Eine Studie zur Schlaganfall-Versorgung durch ein Helikopter- Interventionsteam ▷ Zeit ist Hirn
Worum geht es?
Bei der Behandlung und Versorgung des Schlaganfalls zählt jede Minute!
Oberstes Ziel der Akuttherapie des Schlaganfalls ist, ein durch Blutgerinnsel verstopftes Blutgefäß im Gehirn wieder durchgängig zu machen, um so die Blutversorgung der betroffenen Hirnareale wiederherzustellen. Hierbei geht es um jene Areale im Gehirn, die durch eine rechtzeitige Behandlung noch vor dem Absterben bewahrt werden können.
Liegt der Verschluss einer großen Hirnarterie vor, wird eine mechanische Thrombektomie durchgeführt. Das ist eine sogenannte interventionelle Therapie des Schlaganfalls, bei der ein Katheter über eine Arterie in der Leiste bis zum betroffenen Hirngefäß vorgeschoben wird. Durch Einspritzen eines Röntgen-Kontrastmittels kann der Verschluss dargestellt werden. Das Gerinnsel wird dann mittels eines sog. Stent-Retrievers entfernt und das Gefäß durch ein sehr feines Metallgitter (Stent) offen gehalten.
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Ziel ist es, schnellstmöglich die komplette Wiederherstellung des Blutflusses im Gehirn zu erreichen. Jede Minute zählt. Es handelt sich hierbei um einen hochkomplexen Eingriff, der nur von spezialisierten Neuroradiologen durchgeführt wird.
In Deutschland gibt es mehr als 300 Kliniken mit einer zertifizierten Schlaganfall-Spezialstation, einer Stroke Unit, und weitere 170 Kliniken, die durch telemedizinische Netzwerke bei der Schlaganfall-Behandlung unterstützt werden. Nicht in allen diesen Krankenhäusern können jedoch mechanische Thrombektomien durchgeführt werden.
Um wen geht es?
Viele Menschen in Deutschland leben in ländlichen Gebieten, in denen die Akutversorgung des Schlaganfalls nicht gleichermaßen gewährleistet werden kann wie in größeren Städten. Für eine mechanische Thrombektomie benötigt es spezielle Expertise, die in Krankenhäusern von ländlichen Regionen bislang nicht vollständig etabliert werden konnte.
Die notwendigen Geräte und Instrumente sind zwar größtenteils vorhanden, jedoch fehlt es an ausgebildeten Neuroradiologen, die die Interventionen durchführen können. Patienten, die eine mechanische Thrombektomie benötigen, müssen also mit dem Rettungswagen teilweise weite Strecken zu Schlaganfall-Zentren zurücklegen, um die entsprechende Therapie zu erhalten. Es kommt zu Verzögerungen, die unter dem genannten Zeitdruck vermieden werden sollten.
Die Studie
Zusammenhang zwischen dem Einsatz eines Helikopter-Interventionsteams und der Zeit bis zum Beginn der Notfallbehandlung des Schlaganfalls im Vergleich zum Patiententransport zwischen Krankenhäusern in ländlichen Regionen Deutschlands
Wie viel schneller also können Patienten mit akutem ischämischen Schlaganfall versorgt werden, wenn ein spezialisiertes Behandlungsteam per Helikopter zu einem Krankenhaus in ländlicher Region fliegt, um dort die mechanische Thrombektomie durchzuführen?
Dies hat eine Forschungsgruppe aus München um Dr. med. Gordian Hubert, Neurologe und Koordinator des telemedizinischen Schlaganfallnetzwerks (TEMPiS) in einer aktuellen Studie von Mai 2022 untersucht.1
Insgesamt wurden 157 Patienten mit akutem ischämischem Schlaganfall, bei denen eine Thrombektomie vorgesehen war, von Februar 2018 bis Oktober 2019 in die Studie eingeschlossen.
Die Patienten wurden im Rahmen der Studie entweder in einem ländlichen Krankenhaus mit Schlaganfalleinheit vor Ort durch den Einsatz eines Helikopter-Interventionsteams behandelt oder standardmäßig mittels Notfallverlegung in ein Schlaganfal-Zentrum bzw. überregionale Stroke Unit gebracht, um dort die Thrombektomie zu erhalten.
Hierfür wurde ein Helikopter-Interventionsteam, bestehend aus einem interventionellen Radiologen und einem Angiografie-Assistenten, für 13 telemedizinisch angebundene Krankenhäuser des TEMPiS-Netzwerks in Südost-Bayern etabliert.
Patienten mit einem Schlaganfall werden nach Aufnahme in einer der TEMPiS angeschlossenen Kliniken von einem Neurologen in München oder Regensburg begutachtet. Dieser entscheidet anhand der telemedizinisch übertragenen CT- und/oder MRT-Bilder, ob eine Thrombolyse oder eine mechanische Thrombektomie durchgeführt werden muss und veranlasst dann den Einsatz des Helikopters.
Das Interventionsteam war über einen Zeitraum von insgesamt 26 Wochen zwischen 8 Uhr morgens und 10 Uhr abends auch an Wochenenden und Feiertagen im Einsatz. Während das spezialisierte Interventionsteam aus München mit dem Hubschrauber zu einem der Krankenhäuser flog, konnte der Patient vor Ort bereits für die Thrombektomie vorbereitet werden.
In den beiden oben genannten Gruppen wurde jeweils die Zeitspanne zwischen dem Zeitpunkt der Entscheidung für eine Thrombektomie bis zum Beginn der Thrombektomie durch Leistenpunktion verglichen.
Zudem wurde der längerfristige Behandlungserfolg gemessen und verglichen. Hierfür wurden die Patienten der jeweiligen Gruppe über einen Zeitraum von 3 Monaten anhand der Modifizierten Rankin-Skala eingeteilt. Diese Skala dient zur Beschreibung des Ausmaßes an Behinderung und der neurologischen Beeinträchtigung nach einem Schlaganfall. Die Patienten füllten hierfür einen Fragebogen aus und wurden zu ihrem Gesundheitsstatus in Interviews befragt.
Ziel war es, zu untersuchen, ob der Einsatz des fliegenden Interventionsteams zu einer schnelleren Umsetzung der Thrombektomie führt.
Die Ergebnisse
Unter den 157 Patienten, die in die Studie aufgenommen wurden, wurden 72 durch das Interventionsteam versorgt und 85 mit einem normalen Krankentransport in ein nächstgelegenes Krankenhaus gebracht, um dort die Thrombektomie zu erhalten.
Bei 60 Patienten der Interventionsgruppe (83 %) und 57 (67 %) der Transportgruppe wurde schlussendlich eine Thrombektomie durchgeführt.
Bei den übrigen Patienten wurde keine Thrombektomie durchgeführt. Zum Beispiel wegen spontaner Wiederherstellung der Hirndurchblutung oder weil der Zustand des Gehirns sich so verschlechtert hatte, dass kein rettbares Gewebe mehr vorhanden war.
Damit ist das wichtigste Ziel, nämlich der Zeitgewinn, erreicht.
Nach 3 Monaten Beobachtungszeit ging es den Patienten, die durch einen Flugeinsatz behandelt wurden, zwar besser als den verlegten Patienten, jedoch war dies nicht signifikant. Um hier eine signifikante Aussage machen zu können, sind umfangreichere Studien mit mehr Patienten und einer längeren Zeit der Nachbeobachtung notwendig.
Fazit
Durch den Einsatz eines fliegenden Interventionsteams konnte im Schnitt 90 Minuten schneller die entscheidende Therapie des Schlaganfalls, die Thrombektomie, durchgeführt werden.
Sollte zukünftig also ein solches Interventionsteam deutschlandweit etabliert werden, um für Menschen mit einem Schlaganfall in der Peripherie eine schnellere Versorgung zu gewährleisten?
Die Studie zeigt deutlich, dass Verzögerungen durch konventionellen Krankentransport bei Patienten mit einem Schlaganfall vermieden werden können. Hierfür sind neue Versorgungsstrukturen gefragt – wie das Helikopter-Interventionsteam.
Um den langfristigen Vorteil eines Helikopter-Interventionsteams für die Genesung der Patienten zu evaluieren und herauszufinden, wie sich dieses System auf andere Regionen übertragen lässt, sind weitere Untersuchungen notwendig.
Grenzen der Studie
Die Studie liefert signifikante Ergebnisse für eine bestimmte Region in Deutschland in einem bereits vorbestehenden und eingespielten Netzwerk zwischen Krankenhäusern mit einheitlichem Versorgungsstandard. Inwieweit der Vergleich zu anderen Regionen möglich ist, ist durch die Studienergebnisse nicht vollständig geklärt.
Zudem waren in beiden Gruppen unterschiedliche Neuroradiologen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Erfahrung für die Thrombektomie zuständig. Die Behandlung hat also eventuell zwischen den Gruppen variiert und die Ergebnisse beeinflusst.
Diskussion
Lange Verzögerungen im Rahmen eines Krankentransports resultieren aus mehreren Arbeitsprozessen wie der Vorbereitung des Transports, stockendem Verkehr und der Vorbereitung der Angiografie im Zielkrankenhaus.
Die Verzögerungen können reduziert werden, indem diese Prozesse parallel ablaufen. Sobald das Interventionsteam im Zielkrankenhaus angekommen ist, kann sofort mit der Leistenpunktion und somit der Behandlung begonnen werden, da alle Vorbereitungen bereits während der Flugzeit getroffen wurden.
In größeren Städten ist durch die hoch spezialisierten Stroke Units und die laufenden Verbesserungen von Arbeitsprozessen die Zeit bis zu einer Thrombektomie kürzer geworden.
Krankenhäuser in ländlichen oder sehr abgelegenen Regionen ohne die Möglichkeit zur Durchführung einer Thrombektomie können durch das Helikopter-Interventionsteam versorgt werden. Hierdurch können Nachteile in der Akutbehandlung von Schlaganfall-Patienten in ländlichen Regionen ausgeglichen werden.
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Artikel erstmalig veröffentlicht am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autor: Dr. med. Gordian Hubert
unter Mitarbeit von Rosalie Hartmann
Dr. med. Gordian Hubert ist Facharzt für Neurologie und Oberarzt an der Klinik für Neurologie und Neurologische Intensivmedizin/München Klinik Harlaching. Zudem ist er Koordinator des Telemedizinischen Schlaganfallnetzwerks Südostbayern (TEMPiS).Sie erhalten von uns regelmäßig und kostenlos aktuelle Informationen rund um den Schlaganfall.
Quellen
- Association Between Use of a Flying Intervention Team vs Patient Interhospital Transfer and Time to Endovascular Thrombectomy Among Patients With Acute Ischemic Stroke in Nonurban Germany – Autoren: Gordian J. Hubert, MD, Nikolai D. Hubert, MSc; Christian Maegerlein, MD; et al. – Publikation: JAMA. 2022;327(18):1795-1805 – DOI: 10.1001/jama.2022.5948