Schlaganfall-Nachsorge: Rückwärtslaufen gegen Gangstörungen ▷ Studie
Nach einem Schlaganfall haben 66 Prozent der Patienten Gangstörungen, welche meistens durch physiotherapeutisches Training und Eigenaktivitäten verbessert werden können. Ziel dieser Studie war es, das Gehen zu verbessern. Denn auch die Forscher sind sich bewusst, dass eine Gangstörung oft der limitierende Faktor ist, um z.B. wieder zur Arbeit zu gehen.1
Die Studie
Die Studie aus den USA hat einen neuen Ansatz zur Verbesserung des Gehens erprobt: Rückwärtslaufen auf dem Laufband in Kombination mit transkutaner Nervenstimulation.
Dr. Oluwole Awosika, Assistenzprofessor für Neurologie, Rehabilitationsmedizin und Schlaganfall-Experte, stellte die Hypothese auf, dass Rückwärtslaufen nicht ausreichend genutzte Hirnareale anregt und damit auch die Muskulatur stärkt und den Gleichgewichtssinn verbessert.
In diese Doppelblindstudie wurden zwischen September 2017 und Februar 2019 insgesamt 30 Teilnehmer mit mittelstarken Gangstörungen während 6 Monaten nach dem Schlaganfall aufgenommen.
Das wurde untersucht:
Untersucht wurden dabei die Ganggeschwindigkeit, der Gangrhythmus, die Schrittlänge und die Kapazität des Gehens 24 Stunden und 2 Wochen nach der Untersuchung. Die Kapazität wurde bestimmt, indem die Teilnehmer 6 Minuten eine definierte Strecke so schnell wie möglich hin und her gehen.
11 der Patienten erhielten eine Schein-Gleichstromstimulation der Wirbelsäule und 19 Patienten erhielten eine tatsächliche transkutane Stimulation im Bereich der Lendenwirbelsäule während des Rückwärtslaufens.
Somit wurden 2 Gruppen untersucht:
- Gruppe 1: Rückwärtslaufen mit einer Scheinstimulation der Wirbelsäule
- Gruppe 2: Rückwärtslaufen mit einer tatsächlichen Stimulation
Wichtig ist zu verstehen, dass bei dieser Studie weder die Studienteilnehmer noch die Durchführer wussten, welche Gruppe welche Behandlungsform erhält (Doppelblindstudie).
Die Teilnehmer wurden, basierend auf einem Gangtest, in eine milde (>0,8-1,2m/s), moderate (<0,8m/s) oder starke (<0,4m/s) Gangbeeinträchtigung klassifiziert.
Ausschlusskriterien
Die Teilnehmer durften zuvor keine Physiotherapie durchgeführt haben, durften vonseiten des Herzens oder der Lunge keine Kontraindikationen hinsichtlich körperlicher Anstrengungen aufweisen. Eine Spastik und eine Depression zählten ebenso als Ausschlusskriterium.
Die Teilnehmer mussten 30 Minuten lang auf dem Laufband rückwärts laufen, 3 mal pro Woche. Dabei wurden sie mit einem Sicherheitsgurt gesichert und sie durften sich mit einer Hand an dem Geländer festhalten, um sich gegebenenfalls abstützen zu können.
Bei der transkutanen Nervenstimulation wurde eine Elektrode im unteren Rückenbereich befestigt, die andere auf Höhe der Schulter. Hierbei wurden 2.5mA über 30 Minuten während des Gangtrainings verabreicht.
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Ergebnisse
87 Prozent der Patienten (26) vollendeten die Studie. Es gab in keiner Gruppe nachteilige Ereignisse wie zum Beispiel Herz/Kreislaufprobleme oder Stürze mit Knochenbrüchen.
Beide Gruppen zeigten eine deutliche Verbesserung der Ganggeschwindigkeit, welche auch noch 2 Wochen später nachzuweisen war.
Insgesamt war das Rückwärtslaufen praktizierbar und die Teilnehmer beider Gruppen konnten die Aktivität, die Kraft, das Energieniveau und die Stimmung verbessern. Ebenso konnte die Schrittlänge in beiden Gruppen verbessert werden.
Negative Effekte wie Kopfschmerzen, Nackenschmerzen, Kribbeln, Juckreiz, Brennen oder Stromschlaggefühle, die während einer transkutaner Nervenstimulation auftreten können, wurden auf eine Skala von 1 bis 10 mit <1 benannt.
Das war überraschend:
Erstaunlicherweise und entgegen der Hypothese zeigte sich, dass sich die Ganggeschwindigkeit bei den Patienten, welche eine Scheinstimulation erhielten, deutlicher verbesserte im Vergleich zu Patienten in der Gruppe mit transkutaner Nervenstimulation.
Insgesamt zeigte sich jedoch eine Verbesserung der Ganggeschwindigkeit durch das Rückwärtslaufen unabhängig von der Stimulationsart.
Zukünftige Studien sind erforderlich, um den Nutzen und die Generalisierbarkeit beider Ansätze allein oder in Kombination bei Schlaganfall-Patienten zu bestimmen.
Ebenso sollte der direkte Vergleich von Rückwärts- und Vorwärtslaufen in Studien untersucht werden, um zukünftig Betroffenen die optimale Hilfe und Unterstützung anbieten zu können.
Kommentar
Es ist bereits bekannt, dass Rückwärtslaufen das Vorwärtslaufen verbessert, jedoch ohne Verbindung zu einem Schlaganfall.2
Das Rückwärtsgehen ist deutlich anspruchsvoller als das Vorwärtsgehen, weshalb hauptsächlich darauf geachtet wurde, dass eine sichere Durchführung gewährleistet ist.
Die direkte Nervenstimulation in die thorakolumbale Region hat schon in den letzten 25 Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen, auch in der Rehabilitationsbehandlung des Schlaganfalls.3
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Artikel erstmalig veröffentlicht am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autoren
unter Mitarbeit von stud. med. Nina Siegmar
Prof. Dr. med. Hans Joachim von Büdingen ist niedergelassener Facharzt für Neurologie und Psychiatrie am Neurozentrum Ravensburg. Als Chefarzt leitete er die Abteilung für Neurologie und Klinische Neurophysiologie am Krankenhaus St. Elisabeth in Ravensburg. Zu den Schwerpunkten seiner Arbeit gehört die Diagnostik und Behandlung von Schlaganfällen. [mehr]Sie erhalten von uns regelmäßig und kostenlos aktuelle Informationen rund um den Schlaganfall.
Quellen
- How Walking Backward Might Help Stroke Survivors – Autorin: Tana Weingartner – Publikation: WVXU – URL: https://www.wvxu.org/post/how-walking-backward-might-help-stroke-survivors#stream/0
- Yang et al., 2005; Hao and Chen, 2011; Michaelsen et al., 2014; El-Basatiny and Abdel-Aziem, 2015; Foster et al., 2016; Rose et al., 2018
- Stagg et al., 2009; Schlaug and Cohen, 2010; Kang et al., 2016