Depression nach einem Schlaganfall ▷ Häufigkeit, Behandlung und praktische Tipps
In diesem Artikel:
- Häufigkeit
- Wieso entsteht eine Depression?
- Wieso können sich nach einem Schlaganfall Depressionen entwickeln?
- Wann treten Depressionen nach einem Schlaganfall auf?
- Wie sieht die Behandlung bei Depressionen aus?
- Praktische Tipps
- Krisentelefone
Nach einem Schlaganfall tritt häufig eine depressive Verstimmung auf, die sog. „Post Stroke Depression“ (deutsch: Depression nach einem Schlaganfall).
Der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft1 zufolge leidet jeder dritte Patient nach einem Schlaganfall an einer Depression.
Dazu können auch körperliche Symptome wie Schlafstörungen, vermehrte Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit und unspezifische Schmerzen oder Missempfindungen am Körper kommen.2
Viele der Betroffenen kämpfen während ihrer Depression mit lebensmüden Gedanken, etwa 15 Prozent der Patienten mit einer schweren Depression nehmen sich das Leben.3
Wie viele Menschen in Deutschland leiden unter einer Depression?
Laut WHO (World Health Organization)4 sind in Deutschland 5,2 Prozent der Bevölkerung – also etwa 4,1 Millionen Menschen – von Depressionen betroffen.
Insbesondere Jugendliche, Frauen vor und nach der Geburt sowie ältere Menschen sind der WHO zufolge besonders anfällig für Depressionen.
Wieso entsteht eine Depression?
Meist trägt ein Zusammenspiel verschiedener Einflüsse zur Entstehung von Depressionen bei. Dabei können sowohl körperliche als auch genetische Faktoren in Kombination mit psychischen oder sozialen Auslösern eine Rolle spielen.
Medizinisch gesehen kommt es bei einer Depression zu Störungen im Gehirnstoffwechsel, da Botenstoffe wie Serotonin und Noradrenalin nicht mehr in ausgeglichener Konzentration vorliegen.
Diese Stoffe dienen normalerweise dazu, eine Verständigung zwischen Nervenzellen herzustellen und damit eine Verarbeitung von Sinneseindrücken im Gehirn zu ermöglichen. Ist das Gleichgewicht der Botenstoffe gestört, dann kann es zu veränderten Impulsen zwischen den Nervenzellen kommen und damit zur Veränderung von Eindrücken, Gefühlen und Gedanken.
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Verschiedene neurologische Erkrankungen wie der Schlaganfall, die Parkinson-Erkrankung, Hirntumore aber auch beispielsweise Schilddrüsenerkrankungen oder anderweitige Störungen des Hormonhaushaltes können zur Auslösung einer Depression führen.
Wieso können sich nach einem Schlaganfall Depressionen entwickeln?
Noch ist man sich nicht sicher, ob die Ursache für Depressionen nach einem Schlaganfall eine direkte Schädigung des Gehirns oder eine Reaktion auf die akute Erkrankung ist.
Durch einen Schlaganfall kommt es zu einer dauerhaften Schädigung einer umschriebenen Hirnregion. Je nachdem, an welcher Stelle des Gehirns die Schädigung liegt, kann diese direkt zu Einschränkungen im Gefühlsleben des Patienten führen.
Eine Depression kann sich aber auch als Reaktion auf die plötzlichen körperlichen und geistigen Einschränkungen, die durch einen Schlaganfall entstehen, entwickeln.
Wann treten Depressionen nach einem Schlaganfall meistens auf?
In der Regel machen sich Depressionen erst einige Wochen nach dem Schlaganfall bemerkbar. Oftmals stehen zunächst die rein körperlichen Beschwerden oder möglichen Komplikationen im Vordergrund.
Erst nach einiger Zeit beginnt auch die geistige Verarbeitung des Schlaganfalls. Die Betroffenen werden sich ihrer Einschränkungen bewusst und müssen lernen, mit den Folgen ihres Schlaganfalls zu leben.
Viele Patienten sind bereits in den ersten Tagen nach dem Schlaganfall traurig und weinen sehr rasch, wenn sie sich ihrer Situation bewusst werden. Dies kann zunächst eine „normale“ Reaktion auf die akute Erkrankung sein und muss nicht in einer Depression münden.
Diese Patienten sollten aber bezüglich der Entwicklung einer Depression sehr genau beobachtet werden. Man definiert eine „post-stroke Depression“, wenn die Symptome erstmals nach einem Schlaganfall auftreten, sie länger als zwei Wochen andauern und unabhängig davon sind, wo sich der Patient befindet (Krankenhaus, Reha-Klinik, zu Hause).
Anfälliger für die Entwicklung einer Depression sind Patienten mit starken körperlichen sowie geistigen Einschränkungen als Folge eines Schlaganfalls. Ebenso Patienten, die wenig soziale und familiäre Unterstützung haben oder in schlechten Wohnverhältnissen leben.
Wie sieht die Behandlung bei Depressionen aus?
Da sich eine Depression negativ auf die Genesung nach einem Schlaganfall auswirken kann, ist es erforderlich, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Ziel aller Behandlungen soll sein, dass der Patient wieder eine Lebensperspektive bekommt. Welche Therapie für den Patienten geeignet ist oder in welcher Kombination, hängt von der Schwere der Depression sowie dem Behandlungswunsch des Patienten ab.
Depressionen können mit Medikamenten behandelt werden. Dabei werden dem Patienten Antidepressiva verschrieben. Die Wirksamkeit von Antidepressiva wurde in Studien gut untersucht. Die früher angenommene positive Wirkung von Antidepressiva auf die direkte neurologische Erholungsfähigkeit konnte zuletzt in Studien nicht mehr nachgewiesen werden.5
Besonders geeignet sind für Schlaganfallpatienten Präparate aus der Wirkstoffgruppe der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI). Wichtig hierbei ist zu wissen, dass eine Wirksamkeit dieser Präparate frühestens nach 10 bis 14 Tagen entstehen kann.
Mögliche Nebenwirkungen sind:
- anfängliche innere Unruhe
- Benommenheitsgefühl
- Mundtrockenheit
- Kopfschmerzen
Im Allgemeinen bilden sich diese Nebenwirkungen rasch zurück und die Verträglichkeit der Medikamente wird als sehr gut angesehen.
Trizyklische Antidepressiva sind zumeist für Schlaganfallpatienten weniger gut geeignet, da sie zur Verschlechterung der geistigen Leistungsfähigkeit, anhaltender Mundtrockenheit, Verschwommensehen sowie zu Schwierigkeiten beim Wasserlassen führen können.
Eine wichtige Säule der Depressionstherapie ist die psychologische und psychotherapeutische Hilfe. Psychiater, Psychotherapeuten und Psychologen können dabei helfen, die Beschwerden durch geeignete Gesprächstherapien zu lindern. Allerdings ist diese Therapie bei Schlaganfallpatienten mit Sprachstörungen oder Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit oftmals nicht möglich.6
Eine besonders wichtige Rolle spielen die Angehörigen, indem sie dem Betroffenen verständlich machen, dass sie an seiner Seite stehen und ihn in seinem Erholungsprozess und bei alltäglichen Angelegenheiten unterstützen.
Je mehr der Patient unterstützt und begleitet wird, desto mehr Fortschritte wird er wahrscheinlich in seiner Genesung machen und dies wird sich dann positiv auf seine Psyche auswirken.
Auch hier ist eine enge Zusammenarbeit von Ärzten, Pflegekräften, Psycho- und Physiotherapeuten sowie Angehörigen wichtig, um den Patienten bei seiner Genesung effizient unterstützen zu können.
Da sich eine Depression negativ auf die Genesung nach einem Schlaganfall auswirken kann, ist es erforderlich, professionelle Hilfe zu erhalten.
Praktische Tipps
- Die Angehörigen oder Bezugspersonen eines Betroffenen sollten in den Therapieprozess mit einbezogen werden. Nur wenn das Krankheitsbild und die Krankheitsentwicklung verstanden werden, kann eine erfolgversprechende Unterstützung erfolgen.
- Wenn sich eine Depression erst später entwickelt und der Patient bereits aus der Klinik entlassen ist, sollte überprüft werden, ob Faktoren in der Umgebung eine Rolle spielen: Kommt der Patient in der Wohnung nicht zurecht, weil sie nicht behindertengerecht ist? Werden die Therapien und Übungen vernachlässigt und gehen damit Erfolge der Rehabilitation verloren? Haben Angehörige Schwierigkeiten mit der neuen Situation und überfordern sie den Patienten oder sind sie ungeduldig oder aggressiv?
- Der Patient sollte sich unbedingt in neurologische und/oder psychiatrische Therapie begeben. Fehlen dem Patienten zu diesem Schritt die Einsicht oder die Energie, dann dürfen die Angehörigen auch auf eine Therapie drängen, da der Betroffene seinen Hilfebedarf möglicherweise selbst nicht verstehen kann.
Ganz WICHTIG: Bei allen Therapiemöglichkeiten kommt es natürlich auch immer auf die Mitarbeit des Patienten an. Je motivierter und entschlossener er ist, zu seiner Genesung beizutragen, desto schneller wird er wahrscheinlich positive Veränderungen erzielen können.
Wenn die Gedanken eines Betroffenen darum kreisen, sich das Leben zu nehmen oder dieser entsprechende Äußerungen macht, bieten verschiedene Organisationen Hilfe an.
Krisentelefone7
- Tel.: 0800 / 11 10 111
- Tel.: 0800 / 11 10 222
Rund um die Uhr
https://www.telefonseelsorge.de/
[email protected]
Kinder- und Jugendtelefon:
- Tel. 0800 / 11 10 333
Mo – Sa: 14:00 – 20:00 Uhr
Anmerkung der Redaktion: In diesem Artikel haben wir zugunsten der besseren Lesbarkeit auf das gendergerechte Formulieren verzichtet.
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Artikel erstmalig veröffentlicht am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autorin
unter Mitarbeit von stud. med. Sedef Kuecuekuncular
Dr. med. Christina Rückert ist Fachärztin für Neurologie und Geriatrie und arbeitete mehr als 10 Jahre als Oberärztin an der Oberschwabenklinik in Ravensburg. Ihre berufliche Tätigkeit beinhaltete auch die stellvertretende ärztliche Leitung der Zentralen Notaufnahme. Seit Juli 2021 ist sie gemeinsam mit ihrem Mann – ebenfalls Facharzt für Neurologie – in eigener Praxis in Rothenburg ob der Tauber niedergelassen. Ein Schwerpunkt ihrer ambulanten Tätigkeit ist die Nachsorge von Patienten nach einem Schlaganfall. [mehr]Sie erhalten von uns regelmäßig und kostenlos aktuelle Informationen rund um den Schlaganfall.
Quellen
- Post-Stroke-Depression: Ein Drittel Aller Schlaganfall-Patienten Betroffen Antidepressiva Können Die Erholung Begünstigen – Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft – URL: https://www.lifepr.de/inaktiv/deutsche-schlaganfall-gesellschaft-dsg/Post-Stroke-Depression-Ein-Drittel-aller-Schlaganfall-Patienten-betroffen/boxid/448420
- Symptoms – Clinical Depression – NHS – URL: https://www.nhs.uk/mental-health/conditions/clinical-depression/symptoms/
- Was Ist Eine Depression? – Autoren: Prof. Dr. med. Ulrich Voderholzer (Autor), Prien am Chiemsee (DGPPN) und Dr. Roger Pycha, Bruneck (SIP) – URL: https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/psychiatrie-psychosomatik-psychotherapie/erkrankungen/depressionen/was-ist-eine-depression/
- Robert Koch-Institut zum Weltgesundheitstag 2017: Daten und Fakten zu Depressionen – URL:
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2017/Ausgaben/14_17.pdf?__blob=publicationFile - Safety and efficacy of fluoxetine on functional recovery after acute stroke (EFFECTS): a randomised, double-blind, placebo-controlled trial. – Publikation: The Lancet Neurology. Volume 19, Issue 8, August 2020, pp 661-669. – DOI: 10.1016/S1474-4422(20)30219-2
- Teilhabe Nach Schlaganfall: Einfluss von Depressivität in Der Ambulanten Neurorehabilitation – Autoren: J. Marheineke, R. Deck, P. Reuther, D. Pöppl, F. Theves & T. Kohlmann – Publikation: Der Nervenarzt volume 90, pages352–360(2019) – DOI: 10.1007/s00115-018-0622-1
- Überregionale Krisentelefone – Stiftung Deutsche Depressionshilfe – URL: https://www.deutsche-depressionshilfe.de/krisentelefone