Dysarthrie ▷ Symptome, Ursachen und Behandlung
In diesem Artikel:
- Was ist eine Dysarthrie?
- Ursachen
- Symptome
- Behandlung
- Häufigkeit
- Was können Betroffene und Angehörige tun?
Was ist eine Dysarthrie?
Im Gegensatz zur Sprachstörung, der Aphasie, beschreibt der in der Medizin und Klinischen Neuropsychologie benutzte Krankheitsbegriff Dysarthrie (auch: Dysarthrophonie) eine Sprechstörung. Dabei handelt es sich um eine Störung der Sprechmotorik mit Beeinträchtigung der Koordination und Ausführung von Sprechbewegungen. Eine Dysarthrie kann somit eine wesentliche Behinderung der sprachlichen Kommunikation sein.
Die Ursachen der Dysarthrie
Während eine Sprachstörung (Aphasie) immer durch eine Schädigung des Gehirns verursacht wird, kann für eine Sprechstörung sowohl eine Schädigung (Läsion) in bestimmten Gehirnarealen (Großhirn, Kleinhirn, Hirnstamm), im Bereich von peripheren Nerven bzw. von Hirnnerven oder von Anteilen des Sprechapparats verantwortlich sein, zum Beispiel durch eine Erkrankung der Muskulatur des Mundes.
Die Sprachbildung in den Sprachzentren des Gehirns ist bei einer Dysarthrie nicht gestört. Umgekehrt führt eine Aphasie häufig auch zu einer Sprechstörung.
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Anatomisch gesehen kann eine Dysarthrie also die Folge einer Schädigung motorischer Zentren im Großhirn, zum Beispiel für die Bewegungen der Zunge, oder einer Schädigung von Nervenbahnen zum Hirnstamm mit seinen motorischen Kernen für die Sprechmuskulatur sein.
Auch eine Schädigung des Kleinhirns oder peripherer Nerven zur Sprechmuskulatur kann für eine Dysarthrie verantwortlich sein.
Als Sprechwerkzeuge werden alle Teile des Körpers bezeichnet, die an der Lautproduktion, also am Sprechen, beteiligt sind: die Nase, der Gaumen, die Zunge, die Stimmbänder, die Muskulatur des Mundes, der Kehlkopf, die Lunge und das Zwerchfell.
Bis auf ganz wenige Ausnahmen ist eine Dysarthrie in der Regel nicht angeboren. Sie wird bei folgenden neurologischen Erkrankungen festgestellt (eine Auswahl):
- Nach Schlaganfällen im Bereich des Großhirns, wenn Nervenzellen für die Zungen- und Mundbewegungen geschädigt sind, oder wenn das Kleinhirn oder der Hirnstamm betroffen sind, kommt es zu Koordinationsstörungen des Sprechapparats mit meist sehr verwaschener und damit unverständlicher Sprache.
- Bei Multipler Sklerose, einer Autoimmunerkrankung, tritt häufig eine Sprechstörung auf.
- Beim Morbus Parkinson führt die allgemeine Bewegungsarmut, die Akinese, zum leisen, oft unverständlichen Sprechen.
- Eine Fazialisparese, bei der die Beweglichkeit des Mundes eingeschränkt ist, kann Sprechstörungen verursachen.
- Bei der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS), einer seltenen und sehr schweren neurologischen Erkrankung, kommt es durch den Untergang von Nervenzellen im Hirnstamm zu schweren Sprechstörungen.
- Die Friedreich-Ataxie, eine vererbbare Erkrankung, führt zur Degeneration von Nervenbahnen, welche das Rückenmark mit dem Kleinhirn und Großhirn verbinden und verursacht schwere Sprechstörungen.
- Die Infantile Zerebralparese, eine während der Schwangerschaft, der Geburt oder kurz danach auftretenden Hirnschädigung, führt nicht selten neben der Spastik zu Sprechstörungen
- Schädel-Hirn-Verletzungen, wenn sie das Großhirn, den Hirnstamm oder das Kleinhirn betreffen.
- Die Myasthenia gravis, eine Autoimmunerkrankung der Muskulatur, verursacht Sprechstörungen.
- Tumore des Großhirns, des Hirnstamms oder des Kleinhirns.
Dennoch können, wenn auch wesentlich seltener, angeborene Syndrome, z.B. Trisomie 21 (auch: Down-Syndrom; bis in die frühen 1980er Jahre: Mongolismus) Ursachen für Dysarthrien sein.
Symptome
Die Symptome können in unterschiedlichen Ausprägungen auftreten:
- Leises oder stellenweise viel zu lautes Sprechen, rauer Stimmklang, Stimmabbrüche.
- Undeutlich “vernuscheltes”, verwaschenes, oder abgehacktes und damit schwer verständliches Sprechen bei gestörtem Sprechrhythmus
- Beeinträchtigte und mühevolle Lautgebung.
- Heiseres Sprechen.
- Gehauchter oder gepresster Stimmklang, teilweise Aphonie (stimmlos)
- “Näselnder” Stimmklang.
- Verlangsamtes oder monotones Sprechen.
Behandlung
Die Logopädie ist neben den Sprachstörungen (Aphasien) auch für die Sprechstörungen (Dysarthrien) therapeutisch zuständig. Es geht gezielt um die Verbesserung der Funktion von gestörten Sprechwerkzeugen.
Wenn eine Patientin oder ein Patient mit einer Sprechstörung damit einverstanden ist, kann ein Mitglied der Familie oder aus dem Freundeskreis in die Therapie miteinbezogen werden. Wie bei den Sprachstörungen ist ein verständnisvoller, behutsamer und geduldiger Umgang mit den Betroffenen besonders wichtig.
Die logopädischen Therapiebereiche bei der Behandlung einer Dysarthrie sind die Atmung, die Stimmbildung (Phonation) und die Aussprache. Hierdurch können Sprechstörungen soweit gebessert oder beseitigt werden, dass eine ausreichende sprachliche Kommunikation erreicht wird.
Häufigkeit
Bei einer Dysarthrie richtet sich die Häufigkeit nach der Ursache:
- Nach einem Schlaganfall liegt das Auftreten einer Dysarthrie zwischen 15 und 30 Prozent.
- Bei Schädel-Hirn-Verletzungen liegt der Anteil in der Akutphase bei 30-50 Prozent.
- Bei Morbus Parkinson zeigen 75-90 Prozent der betroffenen Personen eine Dysarthrie.
- Bei Multipler Sklerose liegt der Anteil bei 40-50 Prozent.
- Bei Amyotropher Lateralsklerose (ALS) bei bis zu 100 Prozent.
Was können Betroffene und Angehörige tun?
Therapeutensuche
Über den Deutschen Bundesverband der akademischen Sprachtherapeuten (dbs) ist es möglich, einen Spezialisten für die Dysarthrietherapie zu finden. Auf der Internetseite des dbs (www.dbs-ev.de) findet man dazu ein Therapeutenverzeichnis mit wohnortnahen Adressen qualifizierter Sprachtherapeutinnen und -therapeuten.
Selbsthilfeverbände
Neben den Informationen durch den/die behandelnde/n Logopäden/Logopädin eignen sich besonders die Selbsthilfeverbände der jeweiligen Grunderkrankung, wie z. B. die Deutsche Parkinson Vereinigung e.V. (www.parkinson-vereinigung.de).
Ratschläge für Angehörige
Betroffene bedürfen gerade durch Angehörige und Freunde der Unterstützung und des Verständnisses bzgl. ihrer Dysarthrie, da sie durch ihr ungewohntes, unnatürliches Sprechen auffallen.
Sie sind hinsichtlich ihrer kognitiven Fähigkeiten in aller Regel nicht beeinträchtigt und weder depressiv noch aggressiv.
Auch wenn der gewohnte Wortwechsel in Gesprächen nicht mehr oder nur noch schwer möglich ist, sollten die Gesprächspartner weder irritiert, verunsichert noch ablehnend reagieren.
Gerade weil den Betroffenen Kontakte zu Fremden und die Beteiligung am sozialen Leben besonders schwerfallen, sollten sie durch Angehörige und Freunde begleitet, unterstützt und in allen Lebensbereichen vollwertig integriert werden.
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Artikel erstmalig veröffentlicht am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autor
unter Mitarbeit von Prof. Dr. med. Hans Joachim von Büdingen
Dr. med. Mark Dankhoff ist Facharzt für Allgemeinmedizin, Ernährungsmedizin, Diabetologische Grundversorgung, Hypertensiologie DHL, Adiposiologie DAG/AGA/DDG, Adipositas-Trainer AGA, Medizinischer Berater. Sein Schwerpunkt ist die Prävention und Therapie von kardiovaskulären Risikofaktoren und Erkrankungen. Seit 2021 ist er als Medical Advisor freiberuflich tätig. Dr. med. Mark Dankhoff ist Gründungsmitglied des „Im Puls. Think Tank Herz-Kreislauf e.V.“. [mehr]
Quellen
- Ackermann H. et al. (2018). Neurogene Sprechstörungen (Dysarthrien), S1-Leitlinie; In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am 13.09.2022)
- Geiger, A. & Mefferd, A. (2007). Dysarthrie. Ein Ratgeber für Betroffene und Angehörige. Idstein: Schulz-Kirchner Verlag.
- Grohnfeldt, M. (2007). Lexikon der Sprachtherapie. Stuttgart: Kohlhammer.
- Ziegler, W. & Vogel, M. (2010). Dysarthrie verstehen – untersuchen – behandeln. Stuttgart: Thieme.
- Deutscher Bundesverband für Logopädie. Dysarthrien. Abgerufen am 09.08.2021.