Ist Einsamkeit ab 50 Jahren ein Schlaganfall-Risikofaktor? ▷ Studie und Ausblick

Einsamkeit ist ein erheblicher Risikofaktor für einen Schlaganfall (Foto: New Africa | Shutterstock)
In diesem Artikel:
- Hintergrund und Ziel der Studie
- Wer nahm teil?
- Wie wurde die Einsamkeit gemessen?
- Studienergebnisse
- Mögliche Ursachen für Einsamkeit als Risikofaktor für Schlaganfälle
Ziel der Studie
Es wird seit Längerem vermutet, dass Einsamkeit ein Risikofaktor für verschiedene Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist. Es liegen jedoch bislang nur sehr wenige Daten vor, die auf einen Zusammenhang zwischen Einsamkeit und Schlaganfällen hinweisen.
Zudem geben die bisherigen Studien keinen Aufschluss über mögliche Zusammenhänge zwischen sich verändernden Phasen der Einsamkeit und dem erhöhten Risiko für Schlaganfälle.
Eine prospektive Kohortenstudie, die unter dem Namen „Health and Retirement Study” (Deutsch: „Gesundheits-und-Ruhestands-Studie”) zwischen 2006 und 2018 durchgeführt wurde, sollte die Zusammenhänge erforschen. Der Fokus lag auf der Untersuchung des Einflusses chronischer Einsamkeit auf das Schlaganfall-Risiko.
Dieser Online-Ratgeber unterstützt Sie bei allem, was jetzt zu tun ist.
Prospektive Kohortenstudie
Die Kohortenstudie ist eine Methode zur Beobachtung bestimmter, als Kohorten bezeichneter Gruppen von Menschen in einem definierten Zeitraum.
Diese Studienart wird vor allem dann gerne gewählt, wenn langfristige Auswirkungen einer bestimmten Belastung – wie in diesem Fall die chronische Einsamkeit – auf die Gruppen untersucht werden sollen.
Die Mitglieder einer Kohorte haben gleiche Merkmale: Sie gehören zum Beispiel zur gleichen Altersgruppe.
Besonders häufig werden prospektive Kohortenstudien durchgeführt. Die Kohorten werden hierbei bis in die Zukunft erforscht. Welche Daten erhoben werden sollen, wird bereits vor Beginn der Studie genau festgelegt.
Retrospektive Studien werten hingegen Daten aus, die bereits in der Vergangenheit – unter Umständen zu völlig anderen Zwecken – gewonnen wurden.
Ein prominentes Beispiel für eine Kohortenstudie ist die Framingham-Heart-Studie, die Grundlage für die Entwicklung zahlreicher Systeme zur Risikoeinschätzung für Herz-Kreislauf-Erkrankungen war.
Studienteilnahme
An der sogenannten Health-and-Retirement-Studie nahmen insgesamt 12.161 Probanden mit einem Alter ab 50 Jahren teil. An 8.936 Teilnehmenden wurde die Veränderung der Einsamkeit und deren Auswirkung auf das Schlaganfall-Risiko untersucht.
- Analysen zur Veränderung der Einsamkeit zwischen zwei Zeitpunkten: Für die Gewinnung dieser Daten wurden US-Bürger mit einem Alter von 50 oder mehr Jahren untersucht, die während der gesamten Untersuchungszeit keinen Schlaganfall hatten.
- Analysen zur Veränderung der Einsamkeit zwischen zwei Zeitpunkten: Für die Gewinnung dieser Daten wurden US-Bürger mit einem Alter von 50 oder mehr Jahren untersucht, die während der gesamten Untersuchungszeit keinen Schlaganfall hatten.
Wie wurde die Einsamkeit in der Studie gemessen?
Zur Bewertung der Einsamkeit der Untersuchten wurde die UCLA 3-Punkte-Einsamkeitsskala der Universität von Kalifornien in Los Angeles (Vereinigte Staaten) verwendet.2
Dabei handelt es sich um eine verkürzte Fassung der ursprünglichen Einsamkeitsskala.
Mit diesem Bewertungssystem können durch Beantwortung dreier Fragen verschiedene Dimensionen der Einsamkeit erfasst werden:
- Verbundenheit
- soziale Vernetzung
- selbst wahrgenommene Isolierung
Zur Einschätzung der Einsamkeit werden die Antworten auf folgende Fragen ausgewertet:
- Wie oft haben Sie das Gefühl, dass es Ihnen an Gesellschaft mangelt?
- Wie oft fühlen Sie sich ausgegrenzt?
- Wie oft fühlen Sie sich von anderen isoliert?
Zur Beantwortung stehen folgende Möglichkeiten zur Verfügung:
- fast nie (= 1 Punkt)
- gelegentlich (= 2 Punkte)
- häufig (= 3 Punkte)
Ein Ergebnis von 3 bis 5 Punkten stuft die befragte Person als „nicht einsam” ein, während ein Ergebnis von 6 bis 9 Punkten für erhöhte Einsamkeit steht.
Die Einsamkeit wurde in die Kategorien „niedrig” und „hoch” eingeteilt.
Zudem erfolgte eine Beurteilung des Einsamkeitsmusters nach folgenden Kategorien:
- konstant niedrig
- vorübergehend nachlassend
- kürzlich aufgetreten
- kürzlich aufgetreten
- konstant hoch
Das Ergebnis der Studie
Das Forschungsteam konnte zeigen, dass das Schlaganfall-Risiko mit der Einsamkeit kontinuierlich ansteigt.
Bei der vereinfachten Einteilung der Studienteilnehmenden in zwei Gruppen hatten Teilnehmende, die als „einsam” eingestuft wurden, ein um 25 Prozent erhöhtes Risiko im Vergleich zu denjenigen, die als „nicht einsam” eingestuft wurden.
Noch deutlicher zeigt sich das erhöhte Risiko bei der Berücksichtigung von Intensität und Dauer der Einsamkeit. Untersuchte, die zu Beginn der Studie hohe Testergebnisse hatten und chronisch einsam waren, hatten ein 56 Prozent höheres Risiko für einen Schlaganfall als die, deren Einsamkeit als „konstant niedrig” eingestuft wurde.
Der Zusammenhang zwischen chronischer Einsamkeit und erhöhtem Schlaganfall-Risiko war unabhängig von Depressionen oder sozialer Isolation.
Das deutlich höhere Risiko für einen Schlaganfall trat jedoch nur auf, wenn der Grad der Einsamkeit über die Zeit hinweg konstant hoch blieb.
Wodurch könnte Einsamkeit das Schlaganfall-Risiko beeinflussen?
Der Einfluss der Einsamkeit auf das Schlaganfall-Risiko könnte grundsätzlich auf drei Ebenen ablaufen, und zwar auf
- der physiologischen,
- der verhaltensbezogenen und
- der psychosozialen
Ebene.
Die physiologische Ebene
Einsamkeit kann die normalen, das heißt physiologischen, menschlichen Körperfunktionen beeinträchtigen und auf dieser Ebene zu einem erhöhten Blutdruck, einer veränderten Hormonregulation und einer Störung des Immunsystems führen. Bluthochdruck ist der wichtigste Risikofaktor für Schlaganfälle.
Die verhaltensbezogene Ebene
Wenn Menschen sich über längere Zeiträume hinweg einsam fühlen, hat das nicht selten auch negative Folgen in Bezug auf das Verhalten. Durch die Einsamkeit festigen sich ungesunde Verhaltensweisen.
Häufig werden benötigte Arzneimittel nur noch unregelmäßig oder gar nicht mehr eingenommen. Auch ein erhöhter Nikotin- und Alkoholkonsum ist nicht selten. Nicht zuletzt leidet in vielen Fällen die Schlafqualität unter dem Gefühl der Einsamkeit.
In der INTERSTROKE-Studie konnte gezeigt werden, dass das Rauchen neben Bluthochdruck, Bewegungsmangel, falscher Ernährung und starkem Übergewicht einer der fünf Hauptrisikofaktoren für den Schlaganfall ist.3
Die psychosoziale Ebene
Auf der psychosozialen Ebene könnte Einsamkeit das Schlaganfall-Risiko durch Angst, Depressionen, sozialen Rückzug und Störungen des emotionalen Erlebens beeinflussen.
Studien deuten darauf hin, dass vor allem mit Depressionen verbundene Symptome das Schlaganfall-Risiko enorm erhöhen können.4
Was bedeuten die Studienergebnisse für das Vorbeugen von Schlaganfällen?
Das Forschungsteam schließt aus den Ergebnissen, dass der Umgang mit der Einsamkeit einen Schlüsselfaktor bei der Vorbeugung von Schlaganfällen darstellen kann.
Auch die wiederholte Untersuchung der Einsamkeit könnte dabei helfen, besonders gefährdete Personen ausfindig zu machen, um frühzeitig dem Schlaganfall-Risiko vorzubeugen.
Sie möchten eine schnelle Antwort? Dann fragen Sie unsere KI-Assistentin Lola.
- Wie Lebensereignisse und soziale Isolation das Schlaganfallrisiko beeinflussen
- Frauen immer stärker von psychosozialen Risikofaktoren für Herzinfarkte und Schlaganfälle betroffen
- Depression – Was Angehörige und Unterstützende wissen sollten und tun können
Sie erhalten von uns regelmäßig und kostenlos aktuelle Informationen rund um den Schlaganfall.
Dieser Online-Ratgeber unterstützt Sie bei allem, was jetzt zu tun ist.
Artikel aktualisiert am: - Nächste geplante Aktualisierung am:

Autoren
Dipl.-Biol. Claudia Helbig unter Mitarbeit von Prof. Dr. med. Hans Joachim von Büdingen
Claudia Helbig ist Diplom-Human- und Molekularbiologin und hat zuvor eine Ausbildung zur Arzthelferin absolviert. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Medizinischen Biochemie und Molekularbiologie hat sie Medizinstudenten in Pathobiochemie-Seminaren und Praktika betreut. Nach Ihrer Arbeit in der pharmazeutischen Forschung hat sie in einem Auftragsforschungsinstitut für klinische Studien unter anderem Visiten mit Studienteilnehmern zur Erhebung von Studiendaten durchgeführt und Texte für die Website verfasst. Mit ihrem interdisziplinären Hintergrund und ihrer Leidenschaft zu schreiben möchte sie naturwissenschaftliche Inhalte fachlich fundiert, empathisch und verständlich an Interessierte vermitteln. [mehr]
Quellen
- Chronic loneliness and the risk of incident stroke in middle and late adulthood: a longitudinal cohort study of U.S. older adults (2024) – Autoren: Soh, Yenee; Kawachi, Ichiro; Kubzansky, Laura D.; Berkman, Lisa F.; Tiemeier, Henning – Publikation: EClinicalMedicine. 2024;73:102639 – DOI: 10.1016/j.eclinm.2024.102639 – ISSN: 25895370 – URL: https://linkinghub.elsevier.com/retrieve/pii/S2589537024002189
- The UCLA 3-Item Loneliness Scale – URL: https://www.icmha.org/wp-content/uploads/2020/02/UCLA-Loneliness-Scale.pdf
- INTERSTROKE-Studie – Weltweite Risikofaktoren für Schlaganfall – Autorin: Martini, Bettina Christine – Publikation: Arzneimitteltherapie – URL: https://www.arzneimitteltherapie.de/heftarchiv/2011/02/weltweite-risikofaktoren-fur-schlaganfall.html
- Depressive Symptoms and Risk of Acute Stroke: INTERSTROKE Case-Control Study (2023) – Autoren: Murphy, Robert P.; Reddin, Catriona; Rosengren, Annika; Judge, Conor; Hankey, Graeme J; Ferguson, John; Alvarez-Iglesias, Alberto; Oveisgharan, Shahram; Wasay, Mohammad; McDermott, Clodagh; Iversen, Helle Klingenberg; Lanas, Fernando; Al-Hussain, Fawaz; Czlonkowska, Anna; Oguz, Aytekin; Ogunniyi, Adesola; Damasceno, Albertino; Xavier, Denis; Avezum, Alvaro; Wang, Xingyu; Langhorne, Peter; Yusuf, Salim; O’Donnell, Martin – Publikation: Neurology. 2023;100(17):e1787-e1798 – DOI: 10.1212/WNL.0000000000207093 – ISSN: 0028-3878, 1526-632X – URL: https://www.neurology.org/doi/10.1212/WNL.0000000000207093