Empfindungsstörungen nach einem Schlaganfall ▷ Symptome, Ursachen, Behandlung und Selbsthilfe

Die häufigsten Sensibilitätsstörungen nach einem Schlaganfall werden als Kribbeln, Stechen oder Brennen beschrieben, meist in den Armen, seltener in den Beinen (Foto: Albina Gavrilovic | Shutterstock)
In diesem Artikel:
Was sind Empfindungsstörungen?
Viele Betroffene leiden nach einem Schlaganfall unter Empfindungsstörungen. Medizinisch werden diese als Sensibilitätsstörungen bezeichnet. Zu den Sensibilitätsstörungen gehören Hypästhesien, also eine herabgesetzte Empfindlichkeit gegenüber Berührung oder anderen Reizen. Ebenso gehören Empfindungsstörungen dazu, bei denen ein Gefühl entsteht, das nicht zu dem auslösenden Reiz passt.
Empfindungsstörungen nach einem Schlaganfall können in unterschiedlichen Formen auftreten: als kribbelndes, stechendes, brennendes oder taubes Gefühl in bestimmten Körperregionen. Wie auch andere Schlaganfallsymptome treten diese Missempfindungen häufig einseitig auf.
Die Symptome werden dabei oft „über Kreuz“ verursacht. Das heißt, ein Schlaganfall in der linken Gehirnhälfte verursacht Missempfindungen der rechten Körperseite und andersherum. Es können unterschiedliche Regionen des Körpers entweder alleine oder kombiniert betroffen sein: Gesicht, Rumpf, Arme und Beine.
Auch ein brennendes und stechendes Schmerzgefühl kann durch einen Schlaganfall verursacht werden. Vor allem, wenn der Thalamus vom Schlaganfall betroffen ist. Man spricht dann auch vom thalamischen Schmerzsyndrom. Der Thalamus liegt oberhalb des Hirnstamms tief in der Mitte des Gehirns. Er ist die zentrale Schaltstation für alle Reize, die in das Gehirn gelangen. Aufgrund seiner besonderen Funktion wird er auch als „Tor zum Bewusstsein“ bezeichnet.
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Im Thalamus werden Schmerzreize auf ihrem Weg von der Peripherie ins Gehirn umgeschaltet und abgewandelt. Wird diese schmerz-modulierende Wirkung durch einen Schlaganfall beeinträchtigt, dann ist das thalamische Schmerzsyndrom die Folge. Dieses Symptom nach einem Schlaganfall ist zwar seltener als die anderen Formen der Missempfindungen, kann aber sehr belastend sein und ist schwierig zu therapieren.1
Empfindungsstörungen sind sehr individuell: Zeitpunkt, Dauer, Ausprägung und Intensität unterscheiden sich von Mensch zu Mensch. Auch können sich die Empfindungsstörungen eine Zeit lang verbessern oder sogar ganz verschwinden und zu einem späteren Zeitpunkt wieder auftreten.
Eine Schlaganfall-Folge, viele Namen
Genauso unterschiedlich wie die Empfindungsstörungen selbst kann die Bezeichnung dieser Schlaganfall-Folgen sein.
Allgemeine Begriffe
- Empfindungsstörungen
- Missempfindungen
- Sensibilitätsstörungen
- Neuropathie beziehungsweise zentrale neuropathische Schmerzen
- Parästhesie (Kribbeln, schmerzhaftes Brennen oder Taubheit)2
- Zentrales Schmerzsyndrom nach Schlaganfall (meist thalamisches Schmerzsyndrom, aber auch bei anderen Orten der Schädigung möglich)
Begriffe für ein verstärktes Empfinden
- Dysästhesie: die Fehlwahrnehmung von unangenehmen Reizen wie Kribbeln, Stechen oder Brennen2
- Allodynie: gesteigertes Schmerzempfinden durch eigentlich nicht schmerzhafte Reize2
- Hyperästhesie: eine übersteigerte Empfindlichkeit auf Schmerz, Temperatur oder Berührung2
- Thermhyperästhesie: eine gesteigerte Temperaturwahrnehmung
- Hyperalgesie: ein verstärktes Schmerzempfinden auf normale Schmerzreize2
Begriffe für ein vermindertes Empfinden
Häufigkeit der spontanen Dysästhesie
Spontan auftretende Dysästhesien sind häufig. Etwa 85 Prozent der Schlaganfallbetroffenen mit zentralem Schmerzsyndrom berichten von solchen Fehlwahrnehmungen unangenehmer Reize wie einem Kribbeln, Stechen oder Brennen.1
Symptome – Wie äußern sich Empfindungsstörungen nach einem Schlaganfall?
Die Empfindungsstörungen nach einem Schlaganfall haben viele Facetten. Nach dem Empfinden der Betroffenen werden sie häufig folgendermaßen beschrieben:
- Kribbeln: Schlaganfallbetroffene beschreiben vielfach ein Kribbeln, das mit dem Laufen von Ameisen über die Haut oder kleinen elektrischen Impulsen verglichen wird.
- Brennen: Das brennende Gefühl wird oftmals mit einem Hitze- oder Feuergefühl gleichgesetzt.
- Stechen: Das stechende Gefühl wird als scharfer Schmerz beschrieben, wie durch Nadel- oder Messerstiche.
- Einschießende Schmerzen: Betroffene beschreiben diese als plötzliches Zucken oder einen Blitzschlag im Körper.
- Klopfender Schmerz: Dieser Schmerz wird häufig als pulsierender Druck von innen gegen die Haut beschrieben. Auch Vergleiche mit pochenden Zahnschmerzen, nur in Armen oder Beinen, werden geschildert.
- Taubheit: Betroffene schildern, dass die entsprechende Körperregion sich wie tot oder nicht existent anfühlt. Häufig wird dies mit dem Gefühl nach einer lokalen Betäubung verglichen, zum Beispiel wie beim Zahnarzt.
- Pelzigkeit: Die betroffene Körperstelle fühlt sich wattig und dumpf an.
- Stumpfer Schmerz: Ein stumpfer Schmerz wird als diffuser, nicht örtlich begrenzter, schwer fassbarer Schmerz beschrieben.
- Spannungsgefühl: Dieses Gefühl wird gerne so beschrieben, als würde man die Haut mit Daumen und Zeigefinger straff ziehen, also spannen. Auch wird das Spannungsgefühl hin und wieder so empfunden, als wäre die Haut gequetscht worden.
- Druckgefühl: Betroffene beschreiben dieses Gefühl, als würde ein Gewicht auf der entsprechenden Körperregion aufliegen.
- Kälte- oder Hitzegefühl: Dieses tritt ohne erkennbare äußere Temperatureinwirkung auf.
- Ziehender Schmerz: Dieser fühlt sich für Betroffene so an, als würde jemand vom Körperinneren her an der entsprechenden Stelle ziehen oder zerren.
Ursachen – Wie entstehen Empfindungsstörungen nach einem Schlaganfall?
Die genauen Mechanismen der Entstehung von Missempfindungen nach einem Schlaganfall sind noch nicht vollständig bekannt. Wissenschaftler nehmen an, dass die Schädigung spezifischer Hirnregionen die normale Verarbeitung von Sinnesreizen beeinträchtigt. Je nach der vom Schlaganfall betroffenen Hirnregion und den darin liegenden Nervenbahnen können die Empfindungsstörungen unterschiedlich ausfallen.
Sensibilitätsstörungen treten meist dann auf, wenn durch den Schlaganfall Hirnregionen und Strukturen betroffen sind, die für die Verarbeitung sensorischer Reize verantwortlich sind.
Der Thalamus dient als wichtige Sammel- und Umschaltstation für Sinnesinformationen
Der Thalamus ist die größte Ansammlung von Nervenzellen im Kernbereich des Zwischenhirns. Er ist für die Weiterleitung nahezu aller Reize verantwortlich, die von den menschlichen Sinnesorganen wahrgenommen werden. Diese bezeichnet man als sensorische Reize.
Der Thalamus als Sammel- und Umschaltstation für fast alle Sinnesinformationen.
Daher ist es nicht verwunderlich, dass Betroffene mit einem Thalamusinfarkt besonders häufig und intensiv unter Missempfindungen leiden. Etwa 80 bis 90 Prozent der Menschen nach einem Thalamusinfarkt sind von sensorischen Störungen betroffen. 25 Prozent leiden unter oft starken neuropathischen Schmerzen. Zu den charakteristischen Sensibilitätsstörungen nach einem Thalamusinfarkt zählen:
- Taubheit
- Kribbeln
- Brennen
- Stechen
- Spannungsgefühl
- Zentrale neuropathische Schmerzen
Die als Dysästhesie bezeichnete Fehlwahrnehmung von unangenehmen Reizen wie Kribbeln, Stechen oder Brennen tritt hierbei häufig in Kombination mit einer gesteigerten Empfindlichkeit – der Hyperästhesie – auf. Werden zusätzlich selbst leichte Berührungen als unangenehm oder gar schmerzhaft empfunden, spricht man von einer Allodynie. Nicht selten kommt es bei einem Infarkt in der Thalamusregion auch zu einer Beeinträchtigung des Druck-, Temperatur- und Vibrationsempfindens.
Die Missempfindungen nach einem Thalamusinfarkt unterscheiden sich meist von denen, die bei Infarkten in anderen Hirnregionen auftreten: Sensorische Störungen treten nach einem Schlaganfall in der Großhirnrinde deutlich seltener auf. Überwiegend sind diese auch unspezifischer und variieren stärker. Zudem treten die sensorischen Störungen bei einem Schlaganfall in der Großhirnrinde oft in Kombination mit motorischen Störungen auf.
Die Empfindungsstörungen nach einem Thalamusinfarkt nehmen also eine Sonderposition ein.
Wann treten Empfindungsstörungen nach einem Schlaganfall üblicherweise auf?
Der Zeitpunkt, zu dem die durch den Schlaganfall verursachten Missempfindungen auftreten, unterscheidet sich von Mensch zu Mensch.
Zentrale Schmerzsyndrome wie der thalamische Schmerz treten typischerweise etwa 3 bis 6 Monate nach dem Schlaganfall auf. Sie können in einigen Fällen aber auch früher oder später auftreten.3 Viele Betroffene äußern Sensibilitätsstörungen auch unmittelbar nach dem Schlaganfall. Besonders Hypästhesien, also die verminderte Wahrnehmung von Berührung und anderen Reizen, werden oft unmittelbar durch die aus dem Schlaganfall resultierende Hirnschädigung ausgelöst.
Wann sollte man mit Empfindungsstörungen zum Arzt?
Empfindungsstörungen nach einem Schlaganfall sind nicht selten. Dennoch gibt es gute Gründe, diese fachärztlich beurteilen und behandeln zu lassen. Besonders in den folgenden Fällen ist ein Arztbesuch ratsam:
Grundsätzlich sind Missempfindungen nach einem Schlaganfall nicht ungewöhnlich. Dennoch sollten Betroffene im Bedarfsfall fachärztliche Hilfe suchen. Dadurch können Symptome gelindert und Schlaganfall-Komplikationen frühzeitig erkannt und behandelt werden.
Wie untersucht der Arzt Empfindungsstörungen nach einem Schlaganfall?
Die Untersuchung von Empfindungsstörungen nach einem Schlaganfall ist oftmals herausfordernd, insbesondere da es sich um subjektive Phänomene handelt. Andere Schlaganfallsymptome wie eine Lähmung kann man in der Untersuchung direkt sehen. Bei Missempfindungen hingegen ist der Arzt oder die Ärztin auf die Angaben der betroffenen Person angewiesen. Zudem ist die Unterscheidung zwischen direkt durch den Schlaganfall ausgelösten Missempfindungen und indirekt verursachten Beschwerden nicht immer einfach. Zu den indirekt ausgelösten Missempfindungen zählen unter anderem Schmerzen, die auf eine Spastik oder Einschränkungen des Bewegungsapparates zurückzuführen sind.3
Bevor sich weiterführende Untersuchungen durchführen lassen, werden zunächst Art und Verlauf der Missempfindungen mit gezielten Fragestellungen erfasst. Nicht bei jeder Missempfindung, die nach einem Schlaganfall auftritt, ist der Schlaganfall tatsächlich die Ursache. Um die Missempfindung und deren Auslöser genauer eingrenzen zu können, sind folgende Informationen eine gute Ausgangsbasis4:
- Zeitpunkt: Wann sind die Empfindungsstörungen erstmals aufgetreten? Sind sie immer da? Oder treten sie in bestimmten Situationen/zu bestimmten Zeiten auf?
- Körperregion: In welchen Bereichen des Körpers treten die Beschwerden auf? Sind sie örtlich genau begrenzt oder eher diffus?
- Begleitende Krankheitszeichen: Sind die Missempfindungen das einzige Krankheitszeichen oder treten zeitgleich auch andere Symptome auf?
- Medikamenteneinnahme: Welche Medikamente wurden seit dem Auftreten der Beschwerden oder kurz davor eingenommen?
- Unfälle, Erkrankungen oder Untersuchungen: Sind vor dem Auftreten der Sensibilitätsstörungen neben dem Schlaganfall noch weitere Erkrankungen in zeitlichem Zusammenhang aufgetreten? Gibt es Vorerkrankungen wie Bluthochdruck, Durchblutungsstörungen oder Gicht? Gab es einen Unfall? Welche diagnostischen Untersuchungen wurden bereits durchgeführt? Waren das beispielsweise eine Magnetresonanztomographie oder Computertomographie?
- Alkohol- und Drogenkonsum: Wurden beziehungsweise werden Alkohol oder Drogen konsumiert, die die Missempfindungen möglicherweise ausgelöst oder verstärkt haben könnten?
Nachdem sich der Arzt oder die Ärztin mit den genannten Informationen ein umfassendes Bild gemacht hat, werden individuell je nach Art und Umfang der Missempfindung weitere Untersuchungen angeordnet beziehungsweise durchgeführt. Diese umfassen in der Regel allgemeine körperliche Untersuchungen und gezielte neurologische Untersuchungen, die helfen können, Ausfälle und Funktionseinschränkungen des Nervensystems zu erkennen.
Semmes-Weinstein-Monofilamenttest
Wenn ein Patient oder eine Patientin von einer eingeschränkten Empfindung in den Händen oder Füßen berichtet, kann in einer ärztlichen oder physiotherapeutischen Untersuchung ein Monofilamenttest nach Semmes-Weinstein durchgeführt werden. Damit lässt sich das Ausmaß der Missempfindung bestimmen. Der betroffene Bereich kann dadurch genauer eingegrenzt und ein geeignetes Sensibilitätstraining geplant werden.
Ärzte verwenden zum Testen ein Set aus Teststäbchen mit einzelnen Nylonfäden unterschiedlicher Dicke. Den Nylonfaden bezeichnet man als Monofilament. Häufig wird das betroffene Gebiet vorher mit einem stumpfen Gegenstand, beispielsweise einer Stiftspitze, grob eingegrenzt. Die Bereiche, in denen die betroffene Person den Stift nicht oder wenig spürt, werden auf zwei Zeichnungen markiert (eine zeigt den Handrücken, eine die Handinnenfläche). Das bezeichnet man als Mapping.
Nachdem die Vorgehensweise des Monofilamenttests erklärt wurde, schließt die untersuchte Person die Augen oder schaut in eine andere Richtung. Begonnen wird mit einem nicht von der Missempfindung betroffenen Bereich. Dieser dient als Kontrolle. Die untersuchte Person äußert sich immer dann, wenn sie eine Berührung spürt. Danach wird gleichermaßen mit dem Bereich der Missempfindung verfahren.
Kann das Monofilament nicht gespürt werden, liegt im jeweiligen Bereich eine verminderte Schmerzempfindlichkeit vor. Das Ausmaß ergibt sich durch die Dicke des Monofilaments, bei dem die untersuchte Person die Berührung nicht mehr spürt. Je dicker der verwendete Nylonfaden, der nicht mehr erspürt wird, desto stärker die Einschränkung.5
Für die Sensibilitätsuntersuchung können Tests wie der Monofilamenttest nach Semmes-Weinstein eingesetzt werden. Ein einfacher Test, der auch bei Verbrennungen eingesetzt wird, um eine Nervenschädigung zu erkennen, ist die Nadelstichprobe. Hier dienen Holzstäbchen zum Testen der Schmerzempfindlichkeit im von der Missempfindung betroffenen Bereich6.
Wie werden Empfindungsstörungen nach einem Schlaganfall behandelt?
Die Behandlung der Sensibilitätsstörungen nach einem Schlaganfall richtet sich vor allem nach der Art der Missempfindung.
Behandlung mit Medikamenten
Schmerzmittel
Paracetamol und nichtsteroidale entzündungshemmende Medikamente (NSAID) wie Acetylsalicylsäure, Ibuprofen oder Diclofenac können bei leichten bis mäßigen Schmerzen helfen. Diese können beispielsweise durch Verspannungen bei Bewegungseinschränkungen oder Fehlhaltungen nach einem Schlaganfall entstehen. Zur Behandlung neuropathischer Schmerzen eignen sie sich jedoch in aller Regel eher nicht.6
Medikamente zur Behandlung neuropathischer Schmerzen
Medikamente zur Behandlung von Epilepsien, sogenannte Antikonvulsiva, werden auch bei der Behandlung neuropathischer Schmerzen eingesetzt, wie sie durch schlaganfallbedingte Schädigungen entstehen können. Zu diesen Medikamenten zählen beispielsweise Gabapentin und Pregabalin. Auch Antidepressiva wie Amitriptylin oder Duloxetin werden neben ihrer Wirkung bei Depressionen zur Behandlung neuropathischer Schmerzen verwendet.6
Starke Schmerzmittel (Opioide, Opiate)
Morphinähnliche, starke Schmerzmittel, wie beispielsweise Tramadol oder Oxycodon, können in schweren Fällen verordnet werden. Die Einnahmedauer sollte jedoch so kurz wie möglich gehalten werden, um Abhängigkeiten zu vermeiden und Nebenwirkungen gering zu halten.6
Behandlung mit schmerzlindernden Cremes
Für die örtlich begrenzte Schmerzlinderung eignet sich in einigen Fällen eine Creme mit Wirkstoffen wie zum Beispiel Lidocain.
Behandlung mit Physiotherapie und Ergotherapie
Elektrotherapie
Zur Schmerzbehandlung, Muskulaturstärkung und Durchblutungsförderung kann eine Reizstromtherapie erfolgen. Ein spezielles Verfahren, die transkutane elektrische Nervenstimulation, kurz TENS, eignet sich hierbei besonders. Sie ist vor allem für die Behandlung von Schmerzen über einen längeren Zeitraum geeignet und kann nach physiotherapeutischer Anleitung auch selbst angewendet werden.7
Rehabilitative Übungen
Ergotherapie kann dabei helfen, das Wahrnehmungsvermögen nach einem Schlaganfall zu fördern. Hierzu gibt es spezielle Übungen, die die sensorische Wahrnehmung wiederherstellen können. Ein Beispiel hierfür ist die Sensibilitätsschulung mit Materialien unterschiedlicher Beschaffenheit. Von den Betroffenen werden beispielsweise warme, kühle, harte oder weiche Materialien erspürt. Die Übung kann mit offenen und mit geschlossenen Augen durchgeführt werden.8
Psychologische Behandlungsstrategien
Entspannungstechniken
Entspannungstechniken aus der psychologischen Praxis können dabei helfen, Schmerzen zu lindern und Stress abzubauen. Häufig kommen gezielte Atemübungen, progressive Muskelentspannung, autogenes Training oder meditative Ansätze zum Einsatz.
Kognitive Verhaltenstherapie
Durch kognitive Verhaltenstherapie kann die Wahrnehmung und das Verhalten der Betroffenen gegenüber ihren Missempfindungen nach dem Schlaganfall positiv beeinflusst werden. Negative Gedankenmuster, die im Zusammenhang mit den Missempfindungen stehen, können erkannt und gezielt abgeändert werden. Auf diese Weise können Betroffene lernen, ihre veränderten Empfindungen besser zu akzeptieren und ihre Lebensqualität zu verbessern.
Spiegeltherapie
Die Spiegeltherapie nutzt eine als Neuroplastizität bezeichnete Fähigkeit unseres Gehirns. Beobachtet sich eine Person beispielsweise im Spiegel, während sie die Stelle ihrer Missempfindung – zum Beispiel ein Kribbeln im Arm – massiert, kann das zu einer deutlichen Linderung dieser Empfindungsstörung beitragen.9 Bei Missempfindungen wie Taubheit oder Kribbeln kann die Spiegeltherapie helfen, das Gehirn neu zu trainieren, damit es die betroffene Seite besser wahrnimmt.
Veränderungen im Lebensstil
Regelmäßige Bewegung
Auch regelmäßige Bewegung kann Teil der Behandlung von Missempfindungen nach einem Schlaganfall sein. Der Grund ist einfach: Die Bewegung und ein insgesamt aktiver Lebensstil fördern die Durchblutung und die Nervenregeneration. Dadurch können unangenehme Gefühlsempfindungen wie Taubheit oder Kribbeln abnehmen oder gänzlich verschwinden.
Das können Sie selbst bei Empfindungsstörungen nach einem Schlaganfall tun
- Leichte Bewegungseinheiten: Sanfte Dehnungsübungen und Spaziergänge können Ihre Durchblutung fördern und dadurch helfen, Missempfindungen zu reduzieren. Die betroffenen Körperregionen können dabei entspannen.
- Übungen gegen Stress: Nehmen Sie sich Auszeiten und führen Sie gegebenenfalls gezielte Übungen aus, um Ihren Stress zu reduzieren. Das kann helfen, da Stress Missempfindungen verstärkt.
- Wärme- oder Kältetherapie: In einigen Fällen können Missempfindungen oder Schmerzen durch Wärme oder Kälte gelindert und die Durchblutung gefördert werden.
Sind Empfindungsstörungen nach einem Schlaganfall ein Zeichen für den Heilungsprozess?
Oftmals sind Schlaganfallbetroffene mit Sensibilitätsstörungen verunsichert: Sind das Kribbeln im Arm oder das Brennen im Bein ein erstes Anzeichen dafür, dass der Körper mit dem Heilungsprozess begonnen hat?
Während ein Taubheitsgefühl eher direkt auf eine Schädigung durch den Schlaganfall zurückzuführen ist, kann das Auftreten von Stechen, Brennen oder Kribbeln durchaus auf eine einsetzende Heilung hinweisen.
Auch wenn diese Formen der Missempfindung unangenehm erscheinen, kann ihr Auftreten bedeuten, dass das Nervensystem sich nach dem Schlaganfall neu organisiert und neue Nervenverbindungen entstehen. Dieses Phänomen bezeichnet man als Neuroplastizität des Gehirns. Durch diese bemerkenswerte Eigenschaft des Gehirns ist es möglich, Dinge neu oder wieder zu erlernen, die durch den Schlaganfall verloren gegangen sind.
Bei diesem Prozess ist es allerdings auch möglich, dass falsche oder übermäßige Reize erzeugt werden. Diese werden dann möglicherweise als schmerzhaft empfunden.
Wie lange bleiben die Empfindungsstörungen nach einem Schlaganfall bestehen?
Auf die Frage, wie lange die Empfindungsstörungen nach einem Schlaganfall bestehen bleiben, gibt es keine pauschale Antwort. Eine wichtige Rolle spielt mit Sicherheit das Ausmaß des Schlaganfalls und der dadurch ausgelösten Missempfindungen sowie die betroffene Hirnregion. Betroffene können jedoch aktiv dazu beitragen, die Dauer und Intensität der Empfindungsstörungen zu verringern.
Werden Sie selbst aktiv.
Wie lange Sie mit den schlaganfallbedingten Missempfindungen leben müssen, kann Ihnen leider pauschal niemand beantworten. Durch Ihre aktive Mitwirkung können Sie aber mit Sicherheit zu einer Linderung und dauerhaften Verbesserung beitragen.
Beobachten Sie Ihre Symptome genau und wenden Sie sich an Ihren Arzt oder Ihre Ärztin, wenn über einen langen Zeitraum keine Besserung eintritt.
Führen Sie ein Tagebuch oder dokumentieren Sie Ihre Beobachtungen mit einer Gesundheits-App. Das hilft nicht nur dem behandelnden Team dabei, einen geeigneten Therapieansatz zu finden. Es ermutigt und motiviert Sie, die Hoffnung nicht aufzugeben.
Beobachten Sie genau, was Ihnen hilft und guttut. Werden Ihre Missempfindungen vielleicht durch Kälte, Wärme oder eine Massage der betroffenen Körperregion gelindert? Vielleicht verschwindet die Empfindungsstörung zeitweise vollständig – etwa unmittelbar nach entspannenden Atemübungen.
Probieren Sie in Rücksprache mit Ihren Ärzten oder Therapeuten gerne verschiedene Dinge aus.
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Artikel aktualisiert am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autoren
Dipl.-Biol. Claudia Helbig unter Mitarbeit von Dr. med. Johannes Heinemann
Claudia Helbig ist Diplom-Human- und Molekularbiologin und hat zuvor eine Ausbildung zur Arzthelferin absolviert. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Medizinischen Biochemie und Molekularbiologie hat sie Medizinstudenten in Pathobiochemie-Seminaren und Praktika betreut. Nach Ihrer Arbeit in der pharmazeutischen Forschung hat sie in einem Auftragsforschungsinstitut für klinische Studien unter anderem Visiten mit Studienteilnehmern zur Erhebung von Studiendaten durchgeführt und Texte für die Website verfasst. Mit ihrem interdisziplinären Hintergrund und ihrer Leidenschaft zu schreiben möchte sie naturwissenschaftliche Inhalte fachlich fundiert, empathisch und verständlich an Interessierte vermitteln. [mehr]
Quellen
- Central post-stroke pain: clinical characteristics, pathophysiology, and management – Autoren: Klit, Henriette; Finnerup, Nanna B.; Jensen, Troels S. – Publikation: Lancet Neurol. 2009;8(9):857-868 – DOI:10.1016/S1474-4422(09)70176-0
- Pschyrembel Klinisches Wörterbuch; 266. aktualisierte Auflage; 2014 – Autoren: Pschyrembel, Willibald; Arnold, Ulrike – Publikation: Walter de Gruyter & Co. Verlag; Berlin
- id=“3″Central Post-Stroke Pain Syndrome (letztes Update: 07.06.2024; abgerufen am: 06.02.205) – Autoren: Kingsley C. Anosike; Senthil Vel Rajan Rajaram Manoharan – URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK604196/
- Sensibilitätssörungen (Missempfindungen), Onmeda (abgerufen am 05.02.2025) – URL: https://www.onmeda.de/symptome/sensibilitaetsstoerungen-id201461/
- Spitzengefühl beweisen – Semmes-Weinstein Monofilament Test – Autor: Schormann, Niklas – Publikation: physiopraxis 2020; 18(02): 38-39 – DOI: 10.1055/a-1098-3859
- Schmerzen nach Schlaganfall; Inselspital Bern, Universitätsklinik für Neurochirurgie (abgerufen am 04.02.2025) – URL: https://neurochirurgie.insel.ch/funktionell-schmerz/schmerz/schmerzen-nach-schlaganfall
- Elektrotherapie bei Schmerz; Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. (abgerufen am 04.02.2025) – URL: https://www.schmerzgesellschaft.de/topnavi/patienteninformationen/physiotherapie-bei-schmerz/elektrotherapie-bei-schmerz
- Wahrnehmungstraining; Physioup Physiotherapie Berlin (abgerufen am 04.02.2025) – URL: https://www.physioup.de/ergotherapie/wahrnehmungstraining/
- Behandlung von Missempfindungen nach Schlaganfall mittels Spiegeltherapie: eine Fallstudie – Autoren: Reinhart, S.; Schaadt, A. K.; Kerkhoff, G. – Publikation: Neurol Rehabil 2011; 17 (5/6): 251–257 – URL: https://www.hippocampus.de/media/316/cms_4f0fe4ca88330.pdf