Was Betroffene über Physiotherapie nach der klinischen Reha wissen sollten ▷ Physiotherapie nach Schlaganfall
Ein Schlaganfall resultiert aus einer plötzlichen Durchblutungsstörung im Gehirn.
Meist wird er durch Gerinnsel ausgelöst, die Blutgefäße blockieren (ischämischer Schlaganfall) oder durch eine Blutung infolge einer geplatzten Ader, wie bei einem Aneurysma (hämorrhagischer Schlaganfall). Zu den bekanntesten Risikofaktoren gehören Bluthochdruck, Übergewicht und Rauchen.
Mit etwa 270.000 Fällen pro Jahr zählt der Schlaganfall zu den häufigsten schweren Erkrankungen in Deutschland. Obwohl die Mehrzahl der Betroffenen älter als 65 Jahre ist, erleiden auch junge Menschen Schlaganfälle oder Erkrankungen mit ähnlicher Symptomatik.
Ein Schlaganfall hat vielfältige Folgen
Das Gehirn steuert über das Nervensystem sämtliche Vorgänge im Körper. Deshalb kann eine Schädigung des Gehirns auch nahezu jede körperliche Funktion beeinträchtigen. Zu den möglichen Auswirkungen des Schlaganfalls gehören zum Beispiel Einschränkungen oder der Ausfall von Sinnesfunktionen, Sprachstörungen, Verwirrtheit, Schwindel, Kopfschmerzen und halbseitige Muskellähmungen. Dazu kommt immer eine verminderte Konzentrations- und Leistungsfähigkeit.
Manche dieser Auswirkungen sind langwierig oder bestehen dauerhaft, was die Unabhängigkeit und Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigt. Der Schlaganfall ist zudem der häufigste Grund für eine Behinderung im Erwachsenenalter.
Jede mögliche Hilfe annehmen
Bei einem gebrochenen Bein erwartet niemand, dass jemand mit dieser Verletzung sofort nach der Entlassung aus der Klinik eine lange Bergwanderung unternimmt.
Eine Schädigung des Gehirns ist jedoch äußerlich nicht sichtbar. Selbst einfachste Tätigkeiten können plötzlich anstrengend sein, jede Form von Aufmerksamkeit ist mühsam. Zudem regeneriert sich das Gehirn nicht so schnell wie der Rest des Körpers.
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Eine verminderte Leistungsfähigkeit schränkt auch die Tatkraft und Disziplin ein. Schlaganfall-Betroffene und ihre Angehörigen sollten diese Realität erkennen und akzeptieren, und sie sollten jede verfügbare Unterstützung in Anspruch nehmen. Das Ziel ist: Fähigkeiten wiederzuerlangen und, falls dies nicht möglich ist, souverän mit Einschränkungen umzugehen.
Da in den ersten 60 bis 90 Tagen nach dem Schlaganfall Bemühungen zur Wiederherstellung von Fähigkeiten besonders effektiv sind, sollte dieser Zeitraum optimal genutzt werden.
Logopädie
Logopädie unterstützt als Therapie bei allen Aspekten des Sprechens, Schluckens und Atmens – Fähigkeiten, die für die Lebensqualität von entscheidender Bedeutung sind. Dementsprechend sollten gerade in diesem Bereich keine Mühen gescheut werden.
Ergotherapie und Physiotherapie: Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Ergotherapie und Physiotherapie befassen sich mit der Wiederherstellung und Verbesserung von körperlichen Funktionen und alltagsrelevanten Fähigkeiten.
Dabei fokussiert Physiotherapie auf die Verbesserung des körperlichen Wohlbefindens durch die Optimierung von Beweglichkeit, Kraft und Koordination sowie Schmerzlinderung.
Demgegenüber fördert Ergotherapie die Handlungskompetenz und Selbstständigkeit, indem sie bedeutsame Fähigkeiten im täglichen Leben entwickelt und verbessert.
Obwohl beide Disziplinen in ihren Ansätzen und Zielsetzungen variieren, ergänzen sie sich gegenseitig. In der Rehabilitation nach einem Schlaganfall arbeiten sie eng zusammen, um die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.
Ergotherapie: Den Alltag so unabhängig wie möglich bewältigen
Es ist die konkrete Zielsetzung von Ergotherapie, die in der Bewältigung alltäglicher Aufgaben und Handlungen liegt, was sie am meisten von Physiotherapie unterscheidet.
Aufstehen, Waschen, Anziehen, selbstständig Essen, allein auf die Toilette gehen, Treppensteigen sowie Gedächtnis- und Konzentrationstraining: All das gehört zu den Aufgaben der Ergotherapie.
Es geht darum, praktikable Lösungen für die Herausforderungen des Alltags zu finden, sei es durch das Anpassen der Umgebung, das Erlernen neuer Fähigkeiten oder das Nutzen spezieller Hilfsmittel.
Die Therapie kann das Training grundlegender Alltagsfähigkeiten umfassen, wie Ankleiden und Kochen, aber auch die Förderung kognitiver Fähigkeiten und sozialer Interaktionen.
Ein weiterer wichtiger Bereich ist die berufsspezifische Arbeitstherapie. Hier können beruflich relevante Fertigkeiten trainiert werden und Beratungen zur Anpassung des Arbeitsplatzes vorbereitend zur Wiedereingliederung erfolgen.
Physiotherapie: Fähigkeiten so funktional wie möglich wiederherstellen
Physiotherapie verfolgt ähnliche Ziele wie Ergotherapie, orientiert sich jedoch stärker am harmonischen Funktionieren des Körpers.
Neben Bewegungsaufgaben, die teilweise zu Hause selbstständig wiederholt werden sollen, kommen auch Wärme, Strom und manuelle Techniken zum Einsatz, um Beschwerden zu lindern und Einschränkungen von Fähigkeiten auszugleichen oder zu beseitigen.
Physiotherapie hilft nicht nur bei schwerwiegenden Symptomen, sondern auch bei allen Beschwerden und Einschränkungen rund um den Bewegungsapparat, zum Beispiel auch bei Sportlern, die ihr maximales Potenzial ausschöpfen wollen.
Neurologische Physiotherapie: Ideal für Schlaganfall-Betroffene
Physiotherapie, speziell für Schlaganfall-Betroffene, wird als neurologische Physiotherapie bezeichnet.
Zu den üblichen Zusatzausbildungen in diesem Bereich gehören Bobath, PNF (Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation) und Vojta. Ähnlich wie bei der Ergotherapie steht hier oft die Wiederherstellung alltäglicher Fähigkeiten im Fokus.
Ziel der neurologischen Physiotherapie ist es, durch die Arbeit mit dem Körper das Gehirn zu aktivieren. Aufgaben, die aufgrund von Gehirnschäden nicht mehr ausgeführt werden können, sollen von anderen Bereichen des Gehirns übernommen werden.
Intensives Training kann hier schnell zu großen Fortschritten führen. In anderen Fällen sind entweder viel Zeit und Geduld erforderlich, oder bestimmte Fähigkeiten gehen dauerhaft verloren.
Das Leben trotz Einschränkungen positiv gestalten
Physiotherapie spielt sehr oft eine wichtige Rolle bei der Gestaltung des Lebens nach dem Schlaganfall. Es geht darum, Fähigkeiten auszuloten und zu erweitern sowie Probleme zu lösen oder zu kompensieren.
Physiotherapie mag anstrengend erscheinen, besonders wenn die Leistungsfähigkeit nach einem Schlaganfall vermindert ist. Diese Wahrnehmung lässt manche Betroffene zurückschrecken, sich auf viele Termine direkt nach der Entlassung aus der Reha-Klinik einzulassen.
Jedoch fokussiert Physiotherapie gerade bei Schlaganfall-Betroffenen vorrangig darauf, ungünstige kompensatorische Ausweichbewegungen zu vermeiden, schmerzhafte Verspannungen zu lösen und normale Bewegungsabläufe wiederzuerlangen – kurzum: unnötige Anstrengungen zu minimieren. Ziel ist mehr Harmonie und Leichtigkeit in der Bewegung.
Die Einsatzmöglichkeiten der Physiotherapie sind sehr vielfältig. Am besten lassen sich diese durch Beispiele aus der Praxis illustrieren.
Gesunder Geist in einem gesunden Körper
Nach einem Schlaganfall ist das Gehirn zwar geschädigt, und auch der Körper, der nicht mehr allen Befehlen korrekt folgen kann, fühlt sich nicht gesund an.
Tatsächlich müssen Schlaganfall-Betroffene neu definieren, was „gesund“ für sie bedeutet. Es mag tröstlich wirken, dass dieser Prozess für alle Menschen ähnlich ist.
Das Alter, Unfälle, Untätigkeit, Überlastung, zu wenig Schlaf, alltägliche Probleme, begrenzte finanzielle Mittel, schwierige Phasen im Leben: Ständig müssen wir uns anpassen.
Aus dieser Perspektive betrachtet, kann ein Schlaganfall als einer von vielen Faktoren betrachtet werden, die bei der Gestaltung des Lebens einschränken können.
Es gilt dann, den noch vorhandenen Handlungsspielraum mit so viel Freude wie möglich zu nutzen und im Rahmen der eigenen Möglichkeiten zu erweitern. Die neurologische Physiotherapie ist dabei ein sehr wichtiger Baustein!
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Artikel erstmalig veröffentlicht am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autor
unter Mitarbeit von Dr. med. Karin Kelle-Herfurth, MHBA
Helmut Gruhn ist seit mehr als 50 Jahren Physiotherapeut und auf die Therapie zerebraler neurologischer Ausfälle bei Erwachsenen spezialisiert. Als Bobath-Instruktor entwickelte er das Therapiekonzept “Back-to-Life” für Schlaganfall-Betroffene. Er leitet Fortbildungen und Seminare für Therapeuten und Ärzte und ist als Supervisor für neurologische Kliniken tätig. 2004 gründete er das Perzeptionshaus – ein Therapie- und Fortbildungszentrum für neurologische Rehabilitation. [mehr]