Erfahrungsbericht von Antonia, 22 Jahre aus Berlin ▷ Eine junge Schlaganfallbetroffene
Morgendliche Apraxie
Ich war gerade frisch gelernte Gesundheits- und Krankenpflegerin, als ich vom Spätdienst nach Hause ging und mich abends Herzrasen und Zittern überkam. Als ich am nächsten Morgen gegen 6 Uhr aufwachte, war aber alles in Ordnung und ich legte mich wieder schlafen.
Doch plötzlich schreckte ich gegen 11 Uhr auf – ich hatte verschlafen. Beim Versuch mich auf dem Bett aufzusetzen, gab mein rechter Arm nach. Bei einem weiteren Versuch mich aufzustützen, knickte dieser immer wieder weg. Ich schaute ihn an und dachte, dass er nicht zu mir gehört. Als ich es schließlich doch schaffte mich aufzusetzen, bemerkte ich einen Schwindel und ich war mir sicher, dass das alles am niedrigen Blutdruck lag.
Irgendwas stimmt nicht mit mir
Also taumelte ich Richtung Staubsauger, lief dabei gegen den Türrahmen, da ich meine rechte Körperhälfte nicht mehr wahrnahm, und wollte mit der rechten Hand meinen Blutdruck messen. Dass ich gerade etwas total Sinnfreies versuche, war mir nicht bewusst.
Da ich so verschwommen sah und nicht den Blutdruck hätte ablesen können, beschäftigte ich mich nicht weiter mit dem Staubsauger. An diesem Morgen machte ich noch weitere Fehlhandlungen. Irgendwas stimmte nicht mit mir, aber was es war konnte ich nicht zuordnen.
Zur Arbeit mit einem Schlaganfall
Dass ich gerade einen Schlaganfall erlitten habe, war mir bis zu diesem Moment noch nicht bewusst und auch nicht, wie ernst die Lage ist, denn ich fuhr mit meinem eigenem PKW in die Notaufnahme der Klinik, in der ich damals angestellt war. Dass ich dort unfallfrei angekommen bin, ist großes Glück. Ich ging allerdings doch nicht in die Notaufnahme, da ich mir dachte
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„Was soll schon sein? Ich bin 22 Jahre jung. Das ist sicher nur der Stress. Ich halte doch nur die wirklich wichtigen Notfälle auf.“
Und fuhr wieder nach Hause. Dass das völlig unverantwortlich war, ist mir im Nachhinein bewusst geworden – in diesem Moment habe ich es aber nicht realisiert. Auf dem Rückweg war ich mir sicher, dass ich unterzuckert sei und hielt beim nächsten Bäcker an, um mir etwas Süßes zu holen. Das Geld konnte ich nicht zählen.
Reiß Dich zusammen
Am Nachmittag ging ich noch zur Arbeit, denn ich wollte meine Kollegen nicht im Stich lassen. Immer wieder sagte ich mir „Antonia, reiß dich zusammen!“ Mein Arm funktionierte wieder halbwegs. Aber meine Gedanken waren völlig wirr. Ich hörte mich auch anders als sonst. Als wäre meine Stimmlage anders. Schreiben konnte ich immer noch nicht. Bei jedem Anderen hätte ich diese eindeutigen Symptome richtig interpretiert. Ich selbst habe mich nicht ernst genommen.
Am nächsten Morgen habe ich einer befreundeten Kollegin anvertraut, was geschehen war und sie überredete mich, noch mal in eine Klinik zu fahren.
Nach dem CT wollte ich aber immer noch nicht wahrhaben, dass ich einen Schlaganfall gehabt haben soll. Ich war mir sicher, dass die Bilder vertauscht wurden. Das MRT aber zwang mich zur Einsicht. Allerdings war es für eine Lysetherapie zu spät.
Wo bleibt der Austausch?
Es folgten drei Wochen in der Klinik und danach die Rehabilitation. Dort war ich leider die einzige junge Patientin. Damals hätte ich mir schon einen Austausch gewünscht. Die Ursache war bis zu dem Zeitpunkt ein persistierendes Foramen ovale. Das ist ein kleiner Shunt im Septum zwischen den Vorhöfen, in dem ein Thrombus aus den Venen rüber in die Arterien gelangen kann. Dies ist eine häufige Ursache bei jungen Schlaganfallbetroffenen. Nach einer Untersuchung mit dem Herzkatheter stellte sich jedoch heraus, dass es keinen passierbaren Shunt gibt. Ich war in vielen Kliniken, doch die Ursache ist bis heute nicht gefunden worden. Lange plagte mich sehr die Angst. Ich zog in eine WG, um nicht allein zu sein. Nachts schreckte ich oft hoch und machte den FAST Test. Ich habe kaum körperliche Folgen, Außenstehende sehen mir nichts an.
Als ich dieses Jahr im September den Jakobsweg ging, habe ich gelernt, meinem Körper wieder zu vertrauen.
Zurück im Leben
Heute, nach zwei Jahren, arbeite ich auf einer großen Intensivstation in Berlin und bin trotz der späten Klinikaufnahme zurück im Leben angekommen.
Seit meinem Schlaganfall hat sich meine Einstellung zum Leben geändert. Ich nehme die Dinge gelassener. „Lebe jeden Tag als wäre es dein Letzter“ hat für mich nun eine persönliche Bedeutung bekommen.
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