Fazialisparese (Gesichtslähmung) ▷ Symptome, Formen, Behandlung
In diesem Artikel:
- Symptome einer Fazialisparese
- Untersuchung einer Fazialisparese
- Was ist der Unterschied zwischen einer zentralen und einer peripheren Fazialisparese?
- Zentrale Fazialisparese
- Periphere Fazialisparese
- Die idiopathische Fazialisparese
Anatomische Grundlagen
Der Nervus facialis – auch als VII. Hirnnerv bezeichnet – hat seine Ursprungszellen (motorischer Kern) beiderseits im Hirnstamm. Von dort aus ziehen die Nervenfasern im sogenannten Kleinhirnbrückenwinkel an der Schädelbasis mit dem VIII. Hirnnerven (Nervus statoacusticus) zunächst in den inneren Gehörgang, dann durch den 3 cm langen Knochenkanal (Canalis facialis, Fazialiskanal) im Felsenbein des Schädels.
Danach tritt er durch ein Loch im Schädel (Foramen stylomastoideum) unterhalb des Ohres aus und verzweigt sich in seine Äste, welche einzelne Abschnitte der Gesichtsmuskulatur durch Nervenimpulse anregen. So zum Beispiel der sogenannte “Stirnast” für die Muskulatur der Stirn oder der “Mundast” für die Muskulatur der Wangen und des Mundes.
Die Kernzellen des Nervus facialis im Hirnstamm werden von Nervenbahnen angeregt, welche ihren Ursprung im Großhirn haben und als sogenannte Pyramidenbahn zum Hirnstamm und Rückenmark ziehen.
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Das Großhirn ist also der “Dirigent” für alle willkürlichen Bewegungen, somit auch für die Muskulatur des Gesichts.
Neben den Nervenfasern für die Muskulatur enthält der Nervus facialis im Canalis facialis Fasern (gustatorische) für die Geschmacksempfindung der vorderen zwei Drittel der Zunge und Fasern (sekretorische) für Tränen-, Schleim- und Speicheldrüsen.
Im Canalis facialis gehen auch Fasern für den Musculus stapedius ab, den Steigbügelmuskel. Dieser ist im Mittelohr an der Schallweiterleitung beteiligt.
Diese Vielfalt der Funktionen des Nervus facialis erklärt die Vielfalt der Symptome, welche durch eine Schädigung des Nervus facialis auftreten können.
Symptome einer Fazialisparese
Das offensichtlichste Symptom ist die Lähmung von Muskeln einer Hälfte des Gesichts. Beiderseitige Fazialisparesen sind sehr selten.
- Bei der Beobachtung fällt zunächst auf, dass das Faltenrelief und die Ausdrucksbewegungen (Mimik) einer Gesichtsseite deutlich reduziert oder aufgehoben sind.
- Die Stirn ist auf der gelähmten Seite glatter.
- Die Mittellinie des Mundes ist zur gesunden Seite verzogen.
- Der Mundwinkel steht tiefer, er hängt herab.
- Nach Aufforderung, die Augenbrauen hochzuziehen und die Stirn zu runzeln, gelingt dies nur auf einer Seite.
- Sollen die Zähne gezeigt werden, verzieht sich der Mund zur intakten Seite.
- Der Augenschluss ist auf der gelähmten Seite unvollständig, das Auge verdreht sich nach oben außen.
- Das Auge auf der betroffenen Seite tränt.
- Beim Aufblasen des Mundes entweicht die Luft auf der betroffenen Seite. Pfeifen gelingt nicht. Der Mund verzieht sich zur gesunden Seite.
- Aus der gelähmten Mundseite kann Speichel tropfen.
- Auch das Sprechen ist verändert, leicht verwaschen.
- Geräusche können auf der betroffenen Seite überlaut, scheppernd wahrgenommen werden. Dies wird als Hyperakusis bezeichnet.
- Geschmacksstörungen (“Schmeckstörungen”) können vorkommen.
Untersuchung einer Fazialisparese
Besonders auffällig bei der Betrachtung einer einseitigen peripheren Fazialisparese ist die Asymmetrie des Gesichts: Die Stirn ist auf der betroffenen, gelähmten Seite glatter, die Falten sind verstrichen. Die Lidspalte ist weiter. Auch die Falte zwischen Nase und Wange ist verstrichen. Die Augenbraue steht tiefer. Das Auge tränt. Der Mundwinkel steht tiefer. Speichel kann aus dem gelähmten Mundwinkel fließen. Deutlicher werden diese Veränderungen beim Sprechen oder Lachen.
Zunächst wird die Gesichtsmuskulatur untersucht: Die erste Aufforderung ist, die Stirn zu runzeln, dann die Augen zu schließen. Dabei fällt auf, dass die Augenbraue nicht gehoben und das Auge auf der gelähmten Seite nicht geschlossen werden kann.
Bei einer kompletten Lähmung der Muskulatur um das Auge besteht die Gefahr einer Hornhautschädigung. Bei Augenschluss bewegt sich das Auge nach oben außen.
Bei der Aufforderung, den Mund zu spitzen oder die Zähne zu zeigen, wird die Lähmung der Mundmuskulatur deutlicher. Das Essen ist erschwert, da sich Anteile der Speise zwischen der oberen Zahnreihe und der Wange festsetzen können.
Ist die Fazialislähmung beidseitig, erscheint das Gesicht starr, unbeweglich wie eine Maske. Der Mund ist leicht geöffnet, der Speichel fließt heraus. Mimische Ausdrucksbewegungen wie Lachen oder Weinen sind nicht möglich, das Sprechen ist erschwert.
Was ist der Unterschied zwischen einer zentralen und einer peripheren Fazialisparese?
Zunächst wird die Unterscheidung anhand der anatomischen Lokalisation der Schädigung besprochen.
Wenn zum Beispiel durch einen Schlaganfall oder einen Hirntumor Nervenzellen oder -bahnen im Gehirn geschädigt werden, welche für die Anregung des Nervus facialis im Hirnstamm verantwortlich sind, wird von einer zentralen Fazialisparese gesprochen.
Werden die Kernzellen des Nervus facialis im Hirnstamm oder der Nerv in seinem weiteren Verlauf bis zur Gesichtsmuskulatur geschädigt, ist eine periphere Fazialisparese die Folge.
Die zentrale und periphere Fazialisparese unterscheiden sich in ihren Symptomen durch folgende Merkmale:
- Bei der zentralen Parese ist der Stirnast kaum betroffen, die Stirn kann also gerunzelt und das Auge geschlossen werden, gelegentlich leicht abgeschwächt. Hauptmerkmal ist der hängende Mundwinkel.
- Bei der peripheren Parese kann die Stirn nicht gerunzelt und das Auge nicht geschlossen werden. Beim Versuch, das Auge zu schließen, verdreht es sich nach oben. Zudem kann eine Überempfindlichkeit für Geräusche (Hyperakusis) auftreten, was zum Beispiel beim Telefonieren bemerkt wird. Auch Geschmacksstörungen und verminderte Tränensekretion sind möglich.
Zentrale Fazialisparese (Gesichtslähmung vom zentralen Typ)
Kommt es innerhalb des Gehirns zu einer Schädigung von Nervenzellen oder Nervenbahnen, welche für die Aktivierung des Nervus facialis verantwortlich sind, wird die Gesichtslähmung als zentrale Fazialisparese bezeichnet.
Was sind die Ursachen einer zentralen Fazialisparese?
- Häufigste Ursache ist der ischämische Schlaganfall bzw. Hirninfarkt, seltener eine Hirnblutung.
- Tumore im Schädel, innerhalb oder außerhalb des Gehirns, zum Beispiel von der Hirnhaut ausgehend (Meningeom)
- Hirnverletzungen
- Entzündliche Erkrankungen des Gehirns
Periphere Fazialisparese (Gesichtslähmung vom peripheren Typ)
Die periphere Fazialisparese (auch “Bell’s Palsy” genannt) ist die häufigste Erkrankung eines Hirnnerven und tritt überwiegend einseitig auf.
Sie entsteht durch eine Schädigung des Nervus facialis in seinem Verlauf vom Kerngebiet im Hirnstamm bis zu seinen Zielorganen: Die mimische Muskulatur des Gesichts, die Geschmacksknospen der vorderen Zunge, Drüsen für die Tränen- und Speichelproduktion und der Steigbügelmuskel im Mittelohr.
Bei Läsionen im Bereich des Hirnstamms und vor Eintritt des Nerven in den Fazialiskanal des Felsenbeins ist die Lähmung (Parese) rein motorisch. Es ist dann “nur” die Gesichtsmuskulatur betroffen. Bei einer Läsion im Fazialiskanal, wo der Nerv durch entzündliche Nervenauftreibungen besonders gefährdet ist, sind meistens auch die Fasern für Geschmack und für Tränen- und Speicheldrüsen mitbetroffen. Zudem kann es zu einer Lähmung des Steigbügelmuskels mit Hörstörung (Hyperakusis) kommen.
Obwohl die periphere Fazialisparese keine bedrohliche Erkrankung ist
In den meisten Fällen (60 – 75 Prozent) kann die Ursache (Ätiologie) einer peripheren Fazialisparese nicht eindeutig geklärt werden. Man spricht dann von einer idiopathischen Fazialisparese.
Die idiopathische Fazialisparese
Von dieser sind jährlich 7 – 40 Patient:innen/100.000 Personen betroffen. Sie kommt mit zunehmendem Alter etwa gleich häufig bei Frauen und Männern vor.
Die Symptome können sehr vielfältig und unterschiedlich sein. Oft wird mit Auftreten der Fazialisparese über Schmerzen in der Region hinter dem Ohr (retroaurikulär) geklagt.
Auch Missempfindungen im Bereich der Wange können vorkommen. Geschmack- oder Hörstörungen sind seltener. Ein trockener Mund wird als Hinweis auf eine schwere Fazialisparese gesehen.
Nicht selten geht ein unspezifischer Infekt voraus. Vermutet wird in den meisten Fällen ein Virusinfekt, zum Beispiel das Wiederauftreten einer Herpes-simplex-Infektion. Hierbei kommt es zu einer Entzündung des Nerven mit Schwellung (Ödem), was zur Druckschädigung des Nerven im Fazialiskanal beiträgt.
Was sind Ursachen einer peripheren, nicht idiopathischen Fazialisparese?
Bei etwa einem Drittel der Patient:innen mit peripherer Fazialisparese kann die Ursache (Ätiologie) erkannt werden. Ursachen sind:
- Infektionen zum Beispiel im Rahmen einer Borreliose, Tuberkulose, Syphilis, HIV oder unterschiedliche virale Erreger wie der Herpes Zoster
- Gutartige und bösartige Tumoren, auch Metastasen im Bereich der Schädelbasis, des Nerven selbst, der Ohrspeicheldrüse u.a.
- Durch Verletzungen (traumatisch) zum Beispiel durch eine Fraktur des Felsenbeins, in dem der knöcherne Kanal des Nervus facialis verläuft
- Autoimmunerkrankungen wie die Multiple Sklerose oder das Guillain-Barre-Syndrom, eine immunvermittelte Entzündung von Nerven und Nervenwurzeln
- Diabetes mellitus
Prognose der idiopathischen Fazialisparese
Insgesamt ist die Prognose günstig. Bei unbehandelten Patienten1 kommt es innerhalb von drei Wochen nach Erkrankungsbeginn in ca. 85 Prozent zu einer Rückbildung der Symptome. Wenn die Besserung der Symptome unvollständig ist, kann es zu Folgen kommen, die nachstehend beschrieben werden.
Folgen der peripheren Fazialisparese
Die periphere, idiopathische Fazialisparese heilt meistens ohne Folgen aus. Ist die Heilung nicht vollständig, kann es zu typischen Störungen kommen.
Beispiele sind:
- Besonders auffällig sind Mitbewegungen (Synkinesien). Bei Augenschluss kommt es unwillkürlich zum Anheben des Mundwinkels der gleichen Seite. Oder umgekehrt: Beim Blinzeln hebt sich der Mundwinkel.
- Kontrakturen (Verkürzung) von Gesichtsmuskeln bewirken eine enge Lidspalte, eine ausgeprägte Falte zwischen Wange und Nase oder einen hochgezogenen Mundwinkel. Hierdurch kann eine entstellende Asymmetrie des Gesichts entstehen.
- Spontaner Tränenfluss (“Krokodilstränen”) kann beim Essen durch Anregung der Speicheldrüsen ausgelöst werden.
Therapie der peripheren Fazialisparese
Medikamentöse Behandlung
Zu empfehlen ist die Behandlung mit dem Glukokortikoid Prednisolon in Tablettenform. Hierdurch wird die Heilung in vielen Fällen beschleunigt und Folgeerscheinungen wie zum Beispiel unwillkürliche Muskelzuckungen der Gesichtsmuskulatur werden vermieden.2
Die gleichzeitige Behandlung mit einem Virostatikum, also einem Viren abtötenden Medikament, ist umstritten und nur in Ausnahmefällen zu empfehlen.
Nicht medikamentöse Behandlung
Im Vordergrund stehen Maßnahmen zum Schutz der Hornhaut des Auges der betroffenen Seite bei unzureichendem Lidschlag. Es besteht die Gefahr der Austrocknung und Entzündung der Hornhaut. Hilfreich sind künstliche Tränen, spezielle Salben und ein Uhrglasverband zumindest während der Nacht.
Übungsbehandlung
Auch wenn der eindeutige wissenschaftliche Nachweis zur Wirksamkeit von Bewegungsübungen noch nicht erbracht werden konnte, sollte die physiotherapeutische Übungsbehandlung bereits nach Auftreten der ersten Symptome eingeleitet werden. Nach kurzer Anleitung können die Übungen dann vor dem Spiegel durchgeführt werden.
Leitlinie “Idiopathische Fazialisparese” der Deutschen Gesellschaft für Neurologie e.V.
Die wichtigsten Empfehlungen dieser Leitlinie vom 28.02.2022 sind:
- Die medikamentöse Behandlung der idiopathischen Fazialisparese soll mit dem Glukokortikoid Prednisolon erfolgen. Sie begünstigt die vollständige Rückbildung und verringert das Risiko von Folgeerscheinungen.
- Bei schwer betroffenen Patienten kann im Einzelfall eine virostatische, d. h., gegen Viren gerichtete Therapie nützlich sein.
- Bei fehlendem Lidschluss sind Maßnahmen zum Schutz der Hornhaut besonders wichtig.
- Bei anhaltenden Paresen können auch chirurgische Eingriffe erwogen werden.
- Eine in der Schwangerschaft oder im Wochenbett auftretende idiopathische Fazialisparese sollte nach denselben Grundsätzen behandelt werden (s.o.). Die Prednisolontherapie sollte stationär erfolgen.
- Obwohl der Nutzen einer Übungsbehandlung bisher wissenschaftlich nicht eindeutig nachgewiesen ist, kann sie auch aus psychologischen Gründen in Betracht gezogen und empfohlen werden.
- 25-40 Prozent der peripheren Fazialisparesen sind nicht idiopathisch, also ursächlich nicht erklärbar. Bei der Vielzahl möglicher Ursachen sind weitergehende Untersuchungen (zum Beispiel Kernspintomographie, Untersuchung des Nervenwassers nach Lumbalpunktion, Borrelien-Serologie u.a.) notwendig.
Medizinische Fachgebiete, welche sich mit der Diagnostik und Behandlung einer peripheren Fazialisparese befassen, sind neben der Allgemeinmedizin die Neurologie, die Radiologie, die Augenheilkunde und die Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde.
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Autor
Prof. Dr. med. Hans Joachim von Büdingen ist niedergelassener Facharzt für Neurologie und Psychiatrie am Neurozentrum Ravensburg. Als Chefarzt leitete er die Abteilung für Neurologie und Klinische Neurophysiologie am Krankenhaus St. Elisabeth in Ravensburg. Zu den Schwerpunkten seiner Arbeit gehört die Diagnostik und Behandlung von Schlaganfällen. [mehr]
Quellen
- The natural history of Bell’s palsy – Autor: Peitersen E. – Publikation: Am J Otol 1982; 4: 107-111.
- Corticosteroids for Bell’s palsy (idiopathic facial paralysis) – Autoren: R A Salinas, G Alvarez, J Ferreira – Publikation: Cochrane Database Syst Rev. 2004 Oct 18:(4):CD001942. – DOI: 10.1002/14651858.cd001942.pub2
- Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Leitlinie “Idiopathische Fazialisparese” 2022