1474-4422(13)70310-7
- Rivaroxaban for Stroke Prevention after Embolic Stroke of Undetermined Source – Autoren: Robert G. Hart, Mukul Sharma, Hardi Mundl, Scott E. Kasner, Shrikant I. Bangdiwala – Publikation: New England Journal of Medicine. Band 378, Nr. 23, 7. Juni 2018, ISSN 0028-4793, S. 2191–2201, DOI: 10.1056/nejmoa1802686
- Ischämischer Schlaganfall – Autoren: Dirk M. Herrmann – Publikation: Dirk M. Hermann, Thorsten Steiner, Hans C. Diener: Vaskuläre Neurologie: Zerebrale Ischämien, Hämorrhagien, Gefäßmissbildungen, Vaskulitiden und vaskuläre Demenz. Thieme-Verlag, 1. Auflage, Juni 2010, ISBN 978-3-13-146111-7, S. 193–194.
- Interobserver agreement in the trial of org 10172 in acute stroke treatment classification of stroke based on retrospective medical record review – Autoren: J. F. Meschia, K. M. Barrett u. a. – Publikation: Journal of stroke and cerebrovascular diseases : the official journal of National Stroke Association. Band 15, Nummer 6, 2006 Nov-Dec, S. 266–272. – DOI: 10.1016/j.jstrokecerebrovasdis.2006.07.001
- Detection of atrial fibrillation in patients with cryptogenic stroke: The Nordic Atrial Fibrillation and Stroke (NOR-FIB) study – topline results – Autoren: B Ratajczak-Tretel, A Tancin Lambert, GA Hoie, R Al-Ani, D Russell, D Atar, AH Aamodt – Publikation: EP Europace, Volume 24, Issue Supplement_1, May 2022, euac053.280. – DOI: 10.1093/europace/euac053.280
- Der ischämische Schlaganfall. Eine praxisorientierte Darstellung von Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie W. Kohlhammer – Autoren: E. Bernd Ringelstein, Darius G. Nabavi – Verlag, 2007, ISBN 978-3-17-018853-2, S. 25.
- Cryptogenic Stroke – Autoren: Jeffrey L. Saver – Publikation: New England Journal of Medicine. Band 374, Nr. 21, 26. Mai 2016, ISSN 0028-4793, S. 2065–2074 – DOI: 10.1056/nejmcp1503946