Morbus Fabry ▷ Symptome, Ursache, Folgen, Prognose und Therapie
In diesem Artikel:
Definition und Häufigkeit
Morbus Fabry ist eine seltene, erbliche Stoffwechselstörung aus der Gruppe der sog. lysosomalen Speicherkrankheiten, bei der eine Mutation (Erbgutveränderung) auf dem X-Chromosom vorliegt
Die Häufigkeit (Inzidenz), also die Anzahl der jährlich neu gestellten Diagnosen, beträgt in Deutschland für das männliche Geschlecht etwa 1 von 40.000, für das weibliche Geschlecht etwa 1 von 80.000 Menschen.
Da die Diagnose der Fabry-Krankheit nicht einfach und oft erst viele Jahre nach den ersten Krankheitszeichen gestellt wird, ist anzunehmen, dass die Zahl nicht erkannter Krankheitsfälle, also die Dunkelziffer, hoch ist.
Die Erkrankung betrifft vor allem das männliche Geschlecht, aber auch Frauen können erkranken. Jedoch ist bei ihnen die Erkrankung meist weniger stark ausgeprägt und beginnt erst im mittleren Lebensalter.
1898 wurde die Krankheit unabhängig voneinander von dem deutschen Hautarzt Prof. Dr. Johannes Fabry und dem englischen Chirurgen, Pathologen und Anatomen Prof. William Anderson erstmals beschrieben.
Ursache
Beim Morbus Fabry werden durch das Fehlen eines Enzyms (auch Biokatalysator oder Stoffwechselbeschleuniger genannt) bestimmte Fettstoffe nicht vom Körper abgebaut. Diese Fettstoffe lagern sich in verschiedenen Zellen bzw. Organen des Körpers ab und führen zu einer Vielfalt von Krankheitserscheinungen.
Die Ursache des Morbus Fabry ist ein komplexer biochemischer Defekt. Bei den Betroffenen fehlt das Enzym bzw. der Katalysator Alpha-Galactosidase A oder steht nur stark reduziert zur Verfügung. Enzyme sind lebenswichtige “Antreiber” oder Beschleuniger von Stoffwechselprozessen.
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Alpha-Galactosidase A ist für den Abbau von zuckerhaltigen Fettstoffen verantwortlich. In den Lysosomen, also den „Recyclingzentren“ der Zellen, kann vor allem das Stoffwechselprodukt Globotriaosylceramid, ein Glycosphingolipid, nicht mehr ausreichend abgebaut werden.
Globotriaosylceramid sammelt sich vor allem in den Zellen der Innenauskleidung der Blutgefäße, den Endothelzellen, an. Im Verlauf der Erkrankung führen diese Ansammlungen zu krankhaften Erscheinungen. Je nach Krankheitsverlauf kann dieser Vorgang unter Umständen Jahrzehnte dauern.
Der Morbus Fabry ist eine Multisystemerkrankung, die eine Vielzahl von Organen des Körpers betreffen kann. Abhängig von den betroffenen Organen können sehr unterschiedliche Symptome auftreten. Die individuell sehr unterschiedliche Ausprägung der Erkrankung und ihre Seltenheit erschweren die Diagnose erheblich.
Frühe Symptome
Hirndurchblutungsstörungen
Besonders verdächtig sind bei jungen Menschen Anzeichen einer Hirndurchblutungsstörung. Sie können kurzdauernde Symptome im Rahmen einer transitorischen ischämischen Attacke (TIA) sein oder ein Hirninfarkt. Hier ist ganz besondere Aufmerksamkeit angebracht, da derartige Störungen bei Jugendlichen selten auftreten und oft nur schwer als eine Durchblutungsstörung des Gehirns zu erkennen sind.
Wir verweisen hier auf den Artikel “Schlaganfall bei Kindern und Jugendlichen” auf dieser Webseite.
Nervenschmerzen
Eines der ersten Symptome des Morbus Fabry sind Schmerzen in Händen und Füßen. Diese sog. Akroparästhesien treten meistens bereits in der Kindheit auf. Diese Schmerzen treten bei etwa 60 bis 80 Prozent der betroffenen Jungen und Mädchen auf.
Zwei Arten von Schmerzen werden von den Patienten beschrieben:
- Periodisch wiederkehrende anfallsartige Schmerzattacken (sog. „Fabry-Krisen“) mit brennenden Schmerzen, die von den Händen und Füßen ausgehend in andere Körperteile ausstrahlen.
- Chronische Schmerzen mit brennenden und kribbelnden Missempfindungen (Parästhesien).
Die Fabry-Krisen können durch Fieber, sportliche Betätigung, Stress, Erschöpfung und schnelle Temperaturwechsel ausgelöst werden.
Die Schmerzen lassen im Erwachsenenalter meist nach. Sie treten bei Jungen früher und häufiger als bei Mädchen auf. Bei Jungen durchschnittlich im siebenten Lebensjahr, bei Mädchen im neunten. Die Schmerzen haben einen erheblichen negativen Einfluss auf die Lebensqualität der Patienten.
Magen-Darm-Beschwerden
Beschwerden im Bereich des Verdauungstraktes sind ein weiteres häufiges, meist unterschätztes, frühes Symptom des Morbus Fabry. Diese Leiden bleiben meist auch noch im Erwachsenenalter erhalten.
Die Patienten beklagen Bauchschmerzen, meist nach dem Essen, Durchfall, Übelkeit und Erbrechen. Dies kann wiederum die Ursache einer Anorexie sein, einer krankhaften Abmagerung mit starkem Gewichtsverlust.
Schweiß-Produktionsstörungen (Hypo- oder Anhidrose)
Viele Morbus-Fabry-Patienten können keinen Schweiß absondern (Anhidrose) oder dies nur stark vermindert tun (Hypohidrose). Die An- bzw. Hypohidrose kann bei den Betroffenen zu einer reduzierten Erträglichkeit von Wärme und erheblichen Einschränkungen bei körperlichen Belastungen führen.
Hautveränderungen (Angiokeratome)
Das am leichtesten zu erkennende Frühsymptom bei Morbus Fabry sind Angiokeratome. Dies sind gutartige rot-violette Hautveränderungen mit leichten Erhebungen. Sie werden typischerweise an Gesäß, in der Leistenregion, um den Bauchnabel und am Oberschenkel gebildet. Gelegentlich sind auch die Schleimhäute, beispielsweise im Mund, betroffen.
Hornhauttrübungen (Vortexkeratopathie)
Charakteristische Hornhauttrübungen der Augen sind die häufigsten frühen Symptome des Morbus Fabry. Sie können augenärztlich mittels der Spaltlampe sicher diagnostiziert werden.
Diese Form der Hornhauttrübung wird im medizinischen Sprachgebrauch als Cornea verticillata oder Vortexkeratopathie bezeichnet. Sie tritt beidseitig auf und hat ein charakteristisches cremefarbenes wirbelartiges Muster. Die Trübung beeinträchtigt die Sehschärfe nicht.
Hörminderung, Tinnitus
Auch eine Innenohrschwerhörigkeit, auch sensorineurale Schwerhörigkeit genannt, ein Tinnitus oder eine Störung des Gleichgewichtsorgans im Innenohr mit Schwindel können auftreten.
Späte Symptome
Nierenschädigung
Wie die meisten Symptome bei Morbus Fabry weist auch die Schädigung der Niere einen progressiven Verlauf auf.
Diese Nierenschädigung beginnt meistens im zweiten bis dritten Lebensjahrzehnt und kann mit Nierenversagen im vierten bis fünften Lebensjahrzehnt enden.
Etwa 17 Prozent aller männlichen und ein Prozent aller weiblichen Morbus-Fabry-Patienten entwickeln eine terminale Niereninsuffizienz und werden dialyse- oder transplantationspflichtig.
Dabei ist die Hälfte der Betroffenen unter 53 Jahre alt. Insgesamt entwickelt mehr als die Hälfte der Morbus-Fabry-Patienten eine Nierenschädigung. Das terminale Nierenversagen ist ein wesentlicher Faktor für die gesundheitlichen Einschränkungen und die Sterblichkeit.
Herzschädigung
Etwa 40 bis 60 Prozent der Morbus-Fabry-Patienten zeigen Symptome von Seiten des Herzens: Linksventrikuläre Hypertrophie (LVH, Verdickung der Herzwand der linken Herzkammer), Herzrhythmusstörungen (Arrhythmien), Angina pectoris (anfallsartiger Schmerz in der Brust), Durchblutungsstörungen des Herzmuskels (Myokardischämien) und Dyspnoe (erschwerte Atemtätigkeit). Für Männer sind diese Symptome grundsätzlich schwerwiegender als für Frauen.
Im Alter entwickeln sich fortschreitende Myokardfibrosen, d.h. bindegewebige Verhärtungen des Herzmuskels. Im Endstadium reduziert eine die gesamte Dicke der Wandschicht des Herzens betreffende narbige Fibrose allmählich die Herzfunktion bis zur schweren Herzinsuffizienz. Bösartige (maligne) Arrhythmien sind für die meisten Fälle von Herztod bei Morbus-Fabry-Patienten verantwortlich.
Hirndurchblutungsstörungen
Auf die frühen, meist in der Jugend auftretenden Symptome (siehe oben) folgen im Erwachsenenalter nicht selten an mehreren Stellen auftretende (multifokale) Durchblutungsstörungen durch die Schädigung kleiner Blutgefäßen.
Diese durch die Kernspintomographie (MRT) feststellbaren Veränderungen im Gehirn können zu einer Vielfalt unterschiedlicher Symptome führen. Die Bandbreite geht dabei von Kopfschmerzen und Schwindelgefühlen, über transitorische ischämische Attacken und ischämische Schlaganfälle bis hin zur vaskulären Demenz.
Die Häufigkeit des Auftretens von Hirndurchblutungsstörungen ist wesentlich höher als in der Gesamtbevölkerung. Nicht selten ist ein Hirninfarkt die erste Manifestation des Morbus Fabry.
Weitere Spätfolgen
Der wesentliche Anteil an der Sterblichkeit des Morbus Fabry wird durch die an Nieren, Herz und Gehirn entstehenden Schädigungen hervorgerufen. Andere Spätfolgen haben keinen Einfluss auf die Sterblichkeit.
So sind beispielsweise Schäden am Gehör- und Gleichgewichtsorgan weit verbreitet. 80 % der männlichen und 77 % der weiblichen Patienten weisen einen fortschreitenden Verlust des Gleichgewichtssinns auf. Bei bestimmten Patienten mit klassischem Verlauf der Erkrankung sind fortschreitender Hörverlust und plötzliche Taubheit ausgesprochen häufig. Darüber hinaus kommt es gehäuft zu Ohrgeräuschen (Tinnitus).
Die Atemwege sind bei vielen Morbus-Fabry-Patienten ebenfalls betroffen. Atembeschwerden (Dyspnoen), Atemwegsverengungen (Obstruktionen) und chronischer Husten sind bei beiden Geschlechtern weit verbreitet.
Veränderungen am Skelett, die im Wesentlichen die Knochendichte betreffen, d.h. Osteopenie (Minderung der Knochendichte) bzw. Osteoporose (deutlicher Knochenschwund), sind ebenfalls ein häufiges Spätsymptom des Morbus Fabry, wobei die reduzierte Knochendichte zu Spontanfrakturen führen kann, also zu Knochenbrüchen ohne äußere Einwirkung.
Diagnose
Sowohl in der Diagnostik als auch in der Behandlung des Morbus Fabry sind mehrere medizinische Fachbereiche gefordert. Somit ist eine enge Zusammenarbeit die wichtigste Voraussetzung für eine zuverlässige Diagnose und damit auch für die Behandlung.
Zur Diagnosesicherung sind aufwendige Laboruntersuchungen und molekulargenetische Analysen erforderlich.
Therapie
Symptomatische Therapie
Vor 2016 konnten Morbus-Fabry-Patienten nur symptomatisch behandelt werden. Bis zu diesem Zeitpunkt bestand die Behandlung im Wesentlichen in der Vermeidung schmerzauslösender Reize, wie beispielsweise Stress, körperliche Anstrengungen, Hitze, Sonnenlicht und starke Temperaturänderungen.
Gegen die Schmerzen gab es hochdosierte Analgetika. Mit vermehrter Flüssigkeitszufuhr bei heißem Wetter und der Vermeidung körperlicher Belastung wurde der Anhidrose entgegengewirkt. Eine fettarme Diät und Medikamente dienen der Linderung von Magen-Darm-Beschwerden.
Nierenschonkost wurde bei leichter Proteinurie, einer vermehrten Eiweißausscheidung im Urin, verordnet.
Zur Prävention von Schlaganfällen werden gerinnungshemmende Medikamente verschrieben. Terminales Nierenversagen kann per Nierenersatztherapie (Dialyse oder Nierentransplantation) behandelt werden.
Enzymersatztherapie
Die 2016 eingeführte Enzymersatztherapie (EET oder ERT, von englisch Enzyme Replacement Therapy) ist ein therapeutisches Verfahren zur Behandlung von Enzymdefekten bei lysosomalen Speicherkrankheiten wie beim Morbus Fabry.
Die Behandlung erfolgt lebenslang in regelmäßigen Abständen. Die Enzymersatztherapie (ERT) ist derzeit (Stand Mai 2023) die einzige Möglichkeit zur ursächlichen Behandlung (kausale Therapie) des Morbus Fabry.
Prognose
Morbus Fabry ist derzeit nicht heilbar. Unbehandelt erreichen männliche Patienten im Durchschnitt ein Alter von etwa 50, Patientinnen von etwa 70 Jahren. Die Hauptursachen für die frühe Sterblichkeit sind chronisches Nierenversagen, Schädigung des Herzens und eine Beeinträchtigung der Blutversorgung des Gehirns.
Bei frühzeitigem Beginn der Behandlung können die Betroffenen wieder ein fast normales Leben führen und auch die Lebenserwartung ist nicht wesentlich gemindert. Die Behandlung sollte deshalb möglichst früh noch vor dem Auftreten von strukturellen Organschäden beginnen. Die Beschwerden der meisten Patienten verringern sich unter der Therapie, bei einigen verschwinden sie sogar ganz.
Was können Betroffene selber tun?
Wichtig, gerade bei seltenen Erkrankungen wie dem Morbus Fabry, ist der Kontakt zu Selbsthilfegruppen. Dort können sich Betroffene bzgl. ihrer Erkrankung austauschen und erhalten zudem aktuelle Informationen und vor allem Unterstützung und Hilfe bzgl. weiterführender Diagnostik und Therapie.
Nachfolgend die entsprechenden Kontaktdaten in Deutschland und Österreich:
Brunnenstraße 11
D 52152 Simmerath
Telefon: 02473/93 76 488
E-Mail: [email protected]
Webseite: https://fabry-shg.org/
Kampergasse 598
A 2823 Pitten
E-Mail: [email protected]
Webseite: https://www.morbus-fabry.eu
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Artikel erstmalig veröffentlicht am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autor
unter Mitarbeit von Prof. Dr. med. Hans Joachim von Büdingen
Dr. med. Mark Dankhoff ist Facharzt für Allgemeinmedizin, Ernährungsmedizin, Diabetologische Grundversorgung, Hypertensiologie DHL, Adiposiologie DAG/AGA/DDG, Adipositas-Trainer AGA, Medizinischer Berater. Sein Schwerpunkt ist die Prävention und Therapie von kardiovaskulären Risikofaktoren und Erkrankungen. Seit 2021 ist er als Medical Advisor freiberuflich tätig. Dr. med. Mark Dankhoff ist Gründungsmitglied des „Im Puls. Think Tank Herz-Kreislauf e.V.“. [mehr]
Quellen
- J. A. Barranger, M. A. Cabrera-Salazar (Hrsg.): Lysosomal storage disorders. Verlag Springer, 2007, ISBN 978-0-387-70908-6.
- D. Elstein, G. Altarescu, M. Beck (Hrsg.): Fabry Disease. Verlag Springer, 2010, ISBN 978-90-481-9032-4.
- Fabry disease: recent advances in pathology, diagnosis, treatment and monitoring – Autoren: Björn Hoffmann – Publikation: Orphanet J Rare Dis. 2009 Oct 11:4:21.- DOI: 10.1186/1750-1172-4-21
- Morbus Fabry – oft gesehen, selten erkannt. – Autoren: B. Hoffmann, E. Mayatepek – Publikation: Dtsch Arztebl Int. Band 106, 2009, S. 72–81. – DOI: 10.3238/arztebl.2009.0440
- Fabry Disease: Perspectives from 5 Years of FOS – Autoren: Atul Mehta, Michael Beck, Gere Sunder-Plassmann – Publikation: Oxford PharmaGenesis, 2006 – PMID 21290683
- Interdisziplinäre Leitlinie für die Diagnose und Therapie des Morbus Fabry – Autoren: Univ.-Prof. Dr. Nurcan Üçeyler et al. – URL: https://dgn.org/leitlinie/interdisziplinare-leitlinie-fur-die-diagnose-und-therapie-des-morbus-fabry
- C. Wanner: Morbus Fabry: Klinik, Diagnostik und Therapie. Verlag Uni-Med, 2004, ISBN 3-89599-769-2.
- C. Whybra, M. Ries, C. Kampmann: Klinische Manifestation des Morbus Fabry bei Kindern. (PDF; 2,8 MB). In: Neuropädiatrie. Band 2, 2005, S. 44–48