Ist ein Schlaganfall vererbbar? ▷ Schlaganfall & Genetik
In diesem Artikel:
- Ist der Schlaganfall vererbbar?
- Wie funktioniert Vererbung?
- Sind Risikofaktoren vererbbar?
- Wann ist es sinnvoll, Gendiagnostik durchzuführen?
- Welches Fachgebiet ist dafür zuständig?
- Was heißt das für Betroffene?
Das Wichtigste in Kürze:
- Es gibt bisher keinen Hinweis, dass die Erkrankung Schlaganfall vererbbar ist.
- Allerdings können erbliche Anlagen z.B. für die Entwicklung eines Diabetes, einer Fettstoffwechselstörung (Hypercholesterinämie) u.a. das Risiko eines Schlaganfalls erhöhen.
- Die Wahrscheinlichkeit, einen Schlaganfall zu erleiden, ist erhöht, wenn nahe Verwandte wie Eltern oder Geschwister von einem Schlaganfall betroffen sind.
- Die meisten Risikofaktoren kann man selbst beeinflussen.
Ist der Schlaganfall vererbbar?
Ein Schlaganfall ist keine erbliche Erkrankung, welche an die Nachkommen weitergegeben wird. Das Auftreten eines Schlaganfalls wird von vielen Risikofaktoren beeinflusst und einzelne Faktoren können auch erbliche bzw. genetische Grundlagen haben.
Die neuesten Forschungen haben 32 Bereiche in der menschlichen Erbmasse (Genom) gefunden, welche in Zusammenhang mit dem Schlaganfall stehen bzw. das Risiko eines Schlaganfalls erhöhen. Für einen ischämischen Schlaganfall sind 20 Genbereiche bekannt.1
Das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden ist um 35 Prozent erhöht, wenn das genetische Risiko erhöht ist.
Es ist außerdem bekannt, dass ein gesunder Lebensstil Risikofaktoren für einen Schlaganfall günstig beeinflussen kann. Dazu zählt vor allem ein Rauchverzicht, eine gute Diabeteskontrolle, körperliche Aktivität und eine gesunde Ernährung.2
Es gibt eine Reihe von vererbbaren Erkrankungen, die das Risiko eines Schlaganfalls erhöhen.
Beispiele sind:
Die sehr seltene und deshalb häufig erst spät erkannte Erkrankung “Morbus Fabry”. Sie zählt zu den sogenannten “lysosomalen Speicherkrankheiten” und ist dadurch gekennzeichnet, dass Betroffene ein spezifisches Enzym nicht bilden können. Dies führt dazu, dass sich bestimmte Fettstoffe besonders in der Innenwand von Blutgefäßen ablagern. Folgen hiervon sind u. a. sehr frühe Schlaganfälle bereits bei Kindern, Niereninsuffizienz und auch Herzrhythmusstörungen. Seit 2001 kann das fehlende Enzym substituiert werden und somit können Betroffene ein annähernd normales Leben führen.1
Die Sichelzellanämie ist eine erbliche Erkrankung der roten Blutkörperchen, den Sauerstoff transportierenden Erythrozyten. Folgen sind eine Anämie, d.h., ein Mangel an Erythrozyten und die Gefahr der Bildung von Blutgerinnseln, die Blutgefäße verstopfen können. 25 Prozent der Schlaganfälle vor dem 45. Lebensjahr sind durch eine Sichelzellanämie verursacht. Es wird daher empfohlen, bei Kindern mit bekannter Sichelzellanämie regelmäßig eine Ultraschalluntersuchung (Doppler- und Duplexsonographie) der hirnversorgenden Arterien durchzuführen, um das Risiko für einen Schlaganfall genauer abschätzen zu können. 3
Die “Moyamoya Erkrankung” ist eine sehr seltene, vor allem in asiatischen Ländern vorkommende Erkrankung, bei der sich große, hirnversorgende Arterien verschließen und zur Kompensation ein Netz von feinsten Gefäßen im Gehirn gebildet wird. Es entstehen Gefäßneubildungen und Umgehungskreisläufe. Durch die Gefäßverschlüsse kann es bereits bei Kindern oder im mittleren Lebensalter zu ischämischen Schlaganfällen (Hirninfarkten) kommen, auch zu Hirnblutungen. Die Diagnose kann nur angiographisch, also durch die Darstellung der Hirngefäße mit Kontrastmittel gestellt werden.
Träger von vererbbaren Thrombophilien (zum Beispiel Faktor V Leiden Mutation) weisen ein erhöhtes Risiko für ischämische Schlaganfälle auf. Gerade bei jungen Erwachsenen scheinen unbekannte Thrombophilien eine häufig übersehene Ursache für einen Schlaganfall zu sein. Bei einer Thrombophilie liegt eine gestörte Blutgerinnung vor, welche zu häufigerem Auftreten von Thrombosen führt.4
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Exkurs: Wie funktioniert Vererbung?
Genom: mit dem Begriff Genom wird die Gesamtheit der menschlichen Erbinformation bezeichnet. Diese findet sich in fast allen Körperzellen und wird über den Geschlechtsverkehr an die Nachkommen weitergegeben.
Genlocus: Unter dem Begriff Genlocus versteht man den Ort eines bestimmten Gens. Also in welchem Bereich des gesamten Genoms ein bestimmtes Gen liegt.
Gen: Ein Gen ist die kleinste Funktionseinheit des gesamten Genoms. In einem Gen ist eine bestimmte Abfolge von sogenannten Basen vorhanden, die für verschiedenste Elemente im Körper codieren. Ein Gen kann zum Beispiel Teile von Proteinen herstellen, wenn es abgelesen wird. Oder einige Gene spielen zusammen und bestimmen beispielsweise die Haarfarbe des Menschen.
Vererbung (autosomal, chromosomal, dominant, rezessiv): Das gesamte Genom ist in den Chromosomen gespeichert. Der Normalfall ist, dass Männer 22 Autosomenpaare (je ein Autosom von der Mutter und eins von dem Vater) haben und ein X- und ein Y-Chromosom.
Diese X- und Y-Chromosomen nennt man auch Gonosomen oder Geschlechtschromosomen und es sind die Chromosomen, die für die Geschlechtsdifferenzierung verantwortlich sind.
Frauen tragen 22 Autosomenpaare und 2 X-Chromosomen.
Es gibt verschiedene Erbgänge, also Muster, nach denen Erkrankungen an die Nachkommen weitergegeben werden.
Ein autosomaler Erbgang bedeutet, dass das Merkmal anhand eines der 22 Autosomenpaare weitergegeben wird.
Bei einem X-chromosomalen Erbgang wird das Merkmal über das Geschlechtschromosom weitergegeben. Hier haben Frauen den Vorteil, dass sie 2 X-Chromosomen haben und meistens nicht beide Elternteile die gleiche Veränderung tragen. Somit gelten Frauen meistens als Überträgerinnen, wenn nur ein X-Chromosom verändert ist. Wenn Männer ein verändertes X-Chromosom vererbt bekommen, fehlt ihnen das zweite Chromosom, um die Informationen auszugleichen. Somit erkranken Männer deutlich häufiger an X-chromosomal vererbten Erkrankungen.
Bei rezessiv vererbten Erkrankungen müssen jeweils beide Chromosomen verändert sein, also sowohl das Chromosom der Mutter als auch das Chromosom des Vaters, damit die Erkrankung zum Vorschein tritt.
Eine dominant vererbte Erkrankung ist dadurch gekennzeichnet, dass schon ein verändertes Chromosom ausreicht, um eine Erkrankung/Symptome hervorzurufen. Bei einer dominanten Erkrankung erkranken in der Regel alle Nachkommen.
Unabhängig von diesen klaren Vererbungsregeln gibt es aber zahlreiche Erkrankungen, die nicht genau von einer Genveränderung abhängen, sondern durch eine Vielzahl von Veränderungen bestimmt werden.
Sind Risikofaktoren vererbbar?
Die wichtigsten Risikofaktoren für einen Schlaganfall sind Bluthochdruck, Rauchen, erhöhte Blutfette, Diabetes, Vorhofflimmern und Bewegungsmangel.
Die familiäre Hypercholesterinämie ist eine monogenetische autosomal dominante Erkrankung, bei der seit Geburt das LDL-Cholesterin erhöht ist. Ab einem LDL-Wert von über 190 mg/dl sollte über eine familiäre Form der Hypercholesterinämie nachgedacht werden. In 50 Prozent der Fälle wird diese Form an die Nachkommen vererbt. Bei Betroffenen ist das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden deutlich erhöht (HR 6,74).5
Es sind Genabschnitte (PITX2 and ZFHX3) bekannt, welche mit einem erhöhten Risiko für Vorhofflimmern einhergehen und somit auch das Risiko für einen Schlaganfall beeinflussen. Ebenso ist ein Genbereich bekannt, welcher das Risiko für eine Herzkranzgefäßerkrankung und auch Arteriosklerose erhöht.6
Diese Genbereiche können beispielsweise bei Patienten mit Vorhofflimmern verändert sein, was jedoch nicht bedeutet, dass jeder Patient mit Vorhofflimmern eine genetische Diagnostik veranlassen sollte. Da keine genetisch-basierte Therapie möglich ist, hat dies meist keine Konsequenz.
Die Diabetes-Erkrankungen haben ebenfalls eine genetische Komponente. Man unterscheidet den Typ I von dem Typ II Diabetes. Der Typ II Diabetes wird im Alltag gerne als “Altersdiabetes” bezeichnet und tritt vorwiegend, aber nicht immer, im höheren Alter auf.
Für den Typ II Diabetes sind mindestens 75 Genabschnitte bekannt, welche mit einem erhöhten Risiko der Erkrankung einhergehen.7
Das Erkrankungsrisiko liegt für eineiige Zwillinge beispielsweise bei bis zu 90 Prozent, wenn ein Elternteil an Diabetes Typ II erkrankt ist. Aber nicht nur die Genetik spielt eine Rolle. Der Typ II Diabetes ist vor allem durch einen ungesunden Lebensstil beeinflusst. Das beinhaltet unter anderem Übergewicht, Mangelbewegung in Kombination mit ungesunder Ernährung.
Bei einem Typ I Diabetes geht man ebenfalls von einem genetischen Einfluss aus. Wenn ein Elternteil erkrankt ist, wird das Kind mit einer Wahrscheinlichkeit von 3 bis 5 Prozent an einem Diabetes mellitus Typ I erkranken. Wenn beide Elternteile erkrankt sind, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit der Erkrankung auf 10-25 Prozent.
Wann ist es sinnvoll, Gendiagnostik durchzuführen?
Diese Frage stellt sich bei Verdacht auf eine genetische Komponente. Jeder Mensch hat ein gewisses, individuell sehr verschiedenes Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden. Die einen haben die “Veranlagung” zur Bildung vermehrter Blutfette, andere haben einen erhöhten Blutdruck, wieder andere einen Diabetes und nicht selten kommt die Kombination dieser Risikofaktoren als “Metabolisches Syndrom” vor.
Am häufigsten sind Fettstoffwechselstörungen (familiäre Hypercholesterinämien), welche mit deutlich erhöhten Cholesterinwerten einhergehen. Diese fallen meistens schon im Kindesalter auf und werden dann intensiv therapiert und auch kontrolliert.
Es gibt auch Gefäß- oder Bindegewebserkrankungen, die in einer Familie gehäuft vorkommen und mit einem erhöhten Risiko für Schlaganfälle verbunden sind. Diese Erkrankungen werden meist frühzeitig erkannt, da sie mehrere Generationen betreffen.
Welches Fachgebiet ist dafür zuständig?
Wenn Sie während des Lesens dieses Artikels den Eindruck hatten, dass einige Punkte auf Sie oder Ihre Familie zutreffen, können Sie nach Rücksprache mit Ihrem Arzt eventuelle genetische Ursachen bei einem Humangenetiker abklären lassen.
Das Fachgebiet Humangenetik beschäftigt sich mit Erkrankungen, welche vererbbar sind oder eine vererbbare Komponente besitzen. Zunächst wird eine humangenetische Beratung durchgeführt, bei welcher viele Fragen bezüglich Ihrer Gesundheit und die Ihrer Familie gestellt werden. Erst wenn diese Gespräche den Hinweis auf eine genetische Komponente erhärten, werden diagnostische Schritte in Erwägung gezogen.
Was heißt das für Betroffene?
Das Erbgut, welches in unseren Zellen vorhanden ist, kann man selbst nicht beeinflussen. Wenn man von einer vererbbaren Erkrankung weiß, welche mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko einhergeht, kann man eine humangenetische Untersuchung in Betracht ziehen, um eine mögliche Therapie zu hinterfragen.
Wichtig zu wissen ist, dass Sie die meisten Risikofaktoren für einen Schlaganfall selbst “in den Griff” bekommen können.
Der Rauchstopp und der Gewichtsverlust in Kombination mit körperlicher Betätigung sind wichtige Aspekte, für die man meist nicht mal einen Arzt benötigt.
Für die medikamentöse Einstellung der Blutfette, des Blutdrucks, der Blutgerinnung und des Diabetes ist es immer hilfreich, mit dem Hausarzt und dem Neurologen in Kontakt zu bleiben und die Medikamente regelmäßig einzunehmen.
Ebenso können Sie an vielen Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen. Dazu gehört zum Beispiel die Ultraschall-Untersuchung der Halsschlagadern, bei welcher darauf geachtet wird, ob mögliche Wandverdickungen (Plaques) erkennbar sind. Oder auch regelmäßige Laborkontrollen und, sehr wichtig, Blutdruckkontrollen an beiden Armen.
Sie haben eine Frage zum Schlaganfall? Tauschen Sie sich mit anderen Betroffenen und Angehörigen in unserem Forum aus.
- Was ist ein Schlaganfall?
- Was sind die Ursachen eines Schlaganfalls?
- Was sind die Symptome eines Schlaganfalls?
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Artikel erstmalig veröffentlicht am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autoren
unter Mitarbeit von stud. med. Nina Siegmar
Prof. Dr. med. Hans Joachim von Büdingen ist niedergelassener Facharzt für Neurologie und Psychiatrie am Neurozentrum Ravensburg. Als Chefarzt leitete er die Abteilung für Neurologie und Klinische Neurophysiologie am Krankenhaus St. Elisabeth in Ravensburg. Zu den Schwerpunkten seiner Arbeit gehört die Diagnostik und Behandlung von Schlaganfällen. [mehr]Sie erhalten von uns regelmäßig und kostenlos aktuelle Informationen rund um den Schlaganfall.
Quellen
- Multiancestry Genome-Wide Association Study of 520,000 Subjects Identifies 32 Loci Associated with Stroke and Stroke Subtypes – Autoren: Malik, Rainer, Ganesh Chauhan, Matthew Traylor, Muralidharan Sargurupremraj, Yukinori Okada, Aniket Mishra, et al. – Publikation: Nature Genetics, 50.4 (2018), 524–37 – DOI: 10.1038/s41588-018-0058-3
- Genetic Risk, Incident Stroke, and the Benefits of Adhering to a Healthy Lifestyle: Cohort Study of 306 473 UK Biobank Participants – Autoren: Larsson, Susanna C, Rainer Malik, Kristiina Rannikmäe, Cathie L Sudlow, Martin Dichgans, Hugh S Markus et al. – Publikation: The BMJ, 363 (2018) – DOI: 10.1136/bmj.k4168
- Genetic Stroke Syndromes – Autoren: Barrett, Kevin M., James F. Meschia – Publikation: Continuum : Lifelong Learning in Neurology, 20.2 Cerebrovascular Disease (2014), 399–411 – DOI: 10.1212/01.CON.0000446109.20539.68
- Inherited Thrombophilia and the Risk of Arterial Ischemic Stroke: A Systematic Review and Meta‐Analysis – Autoren: Chiasakul, Thita, Elizabeth De Jesus, Jiayi Tong, Yong Chen, Mark Crowther, David Garcia et al. – Publikation: Journal of the American Heart Association: Cardiovascular and Cerebrovascular Disease, 8.19 (2019) – DOI: 10.1161/JAHA.119.012877
- Risk of Cardiovascular Disease Outcomes in Primary Care Subjects with Familial Hypercholesterolaemia: A Cohort Study – Autoren: Iyen, Barbara, Nadeem Qureshi, Joe Kai, Ralph K. Akyea, Jo Leonardi-Bee, Paul Roderick et al. – Publikation: Atherosclerosis, 287 (2019), 8–15 – DOI: 10.1016/j.atherosclerosis.2019.05.017
- Genetic Risk Factors for Ischemic and Hemorrhagic Stroke – Autoren: Chauhan, Ganesh, and Stéphanie Debette – Publikation: Current Cardiology Reports, 18.12 (2016) – DOI: 10.1007/s11886-016-0804-z
- Recent Progress in Genetic and Epigenetic Research on Type 2 Diabetes – Autoren: Kwak, Soo Heon, and Kyong Soo Park – Publikation: Experimental & Molecular Medicine, 48.3 (2016), e220 – DOI: 10.1038/emm.2016.7