Hirnstamminfarkt ▷ Symptome, Ursachen, Behandlung
In diesem Artikel:
- Was ist der Hirnstamm?
- Was ist ein Hirnstamminfarkt?
- Ursachen und Risikofaktoren
- Symptome
- Diagnose
- Behandlung
- Häufigkeit und Prognose
Was ist der Hirnstamm?
Der Hirnstamm (Truncus cerebri) ist der untere Teil des Gehirns, welcher aus mehreren Strukturen besteht. Zu diesen gehören das Mittelhirn, der Pons (auch Brücke genannt) und die Medulla oblongata (das ins Schädelinnere verlängerte Rückenmark).
Das verlängerte Mark ist der Bereich, welcher am weitesten “unten” im Gehirn liegt. Wenn man sich das vorstellen möchte, liegt die Medulla oblongata also hinten unten im Schädel. Eine Ebene oberhalb liegt der Pons, ungefähr in dem Bereich, wenn man die Nasenspitze in Richtung Hinterkopf verlängert.
Das Mittelhirn als letzter Abschnitt des Hirnstamms befindet sich noch weiter oberhalb und würde ungefähr auf der Verbindung von den Augen Richtung Hinterkopf liegen.
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Der Hirnstamm ist für mehrere wichtige Funktionen des menschlichen Körpers verantwortlich. In ihm liegen Nervenzell-Kerngebiete für die sogenannten Hirnnerven, welche zum Beispiel die Beweglichkeit der Augen (Okulomotorik) und der Gesichts- oder Zungenmuskulatur steuern.
Besonders wichtige Funktionen des Hirnstamms sind die Kontrolle der Atmung, des Herzrhythmus, des Blutdrucks, des Bewusstseins und des Schlaf-Wachzyklus. Alle Nervenbahnen, welche das Gehirn und den Körper verbinden und umgekehrt, ziehen eng gebündelt durch den Hirnstamm.
Wenn der Körper lebenswichtige Funktionen nach einer Schädigung des Hirnstamms nicht mehr selbst übernehmen kann, wird dies lebensbedrohlich.1
Wie wird der Hirnstamm mit Blut versorgt?
Die Strukturen des Hirnstamms werden über die sogenannten „hinteren Hirnarterien“, die Vertebralarterien (Wirbelarterien) versorgt, welche sich an der Schädelbasis zur Basilararterie vereinigen. Gefäßäste der Arteria basilaris ziehen dann zu einzelnen Bereichen des Hirnstamms und des Kleinhirns.
Was ist ein Hirnstamminfarkt?
Der Hirnstamminfarkt ist ein Schlaganfall bzw. Hirninfarkt durch Blutmangel (Ischämie) im Bereich des Hirnstamms. Seltener kommt es zu einer Blutung im Hirnstamm.
Bei einem Infarkt im Bereich des Mittelhirns und des Pons sind häufig die Basilararterie und deren Äste verengt oder verschlossen. Man spricht dann von einer Basilaristhrombose.
Für den Bereich der Medulla oblongata sind vor allem Verschlüsse der Vertebralarterien von Bedeutung. Bei einem Gefäßeinriss einer Vertebralarterie, einer sogenannten Vertebralisdissektion, können auch Gefäße betroffen sein, welche das Kleinhirn mit Blut versorgen. Dann können sowohl Ausfallsymptome des Hirnstamms als auch des Kleinhirns auftreten.
Ursachen und Risikofaktoren für einen Hirnstamminfarkt
Als Ursache eines Hirnstamminfarkts kommen in erster Linie arteriosklerotische Gefäßwandveränderungen infrage, welche zu Einengungen (Stenosen) und Verschlüssen von hirnversorgenden Arterien führen, die dann für den Blutmangel und den Infarkt verantwortlich sind. Aber auch Blutgerinnsel aus dem Herzen bei Vorhofflimmern oder aus hirnzuführenden Arterien im Halsbereich können einen Hirnstamminfarkt verursachen.
Hauptrisikofaktoren sind, wie bei allen Hirninfarkten:
- Bluthochdruck (arterielle Hypertonie)
- Diabetes mellitus
- hohes Cholesterin
- Rauchen
- Bewegungsmangel
- Fehlernährung
- Übergewicht
Typische Symptome
Die neurologischen Symptome durch einen Hirnstamminfarkt können stark variieren und sind von der Lokalisation und Ausdehnung der Durchblutungsstörung abhängig.
Häufige Symptome sind:
- Schwindel
- Gleichgewichtsstörungen
- Augenbewegungsstörungen
- Pupillenstörungen
- Schluckstörungen
- Atemstörungen
- Doppelbilder
- Sprechstörungen
- Halbseitenlähmung
- Halbseitige Gefühlsstörung
Wallenberg-Syndrom
Durch den Verschluss einer Vertebralarterie oder einer das Kleinhirn versorgenden Arterie (PICA) kann es zu einem Infarkt der Medulla oblongata mit einem typischen Syndrom neurologischer Störungen kommen, dem sogenannten Wallenberg-Syndrom.
Die Symptome dieses Syndroms sind auf der Seite der Durchblutungsstörung:
- Engstellung der Pupille und Herabhängen des Oberlides
- Schluckstörungen
- Heiserkeit
- Sprechstörungen
- Gefühlsminderung im Gesicht
- Hörminderung
- Drehschwindel
- Hemiataxie
und auf der Gegenseite findet sich eine sogenannte dissoziierte Sensibilitätsstörung.
Charakteristisch für diese Empfindungsstörung ist die Beeinträchtigung der Schmerz- und Temperaturempfindung bei erhaltener Berührungsempfindung und Tiefensensibilität.
Locked-in-Syndrom
Das Locked-in-Syndrom (LiS) ist die sehr seltene Folge einer schweren Schädigung bzw. Funktionsstörung des Hirnstamms, verursacht durch einen Schlaganfall, eine Schädel-Hirnverletzung, einen Tumor oder andere neurologische Erkrankungen.
Die Betroffenen sind sinnbildlich bei vollem Bewusstsein in ihrem Körper „eingesperrt“ (engl. locked in). Sie können sich weder bewegen noch sprechen oder schlucken, meist aber selbständig atmen.
Nur wenige Muskeln, welche die Augenbewegungen kontrollieren, sind von der Lähmung nicht betroffen. Hierüber ist die Kommunikation mit der Umwelt möglich.
Die kognitiven Fähigkeiten, das Sehen und Hören sind meistens nicht beeinträchtigt.
Basilaristhrombose
Ein lebensbedrohlicher Notfall ist die Basilaristhrombose.3,4 Durch den Verschluss der Arteria basilaris durch ein Blutgerinnsel oder eine lokale Gefäßveränderung kann es zur Mangeldurchblutung beider Seiten des Hirnstamms kommen, mit schwersten Folgen: Einschränkung des Bewusstseins, schwere Schluckstörungen und Lähmung aller vier Extremitäten.
Diagnose eines Hirnstamminfarkts
Wie bei allen anderen Schlaganfallformen sollte bei geringstem Verdacht der Notruf 112 gewählt werden. Der Verdacht auf einen Schlaganfall kann durch den FAST-Test verstärkt werden. Wichtig ist jedoch immer, schnellstmöglich in professionelle Behandlung zu gelangen.
Die Behandlung erfolgt raschestmöglich durch Neurologen auf einer sogenannten Stroke Unit, welche auf die Behandlung und Komplikationen von Schlaganfällen spezialisiert ist.
Zunächst wird eine neurologische Untersuchung durchgeführt. Dabei werden zum Beispiel das Bewusstsein, die Pupillenreaktion, die Kraft der Muskulatur, die Reflexe und der geistige Zustand überprüft.
Dann folgt die Bildgebung des Gehirns. In den meisten Fällen wird zum Ausschluss einer Hirnblutung zuerst eine Computertomographie (CT) des Schädels mit Darstellung der Blutgefäße des Gehirns (Angio-CT) durchgeführt. Das CT ist weit verbreitet verfügbar und auch die Durchführung dauert nur wenige Minuten.
Meistens wird auch eine Magnetresonanztomographie (MRT) durchgeführt, mit welcher Infarktbereiche deutlich besser dargestellt werden können.
Behandlung
Neben der Stabilisierung der Herz- und Kreislauffunktionen wird schnellstmöglich die Entscheidung getroffen, ob eine Thrombolyse zum Auflösen eines Blutgerinnsels und/oder eine Thrombektomie zur mechanischen Entfernung eines Blutgerinnsels angezeigt ist.2
Wenn möglich, sollte die weitere Überwachung und Therapie auf einer Stroke Unit durchgeführt werden. Hier werden in Zusammenarbeit von Neurologen, Kardiologen und Intensivmedizinern die wichtigsten Körperfunktionen überwacht.
Häufigkeit und Prognose5,6
Hirnstamminfarkte machen etwa 9 Prozent aller Schlaganfälle aus, die durch Blutmangel (Ischämie) verursacht werden.
Betroffene nach einem Hirnstamminfarkt weisen eine Sterblichkeit nach 3 Monaten von 10 Prozent auf, was bedeutet, dass 90 Prozent den Hirnstamminfarkt in der Akutphase überleben.
Als Folge sind mehr als die Hälfte aller Betroffenen wieder von fremder Hilfe unabhängig und können ihr Leben selbstständig weiterführen.
Solange das Bewusstsein durch den Hirnstamminfarkt nicht eingeschränkt ist, ist die Sterblichkeit gering (6 %).
Wenn allerdings das Bewusstsein beeinträchtigt ist, liegt die Sterblichkeit deutlich höher. So
sterben 82 Prozent aller Patienten, die durch den Hirnstamminfarkt ins Koma gefallen sind.
Eine Basilaristhrombose (Verschluss der Arteria basilaris) kommt in 1 Prozent aller ischämischen Schlaganfälle vor. Bei einer Basilaristhrombose mit einem ausgedehnten Infarkt im Bereich des Hirnstammes war die Prognose schlecht und die Sterblichkeit hoch.
Allerdings zeigen neueste Studien aus China7,8, dass durch die mechanische Thrombektomie die Sterblichkeit deutlich gesenkt werden konnte und auch die Schlaganfall-Folgen weniger schwerwiegend waren.
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Artikel erstmalig veröffentlicht am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autoren
unter Mitarbeit von stud. med. Nina Siegmar
Prof. Dr. med. Hans Joachim von Büdingen ist niedergelassener Facharzt für Neurologie und Psychiatrie am Neurozentrum Ravensburg. Als Chefarzt leitete er die Abteilung für Neurologie und Klinische Neurophysiologie am Krankenhaus St. Elisabeth in Ravensburg. Zu den Schwerpunkten seiner Arbeit gehört die Diagnostik und Behandlung von Schlaganfällen. [mehr]Sie erhalten von uns regelmäßig und kostenlos aktuelle Informationen rund um den Schlaganfall.
Quellen
- Complications Following Acute Ischemic Stroke – Autoren: Weimar, Christian, Michael P. Roth, Gesine Zillessen, Jörg Glahn, Martin L. J. Wimmer, Otto Busse et al. – Publikation: European Neurology, 48.3 (2002), 133–40 – DOI: 10.1159/000065512
- Thrombectomy for Stroke at 6 to 16 Hours with Selection by Perfusion Imaging – Autoren: Albers, Gregory W., Michael P. Marks, Stephanie Kemp, Soren Christensen, Jenny P. Tsai, Santiago Ortega-Gutierrez et al. – Publikation: The New England Journal of Medicine, 378.8 (2018), 708–18 – DOI: 10.1056/NEJMoa1713973
- Basilar Artery Occlusion – Autoren: Mattle, Heinrich P., Marcel Arnold, Perttu J. Lindsberg, Wouter J. Schonewille, Gerhard Schroth – Publikationen: The Lancet Neurology, 10.11 (2011), 1002–14 – DOI: 10.1016/S1474-4422(11)70229-0
- Thrombectomy 6 to 24 Hours after Stroke with a Mismatch between Deficit and Infarct – Autoren: Nogueira, Raul G., Ashutosh P. Jadhav, Diogo C. Haussen, Alain Bonafe, Ronald F. Budzik, Parita Bhuva et al. – Publikation: The New England Journal of Medicine, 378.1 (2018), 11–21 – DOI: 10.1056/NEJMoa1706442
- Klinische Präsentation und Prognose von Hirnstamminfarkten. Eine Auswertung der Schlaganfall-Datenbank der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe – Autoren: Weimar, C., C. Kley, K. Kraywinkel, A. Schacker, M. Riepe, M. L. J. Wimmer et al. – Publikation: Der Nervenarzt, 73.2 (2002), 166–73 – DOI: 10.1007/s00115-001-1245-4
- Ischemic Stroke Due to Acute Basilar Artery Occlusion: Proportion and Outcomes – Autoren: Israeli-korn, Simon D., Yvonne Schwammenthal, Tali Yonash-Kimchi, Mati Bakon, Rakefet Tsabari, David Orion et al. – Publikationen: The Israel Medical Association Journal: IMAJ, 12.11 (2010), 671–75
- Trial of Thrombectomy 6 to 24 hours after stroke due to basilar-artery occlusion – Autoren: Jovin TG, Li C, Wu L et al. – Publikation: N Engl J Med 2022; 387: 1373-84
- Trial of endovascular treatment of acute basilar-artery occlusion. – Autoren: Tao C, Nogueira RG, Zhu Y et al. – Publikation: N Engl J Med 2022; 387: 1361-72