Verschreibung von Heilmitteln ▷ Ansprüche auf Therapie nach einem Schlaganfall
In diesem Artikel:
- Ansprüche auf Therapie nach einem Schlaganfall
- Das Budget der Ärzte
- Sonderfall beim Schlaganfall: besonderer Verordnungsbedarf
- Beantragung einer Sondergenehmigung
- Was Sie selbst tun können
Das Wichtigste in Kürze:
- Heilmittel sind therapeutische Maßnahmen, um die Heilung einer Erkrankung zu bewirken
- Eine Heilmittel-Richtlinie regelt, unter welchen Voraussetzungen Krankenversicherte die Maßnahmen von einem Arzt verschrieben bekommen
- Ärzte können im Normalfall nur begrenzt Therapien verschreiben, da sie an ihr Budget gebunden sind
- Nach einem Schlaganfall kann ein Patient ein Jahr lang unabhängig vom Budget des Arztes Therapien verschrieben bekommen
- Liegt nach einem Jahr immer noch eine schwerwiegende Beeinträchtigung vor, kann unter bestimmten Umständen auch länger außerhalb des Budgets therapiert werden
Ansprüche auf Therapie nach einem Schlaganfall
Oft sind Patienten nach einem Schlaganfall körperlich oder kognitiv beeinträchtigt. Durch viel Übung und Ausdauer können diese Beeinträchtigungen jedoch sehr oft beseitigt oder gut kompensiert werden. Unentbehrlich für diese Fortschritte ist jedoch, dass Patienten professionelle therapeutische Unterstützung erhalten. Zu den gängigen Therapien nach einem Schlaganfall zählen Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie.
Dabei gibt es einige Vorgaben, die der behandelnde Arzt beachten muss, um dem Patienten die bestmögliche Therapie zu ermöglichen, ohne sich der Gefahr eines Regresses auszusetzen.
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Das Budget der Ärzte
Niedergelassene Ärzte können nicht unbegrenzt Medikamente und Therapien verschreiben. Ihnen wird ein Budget vorgegeben, um zu verhindern, dass sie Patienten Therapien und Medikamente verschreiben, die Patienten womöglich gar nicht benötigen oder deren Wirksamkeit nicht eindeutig belegt ist. Dadurch soll eine Überlastung der Krankenkassen und der Beitragszahler verhindert werden. Dieses Budget wird von den Kassenärztlichen Vereinigungen vorgegeben.
Dabei bekommt der Arzt ein gewisses Budget pro Patient. Dieses Budget ist von zwei Faktoren abhängig:
- Alter der Patienten
- Fachrichtung des Arztes
Das ergibt Sinn, schließlich müssen ältere Menschen im Schnitt intensiver behandelt werden als junge und die Behandlung eines Krebspatienten ist um ein Vielfaches teurer, als die eines Menschen mit Sehschwäche.
Dieses Budget ist auch nicht bundesweit für alle Ärzte gleich, sondern wird von der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung ausgehandelt.
Die Risiken der Ärzte
Das Budget-System hat einen Nachteil: Wenn der behandelnde Arzt zu viel verordnet und somit sein Budget überschreitet, wird geprüft, ob er hierfür in Regress genommen werden kann. Das bedeutet, dass er die entstandenen Mehrkosten aus eigener Tasche bezahlen muss. Das stellt ein finanzielles Risiko dar.
Diese Gefahr hat jeder niedergelassene Arzt im Hinterkopf, und manche werden aus Angst vor dem Regress übervorsichtig. Um sich zu schützen, verschreiben sie lieber zu wenig als zu viel. Dieser Umstand kann für Patienten nachteilig sein und den Therapieerfolg negativ beeinflussen.
Ein Sonderfall beim Schlaganfall – Der besondere Verordnungsbedarf
Es gibt Erkrankungen, die einen erhöhten Therapiebedarf nach sich ziehen. Dazu gehören schwere chronische Erkrankungen, welche eine langfristige Behandlung erforderlich machen, wie z.B. die Folgen eines Schlaganfalls.
Krankheiten, welche unter diesen “besonderen Verordnungsbedarf” oder auch den “langfristigen Heilmittelbedarf” fallen, belasten nicht das Budget der Ärzte. Das bedeutet, dass Ärzte beim Verschreiben von Heilmitteln mehr Spielraum haben und den Patienten seinem Bedarf entsprechend behandeln können.
Welche Krankheiten das sind, wird vom Gemeinsamen Bundesausschuss festgelegt und regelmäßig aktualisiert.
Während die Verordnungen bei einem “langfristigen Heilmittelbedarf” zeitlich unbegrenzt sind, ist der “besondere Verordnungsbedarf” teilweise zeitlich begrenzt. Bei einem Schlaganfall beläuft sich der besondere Verordnungsbedarf auf ein Jahr. Das bedeutet:
Bis zu einem Jahr nach dem Schlaganfall kann der Patient, unabhängig von der Schwere seiner Beeinträchtigung, intensiv mit Physio-, Ergo- und Sprachtherapie versorgt werden.
Nach diesem Jahr muss der Arzt die verschriebenen Heilmittel grundsätzlich wieder über sein eigenes Budget abrechnen. Es gibt aber auch hier Ausnahmen. Beispielsweise, wenn eine Hemiparese oder eine Hemiplegie, also eine unvollständige oder vollständige Muskellähmung einer Körperseite vorliegt. Auch die vaskuläre Demenz, Gangstörungen und Schwindel können ab dem 70. Lebensjahr unabhängig vom Budget therapiert werden.
Beantragung einer Sondergenehmigung
Sollte aus Sicht des Arztes weiterhin ein besonderer Behandlungsbedarf beim Patienten vorliegen, obwohl der Patient an keiner Krankheit leidet, die einen “besonderen Verordnungsbedarf” oder einen “langfristigen Heilmitttelbedarf” nach sich zieht, kann eine Sondergenehmigung beantragt werden.
Zunächst muss der behandelnde Arzt dafür eine Verordnung über das Heilmittel (z.B. Physiotherapie) ausstellen. Dabei muss er begründen, weshalb die Erkrankung des Patienten einen vergleichbaren Behandlungsbedarf, wie die Erkrankungen auf der Liste, hat.
Nun ist es die Aufgabe des Patienten, einen formlosen Antrag zu stellen und diesen mit einer Kopie der begründeten Verordnung unverzüglich bei der Krankenkasse einzureichen.
Während das Genehmigungsverfahren läuft, kann der Patient die Original-Verordnung beim Therapeuten einreichen und therapiert werden, bis der Bescheid kommt. Selbst wenn der Antrag abgelehnt wird, wird die Therapie, die der Patient während des Genehmigungsverfahrens bekommen hat, von der Krankenkasse übernommen.
Außerdem kann es sich lohnen, Einspruch gegen die Ablehnung einzulegen. In vielen Fällen wird dem Antrag erst im zweiten Anlauf stattgegeben.
Was Sie selbst tun können
Es gibt zwei Dinge, die Sie als Betroffener selbst tun können, um die notwendige Behandlung zu erhalten:
Suchen Sie einen Neurologen auf: Der Neurologe ist auf Krankheiten des Nervensystems – einschließlich des Gehirns – spezialisiert. Mit einem Schlaganfall sind Sie bei ihm also ohnehin richtig aufgehoben, denn er kann am besten abschätzen, welche Therapien sie wirklich benötigen. Bestimmt kann Ihnen Ihr Hausarzt einen guten Neurologen empfehlen.
Sprechen Sie Ihren Arzt auf die Sonderregelungen nach einem Schlaganfall an: Trotz aller Bemühungen der Ärzte, immer auf dem neuesten Stand zu sein und alles im Blick zu haben, kann es passieren, dass Ihr Arzt die Regelungen zum “besonderen Verordnungsbedarf” nach einem Schlaganfall nicht parat hat.
Wenn Ihr Schlaganfall also noch kein Jahr zurückliegt beziehungsweise noch relevante Beeinträchtigungen vorliegen, wie zum Beispiel eine Hemiparese, und sich Ihr Arzt aber trotzdem sträubt, Ihnen benötigte Therapien zu verschreiben, sprechen Sie ihn freundlich auf diese Möglichkeiten an.
Sie haben eine Frage zur Verschreibung von Heilmitteln? Tauschen Sie sich mit anderen Betroffenen und Angehörigen in unserem Forum aus.
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Artikel erstmalig veröffentlicht am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autor
unter Mitarbeit von stud. med. Katharina Püchner
Dr. med. Jürgen Kunz ist niedergelassener Facharzt für Neurologie am Neurozentrum Ravensburg. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist die Behandlung von Patienten nach einem Schlaganfall. Bei der Behandlung eines Schlaganfalls ist für ihn die sektorenübergreifende Zusammenarbeit mit anderen Ärzten und Therapeuten sehr wichtig. [mehr]
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Quellen
- Besondere Verordnungsbedarfe / Langfristiger Heilmittelbedarf – Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg – URL: https://www.kvbw-admin.de/api/download.php?id=2921
- Genehmigung eines langfristigen Heilmittelbedarfs – Patienteninformation – Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA) – URL: https://www.g-ba.de/downloads/17-98-3382/2021-01-01_G-BA_Patienteninformation_langfristiger-Heilmittelbedarf_bf.pdf