Bobath-Konzept ▷ Definition, Ziele, Ablauf und Tipps
In diesem Artikel:
- Was ist das Bobath-Konzept?
- Die Leistungsfähigkeit des Gehirns
- Zielgruppen und Ziele des Bobath-Konzeptes
- Schwerpunkte in der Pflege und Rehabilitation
- Tipps für pflegende Angehörige
- Evidenz und Kritik
Für die meisten Schlaganfallpatienten beginnt nach der Akutbehandlung im Krankenhaus die Rehabilitation in einer stationären oder ambulanten Einrichtung. Dort werden verschiedene Therapiekonzepte eingesetzt, um verloren gegangene Funktionen so weit wie möglich wiederherzustellen oder zu kompensieren.
Das am weitesten verbreitete Konzept für die Rehabilitation nach einem Schlaganfall ist das Bobath-Konzept, dessen Prinzipien auch zu Hause sehr gut umgesetzt werden können.
Das Bobath-Konzept wurde 1943 von dem Ehepaar Berta (Physiotherapeutin) und Karel Bobath (Neurologe) entwickelt. Das Konzept wird bis heute weiterentwickelt.
Was ist das Bobath-Konzept?
Das Bobath-Konzept ist ein interdisziplinärer Ansatz. Das bedeutet, dass verschiedene medizinische Berufsgruppen wie Physiotherapeuten, Pflegekräfte, Ärzte und Ergotherapeuten zusammenarbeiten, um den Patienten oder die Patientin in der Phase der Rehabilitation bestmöglich zu unterstützen. Es ist ein interaktiver Prozess zwischen diesen Berufsgruppen, den Betroffenen und deren Angehörigen.
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Das Bobath-Konzept schreibt keine Techniken, Methoden oder Übungen vor, die bei allen Patienten gleichermaßen anzuwenden sind. Vielmehr berücksichtigt es die individuellen Möglichkeiten und Grenzen des Patienten und bezieht diese – unter Anwendung bestimmter Prinzipien – in die Pflege und Therapie mit ein.
Die Grundsätze des Bobath-Konzeptes sind:
- Aktive Mitarbeit der Patientin bzw. des Patienten fordern und fördern.
- Feststellen der aktuellen Leistungsgrenze, um daran arbeiten zu können.
- Eine vertrauensvolle Beziehung zur Patientin bzw. zum Patienten aufbauen.
- Das Zusammenspiel von Nerven und Muskeln zu erleichtern, um so natürliche Bewegungsmuster zu fördern. Dies wird als Fazilitation bezeichnet.
- Wiederholtes Üben von Bewegungsabläufen
Die Anwendung dieser Prinzipien ist nicht auf eine Therapieeinheit beschränkt, sondern sollte in den gesamten Tagesablauf integriert werden.
Betroffene mit einer Halbseitenlähmung neigen dazu, ihre Einschränkungen mit der weniger betroffenen Körperhälfte auszugleichen. Diese einseitigen Bewegungen bergen langfristig die Gefahr, schmerzhafte Verkrampfungen (Spastiken) auf der betroffenen Seite hervorzurufen. Dies gilt es zu vermeiden.
Durch das Einbeziehen der betroffenen Körperhälfte erhält das Gehirn neue Informationen, die eine Umstrukturierung anregen. Es entstehen neue Verbindungen zwischen Nervenzellen außerhalb des geschädigten Hirnareals. Diese können dann einspringen und helfen, die verlorenen Funktionen wieder aufzubauen. Diesen Vorgang nennt man Neuroplastizität.
Die Leistungsfähigkeit des Gehirns
Es ist beeindruckend, was das Gehirn alles leisten kann. Funktionen, die nach einem Schlaganfall verloren scheinen, können durch konstantes Training und harte Arbeit wieder erlernt werden.
Das Bobath-Konzept basiert auf dem Prinzip der Neuroplastizität. Die Neuroplastizität ist die Fähigkeit des Gehirns, seine Struktur an veränderte Voraussetzungen (z. B. Funktionsausfall eines Bereiches) und neue Anforderungen (z. B. Lernbedarf) anzupassen. Synaptische Verbindungen werden neu aufgebaut, alte Strukturen umorganisiert oder abgebaut.
Daher ist jede Bewegung und Handlung an und mit dem Patienten ein Lernanreiz. Neue Bewegungsabläufe werden eingeübt und gefestigt und die Selbstständigkeit des Betroffenen wird gefördert.
Da jeder Mensch einzigartig ist, lässt sich im Vorhinein nicht sagen, wie gut neuronale Ausfälle kompensiert werden können. Darüber hinaus betrachtet das Bobath-Konzept den Menschen als Einheit von Körper und Geist. Das bedeutet zum Beispiel, dass sich eine positive Grundeinstellung des Menschen positiv auf den Behandlungserfolg auswirken kann.
Zielgruppen und Ziele des Bobath-Konzeptes
Das Bobath-Konzept ist ein Pflege- und Therapiekonzept für Menschen mit Lähmungen aufgrund von Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Dazu gehören Patientinnen und Patienten nach:
- Schlaganfall
- entzündlichen Erkrankungen des zentralen Nervensystems
- Schädel-Hirn-Verletzungen
- Multipler Sklerose
Das Bobath-Konzept wird eingesetzt bei:
- mangelnder Stabilität (häufig im Rumpfbereich)
- zu hohe oder zu niedrige muskuläre Anspannung in den betroffenen Körperabschnitten
- Fehlstellungen bestimmter Körperbereiche
- Störungen des Körperschemas
- Störungen im Mund- und Gesichtsbereich, die sich auf das Schlucken und Sprechen auswirken
Das Bobath-Konzept verfolgt daher folgende Ziele:
- Wiedererlernen verloren gegangener motorischer Fähigkeiten
- Erhöhung der Selbständigkeit und Sicherheit in Alltagssituationen
- Entwicklung eines Gefühls von Körpermitte und Verbesserung der Körpersymmetrie
- Verhindern von Schmerzen und Kontrakturen (Versteifungen)
- Hemmung von Spastiken (Verkrampfungen)
- Verbesserung der Bewegungen der gelähmten (oder eingeschränkten) Seite in Koordination mit der gesunden Seite
- Steigerung des Wohlbefindens
Die Ziele orientieren sich immer am Alltag der Betroffenen, denn sie sollen Fähigkeiten und Techniken erlernen, um in ihr gewohntes Leben zurückkehren zu können.
Schwerpunkte in der Pflege und Rehabilitation
Bewegung in Alltagssituationen
Ziel ist es, das Gehirn wiederholt mit der Erfahrung einer normalen Bewegung während einer Alltagsaufgabe vertraut zu machen. Immer wenn der Patient oder die Patientin bewegt oder transportiert wird, werden die Prinzipien einer normalen Bewegung berücksichtigt. Dabei unterstützt die Pflegeperson den Betroffenen bei der Ausführung.
Die Ausgangsposition des Körpers sollte immer berücksichtigt werden. Soll der Patient z.B. aus dem Bett mobilisiert werden, dürfen die Füße nicht zu weit nach vorne gestellt werden. Dies würde dazu führen, dass der Patient nur mit großem Kraftaufwand und hohen Anforderungen an das Gleichgewicht unterstützt werden kann.
Im ADL-Training (Aktivitäten des täglichen Lebens) lernen die Patienten, die betroffenen Körperteile, also den ganzen Körper, wieder in die Aktivitäten des täglichen Lebens einzubeziehen. Geeignete Bereiche für das ADL-Training sind z.B. die Körperpflege, das An- und Auskleiden und die Nahrungsaufnahme.
Lagerungen
Man unterscheidet Ruhelagerungen und therapeutische Lagerungen.
Ruhelagerungen dienen der Regulierung der Muskelspannung. Die gelähmten Körperteile werden so gelagert, dass die Beuge- und Streckmuskeln möglichst wenig gedehnt sind. Der Patient sollte möglichst bequem liegen, damit sich die Muskeln entspannen können. Diese Lagerungen können so lange durchgeführt werden, wie der Patient sich wohl fühlt.
Therapeutische Lagerungen werden oft nur kurzzeitig und von geschulten Therapeuten durchgeführt. Ziel ist es, die Körperwahrnehmung zu fördern und krankhafte Spannungsveränderungen in der Muskulatur positiv zu beeinflussen.
Tipps für pflegende Angehörige
Wer nach dem Bobath-Konzept pflegen möchte, versucht zunächst, die möglichen Fähigkeiten des Patienten oder der Patientin zu suchen und zu finden.
Die Pflege nach dem Bobath-Konzept sucht stets nach Möglichkeiten, den Betroffenen zu aktivieren und seine Selbstständigkeit zu fördern:
- Gestalten Sie das Zimmer so, dass die gelähmte Seite so oft und so viel wie möglich angespornt wird, beispielsweise, indem Sie das Bett so verschieben, dass die gelähmte Seite des Betroffenen zur Tür zeigt. So wird er oder sie ermutigt, den Kopf zur betroffenen Seite zu drehen, sobald jemand den Raum betritt.
- Halten Sie Augenkontakt mit der betroffenen Person.
- Halten Sie die Hand der betroffenen Seite anstatt die der gesunden Seite.
- Beziehen Sie die gelähmte Seite in alle Aktivitäten mit ein, beispielsweise bei der Waschung: Stellen Sie einen Bezug zwischen der gesunden und der betroffenen Körperseite her, indem Sie zuerst die gesunde Seite waschen und dann – mit Betonung der Mittellinie – über die betroffene Seite hinüber waschen.
- Sprechen Sie während der “Übungen” möglichst wenig mit dem Betroffenen, damit er oder sie sich auf die Bewegung und das Bewegungsgefühl konzentrieren kann.
- Arbeiten Sie ausschließlich mit Zug- und Hebelkräften. Der Betroffene wird in keinem Fall gehoben.
- Informieren Sie sich über geeignete weiterführende Therapiemaßnahmen.
- Kontaktieren Sie möglicherweise einen Physiotherapeuten, der oder die sich auf das Bobath-Konzept spezialisiert hat.
Evidenz und Kritik
Verschiedene Studien belegen die Wirksamkeit des Bobath-Konzeptes in der Rehabilitation von Schlaganfallpatienten. Eine davon ist die PASS-Studie des Albertinen-Hauses, einer medizinisch-geriatrischen Klinik. Sie belegt die Wirksamkeit des Bobath-Konzeptes bei der Schlaganfallrehabilitation. Dazu wurden 302 Patienten über zwei Jahre nach ihrer Entlassung begleitet und beobachtet. Alle Patienten wurden stationär nach dem 24-Stunden-Konzept nach Bobath behandelt.
Die Behandlung nach dem Bobath-Konzept scheint anderen Konzepten der Schlaganfallrehabilitation nicht überlegen zu sein. Es werden ähnliche Ergebnisse erzielt. Wird das Bobath-Konzept mit anderen Rehabilitationsmaßnahmen wie z.B. dem Vojta-Konzept kombiniert, können überdurchschnittliche Ergebnisse erzielt werden.
Auch bei Anwendung des Bobath-Konzeptes kann der Erfolg nicht garantiert werden. Dieser hängt von vielen Faktoren ab, u.a. von der Größe des geschädigten Hirnareals und der Motivation des Patienten.
Kritisiert wird u.a. das Fehlen (aktueller) wissenschaftlicher Studien.
Sie haben Fragen zum Bobath-Konzept? Tauschen Sie sich mit anderen Betroffenen und Angehörigen in unserem Forum aus.
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Artikel erstmalig veröffentlicht am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autorin
unter Mitarbeit von stud. med. Sedef Kuecuekuncular
Ulrike Friedrich ist Physiotherapeutin. Die Behandlung von Patienten nach einem Schlaganfall und die Zusammenarbeit mit Ärzten und anderen Therapeuten liegen ihr besonders am Herzen. Während vieler Jahre im Krankenhaus und in der eigenen Praxis hat sie die gute Erfahrung gemacht, dass es durch gezieltes und konsequentes Üben meist zu einer wesentlichen Besserung von Einschränkungen der Beweglichkeit, auch der Stand- und Gangsicherheit und anderen Erschwernissen kommt. [mehr]Sie erhalten von uns regelmäßig und kostenlos aktuelle Informationen rund um den Schlaganfall.
Quellen
- The Bobath Concept in Contemporary Clinical Practice – Autoren: Graham, J. V., Eustace, C., Brock, K., Swain, E., Irwin-Carruthers – Publikation: Topics in Stroke Rehabilitation, 16(1), 57–68
- Das Bobath Konzept – Autor: Lothar Urbas – URL: https://cne.thieme.de/cne-webapp/r/training/learningunits/details/10.1055_s-0035-1570161#_summary
- Das Bobath-Konzept – Therapie und Pflege bei neurologischen Erkrankungen – Autoren: Gabi Jacobs, Daniela Schieberle – URL: https://cne.thieme.de/cne-webapp/r/training/learningunits/details/10.1055_s-0038-1668477?fastReadModeOn=false#label-2-2
- Die Bobath-Therapie in der Erwachsenenneurologie – Autoren: Bente E. Bassoe Gjelsvik – Georg Thieme, 2007
- Neuroplastizität – Das Gehirn lernt immer – Publikation: Ergotherapie – URL: https://www.thieme.de/de/ergotherapie/neuroplastizitaet-gehirn-lernt-immer-114416.htm