Ist Mikro- bzw. Nanoplastik ein Risikofaktor für Schlaganfälle und Herzinfarkte? ▷ Studie
Mikroplastik und Nanoplastik sind kleine und kleinste Kunststoffpartikel. Sie haben einen wesentlichen Anteil an der von Menschen gemachten Verschmutzung unserer Umwelt, der sogenannten anthropogenen Umweltverschmutzung.
Diese Partikel gelangen über die Nahrung und Atmung in den Körper. Es wird geschätzt, dass jede Person etwa 5 Gramm Mikro- und Nanoplastik wöchentlich mit der Nahrung aufnimmt.
Je kleiner die Partikel, desto schädlicher sind sie für die Gesundheit.
Mikroplastik sind Kunststoffteilchen mit einer Größe von weniger als 5 Millimetern (mm). Nanoplastik umfasst winzige, nicht mit dem Auge erkennbare Plastikpartikel in der Größe von 1 – 1000 Nanometer (nm). 1 nm ist ein Millionstel Millimeter (mm).
Es wird angenommen, dass diese Kunststoffpartikel das Risiko für Darmkrebs, Herzinfarkt und Schlaganfall erhöhen.
Die nachfolgend besprochene Publikation versucht eine Antwort auf die Fragen zu geben, ob Mikro- und Nanoplastik in der hirnversorgenden Halsarterie (Arteria carotis) nachweisbar und als Risikofaktor für Schlaganfall und Herzinfarkt anzusehen sind.
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Die Studie
Die in der renommierten Zeitschrift “The New England Journal of Medicine” veröffentlichte Arbeit untersuchte, ob
- In arteriosklerotischen Plaques (Wandverdickungen), die zu Verengungen bzw. Stenosen der Halsschlagader geführt haben, Mikro- bzw. Nanoplastikpartikel nachweisbar sind.
- Ob Menschen, in deren Arterien solche Partikel nachzuweisen waren, ein erhöhtes Risiko haben, im weiteren Verlauf einen Schlaganfall, Herzinfarkt oder Tod egal welcher Ursache zu erleiden.
Eingeschlossen in diese Studie wurden 304 Patienten mit Stenosen der vorderen Halsschlagader (Arteria carotis), die in der Vorgeschichte keine Symptome einer Hirndurchblutungsstörung im Versorgungsbereich dieser Arterie hatten.
Das Untersuchungsmaterial wurde operativ im Rahmen einer Karotis-Thrombendarteriektomie entnommen, d.h. durch “Ausschälung” der stenosierenden Wandverdickung.
257 Patienten konnten nach einer mittleren Nachbeobachtungszeit von ca. 3 Jahren hinsichtlich der Fragestellungen beurteilt werden.
Die Ergebnisse
Bei 58,4 % (150) der 257 Patienten waren Polyethylen-Partikel im Plaque-Material nachweisbar, bei 12,1 % darüber hinaus PVC-(Polyvinylchlorid)Partikel.
Im Nachbeobachtungszeitraum war das Risiko für Schlaganfall, Herzinfarkt oder Tod bei den Menschen mit Nachweis von Mikroplastik deutlich erhöht, und zwar um das Vier-bis Fünffache!
Diskussion
Die Autoren der Studie weisen darauf hin, dass nicht geklärt werden konnte, auf welchem Weg das Mikroplastik in den menschlichen Körper gelangt war und worin sich die Patienten mit Mikroplastik-Nachweis von denen ohne Plastik-Nachweis unterschieden.
In beiden Gruppen waren die „klassischen“ Risikofaktoren wie Bluthochdruck oder Diabetes mellitus u.a. nicht signifikant unterschiedlich.
Allerdings erbringt die Studie aufgrund der relativ kleinen Stichprobe und der Tatsache, dass die Teilnehmer im Hinblick auf Vorgeschichte und Umwelteinflüsse anderer Art nicht untersucht worden waren, rein wissenschaftlich betrachtet nicht den Beweis, dass Mikroplastik ein unabhängiger Risikofaktor für Schlaganfälle und Herzinfarkte ist.
Kommentar
Erschreckenderweise ist in einem hohen Prozentsatz (bei über der Hälfte!) der untersuchten Patienten Mikroplastik in arteriosklerotischen Plaques nachweisbar.
Dieser Nachweis scheint auch mit einem stark erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse im weiteren Verlauf verknüpft zu sein: Nach 3 Jahren trat bei 20 % derjenigen mit Mikroplastik ein „Endpunktereignis“ (Herzinfarkt, Schlaganfall oder Tod) auf, bei denjenigen ohne Mikroplastik dagegen nur in 5 %!
Dass es sich hierbei nicht nur um Zufall handelt, scheint mir sehr plausibel, da die Fremdkörper in den Ablagerungen zu mikroskopisch sichtbaren Entzündungsreaktionen führten und dadurch sicher das Risiko von Gerinnselbildung an den Plaques erhöhen.
Die Studie ist aus meiner Sicht ein hartes Argument dafür, Mikroplastik in unserer Umwelt als gefährlich zu betrachten und deshalb so weit wie möglich zu vermeiden, um Gesundheitsgefahren vorzubeugen.
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Artikel erstmalig veröffentlicht am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autor
Dr. med. Thomas Staudacher ist Facharzt für Neurologie. Sein Schwerpunkt ist die Notfallbehandlung von Schlaganfällen. 20 Jahre lang leitete er eine Stroke Unit, also eine Spezialstation zur Akutbehandlung und Intensiv-Überwachung von Schlaganfall-Patienten. [mehr]
Quellen
- Microplastics and Nanoplastics in Atheromas and Cardiovascular Events – Autoren: F.Marfella et al. – Publikation: N Engl J Med 2024;390:900-10 – DOI: https://doi.org/10.1056/NEJMoa2309822