Physiotherapie nach Schlaganfall – Zeitplan für den Neustart ▷ Rehabilitation
Ein Schlaganfall verändert das Leben plötzlich und vollkommen überraschend. Nicht nur die direkt Betroffenen, auch ihre Angehörigen stehen zunächst unter Schock.
Sobald jedoch die Situation stabil ist und die Auswirkungen des Schlaganfalls deutlicher und greifbarer werden, ist es wichtig, dass sich Angehörige zügig aus dieser Erstarrung lösen und aktiv werden – nicht in Hektik oder Panik, sondern ruhig und besonnen. Leicht gesagt, schwer umzusetzen. Doch eine aktive Herangehensweise hilft, die schwierige Situation auch mental und emotional zu bewältigen.
Für die Zeit nach der Entlassung aus der Klinik planen
Die Planung für die Zeit nach der Entlassung aus der Klinik ist ein entscheidender Schritt, der oft unterschätzt wird.
In den Stroke Units und in Reha-Kliniken werden Schlaganfall-Betroffene intensiv betreut. Doch für die Zeit nach der Entlassung aus der Klinik existiert selten ein konkreter Plan. Deshalb sollten Angehörige so früh wie möglich mit den Vorbereitungen beginnen.
Dabei stellen sich Fragen wie:
- Müssen Wohnumstände, also Verhältnisse im alltäglichen Lebensumfeld, angepasst werden?
- Ist das Bett noch geeignet?
- Können Stufen zur Wohnung und Treppen bewältigt werden?
- Braucht es Haltegriffe für die Toilette, einen Rollstuhl oder andere Hilfsmittel?
- Und weitere Fragen.
Eine Rücksprache mit dem Klinikpersonal kann dabei helfen, voraussichtliche Einschränkungen und den daraus resultierenden Bedarf einzuschätzen. Wer früh anfängt, hat mehr Zeit für die Umsetzung – und diese ist oftmals dringend nötig. In manchen Fällen kann sogar ein Umzug erforderlich werden.
Noch vor der Entlassung: Termine zeitnah vereinbaren
Angehörige sollten so früh wie möglich erste Termine mit dem Hausarzt bzw. der Hausärztin sowie für Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie vereinbaren.
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Im Idealfall liegt der erste Termin kurz nach der voraussichtlichen Klinikentlassung, selbst wenn der genaue Bedarf zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar ist. Der Grund: In der ambulanten Rehabilitation gibt es oft lange Wartezeiten, teilweise von mehreren Wochen bis Monaten.
Sobald sich abzeichnet, dass die Therapie nicht mehr notwendig ist oder Termine nicht eingehalten werden können, sind sie jedem Fall abzusagen oder auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.
Doch gerade bei Einschränkungen in Folge eines Schlaganfalls ist es ratsam, kontinuierlich an der Wiederherstellung der Fähigkeiten zu arbeiten. Eine längere Unterbrechung der Therapie sollte vermieden werden, um langfristige Verbesserungen zu erzielen. Informationen zu den verschiedenen Therapieformen helfen bei der Planung.
In welchem Umfang sind ambulante Therapien ratsam?
Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase zu Hause ist es ratsam, die in der Reha-Klinik begonnene Therapie fortzuführen. Der Umfang der Einzeltherapien sollte sich dabei möglichst an dem der Klinikbehandlung orientieren.
Da Schädigungen des Gehirns langsamer regenerieren als Schäden am Bewegungsapparat, sind Geduld und Ausdauer besonders gefragt.
Nach einem Schlaganfall dauert fast alles länger. Deshalb ist es sinnvoll, anstelle der üblichen Einzeltermine von jeweils 20 bis 30 Minuten von vornherein Doppeltermine von 40 bis 60 Minuten zu buchen.
Therapie endet nicht mit der Entlassung aus der Klinik
Mit der Entlassung aus der Reha-Klinik sind die Möglichkeiten der Therapie und das Reha-Potenzial keineswegs ausgeschöpft.
Der Alltag im vertrauten Umfeld beginnt mit neuen Herausforderungen durch die Folgen des Schlaganfalls, die viele Anpassungen erfordern. Dies bietet aber auch neue Chancen, eigene Fähigkeiten und Möglichkeiten zu erforschen und zu erweitern.
Die Umstellung an veränderte Lebensumstände und deren Bewältigung gelingt am besten mit geschulter Unterstützung.
Widerstände bei langfristigen Therapie-Verordnungen überwinden
Es ist wichtig zu wissen, dass es oft erhebliche Überzeugungsarbeit bei Krankenkassen und Hausärzten erfordert, um Therapien dem Bedarf entsprechend in größerem Umfang verschrieben zu bekommen.
Gesetzlich sind Krankenversicherungen und Ärzte dazu verpflichtet, eine Mindestversorgung zu gewährleisten. Das bedeutet, dass Ärzte zwar das medizinisch Notwendige, aber nicht unbedingt das medizinisch Mögliche verordnen, auch weil ihr Budget zur Eindämmung von Kosten begrenzt ist.
Trotzdem hat dies bislang wenig an der zurückhaltenden Gestaltung ambulanter Therapien geändert, obwohl dies auch aus finanzieller Sicht für die Gesundheits- und Sozialsysteme sinnvoller wäre. Denn unzureichend behandelte Beschwerden und Einschränkungen können den Bedarf an Medikamenten und Pflege langfristig erhöhen.
Es ist ratsam, sich über die Ansprüche zur Verschreibung von Heilmitteln zu informieren.
Wenn ausreichend eigene finanzielle Mittel vorhanden sind, kann es sinnvoll sein, zusätzliche Therapien auf eigene Kosten in Anspruch zu nehmen. Ansonsten können oft Gespräche mit Therapeuten oder die Kontaktaufnahme mit Institutionen wie der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe über weitere Therapiemöglichkeiten Auskunft geben.
Zum Hintergrund der Heilmittel-Richtlinie (HeilM-RL):
Die Heilmittel-Richtlinie regelt für Vertragsärzte und Kliniken die Möglichkeiten der Heilmittelverordnungen im Rahmen des Entlassmanagements oder als langfristigen Heilmittelbedarf.
Nach einem Schlaganfall ist dies besonders von Bedeutung, da oft langfristige Therapien nötig sind. Ärzte können hier Heilmittelverordnungen außerhalb der üblichen Beschränkungen ausstellen, wenn die standardmäßig vorgesehene Verordnungsmenge für die medizinisch notwendige Behandlung nicht ausreicht. Dies erfordert eine detaillierte Begründung. Dazu gehören präzisierte Angaben zu den therapierelevanten Diagnosen und zur Prognose hinsichtlich der Therapieziele.
Weiterführende Informationen:
- Heilmittel-Richtlinie für Vertragsärztinnen und Vertragsärzte sowie Krankenhäuser
- Patienteninformation mit Vorlage zur Beantragung für langfristigen Heilmittelbedarf
Welche Physiotherapie ist nach einem Schlaganfall empfehlenswert?
Physiotherapie ist so vielseitig wie die gesundheitlichen Probleme, die sie behandelt.
Nach einem Schlaganfall ist es bei der Auswahl einer geeigneten Praxis ratsam, auf eine Zusatzausbildung in neurologischer Physiotherapie zu achten.
Zu den anerkannten therapeutischen Konzepten zählen Bobath, PNF und Vojta. Außerdem ist es vorteilhaft, wenn die Therapie immer von derselben Person durchgeführt wird, um Vertrauen aufzubauen. Dies ist förderlich, um gemeinsam kontinuierlich Probleme zu bearbeiten und Fortschritte im Verlauf zu beurteilen. Gerade diese Kontinuität ist in größeren Therapieeinrichtungen nicht immer gegeben.
Zudem ist die therapeutische Erfahrung mit Schlaganfall-Betroffenen ein wesentlicher Faktor für den Erfolg der Behandlung.
Wichtig: ein gutes persönliches Verhältnis zu Therapeuten
Die Psyche spielt bei der Physiotherapie eine entscheidende Rolle, besonders nach einem Schlaganfall. Dies betrifft nicht nur das persönliche Empfinden, sondern auch die psycho-soziale Interaktion.
Einschränkungen in diesem Bereich, die auch ursächlich vom Gehirn ausgehen, werden oft als Kontrollverlust erlebt. Ein Schlaganfall schwächt, verunsichert und macht verletzlich. Deshalb ist ein gutes, vertrauensvolles Verhältnis zu Therapeuten besonders wichtig.
Auch wenn es nicht immer möglich ist, sich die Therapeuten auszusuchen, sollte dies den Rehabilitationsprozess nicht verzögern. Die zeitnahe Fortführung der Therapie ist im Zweifel dem Warten auf den perfekten Schlaganfall-Experten vorzuziehen.
Dennoch lohnt es sich, sich bei Ärzten und im Freundes- und Bekanntenkreis umzuhören und Zeit in die Suche nach guten, einfühlsamen Therapeuten zu investieren.
Größter Wirkungsgrad der Therapie in den ersten 90 Tagen nach Schlaganfall
Forschungen zeigen, dass Therapien in den ersten 60 bis 90 Tagen nach einem Schlaganfall am wirkungsvollsten sind.
Dieses kritische Zeitfenster hängt mit den Regenerationsprozessen des Gehirns und den Eigenschaften der Neuroplastizität zusammen. Dem steht gegenüber, dass nach der Entlassung aus der Klinik trotzdem oft nur wenig Therapie verschrieben wird. Dies trägt zur Unterversorgung im Bereich der ambulanten Rehabilitation bei, die wissenschaftlich vielfach nachgewiesen wurde.
Ein wesentlicher Grund für diese Zurückhaltung ist, dass sich viele Betroffene in dieser Phase physisch schwach fühlen und sowohl Ärzte als auch Angehörige dazu tendieren, für die Betroffenen einen ruhigen und stressfreien Alltag zu schaffen.
Dies führt häufig dazu, dass notwendige Therapietermine als zusätzliche Belastung wahrgenommen werden. Es ist jedoch wichtig, das Bewusstsein zu schärfen, dass eine fortgesetzte intensive Therapie in diesem frühen Stadium essentiell für eine effektive Rehabilitation ist. Damit steht und fällt die langfristige Prognose zur Verbesserung der Lebensqualität.
Fazit: Therapie unterstützt bei Belastungen und erleichtert die Alltagsbewältigung!
Jeder Termin stellt zwar eine zeitliche Verpflichtung dar. Es ist jedoch sehr wichtig zu verstehen, welche Ziele die neurologische Physiotherapie bei Schlaganfall-Betroffenen in den Vordergrund stellt: Es geht vor allem darum, geschwächte Muskulatur zu aktivieren, Verspannungen zu reduzieren und Abläufe zu regulieren, um schmerzfreie Bewegungen zu ermöglichen.
Das angestrebte Ideal ist das harmonische Funktionieren von Sehnen, Muskeln, Gelenken, Atmung und Blutkreislauf. Dabei werden auch Muskeln gekräftigt.
Die neurologische Physiotherapie fokussiert beim Schlaganfall gerade auf die Linderung von Beschwerden und die Reduktion von unangenehmen Einschränkungen im Alltag.
Somit führt sie eher zu einer Entlastung als zur Belastung, auch wenn die vermehrte Aktivität am Anfang anstrengend erscheinen mag. Beispiele aus der Praxis illustrieren, warum deshalb gerade bei starken Einschränkungen und ernsthaften Beschwerden eine intensive Therapie besonders empfehlenswert ist.
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- Was Betroffene über Physiotherapie nach der klinischen Reha wissen sollten
- Ärztliche Nachsorge nach einem Schlaganfall
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Artikel erstmalig veröffentlicht am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autor
unter Mitarbeit von Dr. med. Karin Kelle-Herfurth, MHBA
Helmut Gruhn ist seit mehr als 50 Jahren Physiotherapeut und auf die Therapie zerebraler neurologischer Ausfälle bei Erwachsenen spezialisiert. Als Bobath-Instruktor entwickelte er das Therapiekonzept “Back-to-Life” für Schlaganfall-Betroffene. Er leitet Fortbildungen und Seminare für Therapeuten und Ärzte und ist als Supervisor für neurologische Kliniken tätig. 2004 gründete er das Perzeptionshaus – ein Therapie- und Fortbildungszentrum für neurologische Rehabilitation. [mehr]