Depression – Was Angehörige und Unterstützende wissen sollten und tun können ▷ Was Menschen mit Depressionen brauchen und was nicht
In diesem Artikel:
- Depressionen sind nicht immer offensichtlich
- Was Menschen mit Depressionen brauchen und was nicht
- Hätte ich nicht früher etwas merken müssen und helfen können?
Menschen im Familien- und Freundeskreis oder Kollegen bemerken es oft zuerst an Verhaltensänderungen, wenn eine nahestehende Person depressive Züge zeigt. Die Betroffenen selbst nehmen diese nicht immer bewusst in Verbindung damit wahr.
Oft weisen unspezifische Symptome auf eine Depression hin. Zum Beispiel kann eine Person in Gedanken abwesend erscheinen und schwer ins Gespräch kommen. Sie verliert vielleicht Interesse an den Dingen, die ihr früher wichtig waren. Sie hört anderen möglicherweise nicht mehr richtig zu. Ihr Lachen scheint aufgesetzt und ihre Augen, die sonst so lebendig waren, wirken jetzt leer oder traurig. Man kann fast fühlen, wie schwer die Last ist, die sie trägt.
Das Erleben eines nahestehenden Menschen in einer depressiven Verfassung kann sehr verunsichern und emotional belasten. Häufig werden die wahrgenommenen Impulse auch verdrängt oder umgedeutet.
Depressionen sind nicht immer offensichtlich
Menschen mit Depressionen können nach außen ein normales Verhalten zeigen, während sie innerlich mit ihren Gefühlen ringen oder sich gefühllos fühlen.
Dieses Verhalten basiert oft auf unbewussten Lernprozessen in der Anpassung an soziale Erwartungen. Es kann sie längere Zeit schützen und in manchen Kontexten hilfreich sein, Symptome zu verdecken.
Eine Depression beeinträchtigt jedoch auf Dauer die Fähigkeit zur Selbstregulation. Betroffene können ihre Emotionen nicht mehr gut steuern, sodass das “dynamische Oszillieren”, das Wechseln zwischen verschiedenen Gefühlszuständen schwerfällt.
Depressiv erkrankte Menschen haben aufgrund ihrer Krankheit Schwierigkeiten, Emotionen in ihrer Vielfalt zu erkennen. Sie nehmen feine Unterschiede in Gefühlen nicht gut wahr. So kann es sein, dass sie innerhalb komplexer Gefühlszustände, wie in Trauer, Gefühle wie Wut, Schmerz oder Liebe nur schwer differenzieren können. Diese Gefühle sind für sie auch weniger gut körperlich zu spüren.
Dieser Onlinekurs erklärt Ihnen in 12 kompakten Modulen alles, was Sie jetzt wissen müssen.
Dieser Umstand trägt dazu bei, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse und seelische Nöte oft nicht gut verstehen und erkennen. Ebenso fällt es ihnen schwer, ihre Gefühle und Gedanken zu erklären und darüber zu sprechen.
Es ist wichtig, die Äußerungen einer Person ernst zu nehmen und ihr Glauben zu schenken. Achten Sie ebenso auf Ihre eigenen Gedanken und Gefühle. Akzeptieren Sie sie, besonders wenn sie unangenehm sind.
Wenn Sie unvorbereitet mit psychischen Problemen oder Krisen eines nahestehenden Menschen konfrontiert werden, ist das sehr belastend. Möglicherweise fühlen Sie sich hilflos oder ohnmächtig, diese Gefühle können in dem Moment überwältigend sein. In solchen Situationen ist das alles normal.
Es gibt Ausnahmesituationen, die selbst nach jahrelanger Partnerschaft, Ehe oder als Kind, Eltern oder Geschwister, überfordern können. Es ist nicht schlimm, nicht gleich zu wissen, was zu tun ist.
Sie können kommunizieren, dass Sie noch nicht wissen, was Sie gerade sagen sollen, aber da sind, zuhören und unterstützen. Halten Sie den Kontakt aufrecht. Versuchen Sie, eine offene Grundhaltung einzunehmen und dabei ruhig und geduldig zu bleiben.
Falls Sie zum ersten Mal erfahren, dass jemand schon lange mit Depressionen kämpft oder in einer Krise steckt: Machen Sie der Person keine Vorwürfe. Fragen Sie nicht, warum die Person sich nicht früher anvertraut hat oder weshalb sie keine professionelle Hilfe sucht. Solche Schritte brauchen Zeit und Kraft.
Sich anderen öffnen zu können, ist ein Prozess, der mit großen Hürden, Ängsten, Scham- und Schuldgefühlen verbunden sein kann. Oft wollen Betroffene gerade die engsten Bezugspersonen und die Familie nicht mit Sorgen belasten. Rechtfertigungen engen den Handlungsraum ein. Zu drängen, würde Stress und Widerstand eher verstärken.
Seien Sie vorsichtig und zurückhaltend mit Ratschlägen und gut gemeinten Tipps. Sehr wahrscheinlich sind sie in solchen Situationen nicht hilfreich.
Was Menschen mit Depressionen brauchen und was nicht
Es ist unmöglich, die Psyche einer anderen Person vollständig zu verstehen. Niemand kann wirklich nachempfinden, wie jemand mit Depressionen fühlt oder was jemand genau jetzt benötigt.
Eines gilt jedoch allgemein: Menschen in psychischen Notlagen und Krisenzeiten brauchen vor allem Menschen, die sie wahrnehmen und ihnen empathisch begegnen. Sie benötigen ein Umfeld, das Verständnis zeigt und Anwesenheit sowie Fürsorge spüren lässt.
In sozialen Interaktionen und Beziehungen treten oft Probleme auf. Diese können für jeden Beteiligten schwierig sein, egal ob es sich um Verwandte, Freunde oder Kollegen handelt. Unsicherheiten und Stigmatisierung gegenüber Menschen mit Depressionen sind in der Gesellschaft weit verbreitet. Umso mehr ist es wichtig, Umgebungen zu schaffen, in denen sie sich akzeptiert und unterstützt fühlen. Ohne in ihren Äußerungen und ihrem Verhalten beurteilt zu werden.
Es ist nicht immer leicht, mit einer Person in Kontakt zu kommen und zu bleiben, die an Depressionen leidet. Manchmal sind die Bemühungen auch nicht erfolgreich. Für Menschen mit Depressionen sind soziale Kontakte und Beziehungen wichtig, auch wenn sie das nur begrenzt ausdrücken können.
Das erfordert Geduld und Verständnis von Seiten der Kontaktpersonen. Es ist ebenso wichtig, auf die eigenen Ressourcen zu achten und Grenzen zu wahren. So sind Spannungen in schwierigen Situationen eher auszuhalten und Probleme konstruktiv zu bewältigen.
Verständnisvoll zu kommunizieren bedeutet nicht, mit allem einverstanden sein zu müssen, sondern Verständigung zu fördern, eigene Vorurteile zu reflektieren und Bewertungen zurückzuhalten. Vermeiden Sie relativierende Aussagen wie Vergleiche, die die Beschwerden der betroffenen Person klein wirken lassen und verharmlosen könnten. Prüfen Sie, bevor Sie Ihre Gedanken aussprechen, ob sie die Selbstwahrnehmung der Person respektieren.
Ungünstige Kommunikationsbeispiele
Hemmende Wirkung durch Relativieren, Urteilen, Hinterfragen und Verharmlosen:
„Jeder hat mal schlechte Laune, und müde und erschöpft bin ich auch.”
„Du bist noch so jung – so schlimm kann es doch gar nicht sein.”
„Du hast alles, was du wolltest, und bist trotzdem nicht gut drauf?”
„Was du schilderst, ist normal. Da muss man sich auch mal zusammenreißen!”
Günstige Kommunikationsbeispiele
Fördernde Wirkung durch Verständnis, Offenheit, Empathie und Unterstützung:
„Ich kann mir vorstellen, dass es für dich gerade schwer ist. Wie fühlst du dich dabei?”
„Es tut mir leid, dass du dich so schlecht fühlst. Kann ich etwas tun, um dir zu helfen?”
„Es ist wichtig, dass du über deine Gefühle sprichst. Ich bin hier, um zuzuhören und dich zu unterstützen.”
„Ich finde es mutig von dir, dich offen über deine Depression auszusprechen. Du bist nicht allein, und wir werden gemeinsam einen Weg finden, damit umzugehen.”
Hätte ich nicht früher etwas merken müssen und helfen können?
Wenn Familienmitglieder oder Freunde von einer Depression erfahren, die eine nahe Person betrifft, überlegen sie häufig, ob sie früher hätten helfen sollen.
Psychische Probleme zeigen sich jedoch oft nicht auf eine typische Weise. Sie werden nicht immer sofort als Krankheit erkannt. Es kann lange dauern, bis erkannt wird, dass es sich um eine Depression handelt. Diese Krankheit zeigt sich auf viele verschiedene Weisen. Es braucht oft Zeit, bis sie richtig eingeordnet und behandelt werden kann.
Wir können nicht genau vorhersagen, wie sich Depressionen und psychische Störungen allgemein entwickeln. Es ist unsicher, ob sie chronisch werden oder wie hoch das Risiko für einen schweren Verlauf bei einer Person ist. Auch Studien zur Suizidprävention liefern keine definitiven Antworten. Sie basieren auf statistischen Schätzungen, die für den individuellen Einzelfall nicht aussagekräftig genug sind.
Menschen denken aus vielen verschiedenen Gründen an Suizid oder begehen Suizid. Dies kann auf eine Kombination vieler Ursachen zurückgehen.
Bei einer schweren Depression können auch plötzliche, unkontrollierbare Impulse auftreten, die oft nicht genau erklärbar sind oder mitgeteilt werden. Sie sind meistens verborgen. In stabilen Zeiten haben manche Menschen Strategien, um damit umzugehen. Aber es ist nicht immer möglich, diese Impulse zu verhindern.
Eine Person, die Suizidgedanken teilt oder von Plänen dazu erzählt, fühlt sich ausweglos und verzweifelt. Sie sieht den Tod als einzigen Ausweg. Versuchen Sie, zu überzeugen oder bieten Sie an, mit Ihnen zu einer Ärztin oder einem Psychotherapeuten zu gehen. Drängen Sie nicht. Suchen Sie professionelle Unterstützung auf, die Sie mit einbeziehen.
Denken Sie daran: Sie sind nicht allein und können genauso Unterstützungsbedarf haben und von professioneller Hilfe profitieren. Vielleicht finden Sie hier einige Impulse in den Medien, Online-Foren, Selbsthilfegruppen, wo Erfahrungen, Wissen und Bewältigungsstrategien ausgetauscht werden.
Sie haben eine Frage zur Depression? Tauschen Sie sich mit anderen Betroffenen und Angehörigen in unserem Forum aus.
Hilfsangebote
TelefonSeelsorge:
Tel. 0800 111 0 111 und 0800 111 0 222
(rund um die Uhr erreichbar)
telefonseelsorge.de
Nummer gegen Kummer
für Kinder und Jugendliche: Tel. 116 111
für Eltern: Tel. 0800 – 111 0 550
nummergegenkummer.de
Hilfe im Notfall und bei Suizidgedanken:
Notruf 112 (Rettungsdienst) oder 110 (Polizei)
Selbsthilfegruppen-Suche:
https://www.nakos.de/adressen/datenbanksuche/
Deutsche Depressionshilfe:
https://www.deutsche-depressionshilfe.de/depression-infos-und-hilfe/wo-finde-ich-hilfe
- Depression nach einem Schlaganfall: Häufigkeit, Behandlung und praktische Tipps
- Was ist eine Depression und wie erkenne ich sie?
- Was unterscheidet eine echte Depression von schlechter Laune, Traurigkeit, Trauer?
- Suizidgedanken – wie reagieren?
- Ein Psychiater erklärt: Wie behandle ich eine Depression?
- Depression – wo finde ich Hilfe?
Sie erhalten von uns regelmäßig und kostenlos aktuelle Informationen rund um den Schlaganfall.
Dieser Onlinekurs erklärt Ihnen in 12 kompakten Modulen alles, was Sie jetzt wissen müssen.
Artikel erstmalig veröffentlicht am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autorin
Dr. med. Karin Kelle-Herfurth, MHBA ist selbständige Beraterin in Hamburg. Sie begleitet Solo-Selbständige und Menschen in Führung nach Krankheit in der Neuausrichtung und berät zu gesunder Lebens- und Unternehmensführung. Als Fachärztin für Physikalische und Rehabilitative Medizin liegt ihr Fokus in der Prävention und beruflichen Rehabilitation. Dies verknüpft sie als Gesundheitsökonomin mit dem Blick auf neue Arbeitskonzepte und Organisationsstrukturen im digitalen Zeitalter. [mehr]
Quellen
- Post-stroke depression: A 2020 updated review – Autoren: Gustavo C. Medeiros, Durga Roy, Nicholas Kontos, Scott R. Beach – Publikation: General Hospital Psychiatry, Volume 66, 2020, Pages 70-80 – ISSN: 0163-8343
- Poststroke Depression: A scientific statement for healthcare professionals from the American Heart Association/American Stroke Association – Autoren: Towfighi, A. et al. – Publikation: Stroke 48, 2017, e30–e43 – DOI: 10.1161/STR.0000000000000113
- Psychological and emotional needs, assessment, and support post-stroke: a multi-perspective qualitative study – Autoren: Harrisn, M., Ryan, T., Gardiner, C. & Jones, A. – Publikation: Topics in Stroke Rehabilitation, 2016 – DOI: 10.1080/10749357.2016.1196908
- Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression, Langfassung, Version 3. – Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) (2022) – abgerufen am 30.09.2023 unter https://www.leitlinien.de/themen/depression
- Effectiveness of physical activity interventions for improving depression, anxiety and distress: an overview of systematic reviews – Autoren: Singh B, Olds T, Curtis R, et al. – Publikation: British Journal of Sports Medicine. Published Online First: 16 February 2023 – DOI: 10.1136/bjsports-2022-106195
- Patienten-Information Depression – Ein Service des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin (ÄZQ) im Auftrag von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung, abgerufen am 09.10.2023. https://www.patienten-information.de/patientenleitlinien/depression/kapitel-3
- Länger freudlos – nicht pathologische Trauer oder doch depressive Störung? Der gründe- und fähigkeitsbasierte Ansatz hilft in der Differenzialdiagnostik. – Autoren: Dembić, S: – Publikation: DNP – Die Neurologie & Psychiatrie, Ausgabe 4/2023. – URL: https://www.springermedizin.de/rezidivierende-depressive-stoerungen/akute-depressive-episode/laenger-freudlos-nicht-pathologische-trauer-oder-doch-depressive/25868876
- American Psychiatric Association, DSM-5 Task Force: Diagnostic and statistical manual of mental disorders: DSM-5™ (2013, 5th ed.). American Psychiatric Publishing, Inc. https://doi.org/10.1176/appi.books.9780890425596