Das Setzen von Zielen verbessert die Gehirnleistung ▷ Studie
So leiden nach einem Schlaganfall 20 – 50 Prozent der Patienten unter einer Beeinträchtigung der Hirnleistungsfähigkeit. Am häufigsten betroffen sind sogenannte exekutive Funktionen des Gehirns (Steuerungs- und Leistungsfunktionen). Diese Störungen werden als exekutive Dysfunktion bezeichnet.
Untersucht und beurteilt werden Störungen der Exekutivfunktionen des Gehirns von der Neuropsychologie.
Was sind exekutive Funktionen?
Zu den exekutiven Funktionen zählen die Fähigkeiten des Menschen, über die eigenen Denkprozesse zu reflektieren und Entscheidungen zu hinterfragen.
Sie sind Regulations- und Kontrollmechanismen, die ein zielorientiertes und situationsangepasstes Verhalten erlauben. Beispiele sind Entscheidungsprozesse, das Planen von Handlungen, auch die Konzentrationsfähigkeit, das Erinnern an Anweisungen, also das Kurzzeitgedächtnis und die Kontrolle der eigenen Gefühle.
Dieser Onlinekurs erklärt Ihnen in 12 kompakten Modulen alles, was Sie jetzt wissen müssen.
Welche Hirnregion ist beim Schlaganfall betroffen?
Eine Mangeldurchblutung bzw. ein Hirninfarkt oder eine Hirnblutung vor allem im Stirnbereich des Gehirns (Frontalhirn), aber auch in tieferen Hirnregionen und Netzwerken kann eine exekutive Dysfunktion verursachen.
Ablauf der Studie
Die ForscherInnen gingen von der Annahme (Hypothese) aus, dass das Setzen von spezifischen Zielen die Gehirnleistung verbessert. Sie gehen auch davon aus, dass eine erhöhte Motivation und Konzentration auf die Ziele die Gehirnleistung verbessert.
Bisher werden die angestrebten Ziele in der Rehabilitation häufig nicht genau definiert oder gemessen. In dieser Studie wurde untersucht, ob diese Hypothese in der Praxis Bestand hat.
An der Studie nahmen Schlaganfall-Betroffene im Alter von 35 – 90 Jahren teil, die weder an einer schweren Aphasie noch einer Demenz litten. Insgesamt erfüllten 72 PatientInnen diese Voraussetzungen.
Zunächst untersuchten die ForscherInnen die kognitiven Fähigkeiten aller PatientInnen. Anschließend füllten die Betroffenen Fragebögen zu ihrer derzeitigen Motivation, ihren Erschöpfungssymptomen und Ängsten aus.
Für die Studie wurden zwei Gruppen gebildet. In der Zielsetzungs-Gruppe sollten sich die PatientInnen ein spezifisches Ziel setzen, welches zu 20 Prozent über ihrer bisherigen Leistung lag.
Beispielsweise das Ziel, sich an zwei zusätzliche Wörter zu erinnern, wenn die Versuchsperson bis dahin in der Lage war, sich mehr als zehn Wörter zu merken.
Die Kontroll-Gruppe absolvierte dieselben Aufgaben, also beispielsweise das Merken der Wörter, aber ohne konkretes Ziel.
Zudem erledigten die Betroffenen zwei Übungen bezüglich der Sprachkompetenz. Dazu gehörte beispielsweise ein Wörter-Assoziationstest (also das Einfallen von Wörtern mit bestimmten Anfangsbuchstaben) und ein Wörter-Kategorietext (also das Einfallen von Wörtern, die zu einer Kategorie passen).
Aus den Ergebnissen in diesen Tests schlossen die ForscherInnen auf das Maß der Einschränkung in den exekutiven Funktionen. Denn um solch eine Aufgabe zu lösen, sind eine uneingeschränkte Aufmerksamkeit auf diese Aufgabe und ein gut funktionierendes Arbeitsgedächtnis notwendig.
Im Anschluss schätzen alle Versuchspersonen ihre derzeitige Motivation, ihre Erschöpfungszustände und ihre Ängste erneut ein.
Ergebnisse
Die Personen in der Zielsetzungs-Gruppe schnitten bei dem Wörter-Assoziationstest und dem Wörter-Kategorietext signifikant besser ab als die Personen in der Kontroll-Gruppe.
Damit hatten sie nach dem Training auch größere Erfolge hinsichtlich der Sprachgewandtheit. Darüber hinaus wiesen sie größere Fortschritte im Arbeitsgedächtnis auf. Mit einem verbesserten Arbeitsgedächtnis lassen sich komplexere Aufgaben schneller lösen, da verschiedene Informationen gleichzeitig verarbeitet werden können. Außerdem konnten sich die Personen nach dem Training mehr Wörter merken.
Interpretation
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die kognitiven Einschränkungen nach einem Schlaganfall nicht nur Folge von neuronalen Schädigungen sind, sondern auch eine verminderte Motivation mitverantwortlich ist.
Positiv ist, dass die Zielsetzung die Motivation ankurbeln kann.
Kognitive Ziele lassen sich nicht nur in der Therapie, sondern auch im Alltag definieren. Spezifische, herausfordernde, aber gleichzeitig realistische und messbare Ziele im Alltag könnten auch dort die Motivation und Leistungsbereitschaft verbessern, um kognitive und körperliche Herausforderungen leichter zu bewältigen.
Das könnte sich als hilfreich erweisen, um andere exekutive Funktionen des Gehirns, wie das Steuern von Gefühlen, Gedanken und Handlungen zu verbessern.
Zusätzlich verbessert die Zielsetzung das Selbstwirksamkeitsgefühl und die allgemeine Leistungsfähigkeit. Daneben ließe sich die Zielsetzung auch als ergänzendes Instrument in der medikamentösen Behandlung von Apathie, in einer Problemlösungstherapie oder anderen Therapien einsetzen.
Die Studie zeigt, wie entscheidend es ist, die PatientInnen dazu zu ermutigen und ihnen zu vermitteln, sich herausfordernde, aber realistische Ziele zu setzen.
Darüber hinaus gilt es zu beachten, dass schlechte Ergebnisse bei neuropsychologischen Tests nicht immer die tatsächlichen kognitiven Fähigkeiten von PatientInnen widerspiegeln. Fehlende Motivation und reduziertes Bemühen können die Testergebnisse beeinflussen.
Am meisten stärkte die Zielsetzung exekutive Funktionen. Drei miteinander vernetzte neuronale Schaltkreise an der Stirnseite des Gehirns steuern hauptsächlich diese exekutiven Funktionen. Daneben werden diese auch von den sogenannten Basalganglien und dem Thalamus beeinflusst.
Durch einen ähnlichen Schaltkreis kommen eine verringerte Motivation und Apathie zustande. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Zielsetzung die exekutiven Funktionen, die Aufmerksamkeit und das Arbeitsgedächtnis beeinflussen können.
Kognitive Einschränkungen oder eine exekutive Dysfunktion sind keine unbehandelbaren Folgen nach einem Schlaganfall. Das Bemühen und der Zeitaufwand für die Therapie können sich somit lohnen, um sich die Lebensqualität durch Zielsetzung Stück für Stück zurückzuholen.
Sie haben eine Frage zur Rehabilitation nach einem Schlaganfall? Tauschen Sie sich mit anderen Betroffenen und Angehörigen in unserem Forum aus.
- Wie häufig ereignen sich erneute Schlaganfälle?
- Neue wissenschaftliche Erkenntnisse über den Schutz vor einem Schlaganfall-Rezidiv
- Wie Lebensereignisse und soziale Isolation das Schlaganfallrisiko beeinflussen
- Verbesserung der Hirnleistungsfähigkeit durch Mittagsschlaf
Dieser Onlinekurs erklärt Ihnen in 12 kompakten Modulen alles, was Sie jetzt wissen müssen.
Diesen Artikel teilen oder drucken
Artikel erstmalig veröffentlicht am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autorin
Marieke Theil, M.Sc. hält einen Master of Science in Molecular Nutrition und hat sich in Gesundheitspsychologie weitergebildet. Im Rahmen ihrer Masterarbeit hat sie sich mit dem Einfluss verschiedener Ernährungsformen auf das kardiovaskuläre Risiko befasst. Damit verfügt sie über ein fundiertes Verständnis der Entstehung kardiovaskulärer Erkrankungen. [mehr]
Sie erhalten von uns regelmäßig und kostenlos aktuelle Informationen rund um den Schlaganfall.
Quellen
- Goal Setting Improves Cognitive Performance in a Randomized Trial of Chronic Stroke Survivors – Autoren: Keera N. Fishman, Andrea R. Ashbaugh, Richard H. Swartz – Publikation: Stroke. 2021;52:458–470 – DOI: 10.1161/STROKEAHA.120.032131