Erkenntnisse aus dem Gesundheitsbericht 2020 der Stiftung Gesundheitswissen ▷ Statussymbol Gesundheit
In diesem Artikel:
- Methodik
- Ergebnisse
- Gesundheitsinformationen
- Selbstwirksamkeit
- Gesundheitseinschätzung
- Die Realität
- Kommentar
Unter dem Titel “Statussymbol Gesundheit” geht die Stiftung Gesundheitswissen in ihrem Gesundheitsbericht 2020 der Frage nach, wie sich der soziale Status auf Prävention und Gesundheit auswirkt.
Aus dem Vorwort dieses Berichts seien folgende Feststellungen von Dr. Ralf Suhr (Vorstandsvorsitzender der Stiftung) zitiert:
“Gesundheitskompetenz und sozialer Status hängen unmittelbar zusammen. Menschen mit niedrigerem sozioökonomischem Status haben noch immer Nachteile in Gesundheitsfragen.”
Vor allem aber glauben sie seltener daran, dass sie durch ihr Verhalten ihre Gesundheit oder den Verlauf einer Krankheit beeinflussen können. Dabei ist gerade das Zutrauen in die eigenen Einflussmöglichkeiten eine Ressource für die eigene Gesundheit und ein Schlüssel für Prävention.
2015 waren noch 46 Prozent der Bevölkerung ohne ernsthafte gesundheitliche Beeinträchtigung davon überzeugt, dass sie ihren Gesundheitszustand stark beeinflussen können. Jetzt sind es, so zeigen es die aktuellen Zahlen unseres Berichts, nur noch 35 Prozent.
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Die Studie zeigt auch, dass das Interesse an Gesundheitsinformationen besonders groß ist, wenn ein persönliches Gesundheitsproblem oder eine Krankheit besteht. Das bestärkt uns, unseren Weg fortzusetzen und unsere Gesundheitsinformationen sowie die konkreten Entscheidungshilfen bei einer Erkrankung konsequent an den Bedürfnissen von Betroffenen auszurichten.
Die Kernfragen dieser Studie sind:
- Wie unterschiedlich sind das Gesundheitsbewusstsein und das Interesse an allgemeinen Gesundheitsthemen?
- Wie hoch ist die eigene Teilhabe in unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten?
Das Wichtigste in Kürze
- Immer weniger Menschen glauben, präventiv Einfluss auf ihre Gesundheit nehmen zu können.
- Das Wissen um gesundheitsfördernde Faktoren ist abhängig vom sozioökonomischen Status.
- Trotz hohem Interesse an Gesundheitsinformationen gelangen viele Menschen nicht an hilfreiche Informationen.
- Gesundheitswissen führt nicht immer zu einer Verhaltensänderung.
- Das Interesse an Gesundheitsthemen ist zwischen Jung und Alt ungleich verteilt.
Methodik
Insgesamt wurden 1255 mündliche Interviews geführt. Es wurde darauf geachtet, einen repräsentativen Querschnitt der deutschen Bevölkerung ab 16 Jahren abzubilden. Verantwortlich für die Datenerhebung war das Institut für Demoskopie Allensbach.
Die Fragen waren unter anderem auf folgende Themen bezogen:
- das gesundheitliche Befinden
- die Beurteilung von Selbstwirksamkeit und Präventionsmaßnahmen
- die Einschätzung wichtiger Gesundheitsfragen
- das Informationsverhalten in Bezug auf Gesundheitsthemen
Insgesamt wurden für die Auswertung verschiedene Einteilungen getroffen:
- Herkunft aus dem Osten oder dem Westen
- weibliches oder männliches Geschlecht
- Altersgruppen: 16-34, 35-49, 50-64 und 65 Jahre und älter
- der sozioökonomische Status wurde anhand von Einkommen, Bildung, Berufstätigkeit und des beruflichen Status in niedrig, mittel und hoch eingeteilt
- Gesundheitszustand in gut bis sehr gut, mittelmäßig und schlecht bis sehr schlecht
- Interesse an Gesundheitsfragen
- Krankenversicherung
- bei chronisch Kranken wurde die Anzahl der Krankheiten, das Geschlecht, die Altersgruppe und der Einschränkungsgrad bestimmt
Die Befragungen fanden zwischen dem 1. und 12. September 2019 statt.
Die zentrale Fragestellung lautete: “Inwieweit unterscheiden sich die sozialen Schichten in Bezug auf ihr Verhalten und Informationsbedürfnis in Gesundheitsfragen?”
Ergebnisse
- Menschen mit einem hohem sozioökonomischen Status pflegen eine gesundheitsbewusste Lebensweise und achten im Vergleich zu Menschen mit niedrigem sozioökonomischen Status mehr auf Prävention.
- 75 Prozent der Menschen in höheren sozialen Schichten bewerten ihren Gesundheitszustand als gut gegenüber 49 Prozent in niedrigeren sozialen Schichten.
- Hinsichtlich des Interesses an Gesundheitsthemen lag der Unterschied bei 10 Prozent (70 % zu 60 %).
- 86 Prozent der Menschen aus sozial höheren Schichten fällt es leichter, Gesundheitsinformationen zu finden, die ihnen weiterhelfen. In sozial niedrigeren Schichten behaupten das nur 63 Prozent.
- 60 Prozent aus sozial schwächeren Schichten halten gesundheitsbewusste Ernährung für wichtig, 77 Prozent in höheren Schichten.
- Knapp die Hälfte (46 Prozent) aus sozial schwächeren Schichten denken, dass sie mit ihrer Lebensweise Rückenschmerzen vorbeugen können, in höheren Schichten sind 65 Prozent der Befragten dieser Meinung.
- Stress bewerten 33 Prozent aus sozial höheren Schichten und nur 18 Prozent aus niedrigeren Schichten als ein ernsthaftes Krankheitsrisiko.
- In sozial höheren Schichten betreiben 30 Prozent mehr Menschen aus gesundheitlichen Gründen regelmäßig Sport (60 % zu 31 %).
- Chronische Krankheiten hätten 75 Prozent der Menschen in sozial höheren Schichten gut im Griff, in niedrigeren Schichten nur 49 Prozent.
Gesundheitsinformationen
Gibt es auch hier Unterschiede in Bezug auf die sozialen Schichten?
Die Befragung hat ergeben, dass Menschen aus höheren sozialen Schichten ein deutlich höheres Interesse an Gesundheitsinformationen aufweisen. Das erlangte Wissen können sie leichter wiedergeben und verarbeiten. Im Gegensatz dazu haben Menschen mit einem geringen sozialen Status Probleme bei der Recherche von Informationen.
“Dadurch kommt es zu Informations- und Kompetenzdefiziten, die sich in schlechteren Gesundheits-Outcomes und ungesünderen Verhaltensweisen niederschlagen“, so Prof. Dr. Doris Schäffer und Prof. Dr.Klaus Hurrelmann.
Selbstwirksamkeit
Selbstwirksamkeit bedeutet, dass durch eigenes Handeln das gesundheitliche Befinden und die Entwicklung von Krankheiten beeinflussbar sind. Diese Selbstwirksamkeit wird von Personen aus unteren sozialen Schichten als gering eingeschätzt. Das gilt auch für Bereiche wie die Auseinandersetzung mit Gesundheitsthemen und die Ableitung von Konsequenzen für das eigene Verhalten.
Gesundheitseinschätzung
75 Prozent der Angehörigen höherer sozialer Schichten beschreiben ihren Gesundheitszustand als “gut”, in niedrigeren Schichten liegt der Prozentsatz 26 Prozent niedriger bei 49 Prozent.
Im höheren Alter verändert sich diese Wahrnehmung: Ab dem 65. Lebensjahr bezeichnen nur 40 Prozent ihren Zustand als “gut”.
Bei Personen, die ihren Gesundheitszustand als “gut” bezeichnen, sind neun von zehn der Meinung, durch ihr eigenes Verhalten ihre Gesundheit beeinflussen zu können. Darunter zählt die sogenannte Primärprävention, die durch das eigene Verhalten die Entstehung von Krankheiten verhindert. Beispiele sind der Rauchverzicht oder viel körperliche Bewegung.
In der Altersgruppe 50 bis 64 Jahre sind 39 Prozent der Meinung, einen starken Einfluss auf ihre Gesundheit zu haben. Das gilt allerdings nur für Menschen mit hohem sozioökonomischen Status. Bei einem geringeren sozialen Status sind lediglich 25 Prozent der Meinung, einen starken Einfluss zu haben.
Worin sehen die Deutschen das größte Risiko für ihre Gesundheit?
Jeder Zweite schätzt das eigene Verhalten als höchstes Risiko ein. Danach sind genetische Einflüsse mit 37 Prozent und Umwelteinflüsse mit 26 Prozent relevant.
Wenn das Interesse an Gesundheitsfragen gering ist, dann wird der eigenen Lebensweise auch weniger Einfluss auf die Gesundheit zugeschrieben.
Ein paar Zahlen:
- 58 Prozent der Befragten sind der Meinung, das Risiko für Bluthochdruck durch eine gesunde Lebensweise zu senken.
- 52 Prozent denken, ihr Verhalten verhindert das Auftreten eines Diabetes.
- 45 Prozent gehen davon aus, durch eine gesunde Lebensweise das Risiko für einen Burnout zu senken.
- 80 Prozent der Deutschen halten “genügend Schlafen” für eine wichtige Möglichkeit, gesund zu bleiben.
- 67 Prozent der Angehörigen eines höheren sozialen Status denken, dass die eigene Lebensweise die Entstehung von Krankheiten beeinflusst und auch vorbeugen kann. Bei sozial schwächeren Schichten denken das nur 55 Prozent.
“Fazit: Das Selbstvertrauen, zu sagen „Ich kann mit meiner Lebensweise meine Gesundheit beeinflussen“, hängt stark vom sozioökonomischen Status ab. Je höher der Status, desto höher auch das Selbstvertrauen in Gesundheitsfragen.“
Je höher der sozioökonomische Status, desto wichtiger ist die Krankheitsvermeidung (Prävention):
- 10 Prozent mehr sagen, dass Nichtrauchen wichtig ist (88 zu 78 Prozent)
- 17 Prozent mehr sagen, dass eine gesunde Ernährung wichtig ist (77 zu 60 Prozent)
- 23 Prozent mehr sagen, dass Sport wichtig ist (82 zu 59 Prozent)
An diesem Punkt sind Geschlechterunterschiede zu erkennen. Denn für Frauen ist das Nichtrauchen wichtiger als für Männer (86 zu 78 Prozent). Ebenso werden Vorsorgeuntersuchung mehr von Frauen in Anspruch genommen (76 zu 63 Prozent).
Menschen mit niedrigem sozioökonomischen Status nehmen Präventionsangebote seltener wahr. Das passt zu den Ergebnissen, dass auch hier die Selbstwirksamkeit geringer ist und die Einstellung vertreten wird, dass man nicht viel zu seiner Gesundheit beitragen kann.
Diese Einstellung äußert sich auch in der Tatsache, dass 54 Prozent der Befragten aus niedrigeren Schichten unter chronischen Krankheiten leiden. Bei sozioökonomisch Stärkeren sind es nur 33 Prozent.
Die Realität
Es wurde viel über Einstellung zu Gesundheitsthemen erläutert. Aber wie sieht die Umsetzung in der Realität aus? 68 Prozent schätzen Stressvermeidung als wichtig ein, aber nur 46 Prozent vermeiden Stress. 69 Prozent halten Sport für wichtig, jedoch setzen nur 45 Prozent dies im Alltag auch um. 71 Prozent halten gesunde Ernährung für wichtig, aber lediglich 52 Prozent ernähren sich auch gesund.
76 Prozent der über 65-Jährigen interessieren sich für Gesundheitsthemen, aber nur 44 Prozent der 16-34-Jährigen.
Online-Recherche
Insgesamt 81 Prozent der Internetnutzer haben sich online über Gesundheit informiert. Vor allem Ernährung, Medikamente und Krankenversicherungen scheinen Themen zu sein, die die Allgemeinheit interessiert. 19 Prozent recherchieren sogar häufiger online über Gesundheitsthemen. Aber nicht nur die Online-Recherche scheint wichtig zu sein, sondern auch der persönliche Kontakt mit dem Hausarzt ist für 38 Prozent wichtig.
“Wer einmal online ein Gesundheits- (wie jeder Zehnte) oder Fachportal gefunden hat, dem er vertraut, der steuert diese Webseite gezielt an und informiert sich dort: 38 Prozent halten Fachbeiträge für glaubwürdig, ob aus Printmedien oder dem Internet”, so der Gesundheitsbericht.
Dr. Ralf Suhr fasst die Studie wie folgt zusammen: “Denn unsere Studie zeigt eine Kluft zwischen ,wissen‘ und ,umsetzen‘. Die digitale Vermittlung von Gesundheitsangeboten wird hier in Zukunft eine Schlüsselrolle einnehmen.”
Kommentar
Die Studie bestätigt den hohen Bedarf an vertrauenswürdigen, kompetenten und verständlichen Informationen, die sich an den Bedürfnissen der Interessierten und Betroffenen, also an PatientInnen und Angehörigen orientieren.
Gesundheitsbildung und Gesundheitskompetenz werden in Zukunft einen sehr hohen Stellenwert einnehmen. Sie haben eine Schlüsselposition zur Verhinderung vieler krankhafter Entwicklungen, vor allem der Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Deren Risikofaktoren sind in hohem Maße in Selbstverantwortung vermeidbar oder behandelbar.
“Prävention beginnt im Kindesalter und zieht sich durch das ganze Leben”.
Mit dieser Feststellung ist die Forderung verbunden, Gesundheitsbildung und damit Gesundheitskompetenz ausdrücklich beginnend im Kindergarten und fortgesetzt in allen Schulen und Ausbildungseinrichtungen zu vermitteln. Dies wird eine große aber äußerst notwendige Herausforderung für unser Gesundheitssystem sein.
Es geht darum, Krankheit und Leid in einer rasch alternden Gesellschaft durch verbesserte Bildung und selbstwirksames Handeln in Eigenverantwortung zu verhindern.
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Autoren
unter Mitarbeit von stud. med. Nina Siegmar
Prof. Dr. med. Hans Joachim von Büdingen ist niedergelassener Facharzt für Neurologie und Psychiatrie am Neurozentrum Ravensburg. Als Chefarzt leitete er die Abteilung für Neurologie und Klinische Neurophysiologie am Krankenhaus St. Elisabeth in Ravensburg. Zu den Schwerpunkten seiner Arbeit gehört die Diagnostik und Behandlung von Schlaganfällen. [mehr]Sie erhalten von uns regelmäßig und kostenlos aktuelle Informationen rund um den Schlaganfall.
Quelle
- Gesundheitsbericht der Stiftung Gesundheitswissen – Pressemitteilung 10.12.2020 – URL: https://www.stiftung-gesundheitswissen.de/presse/gesundheit-ist-auch-2020-eine-frage-der-sozialen-schicht
- Gesundheitsbericht der Stiftung Gesundheitswissen – Volltext als PDF – URL: https://www.stiftung-gesundheitswissen.de/sites/default/files/pdf/SGW-Gesundheitsbericht_2020_Statussymbol%20Gesundheit.pdf