Erektionsstörungen sagen Schlaganfallrisiko voraus ▷ Warnsignal
Autor: Dr. rer. nat. Marcus Mau – Medizinredakteur & freier Autor
Die erektile Dysfunktion als Warnsignal für Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Eine Erektionsstörung kann ein erster Hinweis auf ein erhöhtes Herz-Kreislauf-Risiko bis hin zum Herzinfarkt oder Schlaganfall sein. Nicht ohne Grund sprechen deshalb Expertinnen und Experten beim Penis auch von der „Antenne des Herzens“. Doch was bedeutet das genau? Und lässt sich beispielsweise das Schlaganfallrisiko tatsächlich anhand von Erektionsstörungen vorhersagen?
Erektionsstörungen sind mehr als nur ein Zeichen des Alters
Männer sehen Erektionsprobleme in der Regel eher als altersbedingtes Schicksal. Tatsächlich ist es so, dass der Anteil der Männer, die unter Erektionsstörungen leiden, mit zunehmendem Alter ansteigt.
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Allerdings muss nicht jeder Mann im Laufe seines Lebens Probleme mit der Potenz bekommen und mittlerweile treten Erektionsstörungen auch immer häufiger in jüngeren Jahren auf. Die Mehrzahl der betroffenen Männer schweigt über dieses Thema und spricht aus falscher Scham nicht einmal mit der behandelnden Hausärztin oder dem Hausarzt darüber.
Prof. Dr. med. Frank Sommer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit e.V. (DGMG) und Urologe aus Hamburg sieht in diesem Verhalten ein eindeutiges Gesundheitsrisiko für die Betroffenen:
„Männer mit Erektionsstörungen sollten eigentlich immer sehr genau untersucht werden. Potenzprobleme können vielschichtige Ursachen haben, dazu gehören u. a. Stress, nervöse Störungen oder auch eine Durchblutungsstörung des Penis. Darüber hinaus sind Erektionsstörungen nicht selten mit weiteren Erkrankungen assoziiert, wie z. B. Diabetes, Arteriosklerose oder erhöhten Blutfettwerten (= Lipidämie, Cholesterinämie).1 Diese können zu Veränderungen an den Blutgefäßen führen, wodurch sich Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko erhöhen. Besonders die sehr feinen Blutgefäße (= Kapillaren) im Penis reagieren darauf schnell und überaus empfindlich – die Durchblutung verschlechtert sich und in der Folge lässt die Erektionskraft des Penis nach.“
Deshalb empfiehlt Prof. Sommer, dass Männer ihre Erektionsprobleme beim Arzt oder bei der Ärztin ihres Vertrauens offen ansprechen sollten. Denn ist deren Ursache nach eingehender Diagnostik erst einmal gefunden, sind die Erektionsstörungen gut behandelbar und schwerwiegende Folgeerkrankungen, wie Herzinfarkt oder Schlaganfall, lassen sich mit meist noch einfachen Mitteln sogar verhindern.
Schätzungen zufolge ist circa jeder zweite Mann im Alter zwischen 40 und 70 Jahren von Erektionsstörungen betroffen.2 Erektionsprobleme können bei einigen dieser Patienten ein erstes Indiz für eine Arteriosklerose und ein Risikoanzeiger für Herzinfarkte und Schlaganfälle sein.
Dieser Zusammenhang zwischen Erektionsstörungen und Gefäßgesundheit wurde mittlerweile durch zahlreiche Studien belegt.3,4
Demnach treten Potenzstörungen insbesondere bei Herzpatienten im Mittel etwa fünf bis sieben Jahre vor einem Herzinfarkt oder Schlaganfall auf und gelten deshalb als früher Indikator für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.5 Das Risiko ist umso größer, je schwerwiegender die gefäßbedingten Erektionsstörungen sind.6
Darüber hinaus scheint es einen vergleichbaren Zusammenhang zwischen Erektionsstörungen und der altersbedingten Makula-Degeneration (AMD) des Auges zu geben.
Eine Makula-Degeneration tritt nicht selten in Kombination mit durchblutungsbedingten Erektionsstörungen auf.7 „Das ist eigentlich auch nicht verwunderlich, da beide Krankheitsbilder doch die gleichen Ursachen haben und ihnen dieselben Risikofaktoren zugrunde liegen, wie z. B. die Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus), der Bluthochdruck, die Arteriosklerose sowie weitere Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Auch bei der AMD haben Erektionsstörungen ein mögliches Vorhersagefenster von rund zwei bis vier Jahren, sodass drohende Schäden an der Makula früher erkannt und behandelt werden können“, so Prof. Sommer.8
Zusammenhang zwischen Erektionsstörungen und Schlaganfällen
Die Verbindung zwischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Erektionsstörungen stellen die Blutgefäße her.
Die Arterien des Penis messen lediglich einen bis zwei Millimeter im Durchmesser.9 Die Herzkranzgefäße, auch als Koronararterien bezeichnet, sind in der Regel rund drei bis vier Millimeter stark.9
Leidet ein Mensch bereits unter fortschreitenden arteriosklerotischen Veränderungen in den Blutgefäßen, so sind insbesondere die kleineren und damit engeren Blutgefäße, wie beispielsweise die Arterien im Penis, die ersten, die von Durchblutungsstörungen oder Verschlüssen betroffen sein werden.10
Normalerweise fließt bei entsprechender Stimulation etwa 40- bis 100-mal mehr Blut durch diese Arterien, was nach außen als Erektion (Gliedsteife) sichtbar wird. Sind die Gefäße im Penis hingegen arteriosklerotisch verändert und dadurch teilweise blockiert, fließt weniger Blut in die Schwellkörper des Penis, sodass die Qualität der Erektion immer weiter abnimmt.
Am Herzen schreitet die Gefäßveränderung mit den Jahren ebenfalls weiter fort und am Ende droht der Verschluss einer Koronorarterie – Es kommt zum so genannten Herzinfarkt.
Selbstverständlich sind solche durch Arteriosklerose bedingte Gefäßveränderungen nicht allein auf Herz und Penis beschränkt – sie treten im gesamten Körper auf und entwickeln sich langsam fort, ebenso im Gehirn.
Kommt es schließlich zu einem Gefäßverschluss, z. B. in einer Hirnarterie, folgt der Schlaganfall. Sehr viel häufiger lösen sich jedoch kleinere Gerinnsel oder Gefäßablagerungen aus größeren Gefäßen und wandern dann mit dem Blutstrom in immer enger werdende Gefäßabschnitte des Gehirns, wo sie schließlich steckenbleiben und auf diese Weise einen Gefäßverschluss auslösen können.
Das dynamische Trio: Übergewicht, Diabetes und Testosteronmangel
Auffällig ist zudem, dass Männer mit Erektionsstörungen häufiger andere Begleiterkrankungen aufweisen. Dazu gehören u. a. metabolische und hormonelle Störungen, die sich in Übergewicht, Zuckerkrankheit (Diabetes) und als Testosteronmangel zeigen können.
Interessanterweise fördern alle drei – gemeinsam und auch einzeln – Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das viszerale Fettgewebe („Bauchfett“) ist insbesondere bei starkem Übergewicht vermehrt und stört dann beispielsweise den Fettsäure- sowie den Hormonhaushalt, was zum einen die Blutfettwerte ansteigen lässt, zum anderen einen Testosteronmangel beim Mann verstärken kann.
Die Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus Typ 2) wirkt zugleich auf mehreren Ebenen:
- Es kommt aufgrund des erhöhten Blutglukosespiegels zu Endothelschäden in den Blutgefäßen – einer der Ausgangspunkte für die Arteriosklerose.
- Nierenschäden können auftreten und begünstigen einen Bluthochdruck, der zu weiteren Gefäßschäden führt.
- Diabetiker leiden oft unter zusätzlichen metabolischen und hormonellen Störungen, sodass auch hier ein Testosteronmangel verstärkt werden kann. So haben Männer mit Diabetes mellitus Typ 2 häufiger gleichzeitig einen Testosteronmangel, weshalb sie sogar früher versterben können als gesunde Männer – rund 40 % der Diabetiker produzieren zu wenig Testosteron.11
Auf der anderen Seite fördert ein Testosteronmangel auch die Entstehung von Diabetes und Gefäßerkrankungen.12
Eine bereits 2013 veröffentlichte Studie zeigte erstmals, dass Männer, die gleichzeitig unter Diabetes und Testosteronmangel leiden, deutlich häufiger an Herz-Kreislauf-Ereignissen versterben, aber auch eine höhere Gesamtsterblichkeit haben als Männer mit normalen Hormonwerten und ohne Diabetes.13
Der Verlust der Erektionsfähigkeit wird bei vielen dieser Männer beobachtet und ist in der Regel der auffälligste Indikator für die zugrundeliegenden Störungen im Stoffwechsel und Hormonhaushalt sowie für beginnende arteriosklerotische Prozesse in den Blutgefäßen.
Aus den vorgenannten Gründen gelten Männer mit Übergewicht, Diabetes, Fettstoffwechselstörungen und Hormonmangel als besonders gefährdet, Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu entwickeln und im weiteren Verlauf einen Herzinfarkt bzw. einen Schlaganfall zu erleiden.
Long-COVID und Erektionsstörungen
In neuerer Zeit ist mit COVID-19 und seinen Langzeitfolgen, auch als Long-COVID bezeichnet, ein weiterer Grund für Erektionsstörungen und ein erhöhtes Herz-Kreislauf-Risiko beim Mann hinzugekommen. Die Symptome des Long-COVID betreffen fast alle Organsysteme des menschlichen Körpers.14
Klinisch reicht das Symptomspektrum dabei von Müdigkeit und kognitiven Einschränkungen bis hin zu sensorischen Störungen, Angst, Depression oder Gefäßerkrankungen.
So können beispielsweise die Atemwege und das Herz-Kreislauf-System betroffen sein, wobei es zu Atemnot (Dyspnoe), Lungenfibrose, Gefäßschäden oder auch zu Herzmuskelentzündungen kommt. In einigen Fällen wurden zudem Stoffwechsel- und Hormonstörungen beschrieben, darunter Diabetes, Schilddrüsenfunktionsstörungen und Testosteronmangel beim Mann.14
Insgesamt betrachtet kann es bei Männern mit Long-COVID zu zahlreichen Komplikationen kommen, welche die Erektionsfähigkeit beeinträchtigen können. Wichtig ist dann, dass die betroffenen Männer eine maßgeschneiderte Behandlung erhalten. Voraussetzung dafür ist u. a. die sorgfältige Untersuchung und Behandlung durch Expertinnen und Experten für Urologie, Andrologie und/oder Sexualmedizin.14
Wie lässt sich das Herz-Kreislauf-Risiko senken?
Die häufigste Ursache, sowohl für Diabetes als auch für Fettstoffwechselstörungen, Gefäßerkrankungen und damit im Zusammenhang stehende Erektionsstörungen, ist ein Bewegungsmangel gepaart mit einer kalorienreichen Ernährung. Beides fördert die Zunahme des Körperfettanteils und steigert schließlich das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Deshalb gehören mehr Bewegung, ausgewogene Kost und eine Gewichtsreduktion zu den ersten Basisempfehlungen, um Übergewicht, Diabetes, Testosteronmangel und somit auch das Risiko für Gefäßschäden sowie Erektionsstörungen zu reduzieren.
Reichen diese Maßnahmen allein nicht aus, kann ärztlich durch geeignete Medikamente oder weitere Behandlungsangebote unterstützt werden.
In jedem Fall aber gilt: Männer sollten Erektionsprobleme und körperliche Veränderungen durch Übergewicht nicht einfach ignorieren oder als Folgen der natürlichen Alterung abtun.
Regelmäßige Vorsorge- und Früherkennungsuntersuchungen in einer medizinischen Praxis helfen dabei, das individuelle Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu verringern, sodass Herzinfarkt und Schlaganfälle vermieden werden können.
5 Tipps für den richtigen Umgang mit Erektionsstörungen
- Nehmen Sie Veränderungen in der Erektionsstärke bewusst wahr und verdrängen Sie diese nicht.
- Lassen Sie Erektionsstörungen stets frühzeitig bei einem Facharzt bzw. bei einer Fachärztin für Urologie/Andrologie abklären.
- Bleiben Sie aktiv, halten Sie möglichst ein Normalgewicht und ernähren Sie sich ausgewogen.
- Verzichten Sie auf das Rauchen, mäßigen Sie den Alkoholkonsum.
- Nehmen Sie regelmäßige ärztliche Vorsorgeuntersuchungen (z. B. Krebsfrüherkennung, CheckUp 35, u.a.) wahr.
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Autor: Markus Mau
Dr. rer. nat. Marcus Mau ist Humanbiologe und promovierter Physiologe. Er arbeitet seit vielen Jahren als Medizinredakteur für verschiedene medizinische Verlage und Fachgesellschaften in Deutschland und Österreich. Sein Interesse gilt dabei insbesondere der Urologie und Andrologie, den kardiovaskulären Erkrankungen sowie der Onkologie. Dr. Mau lebt mit seiner Familie an geschichtsträchtigem Ort in Potsdam.
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Quellen
- Sommer F & Mau M. Gefässchirurgie 2019; 24: 292–294
- Sommer F & Mathers MJ. Urologe A 2007; 46(6): 628–635
- Erectile dysfunction correlates with left ventricular function and precedes cardiovascular events in cardiovascular high-risk patients – Autoren: M. Baumhäkel, M. Böhm – Publikation: Int J Clin Pract
. 2007 Mar;61(3):361-6 – DOI: https://doi.org/10.1111/j.1742-1241.2006.01274.x - Baumhäkel M et al., Medizinische Klinik 2009; 104(4): 309–313
- The temporal relationship between erectile dysfunction and cardiovascular disease – Autoren: L D Hodges, M Kirby, J Solanki, J O’Donnell, D A Brodie – Publikation: Int J Clin Pract. 2007 Dec;61(12):2019-25 – DOI: https://doi.org/10.1111/j.1742-1241.2007.01629.x
- Erectile Dysfunction Severity as a Risk Marker for Cardiovascular Disease Hospitalisation and All-Cause Mortality: A Prospective Cohort Study – Autoren: Emily Banks ,Grace Joshy,Walter P. Abhayaratna,Leonard Kritharides,Peter S. Macdonald,Rosemary J. Korda,John P. Chalmers – Publikation: PLoS Med
. 2013;10(1):e1001372. – DOI: https://doi.org/10.1371/journal.pmed.1001372 - The Relationship between Neovascular Age-Related Macular Degeneration and Erectile Dysfunction – Autoren: Harun Çakmak, Tolga Kocatürk, Sema Oruç Dündar, Mehmet Dündar, Müjdat Karabulut – Publikation: Journal of Ophthalmology Volume 2013 | Article ID 589274 – DOI: https://doi.org/10.1155/2013/589274
- Sommer F., persönliche Mitteilung
- Montorsi P et al., Eur Urol 2006; 50: 721–731
- The Predictive Value of Arteriogenic Erectile Dysfunction for Coronary Artery Disease in Men – Autoren: Sherif Salah Azab, Hossam El Din Hosni, MD, Taha A. El Far, Nashaat Nabil Ismail, MD, Yasser K. El Bakdady, Ahmed F. Mohamed, MD – Publikation: The Journal of Sexual Medicine, Volume 15, Issue 6, June 2018, Pages 880–887 – DOI: https://doi.org/10.1016/j.jsxm.2018.04.639
- Serum testosterone, testosterone replacement therapy and all-cause mortality in men with type 2 diabetes: retrospective consideration of the impact of PDE5 inhibitors and statins – Autoren: G. Hackett, A. H. Heald, A. Sinclair, P. W. Jones, R. C. Strange, S. Ramachandran – Publikation: Int J Clin Pract. 2016 Mar;70(3):244-53 – DOI: https://doi.org/10.1111/ijcp.12779
- Sommer F & Mau M. Männlicher Altershypogonadismus. In: Elsevier Essentials: Männermedizin (Hrsg. Rausch S & Stenzl A). Elsevier-Verlag. ISBN: 978-3-437-23535-1
- Testosterone deficiency is associated with increased risk of mortality and testosterone replacement improves survival in men with type 2 diabetes – Autoren: Vakkat Muraleedharan, Hazel Marsh, Dheeraj Kapoor, Kevin S Channer, T Hugh Jones – Publikation: European Journal of Endocrinology, Volume 169, Issue 6, Dec 2013, Pages 725–733 – DOI: https://doi.org/10.1530/EJE-13-0321
- The Sexual Long COVID (SLC): Erectile Dysfunction as a Biomarker of Systemic Complications for COVID-19 Long Haulers – Autoren: Andrea Sansone MD, PhD, Daniele Mollaioli Psy D, PhD, Erika Limoncin Psy D, PhD, Giacomo Ciocca Psy D, PhD, Nguyễn Hoài Bắc MD, PhD, Thắng Nguyễn Cao MD, Guangdong Hou MD, Jianlin Yuan MD, Michael Zitzmann MD, PhD, Annamaria Giraldi MD, PhD, Emmanuele A. Jannini MD – Publikation: Sexual Medicine Reviews Volume 10, Issue 2, April 2022, Pages 271-285 – DOI: https://doi.org/10.1016/j.sxmr.2021.11.001