Erhöhtes Schlaganfall-Risiko ab einem Blutdruck von 120/70? ▷ Neue Leitlinie
Der Blutdruck spielt eine entscheidende Rolle für das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden. Hoher Blutdruck ist der wichtigste Risikofaktor für das Auftreten von Schlaganfällen und Herzinfarkten, da er die Blutgefäße schädigt und das Herz überlastet. Die frühzeitige Erkennung und Behandlung von erhöhten Blutdruckwerten sind daher von großer Bedeutung, um das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen so gering wie möglich zu halten.
Leitlinien zur Behandlung von Bluthochdruck bieten Ärzten klare Empfehlungen und Handlungsspielräume, um Patienten optimal hinsichtlich des Risikos zu betreuen und langfristige gesundheitliche Folgen zu vermeiden.
Einführung einer neuen Blutdruck-Kategorie
Beim Kongress der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (European Society of Cardiology, kurz ESC) wurde im September 2024 in London eine aktualisierte Leitlinie zur Behandlung von erhöhtem Blutdruck und Bluthochdruck vorgestellt.2
Die überarbeitete Leitlinie führt die Kategorie „Erhöhter Blutdruck“ ein. Bislang wurde nach der Leitlinie von 2018 der Blutdruck als optimal, normal, hochnormal oder Bluthochdruck eingestuft.1
Die aktuelle Leitlinie empfiehlt die Einteilung in die Kategorien “nicht erhöhte Blutdruckwerte”, “erhöhte Blutdruckwerte” und “Bluthochdruck”.1 Mit der Vereinfachung des Bewertungssystems soll die Entscheidung über die Einleitung einer Behandlung erleichtert werden. Die Zuordnung zu den drei Kategorien könnte bedeutende Auswirkungen auf die vorbeugenden – nicht-medizinischen und medizinischen – Maßnahmen zur Verhütung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben.
Die neue Kategorie “Erhöhter Blutdruck” umfasst Werte zwischen 120 und 139 mmHg systolisch und 70 bis 89 mmHg diastolisch. Die Definition des Bluthochdrucks bleibt unverändert bei 140/90 mmHg.1
Hintergrundwissen: Systolischer und diastolischer Blutdruck
Der systolische Blutdruck ist der höchste Druck, der in den Blutgefäßen während des Zusammenziehens der Herzkammern, der Systole, entsteht. In dieser Phase wird das Blut in den Körper gepumpt, wodurch ein erheblicher Druck auf die Gefäßwände ausgeübt wird.
Ein zu hoher Druck hat schädliche Auswirkungen auf die Blutgefäße und Organe wie Herz und Gehirn. Er begünstigt die Entstehung der Arteriosklerose, der Gefäßverkalkung.
In der Diastole hingegen entspannt sich der Herzmuskel, und das Herz füllt sich mit Blut für die nächste Systole. Der Druck in den Gefäßen ist in dieser Phase am niedrigsten und wird als diastolischer Blutdruck bezeichnet.
Welche Chancen bietet die neue Blutdruck-Kategorie?
Die Einführung der neuen Blutdruck-Kategorie ist für die Entscheidung zur Therapie von großer Bedeutung. Die Anpassung der Leitlinie berücksichtigt, dass der Übergang von einem normalen Blutdruck zu Bluthochdruck oft schleichend erfolgt. Auf dem Kongress der Gesellschaft für Kardiologie wurde deutlich, wie wichtig es ist, schon bei erhöhten Werten vorbeugend hinsichtlich Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu handeln.
Für Patienten, die ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben, ist es entscheidend, frühzeitig eine gezielte Blutdruckbehandlung zu überdenken. Durch das frühzeitige medizinische Eingreifen< können potenzielle Komplikationen, wie Schlaganfälle oder Herzinfarkte, verhindert werden. Die neue Kategorie ermöglicht es Ärzten, gezielter auf individuelle Risiken einzugehen und so gemeinsam mit dem Patienten eine proaktive Gesundheitsstrategie zu entwickeln.
Ab welchen Blutdruckwerten besteht Handlungsbedarf?
Das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigt, je höher systolischer und diastolischer Blutdruck werden. Der Zusammenhang ist allerdings nicht linear. Das Risiko nimmt mit steigendem Blutdruck stärker zu. Zudem treten bei hohem Blutdruck gehäuft weitere Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf.
Viele Menschen mit Bluthochdruck haben ein Risiko von 10 Prozent oder höher, in den nächsten 10 Jahren eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zu entwickeln. Nach den aktuellen Leitlinien soll jedoch bereits beim Vorliegen eines bestätigten Bluthochdrucks unabhängig vom persönlichen Risiko eine blutdrucksenkende Therapie eingeleitet werden, die aus einer Kombination der Förderung eines gesunden Lebensstils und medikamentöser Therapie besteht. Der Behandlungserfolg soll in den ersten drei Monaten nach Beginn der Therapie intensiv beobachtet werden. Bei ausreichend blutdrucksenkender Wirkung durch Anpassung der Lebensgewohnheiten kann die medikamentöse Therapie gegebenenfalls verringert oder abgesetzt werden.
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Nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft haben auch Personen mit Blutdruckwerten unterhalb der traditionellen Schwellenwerte ein erhöhtes Risiko, Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu entwickeln. Das bedeutet, dass auch diesen Personen eine Senkung ihres Blutdrucks auf Werte von bis zu 120/70 mmHg helfen kann, künftigen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wie beispielsweise einem Schlaganfall, vorzubeugen.
Das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist zudem für Menschen mit erhöhten Blutdruckwerten im Vergleich zu Menschen mit Bluthochdruck sehr unterschiedlich. Das liegt vor allem daran, dass häufig jüngere Patienten erhöhte Blutdruckwerte haben. Bei diesen spielen meist auch noch andere Risikofaktoren eine Rolle, die das Gesamtrisiko beeinflussen.
Eine ganzheitliche Betrachtung des persönlichen Risikos unter Berücksichtigung der Lebensumstände und weiteren Risikofaktoren ist daher sinnvoll und notwendig, um über das Einleiten einer Therapie zu entscheiden.
Für Personen, die einen erhöhten Blutdruck haben, jedoch keine sonstigen Risikofaktoren oder Grunderkrankungen aufweisen, wird die Etablierung gesunder, blutdrucksenkender Lebensgewohnheiten empfohlen. Bleibt der erhöhte Blutdruck trotz der gesunden Verhaltensweisen auch nach 6 bis 12 Monaten bestehen, sollte eine medikamentöse Behandlung von Blutdruckwerten zwischen 130/80 und < 140/90 in Betracht gezogen werden.
Personen mit erhöhtem Blutdruck und zusätzlichem Herz-Kreislauf-Risiko beziehungsweise weiteren Risikofaktoren werden gesunde Lebensgewohnheiten nahegelegt. Sind diese nach 3 Monaten nicht erfolgreich, sollte bei Blutdruckwerten über 130/80 mit dem Patienten über eine medikamentöse Behandlung gesprochen werden.
Welcher Blutdruckbereich soll durch Blutdrucksenker erreicht werden?
Die aktuellen Leitlinien sehen einen systolischen Blutdruck von 120-129 mmHg für Erwachsene vor, die mit Arzneimitteln zur Blutdrucksenkung behandelt wurden. Bei Patienten, die die Senkung auf diesen Wert nicht gut vertragen, kann das Ziel angepasst werden. Der neue Zielbereich soll Ärzten und Patienten mehr Handlungsspielraum geben, um zwischen blutdrucksenkenden Lebensgewohnheiten und der Therapie mit Arzneimitteln wählen zu können.2
Bislang wurde ein zweistufiger Ansatz empfohlen, bei dem zunächst ein systolischer Blutdruck von weniger als 140/90 mmHg und erst im Folgenden eine weitere Senkung auf weniger als 130/80 mmHg erreicht werden sollte.
Auch die stetige Alterung der europäischen Bevölkerung soll künftig bei der Behandlung stärker berücksichtigt werden. Für Patienten über 85 Jahren gelten zunächst die gleichen Empfehlungen und Zielbereiche wie für jüngere Patienten, sofern die Behandlung gut vertragen wird. Bei gebrechlichen Patienten kann ein Zielbereich von unter 140/90 mmHg als Zwischenziel festgelegt werden.
Zusammenfassung
Mit den aktuellen Leitlinien der europäischen Gesellschaft für Kardiologie zur Behandlung eines erhöhten Blutdrucks und Bluthochdrucks wurde das bislang bestehende Bewertungssystem vereinfacht.
Es beschränkt sich auf 3 Kategorien:
- Kategorie 1: nicht erhöhte Blutdruckwerte (unter 120/70 mmHg)
- Kategorie 2: erhöhte Blutdruckwerte (120-139/70-89 mmHg) → neue Kategorie
- Kategorie 3: Bluthochdruck (ab 140/90 mmHg)
Damit soll die Entscheidung über die frühzeitige Einleitung einer Behandlung und darüber eine bessere Verhütung von ernsten Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie dem Schlaganfall erleichtert werden. Das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist bei vielen Personen bereits ab Blutdruckwerten der Kategorie 2 im Bereich von 120-139/70-89 mmHg erhöht. Die Definition für den Blutdruckbereich, ab dem man von Bluthochdruck spricht, ist unverändert bei über 140/190 mmHg geblieben.
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Autoren
Dipl.-Biol. Claudia Helbig unter Mitarbeit von Prof. Dr. med. Hans Joachim von Büdingen
Claudia Helbig ist Diplom-Human- und Molekularbiologin und hat zuvor eine Ausbildung zur Arzthelferin absolviert. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Medizinischen Biochemie und Molekularbiologie hat sie Medizinstudenten in Pathobiochemie-Seminaren und Praktika betreut. Nach Ihrer Arbeit in der pharmazeutischen Forschung hat sie in einem Auftragsforschungsinstitut für klinische Studien unter anderem Visiten mit Studienteilnehmern zur Erhebung von Studiendaten durchgeführt und Texte für die Website verfasst. Mit ihrem interdisziplinären Hintergrund und ihrer Leidenschaft zu schreiben möchte sie naturwissenschaftliche Inhalte fachlich fundiert, empathisch und verständlich an Interessierte vermitteln. [mehr]
Quellen
- 2024 ESC Guidelines for the management of elevated blood pressure and hypertension – Autoren: McEvoy, John William; McCarthy, Cian P.; Bruno, Rosa Maria; Brouwers, Sofie; Canavan, Michelle D. und 125 weitere Autoren – Publikation: European Heart Journal (2024) 45, 3912–4018 – DOI: 10.1093/eurheartj/ehae178 – ISSN: 0195-668X, 1522-9645 – URL: https://academic.oup.com/eurheartj/article/45/38/3912/7741010
- 2024 ESC Clinical Practice Guidelines for the Management of Elevated Blood Pressure and Hypertension; 31.08.2024 (aufgerufen am 10.10.2024) – Autoren: McEvoy, John William; Touyz; Rhian M. – URL: https://www.escardio.org/Congresses-Events/ESC-Congress/Congress-news/2024-esc-clinical-practice-guidelines-for-the-management-of-elevated-blood-press