Fünf Elemente für eine effektive neurologische Schlaganfall-Rehabilitation ▷ Rehabilitation und Nachsorge
Neurologische Schlaganfall-Rehabilitation in Deutschland ist relativ neu. Noch in den 1980er Jahren wurden Menschen mit Schlaganfall vor allem am Leben erhalten. Rehabilitation? Weitgehend Fehlanzeige! Erst durch den Protest und das Engagement von Angehörigen entstanden in Krankenhäusern die Stroke Units für schnelle Erstversorgung sowie auf neurologische Rehabilitation spezialisierte Pflegeeinrichtungen.
Nach der Entlassung aus der klinischen Behandlung wird die Versorgung von Menschen, die eine Schädigung des Gehirns – wie zum Beispiel durch einen Schlaganfall – erlitten haben, auch heute noch vor allem den Angehörigen überlassen.
Für die Planung und Bewilligung einer optimalen rehabilitativen Versorgung fehlt Ärzten nicht selten die Zeit und spezifische Ausbildung. Selbst bei umfassenden Behinderungen folgen sie oft der pauschalen Vorgabe, möglichst kosteneffizient zu handeln.
Die Folge: Eine wissenschaftlich mehrfach belegte Unterversorgung bei der Rehabilitation, die nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen einschränkt, sondern auch durch dauerhaften höheren Bedarf an Pflegekräften, Hilfsmitteln und Medikation enorme zusätzliche Kosten erzeugt.
Im Folgenden sollen die wichtigsten Faktoren für erfolgreiche Rehabilitation zusammengefasst werden. Sie gelten insbesondere für das erste Jahr nach der Entlassung aus der Klinik.
1. Alltagsorientierte Zielsetzungen
Bei der Therapie müssen Aktivitäten im Vordergrund stehen, die einen möglichst eigenständigen Alltag der Betroffenen zum Ziel haben.
Am Anfang geht es um grundlegende Fähigkeiten, zum Beispiel der Übergang vom Sitzen zum Stehen, gefolgt von Gehen und Treppensteigen. Das Ziel ist die Selbstversorgung: Waschen, Anziehen, Essen und der Gang zur Toilette. Idealerweise wird deshalb zu Hause therapiert und geübt, so nah an der gewohnten Umgebung wie möglich.
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Im nächsten Schritt soll die Erledigung häuslicher Arbeiten, Freizeitbeschäftigungen und die Ausübung von Hobbys ermöglicht werden.
All diese Fähigkeiten haben neben ihrem praktischen Nutzen auch eine psychologische Komponente: Sie motivieren, steigern bei Erfolg Selbstwertgefühl und Lebensqualität und erleichtern soziale Integration. Kurz: Sie machen Sinn … in jeder Beziehung!
2. Aktive Alltagsgestaltung
Reduzierte Fähigkeiten und eingeschränkte Leistungsfähigkeit sorgen schnell für Passivität. Dagegen hilft ein alltagsorientiertes 24-Stunden-Konzept, das Tag und Nacht Halt gibt und Strukturen liefert, um möglichst aktiv zu sein und zu bleiben.
Therapie und aktive Zeiten sollen ebenso eingeplant werden wie Schlaf- und Ruhephasen. Gerade bei größeren Beeinträchtigungen spielt eine abwechslungsreiche Lagerung eine wichtige Rolle. Regelmäßige Abläufe helfen, die nötige Ausdauer, den Willen und die Bereitschaft für einen aktiven Alltag bei allen Beteiligten aufrechtzuerhalten.
3. Einbezug von Angehörigen und Umfeld
Fast jeder Schlaganfall und jedes Schädel-Hirn-Trauma ereignet sich überraschend, so dass auch Angehörige unerwartet und ungeplant vor enorme Herausforderungen gestellt werden. Zugleich stehen sie oft im Zentrum der Kommunikation zwischen Fachpersonal, Familie und Freunden. Schädigungen des Gehirns haben Auswirkungen auf Gewohnheiten, Fähigkeiten und sogar die Persönlichkeit der Betroffenen.
Kein Wunder, dass viele Angehörige von dieser Situation überfordert sind. Dass zu dieser verzweifelten Situation endlose Formulare, unklare Zuständigkeiten und langwierige Entscheidungsprozesse hinzukommen, ist schlicht unerträglich.
Gut aufbereitete Informationen und Hilfsangebote, eine Angehörigen-Sprechstunde und Selbsthilfegruppen können hier Abhilfe schaffen. Entscheidend ist jedoch, dass das gesamte Umfeld von Betroffenen eingebunden wird, um die Aufgaben für Einzelne im Rahmen zu halten.
4. Konsequente, miteinander abgestimmte Therapie
Ein geschädigtes Gehirn braucht Zeit, um zu heilen und verlorene Kapazitäten auszugleichen.
Dieser Prozess ist mit der Entlassung aus der klinischen Rehabilitation nicht abgeschlossen. Ärzte, Logopädie, Ergotherapie, Physiotherapie, Pflegekräfte, Psychologen: All diese Fachkräfte können am besten helfen, wenn sie sich regelmäßig austauschen. Dabei helfen Telefonate und persönliche Treffen.
Außerdem ist es sinnvoll, alle Aktivitäten in einem Therapie-Tagebuch festzuhalten, mit dem sich alle Beteiligten auf den jeweils aktuellen Stand bringen können.
Leider scheitert dieser Idealzustand in der Realität oft an fehlenden Terminen, langen Wartezeiten, zu kurzen Therapieeinheiten und zu wenig qualifizierten Therapeuten.
Dennoch sollte eine effektive, gut koordinierte Therapie mit gemeinsam verfolgten Zielen im Fokus bleiben, und zwar bei allen Beteiligten: Betroffenen, Angehörigen und Fachkräften.
5. Im Zentrum: Menschliche Anteilnahme
Einfach, banal und dennoch entscheidend: Effektive neurologische Rehabilitation stellt den Menschen in den Mittelpunkt, nicht die Krankheit. Therapeuten müssen Vertrauen schaffen, begeistern und motivieren.
Es geht um Kommunikation auf Augenhöhe, um Empathie, Aufmerksamkeit und Achtsamkeit, Sympathie und ehrliche persönliche Zuwendung, ohne den Selbstschutz und ein gesundes Maß professioneller Distanz zu vernachlässigen.
Es erfordert Konzentration, Flexibilität und Kreativität, in verschiedenen Situationen die richtigen Entscheidungen, die richtige Balance zu finden.
Doch genau darum geht es: Sich auf Menschen einlassen, sie zu begleiten und sie mal psychisch, mal physisch zu stärken und aufzubauen, bis sie wieder selbstbestimmt ihr Leben bestreiten können, ob mit oder ohne Hilfe.
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Autor
Helmut Gruhn ist seit mehr als 50 Jahren Physiotherapeut und auf die Therapie zerebraler neurologischer Ausfälle bei Erwachsenen spezialisiert. Als Bobath-Instruktor entwickelte er das Therapiekonzept “Back-to-Life” für Schlaganfall-Betroffene. Er leitet Fortbildungen und Seminare für Therapeuten und Ärzte und ist als Supervisor für neurologische Kliniken tätig. 2004 gründete er das Perzeptionshaus – ein Therapie- und Fortbildungszentrum für neurologische Rehabilitation. [mehr]