Vorhersage einer Demenz oder eines Schlaganfalls mit dem Brain Care Score ▷ Studie
Im Dezember 2023 wurde in der Zeitschrift „Frontiers in Neurology“ eine Studie veröffentlicht, die sich mit der Möglichkeit der Vorhersage einer Demenz oder eines Schlaganfalls durch den Brain Care Score (BCS) beschäftigte. Der BCS ist, in deutschen Worten ausgedrückt, ein “Hirn-Fürsorge-Messinstrument”. Hierdurch soll es möglich werden, einen Krankheitsverlauf, hier die Hirnerkrankungen Demenz oder Schlaganfall, vorherzusagen.
Hintergrund der Studie
Weltweit gesehen nimmt sowohl die Häufigkeit von Demenzerkrankungen wie auch die von Herz-Kreislauf-Erkrankungen weiter zu, vor allem von Schlaganfällen und Herzinfarkten.
Es ist wissenschaftlich durch eine große Zahl von Studien nachgewiesen, dass durch vorbeugendes Verhalten, also durch Primärprävention, die Sterblichkeit (Mortalität) nach Herzinfarkten und bei Krebserkrankungen deutlich reduziert werden konnte.
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Entsprechendes könnte auch bei Schlaganfällen und Demenzerkrankungen erreicht werden, da etwa 40 Prozent der Demenzerkrankungen und mindestens 60 Prozent der Schlaganfälle durch behandelbare Risikofaktoren verursacht werden. Viele dieser Risikofaktoren finden sich bei beiden Erkrankungen.
Die häufigsten und bedeutsamsten Risikofaktoren sind
- Bluthochdruck
- Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus)
- Fettstoffwechselstörungen (Cholesterin-Erhöhung)
- Übergewicht
- Rauchen
- Alkoholmissbrauch
- Fehlernährung
- Bewegungsmangel
- Schlafstörungen
- Stress
Neben diesen Risikofaktoren wurden auch die sozialen Beziehungen und der Sinn des Lebens hinterfragt und in die Beurteilung einbezogen.
Der Brain Care Score (BCS) wurde entwickelt, um die Aufmerksamkeit für die Bedeutung der Prävention zu erhöhen und um das große Potential der Prävention auszunutzen. Das wichtigste Ziel ist, mit diesem Vorhersage-Instrument gleichermaßen Patienten und ihre behandelnden Ärzte zu motivieren, die oben genannten Risikofaktoren nachhaltig zu beachten und zu behandeln.
Methodik
Zum wissenschaftlichen Nachweis bzw. zur Validierung, dass der BCS eine zuverlässige Vorhersage erlaubt, dienten die Daten der United Kingdom Biobank (UKB) mit mehr als 500.000 Teilnehmern aus dem Vereinigten Königreich im Alter zwischen 40 und 69 Jahren, die zwischen 2006 und 2010 in diese Studie eingeschlossen wurden.
Dabei handelt es sich um eine sogenannte “prospektive, populationsbasierte Kohortenstudie”. Eine Studie, bei der vorausschauend (prospektiv) abgeschätzt werden soll, ob in einem definierten Zeitraum, hier 5 Jahre, eine Demenz oder ein Schlaganfall auftritt.
Entwickelt wurde der BCS vom McCance Center for Brain Health am Massachusetts General Hospital in Boston. Berücksichtigt wurden die oben genannten Risikofaktoren, die entweder durch den Patienten selbst oder durch den behandelnden Arzt therapeutisch beeinflusst werden können. Unbeeinflussbare Risikofaktoren wie Alter, Genetik, Ausbildung und sozioökonomischer Status fanden keine Berücksichtigung.
Je häufiger und ausgeprägter ein Risikofaktor vorlag, desto niedriger die vergebene Punktzahl. Ein höherer Messwert (Score) im BCS war mit einem niedrigeren Risiko für die Entwicklung einer Demenz oder dem Auftreten eines Schlaganfalls verbunden.
Bei einer maximalen Punktzahl von 21 wird eine Steigerung um 5 Punkte als eine relevante Reduktion des Risikos für eine Demenz oder einen Schlaganfall angesehen.
Die Ergebnisse
Letztendlich konnten knapp 400.000 Teilnehmer der United Kingdom Biobank in die Analyse einbezogen werden. Der Medianwert des BCS, der Wert in der Mitte der Datenverteilung, betrug für alle Teilnehmer 12.
Ausgewertet wurden die Neudiagnose einer Demenz, das Neuauftreten eines Schlaganfalls sowie das kombinierte Risiko von Demenz und Schlaganfall.
5354 neu aufgetretene Fälle einer Demenz wurden beobachtet. Ein um 5 Punkte höherer BCS war bei Patienten unter 50 Jahren mit einem 59 Prozent niedrigeren Risiko des Auftretens einer Demenz verbunden, bei Patienten zwischen 50 und 59 Jahren fand sich eine Risikoreduktion um 32 Prozent und bei Patienten über 59 Jahre um 8 Prozent.
7259 neu aufgetretene Schlaganfälle wurden beobachtet. Ein um 5 Punkte höherer BCS war bei Patienten unter 50 Jahren mit einem 48 Prozent niedrigeren Risiko eines Schlaganfalls verbunden, bei Patienten zwischen 50 und 59 Jahren fand sich eine Risikoreduktion um 52 Prozent und bei Patienten über 59 Jahren um 33 Prozent.
Fazit und Interpretation
Die Autoren der Studie konnten klinisch bedeutsame und statistisch signifikante Verknüpfungen zwischen dem Ausgangs-BCS und dem Neuauftreten von Demenz und Schlaganfällen zeigen. Ein höherer BCS war mit einem niedrigeren Risiko für Demenz und Schlaganfälle in allen Altersgruppen verbunden, ausgeprägter bei jüngeren Patienten.
Die hier berücksichtigten Risikofaktoren sind zudem auch häufige Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen und Tumorerkrankungen.
Da es sich um eine Validierung anhand einer einzigen Kohorte handelt (UKB), sollte die aktuelle Version des BCS nur als Prototyp verstanden werden. Systematische und regelmäßige Optimierungen des BCS sind erforderlich.
Auch wenn noch einige Einschränkungen der Studie zu berücksichtigen sind, steht doch erstmals ein einfach zu erhebendes Messinstrument zur Verfügung, anhand dessen Patient und behandelnder Arzt zu einer Verbesserung und Behandlung der individuellen Risikofaktoren motiviert werden können.
Dies alles mit dem Ziel, das Auftreten von Demenz und Schlaganfall zu verhindern und damit die globale Hirngesundheit zu verbessern. Es ist zu erwarten, dass hierdurch auch Ungerechtigkeiten der Gesundheitsversorgung weltweit reduziert und die Gesundheitskosten besser unter Kontrolle gehalten werden können.
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Autor
Dr. med. Jürgen Kunz ist niedergelassener Facharzt für Neurologie am Neurozentrum Ravensburg. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist die Behandlung von Patienten nach einem Schlaganfall. Bei der Behandlung eines Schlaganfalls ist für ihn die sektorenübergreifende Zusammenarbeit mit anderen Ärzten und Therapeuten sehr wichtig. [mehr]
Quellen
- The predictive validity of a Brain Care Score for dementia and stroke: data from the UK Biobank cohort – Autoren: S.D. Singh et al – Publikation: Front. Neurol. 14:1291020, DOI: 10.3389/fneur.2023.1291020