Erhöht Erythrit das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen? ▷ Zuckeraustauschstoff
Erhöht Erythrit das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen? (Foto: Canva)
Was ist Erythrit?
Erythrit (auch Erythritol) ist eine chemische Verbindung, die zu den Zuckeralkoholen gehört. Wie andere Zuckeraustauschstoffe – zum Beispiel Xylit und Sorbit oder Süßstoffe wie Stevia – wird es als Zuckerersatz verwendet.
Seit 2006 in der EU und seit 1997 in den USA ist Erythrit als Lebensmittelzusatzstoff zugelassen und wurde als gesundheitlich unbedenklich eingestuft. Insbesondere in der Low Carb Ernährung ist Erythrit sehr beliebt.
Menschen mit Diabetes, Adipositas oder dem metabolischen Syndrom wird es häufig als Zuckerersatz empfohlen.
In natürlicher Form kommt es in geringer Menge in Obst, Pilzen, Käse und fermentierten
Lebensmitteln wie Bier und Sojasauce vor.1 In der Lebensmittelindustrie wird es durch die Fermentierung von Mais gewonnen.
Erythrit hat einen süßlichen Geschmack und leistet 50 bis 70 Prozent der Süßkraft von Haushaltszucker.
Mit nur 20 kcal pro 100 Gramm wird Erythrit in Produkten oft mit 0 kJ/g gekennzeichnet. Es wird angenommen, dass es vom Körper beinahe nicht verstoffwechselt wird, keine Energie liefert und keinen Einfluss auf den Blutzucker- und Insulinspiegel hat.
Da es – anders als Zucker – nicht die Bildung von Karies fördert, ist es oft in zuckerfreien Kaugummis enthalten. Erythrit wird zu 90 Prozent vom Dünndarm resorbiert und mit dem Urin unverändert ausgeschieden.2
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Nur ein geringer Teil wird vom Dickdarm aufgenommen. Anders als bei anderen Zuckeralkoholen treten daher erst bei übermäßigem Verzehr von über 1 Gramm je Kilogramm Körpergewicht die typischen Nebenwirkungen wie Blähungen und Durchfall auf. Somit gilt Erythrit als sehr gut verträglicher Zuckerersatz.
Der tägliche Pro-Kopf-Verzehr von Erythrit in der US-Bevölkerung wird auf ca. 30 Gramm pro Tag geschätzt.
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Um die gleiche Süße von 100 Gramm Zucker zu erreichen, müssen bis zu 140 Gramm Erythrit verwendet werden. In einigen verarbeiteten Lebensmitteln wie Gebäck oder Crèmes sind dementsprechend bis zu 60 Prozent Erythrit enthalten.
Kann Erythrit wirklich so bedenkenlos konsumiert werden?
Mit dieser Frage beschäftigte sich ein Forschungsteam um Stanley Hazen von der Cleveland Clinic in Ohio. In ihrer im Februar 2023 veröffentlichten Studie untersuchten die Forschenden die Auswirkungen von Zuckerersatzstoffen, insbesondere Erythrit, auf das kardiovaskuläre Risiko und kamen zu unerfreulichen Ergebnissen.3
Die Studie
Bereits die Ergebnisse früherer Studien führten zu einem kontroversen Bild des Zuckerersatzstoffes, da sie Erythrit einerseits in Zusammenhang mit der Entstehung von Adipositas4 und Diabetes mellitus Typ 25 brachten, andererseits jedoch auch eine antioxidative Wirkung feststellen konnten.6
Aufbau der Studie
Das Forschungsteam der aktuellen Studie aus Ohio untersuchte zunächst das Blut von 1.157 Patientinnen und Patienten aus den USA mit bereits vorhandenen Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Es wurde zunächst eine ungezielte Metabolomanalyse durchgeführt. In Blutproben der Teilnehmenden wurde also eine Vielzahl an Molekülen, unter anderem Zuckeralkohole wie Erythrit, gemessen und in den darauffolgenden drei Jahren mit dem Auftreten von schwerwiegenden kardiovaskulären Ereignissen wie Herzinfarkten oder Schlaganfällen in Zusammenhang gebracht. Die Auswertungen zeigten, dass Erythrit eines der am stärksten mit dem Auftreten eines Schlaganfalls oder Herzinfarktes assoziierten Moleküle war.
In zwei darauffolgenden gezielten Metabolom-Studien mit 2.149 Teilnehmenden aus über 40 US-Staaten und 833 Teilnehmenden aus Europa sollten die Ergebnisse bestätigt werden.
Die in den Blutproben vorhandenen Moleküle sind aufgrund ihrer ähnlichen chemischen Struktur teilweise schwer voneinander zu unterscheiden. Um in dieser Studie gezielt Erythrit zu messen, wurde ein Verfahren entwickelt, um Erythrit von anderen ähnlichen Molekülen zu trennen.
Genauer gesagt, war das Risiko für das Auftreten eines schwerwiegenden kardiovaskulären Ereignisses in der Kohorte aus den USA pro 1 MikroMol erhöhter Erythrit Werte im Blut 1,8 – mal und in der europäischen Kohorte 2,1-mal so hoch wie das der Vergleichsgruppe.
In einer weiteren kleinen prospektiven Kohortenstudie mit 8 gesunden Teilnehmenden wurde zusätzlich entdeckt, dass erhöhte Erythrit Werte im Blut zu einer erhöhten Aktivität der Thrombozyten und Thrombozytenaggregation führten. Bei Mäusen förderte es die Bildung von Blutgerinnseln an kleinen Verletzungen der Halsschlagader.
Thrombozyten, also Blutplättchen, sind ein wichtiger Bestandteil der normalen Blutgerinnung. Eine gesteigerte Aggregation bedeutet, dass vermehrt Blutplättchen an einer Wundstelle verklumpen. Dies kann zur Bildung von Blutgerinnseln – also Thromben – führen. Die Thromben können Hirngefäße oder Herzkranzgefäße verstopfen und somit Schlaganfälle und Herzinfarkte verursachen.
Erythrit wird in geringen Mengen vom Körper selbst produziert, sodass natürlicherweise eine niedrige Konzentration von ca. 4,5 Mikromol im Blut vorliegt. Bei allen 8 Teilnehmenden wurde die Erythrit Konzentration im Plasma im nüchternen Zustand und nach dem Verzehr eines mit Erythrit gesüßten Getränks (30 g Erythrit) über sieben Tage hinweg untersucht.
Dreißig Minuten nach dem Verzehr des Getränks lag eine tausendfach erhöhte Konzentration von Erythrit im Plasma vor. Erst nach ca. zwei Tagen sank sie allmählich wieder auf die ursprüngliche Konzentration ab, nach sieben Tagen wurde der Ausgangswert erreicht.
Ergebnisse
Die Ergebnisse der Studie zeigen einen signifikanten Zusammenhang zwischen erhöhten Erythrit-Konzentrationen im Blut und dem Drei-Jahres-Risiko für das Auftreten von Schlaganfällen und Herzinfarkten.
Trotzdem weist die Studie einige Limitationen auf. Die Teilnehmenden der Studie wiesen bereits zu Beginn ein hohes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen auf, weshalb die Ergebnisse möglicherweise nicht ausreichend repräsentativ für die Allgemeinbevölkerung sind.
Das hier vorliegende Studiendesign erlaubt außerdem nur die Aussage über Assoziationen zwischen Erythrit und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, nicht jedoch über einen kausalen Zusammenhang. Die Ergebnisse lassen vermuten, dass erhöhte Erythrit Werte langfristig gesundheitliche Probleme verursachen könnten. Um dies zu bestätigen, müssen allerdings noch weitere prospektive Langzeitstudien durchgeführt werden.
Diskussion
Erythrit ist weltweit ein sehr beliebtes Zuckerersatzmittel und in zahlreichen Diätprodukten und Fast Food Gerichten enthalten.
Frühere Studien, die sich mit den gesundheitlichen Auswirkungen von Erythrit befassten, kamen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Gründe dafür könnten sein, dass Erythrit von ähnlichen chemischen Verbindungen schwierig isoliert und einzeln untersucht werden kann. Ebenso war die Dauer der einzelnen Studien zu kurz, um Aussagen über die langfristigen Risiken treffen zu können.
Eine weitere Studie fand heraus, dass der Körper selbst Erythrit aus Glukose produziert.7 WissenschaftlerInnen fragen sich also, ob die Ergebnisse der aktuellen Studie auf die körpereigenen Erythrit Produktion zurückzuführen sind, und nicht auf den Verzehr von Erythrit durch Lebensmittel.8
Weitere Langzeitstudien sind dringend notwendig, um die Risiken von Erythrit einschätzen zu können. Nur so könnten evidenzbasierte Empfehlungen für den Gebrauch von Erythrit herausgegeben werden.
Das mögliche Risiko durch Erythrit betrifft insbesondere die Menschen, die durch Erkrankungen wie Diabetes, Adipositas oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen ein bereits erhöhtes Risiko für Schlaganfälle und Herzinfarkte aufweisen, da gerade ihnen die Zuckerersatzstoffe empfohlen werden.
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Artikel aktualisiert am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autoren
unter Mitarbeit von stud. med. Rosalie Hartmann
Prof. Dr. med. Hans Joachim von Büdingen ist niedergelassener Facharzt für Neurologie und Psychiatrie am Neurozentrum Ravensburg. Als Chefarzt leitete er die Abteilung für Neurologie und Klinische Neurophysiologie am Krankenhaus St. Elisabeth in Ravensburg. Zu den Schwerpunkten seiner Arbeit gehört die Diagnostik und Behandlung von Schlaganfällen. [mehr]Sie erhalten von uns regelmäßig und kostenlos aktuelle Informationen rund um den Schlaganfall.
Quellen
- Erythritol as sweetener—wherefrom and whereto? – Autoren: K. Regnat, R. L. Mach, A. R. Mach-Aigner – Publikation: Appl Microbiol Biotechnol. 2018; 102(2): 587–595. – DOI: https://doi.org/10.1007/s00253-017-8654-1
- Schweizerische Gesellschaft für Ernährung SGE – URL: https://www.sge-ssn.ch/fragenkatalog/diverses-de-2/
- The artificial sweetener erythritol and cardiovascular event risk – Autoren: Marco Witkowski, Ina Nemet, Hassan Alamri, Jennifer Wilcox, Nilaksh Gupta, Nisreen Nimer, Arash Haghikia, Xinmin S. Li, Yuping Wu, Prasenjit Prasad Saha, Ilja Demuth, Maximilian König, Elisabeth Steinhagen-Thiessen, Tomas Cajka, Oliver Fiehn, Ulf Landmesser, W. H. Wilson Tang, Stanley L. Hazen – Publikation: Nature Medicine volume 29, pages710–718 (2023) – DOI: https://doi.org/10.1038/s41591-023-02223-9
- Erythritol is a pentose-phosphate pathway metabolite and associated with adiposity gain in young adults – Autoren: Katie C. Hootman, Jean-Pierre Trezzi, Lisa Kraemer, Lindsay S. Burwell, Xiangyi Dong, Kristin A. Guertin, Christian Jaeger, Patrick J. Stover, Karsten Hiller, Patricia A. Cassano – Publikation: PNAS Vol. 114, No 21 – 114 (21) E4233-E4240 – DOI: https://doi.org/10.1073/pnas.1620079114
- Serum metabolomic profile of incident diabetes – Autoren: Casey M Rebholz, Bing, Zihe Zheng, Patrick Chang, Adrienne Tin, Anna Köttgen, Lynne E Wagenknecht, Josef Coresh, Eric Boerwinkle, Elizabeth Selvin – Publikation: Diabetologia. 2018 May;61(5):1046-1054. – DOI: https://doi.org/10.1007/s00125-018-4573-7
- Erythritol attenuates the diabetic oxidative stress through modulating glucose metabolism and lipid peroxidation in streptozotocin-induced diabetic rats – Autoren: Takako Yokozawa, Hyun Young Kim, Eun Ju Cho – Publikation: J Agric Food Chem. 2002 Sep 11;50(19):5485-9 – DOI: https://doi.org/10.1021/jf020168z
- Erythritol is a pentose-phosphate pathway metabolite and associated with adiposity gain in young adults – Autoren: Katie C. Hootman, Jean-Pierre Trezzi, Lisa Kraemer, Lindsay S. Burwell, Xiangyi Dong, Kristin A. Guertin, Christian Jaeger, Patrick J. Stover, Karsten Hiller, Patricia A. Cassanoa – Publikation: Proc Natl Acad Sci U S A. 2017 May 23; 114(21): E4233–E4240 – DOI: https://doi.org/10.1073%2Fpnas.1620079114
- Metabolomic Pattern Predicts Incident Coronary Heart Disease – Findings From the Atherosclerosis Risk in Communities Study – Autoren: Zhe Wang, Cong Zhu, Vijay Nambi, Alanna C. Morrison, Aaron R. Folsom, Christie M. Ballantyne, Eric Boerwinkle, Bing Yu – Publikation: Arteriosclerosis, Thrombosis, and Vascular Biology. 2019;39:1475–1482 – DOI: https://doi.org/10.1161/ATVBAHA.118.312236