Risiko-Vorhersage für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ▷ arriba, SCORE, ESC HeartScore®, PROCAM und ASCVD
In diesem Artikel:
- Welche Daten eignen sich als Risiko-Vorhersage-Faktoren und warum?
- Welche Systeme zur Risikoeinschätzung gibt es?
- Vergleich der in Deutschland vorwiegend eingesetzten Risikorechner
- Praxis-Tipp: So schützen Sie sich am besten vor Schlaganfall und Herzinfarkt
Herz-Kreislauf-Erkrankungen (HKE) wie Schlaganfall oder Herzinfarkt sind die häufigsten Erkrankungen überhaupt und weltweit eine schwere gesundheitliche und wirtschaftliche Belastung. 80 bis 90 Prozent dieser Erkrankungen könnten durch rechtzeitige Erkennung und Behandlung weniger, oft unbemerkter Risikofaktoren verhindert werden. In der Medizin ist das wirksamste Vorgehen gegen diese Erkrankungen die Prävention, die Vorsorge.
Um das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorhersagen zu können, werden mathematisch-statistische Methoden eingesetzt, die auf der Basis von Erfahrungswerten die für eine Person zutreffende Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines zukünftigen Ereignisses schätzen. Ziel ist eine verbesserte Prävention, sei es durch Veränderung des Lebensstils oder durch ärztliche Behandlung.
Die European Society of Cardiology (ESC) hat 2021 in ihren Leitlinien zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine neu gefasste Version der SCORE-Risikobewertung vorgeschlagen, den SCORE2. Für Menschen, die älter als 70 Jahre sind, ist der SCORE2-OP (engl. “older persons”, ältere Personen) vorgesehen.
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Es existiert eine ganze Reihe anderer Bewertungssysteme, zum Beispiel das arriba-System für die Hausärzte in Deutschland.
Hochrisikostrategie in der Kritik
Allerdings werden diese Risiko-Vorhersage-Methoden auch kritisch beurteilt.1,2,3 Untersucht wurde, ob die in den letzten zwei Jahrzehnten weltweit bevorzugte Strategie zur Verhütung vor allem von Schlaganfällen und Herzinfarkten wirksam ist. Diese Strategie konzentriert sich überwiegend auf die Entdeckung und Behandlung von Hochrisikopatienten. Patienten also, die auf der Basis ihrer individuellen Risikokonstellation als besonders gefährdet eingestuft und erst dann behandelt werden. Unter dem Gesichtspunkt der Prävention wird dieses Vorgehen als Hochrisikostrategie bezeichnet.
Dagegen steht die Niedrigrisikostrategie, die durch frühzeitige Behandlung einzelner Risikofaktoren erreichen soll, dass möglichst wenige Menschen die Hochrisikoschwelle erreichen beziehungsweise einen Schlaganfall oder Herzinfarkt erleiden.
Kritisch wird festgestellt, dass die Hochrisikostrategie trotz verstärkter Vorsorgeuntersuchungen und Behandlungen die Häufigkeit von Schlaganfällen weltweit nicht reduzieren konnte. Die fehlende Effizienz der Hochrisikostrategie wird bei Patienten unter 70 Jahren, bei denen die Häufigkeit zwischen 1990 und 2019 um etwa 20 Prozent angestiegen ist, besonders deutlich.
Dies ist nicht allein auf die zunehmende Alterung der Bevölkerungen zurückzuführen, sondern auch auf die im Leben immer früher und häufiger auftretenden Risikofaktoren, wie zum Beispiel Übergewicht, Diabetes mellitus und Bluthochdruck.
Menschen mit niedrigem und mittlerem Risiko im Fokus
Eine Neubewertung der Strategien zur Verhütung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wird angeregt. Diese beinhaltet auch die Konzentration auf Menschen mit niedrigem und mittlerem Risiko und die konsequente Behandlung einzelner Risikofaktoren wie Bluthochdruck oder Fett-Stoffwechselstörungen. Für die Berechnung der Risiko-Vorhersage werden grundsätzlich – abhängig vom verwendeten System – folgende Aspekte erfasst und ausgewertet:
- Demografische Daten: Alter und Geschlecht
- Lebensstil: zum Beispiel Nikotinkonsum
- Gewicht
- Laborwerte: unter anderem Gesamt-Cholesterin, HDL-Cholesterin, Non-HDL-Cholesterin, LDL-Cholesterin, HbA1c
- Therapeutische Maßnahmen: beispielsweise die Einnahme von Blutdrucksenkern
- Ärztliche Diagnosen: unter anderem das Vorliegen einer manifesten Arteriosklerose – also einer Erkrankung der Blutgefäße durch Einlagerung von Blutfetten in den Gefäßwänden – oder eines Diabetes mellitus, der umgangssprachlich auch als “Zuckerkrankheit” bezeichnet wird
- Ergänzende Daten: Familien-Krankenvorgeschichte hinsichtlich Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Ziel all dieser Systeme ist die frühzeitige Erkennung des Risikos für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, um diesem mit gezielten vorbeugenden Maßnahmen entgegenwirken zu können. Dies beinhaltet die Beratung und Begleitung von Patienten auf dem Weg zu einem gesunden Lebensstil, aber auch das therapeutische Eingreifen mit beispielsweise Medikamenten zur Senkung von Blutdruck, Blutfetten oder Blutzucker.
Darüber hinaus sollen die Risikovorhersagen dabei helfen, diejenigen Patienten zu finden, bei denen engmaschigere Kontrollen von Risikofaktoren zur Vermeidung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen erforderlich sind.
Welche Daten eignen sich als Risiko-Vorhersage-Faktoren und warum?
Blutfett-Spiegel als Risiko-Vorhersage-Faktor
Gesamt-Cholesterin
Das Gesamt-Cholesterin repräsentiert die Summe aller Cholesterin-Arten im Blut, einschließlich des HDL-Cholesterins, LDL-Cholesterins und VLDL-Cholesterins. Es sollte bei gesunden Menschen unter 200 mg/dL beziehungsweise 5,2 mmol/L liegen.4 Ist zu viel Cholesterin im Blut vorhanden, kann sich dieses in den Gefäßwänden einlagern und zur “Gefäßverkalkung” führen. In der Folge kann es zu Durchblutungsstörungen oder beispielsweise durch den Verschluss eines hirnversorgenden Blutgefäßes mit einem Blutgerinnsel zum Schlaganfall kommen.
High-Density-Lipoprotein-Cholesterin (HDL-Cholesterin, das “gute” Cholesterin)
Die High-Density-Lipoproteine sind Lipoproteine hoher Dichte und transportieren überschüssiges Cholesterin, welches sich sonst in den Gefäßwänden ablagern könnte, in die Leber zurück. Dort wird es abgebaut und anschließend ausgeschieden.
In der Vergangenheit wurde ein HDL-Cholesterin-Wert über 60 mg/dL mit einem niedrigeren Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verbindung gebracht. Diese Annahme ist jedoch zweifelhaft: Die positiven Effekte des HDL-Cholesterins hängen nicht von dessen Konzentration im Blut ab, sondern von dessen funktionellen Eigenschaften. Diese sind auf verschiedene Unterklassen des HDL zurückzuführen.4
Dennoch besitzt das HDL-Cholesterin in dem definierten Bereich zwischen 40 mg/mL und 70 mg/mL (1,0 bis 1,8 mmol/L) eine das Herz schützende Wirkung. Darüber und darunter steigt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ein therapeutischer Zielwert existiert nicht und die Möglichkeiten, mit Arzneimitteln Einfluss auf den HDL-Spiegel zu nehmen, sind begrenzt.
Der optimale Referenzbereich liegt bei 40 bis < 70 mg/dL beziehungsweise 1,0 bis < 1,8 mmol/L.
Nicht-HDL-Cholesterin
Das Nicht-HDL-Cholesterin beziehungsweise Non-HDL-Cholesterin umfasst alle Cholesterin-Arten bis auf das HDL-Cholesterin und ist Maß für alle Lipoproteine, die Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie beispielsweise Schlaganfälle und Herzinfarkte, fördern. Der optimale Bereich liegt unter 3,3 mmol/L.5 Eine Studie von 2012 weist darauf hin, dass die Aussagekraft von Nicht- HDL-Cholesterin-Werten bezüglich des Risikos für zukünftige Herz-Kreislauf-Verbindungen größer ist, als die von LDL-Cholesterin.6 Der therapeutische Zielwert entspricht der Summe aus gemessenem LDL-Cholesterin-Wert und 30 mg/dL beziehungsweise 0,8 mmol/L.4
Low-Density-Lipoprotein-Cholesterin (LDL-Cholesterin, das “schlechte” Cholesterin)
Haupt-Transportmoleküle des Cholesterins sind die Low-Density-Lipoproteine, kurz LDL. Sie haben eine geringe Dichte und gelten als einer der Hauptrisikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die auf verengte und verhärtete Blutgefäße zurückzuführen sind. Das LDL-Cholesterin spielt daher eine wichtige Rolle bei vorbeugenden und therapeutischen Maßnahmen zur Vermeidung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und ist erster Angriffspunkt bei der medikamentösen Senkung der Blutfette.4 Die LDL-Werte werden sehr feinschrittig bewertet:
- extrem niedrig: < 55 mg/dL (< 1,4 mmol/L), geringes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen
- sehr niedrig: 55 bis < 70 mg/dL (1,4 bis < 1,8 mmol/L), geringes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen
- niedrig: 70 bis < 100 mg/dL (1,8 bis < 2,6 mmol/L), optimal für erste Maßnahmen zur Vermeidung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen
- niedrig-normal: 100 bis < 116 mg/dL (2,6 bis < 3,0 mmol/L), akzeptabel für erste Maßnahmen zur Vermeidung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen
- hoch-normal bis hoch: 116 bis < 190 mg/dL (3,0 bis < 4.9 mmol/L), weitere Maßnahmen sind hierbei abhängig vom Gesamtrisiko
- sehr hoch: > 190 mg/dL (> 4,9 mmol/L), Verdacht auf familiär vererbte hohe Blutfette, hohes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Triglyceride
Triglyceride dienen dem Körper als wichtige Energiequelle, sind jedoch bei Erhöhung ein Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Sie werden überwiegend mit der Nahrung aufgenommen, aber auch in der Leber produziert. Ein Zuviel wird vor allem im Fettgewebe gespeichert. Hohe Triglycerid-Spiegel im Blut gehen häufig mit niedrigen HDL-Cholesterin-Werten einher und können dann unter Umständen Herz-Kreislauf-Erkrankungen hervorrufen. Werte unter 150 mg/dL beziehungsweise unter 1,7 mmol/L gelten als unauffällig, Werte bis unter 200 mg/dL beziehungsweise 2,3 mmol/L als grenzwertig hoch. Bereits hier sollten Lebensstil-Maßnahmen intensiviert werden, um Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorzubeugen.4
Der “Langzeitblutzucker”-Wert HbA1c als Risiko-Vorhersage-Faktor
Der “Langzeitblutzucker”-Parameter HbA1c ist ein mit Zucker verknüpfter Abkömmling des eisenhaltigen roten Blutfarbstoffs Hämoglobin, der für den Transport von Sauerstoff im Blut verantwortlich ist.
Die Menge an HbA1c gibt Auskunft über die Höhe und Dauer eines erhöhten Blutzuckerspiegels. Man spricht vonm “Blutzuckergedächtnis”, denn die HbA1c-Moleküle werden erst aus dem Blut eliminiert, wenn die roten Blutkörperchen abgebaut werden. Der HbA1c-Wert – erlaubt rückwirkend eine Beurteilung der Blutzuckereinstellung in der Therapie der “Zuckerkrankheit” Diabetes mellitus.
Bei einem HbA1c unter 5,7 Prozent (unter 39 nmol/L) liegt kein Diabetes vor. Steigt der Wert über 6,5 Prozent (über 48 nmol/L), gilt dies als Kriterium für die Diagnose Diabetes mellitus.4
Erhöhte Blutzuckerwerte – und damit langfristig erhöhte HbA1c-Werte – fördern Entzündungsreaktionen im Körper und beschleunigen die Verengung, Verhärtung und damit Schädigung arterieller Blutgefäße. Diabetes mellitus-Patienten sind besonders durch tödliche HKE gefährdet: etwa 75 Prozent der Patienten mit der “Zuckerkrankheit” sterben an Komplikationen, die durch geschädigte Gefäße hervorgerufen werden.7
Was ist der systolische Blutdruck und was sagt er über das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen aus?
Der systolische Blutdruck beschreibt den maximalen Druck in den Blutgefäßen. Er entsteht während der als Systole bezeichneten Kontraktion der Herzkammern, bei der das Blut in den Körperkreislauf gepumpt wird. Es wirkt dabei eine große Kraft auf die Gefäßwände und sie stehen buchstäblich unter Hochdruck.
Wird der Druck zu hoch, können die Gefäße und damit auch Organe wie das Herz oder das Gehirn geschädigt werden. Liegt zusätzlich eine Verengung der Blutgefäße – beispielsweise durch Fetteinlagerungen in den Gefäßwänden – vor, steigt der Druck auf die Gefäßwände noch stärker. Es ist also eine wahre Zerreißprobe für die Gefäße.
Während der Diastole entspannt sich der Herzmuskel und das Herz wird mit Blut für die nächste Systole gefüllt. Der Druck in den Gefäßen, der nun als diastolischer Blutdruck bezeichnet wird – ist hierbei am niedrigsten.
Welche Systeme zur Risikoeinschätzung gibt es?
Es gibt eine ganze Reihe von Systemen zur Risikovorhersage für HKE. Diese werden immer weiter optimiert, um möglichst individuell das Risiko berechnen zu können. Sie basieren zum Teil auf den gleichen Daten, wie zum Beispiel Alter und Geschlecht. Die Zuverlässigkeit der Vorhersagen ist abhängig vom jeweiligen System und auf einen bestimmten Altersbereich beschränkt.
Neben den in diesem Artikel beschriebenen Systemen existieren auch noch weitere, wie zum Beispiel das ASSIGN-, Q-Risk-, CUORE- oder Globorisk-System. Da diese sich in der praktischen Anwendung jedoch wenig von den beschriebenen Systemen unterscheiden, werden diese nicht näher erläutert.
In Deutschland werden vor allem der PROCAM-Risiko-Score, das arriba-System und der ESC HeartScore® verwendet.8,9 Der ESC HeartScore® ist ein auf den SCORE2- und SCORE2-OP-Risikodiagrammen basierender Online-Risikorechner. Das arriba-System wird besonders in der hausärztlichen Praxis zur Risikoberechnung und Beratung der Patienten eingesetzt. Auch der US-amerikanische ASCVD-Rsikorechner ist ebenfalls sehr gut für die Anwendung in Deutschland geeignet.9
Auf europäischer Ebene wird vor allem das SCORE-System von den Leitlinien zur Verhütung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in der klinischen Praxis empfohlen.10 Dieses ist insbesondere im Praxisalltag der Fachärzte für Herz-Kreislauf-Erkrankungen von Bedeutung.
arriba, SCORE, ESC HeartScore®, PROCAM und ASCVD Risk Estimator – was beinhalten sie?
arriba
Der Name des Risiko-Einschätzungs-Instruments arriba soll den Ablauf des Arzt-Patienten-Beratungsgesprächs widerspiegeln. arriba ist eine Gemeinschaftsarbeit von Ärzten in der Praxis, Universität und anderen Institutionen des Gesundheitswesens.11 Die Abkürzung bedeutet:
Aufgaben und Ziele gemeinsam mit dem Patienten definieren
Risiko subjektiv
Risiko objektiv
Informieren des Patienten über vorbeugende Maßnahmen
Bewertung der Möglichkeiten gemeinsam mit dem Patienten
Absprache zwischen Arzt und Patient über das weitere Vorgehen
Das arriba-Instrument basiert auf der Framingham-Risikofunktion. Die Verwendung dieser Risikofunktion ist für Deutschland jedoch nicht ganz unproblematisch, da sie das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei deutschen Patienten überschätzt, wie die Untersuchung der zwei deutschen Studien MONICA Augsburg und PROCAM zeigte.12
SCORE
Die Abkürzung SCORE steht für “Systematic coronary risk evaluation”, also die systematische Bewertung des Risikos für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das System wurde im Rahmen des SCORE-Projekts basierend auf den Daten 12 europäischer Studien entwickelt und im Jahr 2021 zum SCORE2-System erweitert und aktualisiert. Darüber hinaus wurden zwei Varianten für ältere Menschen (SCORE2-OP) und Patienten mit der “Zuckerkrankheit” Diabetes mellitus Typ 2 (SCORE2-Diabetes) entwickelt, um die Bewertung und Beratung individuell an diese beiden Risikogruppen anzupassen.13 14 15 16
ESC HeartScore® (ESC-HS)
Der ESC HeartScore® ist das von der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (European Society of Cardiology) entwickelte Risikoeinschätzungs-Instrument zur Berechnung und Bewertung des Risikos eines Patienten für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dieser Online-Risiko-Rechner basiert auf den SCORE-Risikodiagrammen. Der ESC HeartScore® ist inzwischen mit den Algorithmen von SCORE2 und SCORE2-OP aktualisiert und an die aktuellen Leitlinien zur Verhütung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen angepasst worden.17
PROCAM
Die Abkürzung PROCAM steht für “Prospective cardiovascular Münster Study”: eine Studie zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bei der zielgerichtet Daten erhoben wurden, um eine vorher festgelegte Hypothese zu belegen. Diese Studie diente der Entwicklung eines erweiterten Risiko-Vorhersage-Systems, das – im Gegensatz zu einigen anderen Systemen – ergänzende Vorhersage-Faktoren wie die Familien-Krankenvorgeschichte und das LDL-Cholesterin berücksichtigt.18
ASCVD Risk Estimator
Die Abkürzung ASCVD steht für “atherosclerotic cardiovascular disease”, also Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bei denen die vom Herzen wegführenden Blutgefäße verengt und verhärtet sind. Der ASCVD Risk Estimator ist ein US-amerikanisches Instrument zur Risikoeinschätzung für diese Erkrankungen. Er wurde 2013 gemeinsam von der American Heart Association – der amerikanischen Herzgesellschaft – und dem American College of Cardiology, der amerikanischen Vereinigung der Kardiologen, entwickelt.9
Vergleich der in Deutschland vorwiegend eingesetzten Risikorechner
Die vier in Deutschland relevanten Systeme für die Einschätzung des 10-Jahres-Risikos von Herz-Kreislauf-Erkrankungen unterscheiden sich zum Teil hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit auf bestimmte Altersgruppen, aber auch in den der Berechnung des Risikos zugrundeliegenden Risiko-Vorhersagefaktoren. *Der SCORE2-Anwendungsbereich wird bei der Variante SCORE2-OP um den Altersbereich zwischen 70 – 89 Jahre ergänzt.
Kritik an den herkömmlichen Risiko-Bewertungen
Die Risiko-Einschätzung gewinnt zunehmend an Bedeutung in der präventiven Medizin, die sich mit der Vorsorge und Verhütung von Krankheiten beschäftigt. Auch bei der Planung und Risiko-Nutzen-Abwägung von Therapieansätzen zur Vermeidung von HKE sind diese Bewertungsinstrumente bei Hochrisikopatienten hilfreich. Das ist nicht verwunderlich, denn laut Robert-Koch-Institut sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen die häufigste Todesursache in der deutschen Bevölkerung und verantwortlich für etwa 40 Prozent aller Sterbefälle.19
Die in Deutschland eingesetzten Risiko-Vorhersage-Systeme berücksichtigen viele gemeinsame, aber auch unterschiedliche Vorhersage-Faktoren. Ein großer Unterschied besteht darin, ob das jeweilige System nur tödliche oder auch nicht-tödliche Herz-Kreislauf-Erkrankungen beurteilt. Erstrebenswert wäre ein einheitliches Bewertungssystem.
In den deutschen Hausarztpraxen ist arriba weit verbreitet, während Fachärzte für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bevorzugt das SCORE-System einsetzen. Die Verwendung von SCORE wird von den europäischen Leitlinien seit 2016 zur Verhütung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ausdrücklich empfohlen.10
Aufgrund der großen Bedeutung der Einschätzung des Gesamtrisikos werden auch künftig neue Systeme zur Risiko-Bewertung entwickelt und bestehende Systeme immer weiter angepasst werden, um eine möglichst individuelle Grundlage zur Vorbeugung und Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu schaffen. Welche Risikostrategie hierfür am besten geeignet ist, muss regelmäßig kritisch bewertet werden.
Schlussfolgerung
Die Einbindung von Risiko-Bewertungs-Systemen in die Patienten-Aufklärung über Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie die Planung von vorbeugenden und therapeutischen Maßnahmen ist sinnvoll und notwendig. Wie jedoch im Artikel beschrieben, haben alle Vorhersage-Instrumente Stärken und Schwächen bezogen auf die Einschätzung des individuellen Risikos.
Praxis-Tipp: So schützen Sie sich am besten vor Schlaganfall und Herzinfarkt
Wie können Sie sich nun bestmöglich vor einem Schlaganfall oder Herzinfarkt schützen? Nehmen Sie die eigene Gesundheit selbst frühzeitig in die Hand! Manche Faktoren lassen sich nicht beeinflussen, wie beispielsweise genetisch bedingte Herz-Kreislauf-Risikofaktoren in der Familien-Krankenvorgeschichte. Auf andere – wie den Nikotinkonsum oder die Blutzuckerwerte – können Sie durch einen Lebensstil mit ausreichend Bewegung und einer gesunden Ernährung selbst Einfluss nehmen. Welche gesundheitsfördernden Maßnahmen bei der Verhütung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen unterstützen, zeigt unser Präventionskurs.
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- Was sind die Symptome eines Schlaganfalls?
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Autoren
Dipl.-Biol. Claudia Helbig unter Mitarbeit von Prof. Dr. med. Hans Joachim von Büdingen
Claudia Helbig ist Diplom-Human- und Molekularbiologin und hat zuvor eine Ausbildung zur Arzthelferin absolviert. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Medizinischen Biochemie und Molekularbiologie hat sie Medizinstudenten in Pathobiochemie-Seminaren und Praktika betreut. Nach Ihrer Arbeit in der pharmazeutischen Forschung hat sie in einem Auftragsforschungsinstitut für klinische Studien unter anderem Visiten mit Studienteilnehmern zur Erhebung von Studiendaten durchgeführt und Texte für die Website verfasst. Mit ihrem interdisziplinären Hintergrund und ihrer Leidenschaft zu schreiben möchte sie naturwissenschaftliche Inhalte fachlich fundiert, empathisch und verständlich an Interessierte vermitteln. [mehr]
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Quellen
- Global prevention of stroke and dementia: the WSO Declaration (2020) – Autoren: Brainin, Michael; Feigin, Valery L., Norrving, Bo; Martins, Sheila Cristina Ouriques; Hankey, Graeme J.; Hachinski, Vladimir; World Stroke Organization Board of Directors (2020) – Publikation: Lancet Neurol. 2020;19(6):487-488 – DOI: 10.1016/S1474-4422(20)30141-1 – ISSN: 14744422
- WSO and WHF joint position statement on population-wide prevention strategies (2020) – Autoren: Brainin, Michael; World Stroke Organization; Sliwa, Karen; World Heart Federation – Publikation: Lancet. 2020;396(10250):533-534 – DOI: 10.1016/S0140-6736(20)31752-9 – ISSN: 01406736
- Primary stroke prevention: useful thresholds? (2022) – Autorin: Feigin, Valery L. – Publikation: Lancet Neurol. 2022;21(2):116 – DOI: 10.1016/S1474-4422(21)00458-0 – ISSN: 14744422
- Klinikleitfaden Labordiagnostik (2024), 8. Auflage – Autoren: Böhm, Bernhard O.; Niederau, Christoph; Aymanns, Matthias Peter – Publikation: Elsevier Verlag; München – ISBN: 978-3-437-05604-8; 978-3-437-21094-5
- Non-HDL-Cholesterin (abgerufen am 27.09.2024) – Autor: Prof. Dr. Buscher – URL: https://www.medicoconsult.de/non-hdl-cholesterin/
- Association of LDL Cholesterol, Non–HDL Cholesterol, and Apolipoprotein B Levels With Risk of Cardiovascular Events Among Patients Treated With Statins: A Meta-analysis (2012) – Autoren: Boekholdt, S. Matthijs; Arsenault, Benoit; Mora, Samia; Pedersen, Terje R.; LaRosa, John C.; Nestel, Paul J.; Simes, R. John; Durrington, Paul; Hitman, Graham A.; Welch, K. M. A.; DeMicco, David A.; Zwinderman, Aeilko H.; Clearfield, Michael B.; Downs, John R.; Tonkin, Andrew M.; Colhoun, Helen M.; Gotto, Antonio M.; Ridker, Paul M.; Kastelein, John J. P. – Publikation: JAMA. 2012;307(12):1302–1309 – DOI: 10.1001/jama.2012.366
- Diabetes und Herz: Kardiovaskuläres Risiko trotz Symptomfreiheit (2017) (abgerufen am 02.10.2024) – Autor: Mwr – Publikation: Deutsches Ärzteblatt Online – DOI: 10.3238/PersDia.2017.05.19.01
- Cardiovascular risk algorithms in primary care: Results from the DETECT study (2019) (abgerufen am 27.09.2024)- Autoren: Grammer, Tanja B.; Dressel, Alexander; Gergei, Ingrid; Kleber, Marcus E.; Laufs, Ulrich; Scharnagl, Hubert; Nixdorff, Uwe; Klotsche, Jens; Pieper, Lars; Pittrow, David; Silber, Sigmund; Wittchen, Hans-Ulrich; März, Winfried – Publikation: Sci Rep 9, 1101 (2019) – DOI: 10.1038/s41598-018-37092-7
- Abschätzung des kardiovaskulären Risikos: Der amerikanische ASCVD-Score ist auch für die deutsche Bevölkerung gut geeignet (2019) (abgerufen am 20.09.2024) – Autorin: Siegmund-Schultze, Nicola – Publikation: Dtsch Arztebl 2019; 116(18): A-898 / B-741 / C-729 – URL: https://www.aerzteblatt.de/archiv/206985/Abschaetzung-des-kardiovaskulaeren-Risikos-Der-amerikanische-ASCVD-Score-ist-auch-fuer-die-deutsche-Bevoelkerung-gut-geeignet
- 2016 European Guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice: The Sixth Joint Task Force of the European Society of Cardiology and Other Societies on Cardiovascular Disease Prevention in Clinical Practice (constituted by representatives of 10 societies and by invited experts)Developed with the special contribution of the European Association for Cardiovascular Prevention & Rehabilitation (EACPR) (2016); (abgerufen am 19.09.2024) – Autoren: Piepoli, Massimo F.; Hoes, Arno W.; Agewall, Stefan; Albus, Christian; Brotons, Carlos; Catapano, Alberico L.; Cooney, Marie-Therese; Corrà, Ugo; Cosyns, Bernard; Deaton, Christi; Graham, Ian; Hall, Michael Stephen; Hobbs, F. D. Richard; Løchen, Maja-Lisa; Löllgen, Herbert, Marques-Vidal, Pedro; Perk, Joep; Prescott, Eva; Redon, Josep; Richter, Dimitrios J.; Sattar, Naveed; Smulders, Yvo; Tiberi, Monica; Van Der Worp, H. Bart; Van Dis, Ineke; Verschuren; W. M. Monique – Publikation: European Heart Journal, Volume 37, Issue 29, 1 August 2016, Pages 2315–2381 – DOI: 10.1093/eurheartj/ehw106
- arriba “Kardiovaskuläre Prävention” Modulbeschreibung (abgerufen am 19.09.2024) – Autoren: Donner-Banzhoff, Norbert; Altiner, Attila – URL: https://arriba-hausarzt.de/uploads/files/arriba-Broschuere-KVP.pdf
- Risikoabschätzung tödlicher Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Die neuen SCORE-Deutschland-Tabellen für die Primärprävention – Autoren: Keil, Ulrich; Fitzgerald, Anthony P.; Gohlke, Helmut; Wellmann, Jürgen; Hense, Hans-Werner – Publikation: Dtsch Arztebl 2005; 102(25): A-1808 / B-1526 / C-1441 – URL: https://www.aerzteblatt.de/archiv/47409/Risikoabschaetzung-toedlicher-Herz-Kreislauf-Erkrankungen-Die-neuen-SCORE-Deutschland-Tabellen-fuer-die-Primaerpraevention
- Estimation of ten-year risk of fatal cardiovascular disease in Europe: the SCORE project – Autor: Conroy, R. et al. – Publikation: European Heart Journal, Volume 24, Issue 11, 1 June 2003, Pages 987–1003 – DOI: 10.1016/S0195-668X(03)00114-3
- SCORE2 risk prediction algorithms: new models to estimate 10-year risk of cardiovascular disease in Europe (2021) – Autoren: SCORE2 working group and ESC Cardiovascular risk collaboration und 175 weitere – Publikation: European Heart Journal, Volume 42, Issue 25, 1 July 2021, Pages 2439–2454 – DOI: 10.1093/eurheartj/ehab309
- SCORE2-OP risk prediction algorithms: estimating incident cardiovascular event risk in older persons in four geographical risk regions (2021) – Autoren: SCORE2-OP working group and ESC Cardiovascular risk collaboration und 34 weitere – Publikation: European Heart Journal, Volume 42, Issue 25, 1 July 2021, Pages 2455–2467 – DOI: 10.1093/eurheartj/ehab312
- SCORE2-Diabetes: 10-year cardiovascular risk estimation in type 2 diabetes in Europe (2023) – Autoren: SCORE2-Diabetes Working Group and the ESC Cardiovascular risk collaboration und 99 weitere – Publikation: European Heart Journal, Volume 44, Issue 28, 21 July 2023, Pages 2544–2556 – DOI: 10.1093/eurheartj/ehad260
- Calculate the 10-year risk of fatal and non-fatal cardiovascular disease events of your patients; European Association of Preventive Cardiology (abgerufen am 02.10.2024) – URL: https://www.heartscore.org/en_GB
- Simple Scoring Scheme for Calculating the Risk of Acute Coronary Events Based on the 10-Year Follow-Up of the Prospective Cardiovascular Münster (PROCAM) Study (2002) – Autoren: Assmann, Gerd; Cullen, Paul; Schulte, Helmut – Publikation: Circulation. 2002;105(3):310-315 – DOI: 10.1161/hc0302.102575
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen; Robert Koch Institut; 15.06.2023 (abgerufen am 01.10.2024) – URL: https://www.rki.de/DE/Content/GesundAZ/H/Herz_Kreislauf_Erkrankungen/Herz_Kreislauf_Erkrankungen_node.html