Neue Erkenntnisse zur neuronalen Plastizität nach einem Schlaganfall ▷ Studie
Die Erholung von den Folgen eines Schlaganfalls ist mit der Entstehung neuer Verknüpfungen zwischen Nervenzellen (“Synapsen”) verknüpft. Dieser Vorgang wird mit dem Begriff neuronale Plastizität beschrieben. Die größten Effekte einer rehabilitativen Übungsbehandlung sind zu erwarten, wenn sie zum Zeitpunkt dieser Vorgänge stattfindet.
In der vorliegenden Untersuchung wurde bei Schlaganfall-PatientInnen nach zeitlichen Veränderungen der neuronalen Plastizität gesucht.
Die Studie
Bei Schlaganfall-PatientInnen wurden im ersten Jahr nach dem Ereignis regelmäßig elektrophysiologische Untersuchungen durchgeführt, die das Ausmaß einer Neubildung von Synapsen bestimmen lassen. Hierbei zeigte sich, dass in der dem Schlaganfall gegenüberliegenden, also der “gesunden” Hirnhälfte, kurz nach dem Ereignis eine erhöhte und mit der Zeit abnehmende synaptische Plastizität nachzuweisen ist. In der vom Schlaganfall betroffenen Hirnhälfte (Hemisphäre) war ein solcher Vorgang jedoch nicht nachzuweisen.
Das Ergebnis
Tatsächlich ist im menschlichen Gehirn nach einem Schlaganfall das Entstehen von neuen Verknüpfungen zwischen Nervenzellen nachzuweisen und es gibt ein “Zeitfenster”, in welchem dieser Prozess am aktivsten ist.
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Einordnung
Die neuronale Plastizität beschreibt den Vorgang, dass im Gehirn erhaltene Nervenzellen die Funktion verlorener Zellen (zum Beispiel aufgrund eines Schlaganfalls) übernehmen können.
Die Grundlage dieses Phänomens ist die Bildung neuer Nervenverbindungen über auswachsende Fortsätze und Synapsen. Dieser Prozess benötigt Zeit und verläuft primär “chaotisch” in dem Sinne, dass sich sehr viele neue Verknüpfungen bilden, die aber wieder verkümmern, wenn sie nicht aktiviert werden. Idealerweise wird durch wiederholtes Training der gestörten Funktionen (im Rahmen rehabilitativer Therapien) erreicht, dass die “sinnvollen” Verbindungen aktiviert und stabilisiert werden.
Dieses Modell erklärt, warum die wichtigste Zeit für Reha-Maßnahmen in einer Phase kurz nach dem Ereignis zu sehen ist. Und wieso solche Therapien direkt nach dem Schlaganfall möglicherweise noch zu früh kommen und vielleicht sogar nachteilig sein können. Denn es sind noch keine Synapsen gebildet, das Gehirn muss sich noch “erholen”.
Um die Behandlung nach einem Schlaganfall bestmöglich zu planen, wäre es deshalb sehr hilfreich, beim individuellen Patienten bestimmen zu können, an welchem Punkt der Erholung er/sie sich befindet.
Die vorgestellte Studie könnte einen Ansatz liefern, um das Einsetzen und das Ausmaß der neuronalen Plastizität zu messen und dies zur Planung der Therapie im Rahmen der Reha zu nutzen.
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Artikel erstmalig veröffentlicht am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autor
Dr. med. Thomas Staudacher ist Facharzt für Neurologie. Sein Schwerpunkt ist die Notfallbehandlung von Schlaganfällen. 20 Jahre lang leitete er eine Stroke Unit, also eine Spezialstation zur Akutbehandlung und Intensiv-Überwachung von Schlaganfall-Patienten. [mehr]
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Quellen
- Evidence for a Window of Enhanced Plasticity in the Human Motor Cortex Following Ischemic Stroke – Autoren: Brenton Hordacre, PhD, Duncan Austin, PhD, MD, Katlyn E. Brown, PhD, Lynton Graetz, BBehavSc(Psych), Isabel Pareés, PhD, MD, Stefania De Trane, MD, Ann-Maree Vallence, PhD, Simon Koblar, PhD, MD, Timothy Kleinig, PhD, MD, Michelle N. McDonnell, PhD, Richard Greenwood, MD, Michael C. Ridding, PhD, John C. Rothwell, PhD – Publikation: Neurorehabil Neural Repair. 2021 Feb 12 – DOI: 10.1177/1545968321992330