Bobath-Konzept ▷ Definition, Ziele, Ablauf und Tipps
Das Bobath-Konzept nutzt die Lernfähigkeit des Gehirns (Foto: Bru-nO | Pixabay)
In diesem Artikel:
- Was ist das Bobath-Konzept?
- Die Leistungsfähigkeit des Gehirns
- Zielgruppen und Ziele des Bobath-Konzeptes
- Schwerpunkte in der Pflege und Rehabilitation
- Tipps für pflegende Angehörige
- Evidenz und Kritik
Für die meisten Schlaganfallpatienten beginnt nach der akuten Behandlung im Krankenhaus die Rehabilitation in einer stationären oder ambulanten Einrichtung. Dort werden verschiedene therapeutische Konzepte genutzt, um verloren gegangene Funktionen so weit wie möglich wiederherzustellen oder zu kompensieren.
Das am weitesten verbreitete Konzept zur Rehabilitation nach einem Schlaganfall ist das Bobath-Konzept, dessen Prinzipien auch zu Hause sehr gut umgesetzt werden können.
Das Bobath-Konzept wurde 1943 von dem Ehepaar Berta (Physiotherapeutin) und Karel Bobath (Neurologe) entwickelt. Das Konzept wird auch heute noch weiterentwickelt.
Was ist das Bobath-Konzept?
Das Bobath-Konzept ist ein interdisziplinärer Ansatz. Das bedeutet, dass verschiedene medizinische Berufsgruppen wie Physiotherapeuten, Pflegekräfte, Ärzte und Ergotherapeuten zusammenarbeiten, um den Patienten oder die Patientin in der Phase der Rehabilitation bestmöglich zu unterstützen. Es handelt sich um einen interaktiven Prozess zwischen diesen Berufsgruppen, den Betroffenen und ihrer Angehörigen.
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Das Bobath-Konzept schreibt keine Techniken, Methoden oder Übungen vor, die bei allen Patienten gleichermaßen angewendet werden. Vielmehr berücksichtigt dieser Ansatz die individuellen Möglichkeiten und Grenzen des Betroffenen und zieht diese – unter Anwendung einiger Prinzipien – in die Pflege und Therapie mit ein.
Die Prinzipien des Bobath-Konzeptes lauten:
- Die aktive Mitarbeit der Patientin/des Patienten fordern und fördern.
- Die aktuelle Leistungsgrenze ermitteln, damit an ihr gearbeitet werden kann.
- Ein Vertrauensverhältnis zum Patienten aufbauen.
- Das Zusammenspiel von Nerven und Muskeln erleichtern, um so natürliche Bewegungsmuster zu fördern. Dies wird als Fazilitation bezeichnet.
- Bewegungsabläufe wiederholt einüben.
Die Anwendung dieser Prinzipien ist nicht auf eine Therapieeinheit beschränkt, sondern soll Bestandteil des gesamten Tagesablaufs sein.
Betroffene mit einer Halbseitenlähmung neigen dazu, ihre Einschränkungen durch die weniger betroffene Körperhälfte auszugleichen. Langfristig bergen diese einseitigen Bewegungen die Gefahr, schmerzhafte Verkrampfungen (Spastiken) auf der betroffenen Seite zu verursachen. Dies gilt es zu vermeiden.
Durch das Einbeziehen der betroffenen Körperhälfte gelangen neue Informationen an das Gehirn, welche eine Umstrukturierung anregen. Es entstehen neue Verknüpfungen von Nervenzellen außerhalb des geschädigten Hirnbereichs. Diese können dann einspringen und beim Wiederaufbau verlorener Funktionen helfen. Dieser Vorgang wird als Neuroplastizität bezeichnet.
Die Leistungsfähigkeit des Gehirns
Es ist beeindruckend, was das Gehirn alles leisten kann. Funktionen, die nach einem Schlaganfall verloren scheinen, können durch konstantes Training und harte Arbeit wieder erlernt werden.
Das Bobath-Konzept geht von dem Prinzip der Neuroplastizität aus. Die Neuroplastizität ist die Fähigkeit des Gehirns, seine Struktur an veränderte Voraussetzungen (z. B. Funktionsausfall eines Bereiches) und neue Anforderungen (z. B. Lernbedarf) anzupassen. Synaptische Verbindungen werden neu aufgebaut, alte Strukturen umorganisiert oder abgebaut.
Daher ist jede Bewegung und Handlung an und mit dem Patienten ein Lernanreiz. Neue Bewegungsabläufe werden eingeübt und gefestigt und die Selbstständigkeit des Betroffenen wird gefördert.
Da jeder Mensch einzigartig ist, lässt sich im Vorhinein nicht sagen, wie gut neuronale Ausfälle kompensiert werden können. Zudem sieht das Bobath-Konzept den menschlichen Körper als Gesamtheit von Körper und Geist. Das bedeutet beispielsweise, dass sich eine positive Grundeinstellung eines Menschen positiv auf den Behandlungserfolg auswirken kann.
Zielgruppen und Ziele des Bobath-Konzeptes
Das Bobath-Konzept ist ein Pflege- und Therapiekonzept für Menschen mit Lähmungen durch Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Darunter fallen u.a. Patienten mit:
- Schlaganfall
- Entzündlichen Erkrankungen des Zentralnervensystems
- Schädel-Hirn-Verletzung
- Multipler Sklerose
Das Bobath-Konzept wird angewandt bei:
- Mangel an Stabilität (oft im Rumpfbereich)
- Zu hohe oder zu niedrige muskuläre Anspannung in den betroffenen Körperabschnitten
- Fehlstellungen bestimmter Körperbereiche
- Störungen des Körperschemas
- Störungen im Mund- und Gesichtsbereich mit Auswirkung auf das Schlucken und Sprechen
Deshalb verfolgt das Bobath-Konzept folgende Ziele:
- Wiedererlernen verloren gegangener Bewegungsfähigkeiten
- Erhöhen von Selbstständigkeit und Sicherheit in alltäglichen Situationen
- Entwicklung eines Gefühls von Körpermitte und Verbesserung der Körpersymmetrie
- Verhindern von Schmerzen und Kontrakturen (Versteifungen)
- Hemmung von Spastiken (Verkrampfungen)
- Verbesserte Bewegungen der gelähmten (bzw. eingeschränkten) Seite in Koordination mit der gesunden Seite
- Steigerung des Wohlbefindens
Die Ziele orientieren sich immer am Lebensalltag der betroffenen Person, denn sie sollen Fähigkeiten und Techniken erlernen, um in ihr gewohntes Leben zurückzukehren.
Schwerpunkte in der Pflege und Rehabilitation
Bewegung in Alltagssituationen
Ziel ist es, das Gehirn während einer Alltagsaufgabe wiederholt mit der Erfahrung einer normalen Bewegung vertraut zu machen. Immer wenn der Patient oder die Patientin bewegt oder transportiert wird, werden die Prinzipien einer normalen Bewegung berücksichtigt. Dabei unterstützt der Angehörige den Betroffenen bei der Ausführung.
Berücksichtigt werden sollte immer die Ausgangsstellung des Körpers. Soll der Betroffene beispielsweise aus dem Bett heraus mobilisiert werden, dürfen die Füße nicht zu weit vorne aufgesetzt werden. Dadurch wäre die Unterstützung des Patienten nur mit hohem Kraftaufwand und hohen Anforderungen an das Gleichgewicht möglich.
Das ADL-Training (Aktivitäten des täglichen Lebens) lehrt Patienten, die betroffenen Körperteile, also den ganzen Körper wieder in Alltagstätigkeiten mit einzubeziehen. Geeignet für die Gestaltung des ADL-Trainings sind u.a. die Körperpflege, das An- und Ausziehen und die Nahrungsaufnahme.
Lagerungen
Unterschieden werden Ruhelagerungen und therapeutische Lagerungen. Die Ruhelagerungen dienen der Muskelspannungsregulierung. Die gelähmten Körperteile werden so gelagert, dass Beuge- und Streckmuskulatur minimal gedehnt sind. Die Person soll möglichst bequem liegen, damit sich die Muskeln entspannen können. Diese Lagerungen können so lange aufrechterhalten werden, wie sich die Patientin/der Patient wohl fühlt.
Die therapeutischen Lagerungen werden oft nur kurz und von geschulten Therapeuten eingesetzt. Ziel ist die Förderung der Körperwahrnehmung und eine positive Beeinflussung der krankhaften Spannungsveränderung in den Muskeln.
Tipps für pflegende Angehörige
Wer nach dem Bobath-Konzept pflegen möchte, versucht zuerst die möglichen Fähigkeiten des Patienten oder der Patientin zu suchen und zu finden.
Die Pflege nach dem Bobath-Konzept sucht stets nach Möglichkeiten, den Betroffenen zu aktivieren und seine Selbstständigkeit zu fördern:
- Gestalten Sie das Zimmer so, dass die gelähmte Seite so oft und so viel wie möglich angespornt wird, beispielsweise, indem Sie das Bett so verschieben, dass die gelähmte Seite des Betroffenen zur Tür zeigt. So wird er oder sie ermutigt, den Kopf zur betroffenen Seite zu drehen, sobald jemand den Raum betritt.
- Halten Sie Augenkontakt mit der betroffenen Person.
- Halten Sie die Hand der betroffenen Seite anstatt die der gesunden Seite.
- Beziehen Sie die gelähmte Seite in alle Aktivitäten mit ein, beispielsweise bei der Waschung: Stellen Sie einen Bezug zwischen der gesunden und der betroffenen Körperseite her, indem Sie zuerst die gesunde Seite waschen und dann – mit Betonung der Mittellinie – über die betroffene Seite hinüber waschen.
- Sprechen Sie während der “Übungen” möglichst wenig mit dem Betroffenen, damit er oder sie sich auf die Bewegung und das Bewegungsgefühl konzentrieren kann.
- Arbeiten Sie ausschließlich mit Zug- und Hebelkräften. Der Betroffene wird in keinem Fall gehoben.
- Informieren Sie sich über geeignete weiterführende Therapiemaßnahmen.
- Kontaktieren Sie möglicherweise einen Physiotherapeuten, der oder die sich auf das Bobath-Konzept spezialisiert hat.
Evidenz und Kritik
Verschiedene Studien belegen die Wirksamkeit des Bobath-Konzeptes in der Rehabilitation von Schlaganfallpatienten. Eine davon ist die PASS-Studie des Albertinen-Hauses, einer medizinisch-geriatrischen Klinik. Sie belegt die Wirksamkeit des Bobath-Konzeptes bei der Schlaganfallrehabilitation. Dazu wurden 302 Patienten über zwei Jahre nach ihrer Entlassung begleitet und beobachtet. Alle wurden stationär nach dem 24-Stunden-Konzept nach Bobath behandelt.
Die Behandlung nach dem Bobath-Konzept scheint anderen Konzepten der Schlaganfallrehabilitation aber nicht überlegen zu sein. Es lassen sich ähnliche Ergebnisse erzielen. Kombiniert man das Bobath-Konzept mit anderen Rehabilitationsmaßnahmen wie etwa dem Vojta-Konzept, lassen sich überdurchschnittliche Ergebnisse erzielen.
Selbst mit Anwendung des Bobath-Konzeptes lassen sich keine Erfolge garantieren. Das ist von zahlreichen Faktoren abhängig – u.a. der Größe des geschädigten Hirnbereichs und der Motivation des Betroffenen.
Kritisiert werden u.a. fehlende (und aktuelle) wissenschaftliche Untersuchungen.
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Autorin
unter Mitarbeit von stud. med. Sedef Kuecuekuncular
Ulrike Friedrich ist Physiotherapeutin. Die Behandlung von Patienten nach einem Schlaganfall und die Zusammenarbeit mit Ärzten und anderen Therapeuten liegen ihr besonders am Herzen. Während vieler Jahre im Krankenhaus und in der eigenen Praxis hat sie die gute Erfahrung gemacht, dass es durch gezieltes und konsequentes Üben meist zu einer wesentlichen Besserung von Einschränkungen der Beweglichkeit, auch der Stand- und Gangsicherheit und anderen Erschwernissen kommt. [mehr]Sie erhalten von uns regelmäßig und kostenlos aktuelle Informationen rund um den Schlaganfall.
Quellen
- The Bobath Concept in Contemporary Clinical Practice – Autoren: Graham, J. V., Eustace, C., Brock, K., Swain, E., Irwin-Carruthers – Publikation: Topics in Stroke Rehabilitation, 16(1), 57–68
- Das Bobath Konzept – Autor: Lothar Urbas – URL: https://cne.thieme.de/cne-webapp/r/training/learningunits/details/10.1055_s-0035-1570161#_summary
- Das Bobath-Konzept – Therapie und Pflege bei neurologischen Erkrankungen – Autoren: Gabi Jacobs, Daniela Schieberle – URL: https://cne.thieme.de/cne-webapp/r/training/learningunits/details/10.1055_s-0038-1668477?fastReadModeOn=false#label-2-2
- Die Bobath-Therapie in der Erwachsenenneurologie – Autoren: Bente E. Bassoe Gjelsvik – Georg Thieme, 2007
- Neuroplastizität – Das Gehirn lernt immer – Publikation: Ergotherapie – URL: https://www.thieme.de/de/ergotherapie/neuroplastizitaet-gehirn-lernt-immer-114416.htm