Kann ein smartes Auto einem Schlaganfall vorbeugen? ▷ Präventionstechnologie
Die Zukunft des Automobils ist smart (Foto: Gorodenkoff | Shutterstock)
Der Schlaganfall ist eine der häufigsten Todesursachen weltweit. In Deutschland erleiden jedes Jahr etwa 200.000 Menschen zum ersten Mal einen Schlaganfall. Bei weiteren jährlich 70.000 Menschen tritt erneut ein Schlaganfall, ein Rezidiv, auf.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik (PLRI) der Technischen Universität Braunschweig und der Medizinischen Hochschule Hannover haben gemeinsam ein intelligentes Fahrzeug entwickelt. Dieses soll die Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen unterstützen und schwerwiegenden Notfällen wie einem Schlaganfall vorbeugen.
Das Besondere daran: Autofahrten, beispielsweise der Weg zur Arbeit, sollen künftig sinnvoll dazu genutzt werden, bequem und ganz nebenbei entscheidende Herz-Kreislauf-Risikofaktoren zu erkennen.
Das SmartCar wurde im November 2024 auf der Medizintechnik-Fachmesse „Medica“ in Düsseldorf vorgestellt.
Wie kann ein Auto Schlaganfall-Risikofaktoren erkennen?
Das Auto dient hierbei als mobiler Untersuchungsraum. Während in einer Arztpraxis beispielsweise eine Patientenliege und ein Elektrokardiographie-Gerät zur Messung der Herzströme stehen, verfügt das intelligente Auto über verschiedene Sensoren, die während der gesamten Fahrt passiv Gesundheitsdaten messen.
Dieser Onlinekurs erklärt Ihnen in 12 kompakten Modulen alles, was Sie jetzt wissen müssen.
Über welche Messgeräte verfügt das Smart Car?
Das intelligente Auto ist mit den folgenden Messgeräten und Sensoren ausgestattet:
- Elektrokardiographie-Sensor (EKG) im Lenkrad zur Erfassung der Herzstromkurve über die Hände des Fahrers.
- Sensor im Sicherheitsgurt zur Erfassung der Herztöne: Ein Arzt erfasst diese üblicherweise durch Abhören an fünf definierten Stellen des Brustkorbs mit Hilfe des Stethoskops.
- Innenraum-Kamera zur Ermittlung von Herz- und Atemfrequenz: Aus den gewonnenen Daten, die die Kamera vom Gesicht des Fahrers aufzeichnet, können Herz- und Atemfrequenz berechnet werden.
- Temperatursensor im Sitz: Mit dem Temperatursensor wird kontinuierlich die Körpertemperatur des Fahrers erfasst.
Mit Hilfe eines KI-Modells, das auf künstlichen Nervenzellen basiert, können die Messdaten im Anschluss zusammengeführt und ausgewertet werden.
Welche Vorteile hat das SmartCar gegenüber herkömmlichen Vorsorgeuntersuchungen?
Das intelligente Auto bietet mehrere Vorteile. In unserer schnelllebigen Zeit ist es für viele Menschen schwierig, regelmäßige Vorsorge-Termine einzuplanen und wahrzunehmen. Viele Arztpraxen sind überlastet. Eine Messung wichtiger Gesundheitsparameter während der Autofahrt stellt daher eine Entlastung dar.
Ein sehr wichtiger Vorteil ergibt sich zudem aus der Tatsache, dass die Überwachung der Gesundheitsparameter bei jeder Autofahrt und in den meisten Fällen auch zu unterschiedlichen Tageszeiten erfolgt. Dennoch finden sich meist auch gewisse Regelmäßigkeiten, wie beispielsweise der tägliche Arbeitsweg, der in der Regel zu ähnlicher Zeit stattfindet.
Auf diese Weise kann ein umfassendes, individuelles Gesundheitsprofil über einen langen Zeitraum erstellt werden. Die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wie dem Schlaganfall, ist oft ein schleichender Prozess. Wenn mit dem SmartCar kontinuierlich Gesundheitsdaten überwacht und ausgewertet werden, können selbst kleinste, aber regelmäßig auftretende Gesundheitsrisiken frühzeitig erkannt und behandelt werden.
Hintergrundwissen: Vorhofflimmern (VHF)
Vorhofflimmern ist die häufigste Störung des normalen, gesunden Herzrhythmus. Das Herz schlägt hierbei unregelmäßig und in vielen Fällen zu schnell. Jeder dritte bis fünfte Hirninfarkt wird durch Vorhofflimmern ausgelöst!2
Daher ist eine frühzeitige Erkennung von Vorhofflimmern von enormer Bedeutung für die Vorbeugung – die Prävention – eines Schlaganfalls.
Bei unregelmäßigen Arztbesuchen besteht die Gefahr, dass Vorhofflimmern nicht rechtzeitig erkannt und behandelt wird. Ein intelligentes Auto, das bei jeder einzelnen Fahrt den Herzschlag überwacht, ist somit ein wichtiger Schritt in der Prävention von Schlaganfällen.
Was passiert mit den gewonnenen Gesundheitsdaten?
Die ausgewerteten Daten sollen per E-Mail am Abend nach der Autofahrt dem Nutzer zur Verfügung gestellt werden. Aus technischer Sicht wäre es auch möglich, den Autofahrer bereits während der Fahrt auf Gesundheitsrisiken aufmerksam zu machen. Darauf wird jedoch bewusst verzichtet, damit die Fahrer nicht während der Fahrt abgelenkt werden und dadurch sich und andere Verkehrsteilnehmer gefährden.
Es ist geplant, dass die per E-Mail gesendeten Berichte Hinweise auf etwaige Auffälligkeiten enthalten. Somit kann der Nutzer im Bedarfsfall frühzeitig diese Auffälligkeiten mit seinem Arzt besprechen und dieser eine geeignete Behandlung einleiten.
Herausforderungen und Fazit
Eine Herausforderung bei der alltagstauglichen Umsetzung ist der Umgang mit dem Datenschutz und die sichere Übermittlung sensibler Gesundheitsdaten. Auch die Zuverlässigkeit und Genauigkeit der gemessenen Gesundheitsdaten muss mit klinischen Studien eindeutig belegt werden, bevor das System zur breiten Anwendung genutzt werden kann.
Ein großer Vorteil der Messungen in einem Smartcar ist das Erfassen von verkehrs- oder stressbedingten Schwankungen der Herztätigkeit.
Die vom SmartCar durchgeführten Messungen können seit Jahren durch Smartwatches und andere Wearables rund um die Uhr kontrolliert werden.
Die Vorteile sind:
- Die Messungen erfolgen kontinuierlich, so lange der Nutzer die Smartwatch trägt. Es liegt also eine enorme Bandbreite an Daten vor, die ausgewertet werden können. Werte wie die Herzfrequenz werden beim dauerhaften Tragen der Smartwatch zudem situationsunabhängig überwacht. Im Gegensatz dazu haben viele Menschen im Auto aufgrund verschiedener Verkehrssituationen eine erhöhte Herzfrequenz.
- Eine Smartwatch ist natürlich sehr viel erschwinglicher als ein Auto. Es gibt sie in unterschiedlichen Ausführungen und Preiskategorien und daher kann das entsprechende Modell nach den individuellen Bedürfnissen des Benutzers ausgesucht werden.
- Auch während des Schlafes werden wichtige Daten mit Hilfe einer Smartwatch ermittelt. Ein wichtiger Parameter, der idealerweise im Schlaf gemessen wird, ist beispielsweise die Herzratenvariabilität, kurz HRV. Sie beschreibt die natürlichen Schwankungen in den Zeitabständen zwischen aufeinanderfolgenden Herzschlägen. Eine höhere HRV zeigt an, dass das Herz flexibel auf unterschiedliche körperliche und psychische Belastungen reagieren kann. Das wird als Zeichen für eine gute Gesundheit und Anpassungsfähigkeit interpretiert.
Die Kombination aus künstlicher Intelligenz, Sensorik und Fahrzeugtechnik könnte einen entscheidenden Beitrag zur Entlastung von Arztpraxen und Kliniken sowie zur Vermeidung schwerwiegender Erkrankungen wie dem Schlaganfall leisten.
Sie haben eine Frage zum Schlaganfall? Tauschen Sie sich mit anderen Betroffenen und Angehörigen in unserem Forum aus.
- Telemedizinische Schlaganfall-Versorgung
- Herzfrequenzvariabilität (HRV) zur Vorhersage von Schlaganfällen und deren Folgen
- US-Studie: Kann die Apple Watch Schlaganfälle verhindern?
Sie erhalten von uns regelmäßig und kostenlos aktuelle Informationen rund um den Schlaganfall.
Dieser Onlinekurs erklärt Ihnen in 12 kompakten Modulen alles, was Sie jetzt wissen müssen.
Artikel aktualisiert am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autoren
Dipl.-Biol. Claudia Helbig unter Mitarbeit von Prof. Dr. med. Hans Joachim von Büdingen
Claudia Helbig ist Diplom-Human- und Molekularbiologin und hat zuvor eine Ausbildung zur Arzthelferin absolviert. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Medizinischen Biochemie und Molekularbiologie hat sie Medizinstudenten in Pathobiochemie-Seminaren und Praktika betreut. Nach Ihrer Arbeit in der pharmazeutischen Forschung hat sie in einem Auftragsforschungsinstitut für klinische Studien unter anderem Visiten mit Studienteilnehmern zur Erhebung von Studiendaten durchgeführt und Texte für die Website verfasst. Mit ihrem interdisziplinären Hintergrund und ihrer Leidenschaft zu schreiben möchte sie naturwissenschaftliche Inhalte fachlich fundiert, empathisch und verständlich an Interessierte vermitteln. [mehr]
Quellen
- Wenn das Auto Schlaganfälle verhindert; Technische Universität Braunschweig (05.11.2024; abgerufen am 07.02.2024) – URL: https://magazin.tu-braunschweig.de/pi-post/wenn-das-auto-schlaganfaelle-verhindert/
- 2020 ESC Guidelines for the diagnosis and management of atrial fibrillation developed in collaboration with the European Association for Cardio-Thoracic Surgery (EACTS): The Task Force for the diagnosis and management of atrial fibrillation of the European Society of Cardiology (ESC) Developed with the special contribution of the European Heart Rhythm Association (EHRA) of the ESC – Autoren: Hindricks, G.; Potpara, T.; Dagres, N.; et al. – Publikation: Eur Heart J. 2021;42(5):373-498 – DOI: 10.1093/eurheartj/ehaa612