Physiotherapie bei Hemiparese nach einem Schlaganfall ▷ Entwicklungsschritte für ein persönliches Eigenprogramm
Die Halbseitenlähmung (Hemiparese) nach einem Schlaganfall mit vollständiger oder schwerer Lähmung der gesamten Muskulatur ist eine der größten Herausforderungen für die Physiotherapie. Das wichtigste Ziel ist, den Übergang vom Sitzen zum Stehen so weit zu fördern, dass aufrechtes Gehen, wenn auch erschwert, möglich wird.
Im Folgenden finden Sie Anregungen für diesen so wesentlichen Schritt der Rehabilitation, die Sie gemeinsam mit Ihrem Therapeuten erarbeiten können.
Bewegungsübergänge sind in der Neuro-Rehabilitation ein wichtiger Bestandteil: Beispiel vom Sitzen zum Stehen
Vom Sitzen zum Stehen ist der Schlüssel zum Gehen. Es handelt sich dabei um Entwicklungselemente in der Evolution der menschlichen Aufrichtung. Wobei der Bewegungsübergang vom Sitz in den Stand einer der elementarsten ist. Dadurch wird nicht nur das Gehen beeinflusst, sondern auch die Funktionen der oberen Extremitäten profitieren davon.
Diese Übergänge sind im Alltag der neurologischen Rehabilitation ständig erforderlich. Somit findet ein positives Gehirn-Stimulation-Training statt. Die Aufgabe der Therapeuten sollte daher sein, Möglichkeiten zu finden, um die Übergänge angenehm, mühelos und scheinbar übergangslos zu machen. Daraus kann sich ein Bewegungsprogramm für zu Hause entwickeln.
Dieser Onlinekurs erklärt Ihnen in 12 kompakten Modulen alles, was Sie jetzt wissen müssen.
Das „normale“ Bewegungsverhalten eines gesunden Menschen ist die Basis für die therapeutische Vorgehensweise bei Bewegungsübergängen in der neurologischen Rehabilitation von Schlaganfall-Betroffenen. Eine sogenannte „normale“ Bewegung ist bei jedem Menschen individuell verschieden. Das Geschlecht, Körpergröße, Training, Psyche, Kindheit und weitere Faktoren spielen dabei eine Rolle.
Grundsätzlich zeichnet sich aber die Qualität der „normalen“ Bewegung durch Folgendes aus:
Die fehlende Qualität wird nachfolgend sichtbar im Bewegungsübergang vom Sitz zum Stand mit den „typischen“ Kompensationen:
1. Startposition:
2. Bewegungsbeginn:
3. Vorverlagerung:
4. Gesäßabhebung:
5. Standerreichung
6. Standausrichtung
Bei diesen sichtbaren typischen Kompensationsstrategien ist die betroffene linke Schlaganfall-Seite beim Bewegungsübergang so gut wie nicht aktiv.
Die weniger betroffene rechte Seite ist umso mehr und überaktiv beteiligt. Die stärker betroffene linke Seite wird dadurch weniger genutzt und kann infolgedessen sogar geschädigt werden. Das vorhandene Potenzial des Gehirns, Nervenzellen neu zu verschalten und verloren gegangene Funktionen wiederherzustellen (Neuroplastizität), bleibt dabei ungenutzt. Ein fataler Fehler.
Physiotherapeuten analysieren das Aufgaben- und Bewegungsverhalten von Patienten und können damit Aktivitätseinschränkungen und zugrunde liegende Bewegungs-Fehlfunktionen feststellen. Daraus können die Therapeuten Schlüsse ziehen, was die Ursache für die Schädigungen sein kann. Sehr wichtig ist dabei die Unterscheidung von primären und sekundären Problemen, da das nachfolgende Training davon abhängig gemacht wird.
Deshalb lautet die klare Empfehlung von Physiotherapeuten, so weit wie möglich wieder an die “normalen” Bewegungsstrategien heranzukommen. Damit können Schmerzen durch sekundäre Probleme verringert oder sogar vermieden werden, was die Lebensqualität deutlich steigert.
- Wachheit und Aufmerksamkeit
- Gelenkbeweglichkeit, besonders Hüftgelenk
- Sensibilität, Sensorik und Wahrnehmung
- Koordination der einzelnen Bewegungsabläufe
- Orientierung und Sicherheit bei der Vorlage
Bewegungsübergang vom Sitz zum Stand richtig üben – so funktioniert es
Eine “normale” Bewegungsstrategie der Übergänge wie vom Sitzen zum Stehen ist also die optimale Grundvoraussetzung für die weitere Therapie.
Das nachfolgende Beispiel zum Nachmachen zeigt, wie der Bewegungsübergang vom Sitz zum Stand optimal erarbeitet wird. Bei diesem Beispiel wurden die Hilfsmittel Bank, Eiball, Luftballon und ein Handtuch eingesetzt, um Lagerung und Orientierung im Körper zu unterstützen. Diese Hilfsmittel sind optional und können je nach Notwendigkeit auch anders verwendet werden, um den Betroffenen optimal zu unterstützen. Dabei steht die Sicherheit mit Sturzprophylaxe im Vordergrund.
Nach und nach können je nach Lernprozess die einzelnen Hilfsmittel abgebaut werden und ein selbstständiges Aufstehen erreicht werden.
1. Startposition
2. Beugungs-Abschnitt
Der Beugungs-Abschnitt beginnt mit der Hüftbeugung nach vorne und endet kurz bevor das Gesäß abhebt. Dabei bleibt der Oberkörper aufgerichtet. Die Knie orientieren sich dabei an der Bankkante. Die Arme und der Brustkorb rollen auf dem Ball liegend nach vorne, während die Füße und Beine das Körpergewicht empfangen.
3. Transfer-Abschnitt
Der Transfer-Abschnitt beginnt mit der Gesäßabhebung. Dabei gehen die Fußgelenke in die maximale Endstellung. Sobald der Kopf mit dem Innenohr als Gleichgewichtsorgan über den Fußgelenken ist, ist der Körper bereit für die Gewichtsübernahme.
4. Streckungs-Abschnitt
Der Streckungs-Abschnitt beginnt im Anschluss der Fußgelenk-Endstellung und endet mit der Hüftstreckung (Extension). Hier ist ein hohes Maß an Gleichgewicht erforderlich, was durch die Orientierung der Arme auf dem Eiball gefördert wird. Die koordinierte Streck-Aktivität mithilfe der Streckmuskeln in der Hüfte, im Knie und in den Füßen richtet den Körper gegen die Schwerkraft auf. Die Knie lösen sich dabei von der Sitzkante.
5. Stabilisations-Abschnitt
Der Stabilisations-Abschnitt beginnt, wenn die Hüftstreckung beendet ist und alle Bewegungen im Körperlot über dem Schwerpunkt angekommen sind. Der Kopf mit dem Innenohr als Gleichgewichtsorgan sollte dabei über den Sprunggelenken ausgerichtet sein.
Nun ist der Stand unter Einhaltung der vorgenannten Qualitätskriterien für eine „normale“ Bewegung erreicht. Ab dann kann mit der Ausführung von minimalen Bewegungsausschlägen begonnen werden, um die Fähigkeit, mit der Schwerkraft umzugehen, zu trainieren.
Jetzt steht der Erarbeitung des ersten Schrittes für das Gehen nichts mehr im Wege.
Download: Entwicklung eines Eigenprogramms
- Gangtherapie nach dem Schlaganfall
- Spiegeltherapie nach Schlaganfall
- Ergotherapie bei Gesichtsfeldausfällen
- Rehabilitation nach einem Schlaganfall
Dieser Onlinekurs erklärt Ihnen in 12 kompakten Modulen alles, was Sie jetzt wissen müssen.
Artikel aktualisiert am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autor
Helmut Gruhn ist seit mehr als 50 Jahren Physiotherapeut und auf die Therapie zerebraler neurologischer Ausfälle bei Erwachsenen spezialisiert. Als Bobath-Instruktor entwickelte er das Therapiekonzept “Back-to-Life” für Schlaganfall-Betroffene. Er leitet Fortbildungen und Seminare für Therapeuten und Ärzte und ist als Supervisor für neurologische Kliniken tätig. 2004 gründete er das Perzeptionshaus – ein Therapie- und Fortbildungszentrum für neurologische Rehabilitation. [mehr]
Sie erhalten von uns regelmäßig und kostenlos aktuelle Informationen rund um den Schlaganfall.