Hirntod ▷ Irreversibler Hirnfunktionsausfall, IHA

Als Hirntod wird der irreversible Funktionsausfall des menschlichen Gesamthirns bezeichnet (Foto: realcg | 123RF)
In diesem Artikel:
- Was ist ein Hirntod?
- Historisches
- Wie unterscheiden sich Hirntod und Herztod?
- Erscheinungsbild eines hirntoten Menschen
- Patientengeschichte
- Ursache
- Wie wird der Hirntod festgestellt?
- Welche Kompetenz müssen Ärzte, die den Hirntod feststellen, besitzen?
- Nach welchem Schema erfolgt die Feststellung des Hirntodes?
- Der Apnoe-Test
- Wie sicher ist die Diagnose Hirntod?
- Zum Umgang mit Angehörigen oder Freunden
Was genau bedeutet der Begriff “Hirntod”?
“Bewusstsein, Sinneswahrnehmungen, Denken und Sprache charakterisieren das Menschsein, seine intellektuelle Leistung und seine Emotionen. Sie sind geknüpft an die intakte Funktion des Gehirns, hier vor allem des Cortex, also der Großhirnrinde”.
Zitat aus dem Vorwort von „Der Hirntod“10
Der Hirntod ist der endgültige, also unumkehrbare, irreversible Funktionsausfall des menschlichen Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms. Der Hirntod wird mit dem Tod des Menschen gleichgesetzt. In dieser Feststellung besteht aus ethischer, moraltheologischer, juristischer und naturwissenschaftlich-medizinischer Auffassung auch international Einigkeit.1
Historisches
Der Begriff “Hirntod” ist ein Produkt der modernen Intensivmedizin. Er wurde nach dem 2. Weltkrieg eingeführt, nachdem es möglich wurde, Patienten maschinell zu beatmen. Hierdurch konnte die Herztätigkeit und damit die Durchblutung des Körpers unabhängig von Steuerungsmechanismen des Gehirns aufrechterhalten werden.
Bei einem Symposion am 14.12.1968 in Bonn wurde in Deutschland erstmals unter internationaler Beteiligung fast aller medizinischer Fachrichtungen die Problematik der naturwissenschaftlich begründeten Hirntoddiagnostik als Basis für das zukünftige Vorgehen diskutiert.2
Wie unterscheiden sich Hirntod und Herztod?
Beim Hirntod sind alle Funktionen des Gehirns erloschen. Dennoch kann das Herz als robusteres Organ weiterschlagen, wenn dem Körper durch die künstliche Beatmung Sauerstoff zugeführt wird. Hierdurch wird die Durchblutung des Körpers, auch des Herzens, aufrechterhalten. Das Herz ist somit nicht unbedingt auf ein funktionierendes Gehirn angewiesen.
Beim Herztod, der gleichbedeutend ist mit einem Stillstand der Durchblutung aller Organe und damit auch des Gehirns, kommt es nach wenigen Minuten zu einem Hirnfunktionsausfall und damit auch der Atmung, deren Steuerung eine Aufgabe des Gehirns ist.
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Das Erscheinungsbild eines hirntoten Menschen
Ein hirntoter Patient erscheint wie ein nicht ansprech- und nicht weckbarer, aber lebender Mensch. Das ist für Angehörige, unerfahrene Pflegekräfte und Ärzte verstörend. Der Patient fühlt sich warm an, das Herz schlägt, das Gesicht und der Körper sind durchblutet.
Nicht selten treten beim irreversiblen Hirnfunktionsausfall (IHA) spontane oder durch Reize wie Berührung oder “Schmerz” ausgelöste Bewegungen der Gliedmaßen auf. Hierbei handelt es sich um Reflexe oder Automatismen, die auch bei totem Gehirn auf der Ebene des durchbluteten Rückenmarks (lat. Medulla spinalis) ablaufen.
Sie werden als “Spinalisationsphänomene” bezeichnet und ausdrücklich als Fallstricke in der Diagnostik des Hirntodes beschrieben.3,4 Sie täuschen bewusste Reaktionen vor und wirken hierdurch irritierend für die Umgebung. So kann es zu periodischen Beinbewegungen, zeitweisem Auftreten von Zittern der Finger, Muskelzuckungen und atem-artigen Bewegungen kommen.
Die größte Herausforderung ist somit, zu verstehen und zu akzeptieren, dass ein hirntoter Mensch gestorben ist. Denn der Hirntod wird mit dem Tod des Menschen gleichgesetzt.
Patientengeschichte
Der 29-Jährige gesunde und ledige Informatiker bestieg nach einem Kneipenbesuch nachts ohne Helm sein Fahrrad und stürzte mit seiner rechten Schädelseite gegen einen Bordstein. Niemand hörte oder sah etwas.
Am nächsten Morgen wurde er von seiner Mutter, bei der er wohnte, ungewöhnlich blass und bewusstlos aufgefunden. Trotz lautem Rufen und Kneifen in die Backe wachte er nicht auf. Er lag angezogen in Rückenlage auf seinem Bett. Die Mutter bemerkte eine verkrustete Platzwunde an der rechten Schädelseite. Auffällig war eine schnappende, stoßhafte Atmung bei geöffnetem Mund.
Schnappatmung
Die Schnappatmung ist eine lebensbedrohliche Atemstörung. Sie tritt durch schnappende Atemzüge unterschiedlicher Frequenz und mit längeren Pausen bei drohendem Atemstillstand auf. Sie wird häufig bei einem Sterbenden kurz vor seinem Ableben als “agonale Atmung” beobachtet. Ursache der Schnappatmung ist ein ausgeprägter Sauerstoffmangel des Gehirns (Hypoxie) mit schwerer Schädigung des Atemzentrums im Hirnstamm. Verantwortlich kann eine massive Hirnschwellung mit Einklemmung des Gehirns im Hinterhauptsloch sein, eine schwere Herzinsuffizienz oder Lungenerkrankung oder eine Überdosierung unter anderem mit Schlafmitteln oder Opiaten.
Die Mutter alarmierte unverzüglich den Notarzt unter der Nummer 112. In der Notaufnahme des Krankenhauses wurden durch die Computertomagrafie des Schädels (CT) eine Fraktur des rechten Scheitelbeins und ein ausgedehntes epidurales Hämatom festgestellt.
Dieser im Schädel zwischen dem Knochen und der harten Hirnhaut liegende Bluterguß aus einer verletzten Arterie führte als Raumforderung zur Verdrängung und Schwellung des Großhirns mit der Folge der Einklemmung.
Das Heimtückische an einem epiduralen Hämatom ist, dass es sich bei zunächst erhaltenem Bewusstsein des Betroffenen über Stunden in der Schädelkapsel ausdehnt und erst dann zu neurologischen Störungen und Bewusstseinsverlust führt. Dies bleibt nachts oft unbemerkt.
Das erste Gespräch mit der Mutter und Schwester des Patienten führte der behandelnde Arzt kurz nach der Notaufnahme. Hierbei kam die Schwere der Schädel-Hirn-Verletzung und die geringe Überlebenswahrscheinlichkeit zur Sprache.
Trotz sofortiger Operation (Trepanation) mit Entfernung der Blutung musste der Patient maschinell beatmet werden, da eine Spontanatmung nach mehrmaliger Prüfung nicht mehr nachweisbar war. Dies war der Anlass, um die Hirntoddiagnostik einzuleiten. Diese wurde mit äußerster Sorgfalt von zwei Fachärztinnen durchgeführt. Beide Ärztinnen stellen fest, dass das Gehirn nicht mehr durchblutet wird und die Hirnfunktion irreversibel ausgefallen ist. Damit ist der Hirntod eingetreten.
Eine Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht lagen nicht vor. Vor der Operation wurde eine mögliche Organentnahme mit der Mutter nicht angesprochen, da sie sich im Schockzustand befand.
Nachdem der Hirntod zweifelsfrei eingetreten war, wurde zwei Tage nach dem Unfall mit Mutter, Schwester und dem verantwortlichen Facharzt in abgeschirmter Atmosphäre ein zweites Gespräch geführt und hierbei der tragische Verlauf des Unfalls und die Diagnose Hirntod ausführlich erläutert.
Dabei kam die Frage einer Organentnahme zur Sprache. Da kein Organspendeausweis vorlag, lag die Entscheidung bei Mutter und Schwester. Die äußerst verunsicherte, verzweifelte Mutter konnte sich an keine diesbezüglichen Aussagen ihres Sohnes erinnern und war ablehnend eingestellt. Die Schwester hingegen hatte selbst einen Organspendeausweis. Sie stand ihrem Bruder sehr nahe und konnte sich vorstellen, dass er in eine Organspende eingewilligt hätte.
Der Arzt sprach über positive Aspekte einer Organtransplantation und darüber, dass das Leben eines anderen Menschen dadurch gerettet werden kann. Beispielsweise das eines nierenkranken Menschen, der seit vielen Jahren auf eine neue Niere hofft.
Mutter und Schwester gaben nach kurzer Beratung ihre Einwilligung zur Organentnahme ohne Einschränkungen. Zwei Nieren, das Herz, die Leber und die Hornhaut des Patienten konnten erfolgreich transplantiert werden.
Was ist die Ursache eines irreversiblen Hirnfunktionsausfalls?
Ursache des Hirntodes ist eine schwerste Schädigung des Gehirns, die zu einem Stillstand der Durchblutung des Gehirns führt, der sogenannte zerebrale Kreislaufstillstand. Das Gehirn wird nicht mehr durchblutet, also nicht mehr mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Es verliert alle Funktionen und stirbt ab.
Auslösend für diese Entwicklung sind unterschiedliche Schädigungen des Gehirns. Sie werden unterteilt in:
- primäre Hirnschädigungen, welche die Strukturen des Gehirns betreffen, z.B. durch eine schwere Schädel-Hirn-Verletzung nach einem Unfall, durch einen schweren Schlaganfall (Hirnblutung, Hirninfarkt, Aneurysmablutung) und
- sekundäre Hirnschädigungen durch Stoffwechselerkrankungen, Sauerstoffmangel, Herz-Kreislauf-Stillstand mit nachfolgender Beatmung.
Wie wird der Hirntod festgestellt?
Die Notwendigkeit der sicheren Feststellung des Hirntodes ergibt sich aus zwei Gründen:
- Die Beendigung einer aussichtslosen Intensivbehandlung und damit die Entscheidung zum Therapieabbruch.
- Die sichere Feststellung des Hirntodes ist Voraussetzung für eine Organentnahme.
Die Empfehlung des Deutschen Ethikrates von 2014 lautet: “Die Durchführung der Hirntoddiagnostik erfordert eine hohe medizinische Fachkompetenz der untersuchenden Ärzte…”.5 Diese Empfehlung klingt zunächst selbstverständlich, sie ist aber von hoher Bedeutung. Die schwerwiegende Feststellung, dass bei einem Menschen alle Hirnfunktionen erloschen sind, kann nur von Fachärzten mit spezieller Ausbildung und Erfahrung in der Hirntoddiagnostik getroffen werden.
Welche Kompetenz müssen Ärzte, die den Hirntod feststellen, besitzen?
In der 2015 verabschiedeten Richtlinie wird bewusst nicht mehr vom Hirntod gesprochen, sondern nach medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen präziser vom irreversiblen Hirnfunktionsausfall als sicheres Todeszeichen. Zur Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls ist ausdrücklich festgehalten: Die den irreversiblen Funktionsausfall feststellenden und dokumentierenden Ärzte müssen Fachärzte sein. Sie müssen weitgehende Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten besitzen, um:
- zunächst die Indikation zur Diagnostik eines irreversiblen Hirnfunktionsausfalls zu prüfen,
- die notwendigen klinischen, also die ärztlichen Untersuchungen durchzuführen und
- apparative Zusatzuntersuchungen (Computertomographie und Kernspintomographie des Schädels, Elektroenzephalographie, Gefäßdarstellung bzw. Angiografie der hirnversorgenden Arterien, Ultraschalldiagnostik an den hirnversorgenden Arterien durch Doppler- und Duplexsonographie,6 evozierte Potentiale) zu beurteilen.
Die endgültige Diagnose ist das Ergebnis der Befunde und Beurteilung mehrerer Fachrichtungen, bevorzugt der Anästhesie und Intensivmedizin, Neurologie, Neurochirurgie, Neuroradiologie und Gefäß- und Thoraxchirurgie. Zumindest ein Facharzt für Neurologie oder ein Facharzt für Neurochirurgie muss die Verantwortung übernehmen.
Seit der Veröffentlichung im Deutschen Ärzteblatt 2016 hat die “Neue Richtlinie zur Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls” Gültigkeit.7 Diese Richtlinie wurde unter dem Vorsitz der Professoren Jörg-Christian Tonn (Neurochirurgie) und Heinz Angstwurm (Neurologie) in Zusammenarbeit mit verschiedenen Fachärzten und Fachgesellschaften, der Deutschen Stiftung Organspende (DSO), Philosophen, Juristen, den zuständigen Behörden von Ländern und Bund, zudem Mitgliedern der Zentralen Ethikkommission der Bundesärztekammer erarbeitet.
Die Aufgabe der Kommission bestand darin, diese eine Frage zu klären: Wie stellt man den Hirntod medizinisch eindeutig fest?
Das neue Regelwerk wurde vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) gemäß §16, Abs. 3 Transplantationsgesetz (TPG) ohne Beanstandung genehmigt.
Über diese Richtlinie wurden und werden die betroffenen Ärzte und Krankenhäuser informiert und speziell geschult. Vor allem wurden die medizinischen Voraussetzungen zur Diagnose des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls, die präzisierten Qualitätsanforderungen an die beteiligten Ärzte und an die apparativen Untersuchungsmethoden in den Vordergrund gerückt.
Die Qualifikationsanforderungen für den ärztlichen Bereich sind:
- Zwei Fachärzte, mindestens ein Facharzt für Neurologie und ein Facharzt für Neurochirurgie.
- Diese Fachärzte müssen die Unabhängigkeitskriterien erfüllen. Sie dürfen nicht an der Entnahme von Organen oder Geweben beteiligt sein.
- Sie dürfen nicht der Weisung eines Arztes unterstehen, der an der Organ- oder Gewebeentnahme beteiligt ist.
- Die Fachärzte müssen die Weiterbildung in der Diagnostik des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls nachweisen.
- Beide Fachärzte müssen mehrjährige Erfahrungen (mehr als 2 Jahre) in der intensivmedizinischen Behandlung von Patienten mit schwersten Schädel-Hirn-Verletzungen nachweisen.
- Bei Kindern bis zum vollendetem 14. Lebensjahr muss einer der Fachärzte Kinderarzt (Pädiater) sein, der 2. Facharzt Neurologe, Neurochirurg oder ein Facharzt für Neuropädiatrie mit entsprechender Erfahrung sein.
Welche Kenntnisse und Fähigkeiten des Facharztes sind in der Diagnostik des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls gefordert?
Auch wenn in der neuen Richtlinie keine aktuelle Bildgebung durch Computer- und/oder Kernspintomographie gefordert wird, sind diese Untersuchungen unabdingbar. Die Bildgebung des Gehirns muss das Ausmaß der Schädigung nachweisen und damit zweifelsfrei den irreversiblen Hirnfunktionsausfall erklären.
Zu den besonderen Kenntnissen und Fähigkeiten des Facharztes gehören:
- Die Fähigkeit, Reaktionen des Gehirns, des Rückenmarks und der peripheren Nerven auf äußere Reize zu unterscheiden.
- Erfahrung in der Erkennung und Beurteilung der Medikamente und Drogen zu besitzen, welche Einfluss auf die Aufmerksamkeit und den Bewusstseinszustand des Patienten haben. Besonders zu beachten sind Wirkungen der in der Intensivmedizin häufig verwendeten Beruhigungsmittel (Sedativa).
- Beachtung einer möglichen Interaktion von Medikamenten und die regelmäßige Bestimmung der Körpertemperatur.
- Die Kenntnis und Beurteilung von Vorerkrankungen, Stoffwechselstörungen und Schäden an inneren Organen.
- Die Kenntnis der Indikation und Aussagekraft von ergänzenden, apparativen Zusatzuntersuchungen.
Neben den wiederholten fachärztlichen Untersuchungen stehen folgende apparative Zusatzuntersuchungen zur Verfügung:
- Computertomographie (CT) des Schädels
- Kernspin- bzw. Magnetresonanztomographie (MRT) des Schädels und Kernspinangiographie zur Beurteilung der Hirndurchblutung.
- Elektroenzephalographie (EEG) zur Beurteilung der elektrischen Aktivität des Gehirns.
- Evozierte Potentiale zur Beurteilung von Funktionen des Hirnstamms
- Ultraschalluntersuchungen der Hirnarterien durch die extra- und transkranielle Doppler- und Duplexsonographie zur Beurteilung der Hirndurchblutung.
- In seltenen Ausnahmefällen eine angiographische Untersuchung mit Röntgen-Kontrastmittel zur Beurteilung der Hirndurchblutung.
Nach welchem Schema erfolgt die Feststellung des Hirntodes?
Das Ziel ist, größtmögliche Sicherheit in der Diagnose des Hirntodes durch ein standardisiertes Vorgehen zu erreichen.
Alle Untersuchungsergebnisse müssen mit Datum, Uhrzeit, Angabe der untersuchenden Ärzte auf einem standardisierten Protokollbogen des wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer dokumentiert werden. Die Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls erfolgt in drei Schritten:
- Der erste Schritt ist der zweifelsfreie Nachweis einer akuten oder chronisch fortschreitenden, schweren Hirnschädigung und der Ausschluss einer reversiblen Ursache. Beispiele sind eine unfallbedingte, schwerste Schädel-Hirn-Verletzung oder ein bösartiger und stetig wachsender Hirntumor. Reversibel können eine massive Unterkühlung oder eine Vergiftung durch Medikamente sein, deren Erscheinungsbild den Hirntod vortäuschen können.
- Im zweiten Schritt müssen alle ärztlichen, klinisch-neurologischen und internistischen Ausfallsymptome nachgewiesen werden.
- In einem dritten Schritt muss die Irreversibilität der Ausfallsymptome bestätigt werden. Hier hat der “Apnoe-Test” als letzte klinische Untersuchung die größte und entscheidende Bedeutung.
Der Apnoe-Test
Der letzte Test zur sicheren Feststellung des Hirntodes beantwortet die Frage, ob der Betroffene ohne künstliche Beatmung aus eigenem Antrieb noch atmen kann.
Da dieser Test eine Gefährdung des Patienten bedeuten kann, muss er nach Abschluss aller ärztlichen und apparativen Untersuchungen von beiden zuständigen und unabhängigen Fachärzten durchgeführt werden.
Der Apnoe-Test bedeutet das Ende einer kontinuierlichen Sauerstoffzufuhr. Hierbei wird bei kontrolliertem Anstieg des Kohlendioxid (CO2) beobachtet, ob noch spontane Atembewegungen auftreten. Da CO2 der stärkste Atemantrieb ist, kann bei einer definierten Konzentration im Blut davon ausgegangen werden, dass der Patient nicht mehr aus eigenem Antrieb atmen kann, auch wenn das Herz noch schlägt. Dies erlaubt die Entscheidung, die Beatmung zu beenden.
Wie sicher ist die Diagnose Hirntod?
“Die Hirntoddiagnostik ist eine der sichersten Diagnosen in der Medizin, erfordert aber eine hohe medizinische Fachkompetenz der untersuchenden Ärzte”.8
Zum Umgang mit Angehörigen oder Freunden
Da die Hirntod-Problematik meist völlig unerwartet und damit unvorbereitet auftritt, wird sie zu einer großen emotionalen Belastung und Herausforderung für Familienangehörige, Partner und Freunde. Diese Situation stellt gleichermaßen hohe psychologische Anforderungen an das medizinische Personal auf der Intensivstation und an die behandelnden Ärzte.
Aus eigenen, langjährigen Erfahrungen im Umgang mit der Hirntod-Thematik ergeben sich folgende Aspekte:
- Bei drohendem Hirntod oder nach dessen Feststellung führt der behandelnde Facharzt und – wenn erwünscht – die betreuende Pflegefachkraft das aufklärende Gespräch mit den Angehörigen. Teilnehmer können auch ein Seelsorger, Psychologe oder der Transplantationsbeauftragte der Klinik sein.
- Das Gespräch mit Angehörigen sollte immer in einer ruhigen, abgeschirmten Umgebung mit Sitzgelegenheit, also keinesfalls stehend am Bett des Betroffenen oder im Gang der Intensivstation stattfinden. Zunächst sind Fragen der Angehörigen empathisch, geduldig und in verständlich-erklärenden Worten zu beantworten. Nur hierdurch ist Vertrauen als Grundlage für weiterführende Gespräche hinsichtlich einer Organentnahme aufzubauen.
- Das vorrangige Motiv oder die Begründung von Angehörigen für die Zustimmung zu einer Organentnahme sind die positive Lebenseinstellung des Patienten oder der Wunsch, einem anderen Patienten zu helfen und dem Tod einen Sinn zu geben. Motive der Ablehnung sind das Nicht-akzeptieren-können des Hirntodes, die Vorstellung einer Verletzung des Patienten und religiöse Bedenken. Nur wenige der Angehörigen äußerten Zweifel an der Hirntoddiagnostik.
- Bei einer 2013 durchgeführte Umfrage unter 989 Personen stimmten 94 Prozent der Aussage zu, dass eine Organspende Leben rette. 81 Prozent sahen die Möglichkeit, einem anderen Menschen ein Geschenk zu machen und 73 Prozent sahen die Organspende als einen Akt der Nächstenliebe. 28 Prozent stimmten der Aussage zu, dass Patienten mit irreversiblem Hirnfunktionsausfall nicht als Organspender “benutzt” werden sollten und 37 Prozent würden ein künstliches oder von Stammzellen gezüchtetes Organ vorziehen.9
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Autor
Prof. Dr. med. Hans Joachim von Büdingen ist niedergelassener Facharzt für Neurologie und Psychiatrie am Neurozentrum Ravensburg. Als Chefarzt leitete er die Abteilung für Neurologie und Klinische Neurophysiologie am Krankenhaus St. Elisabeth in Ravensburg. Zu den Schwerpunkten seiner Arbeit gehört die Diagnostik und Behandlung von Schlaganfällen. [mehr]
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Quellen
- Determination of Brain Death/Death by Neurologic Criteria. The World Brain Death Project. – Autoren: Greer David M, Shamie Sam D, Lewis Ariane at al (2020) – Publikation: JAMA (324) 1078-1094 – DOI: 10.1001/jama.2020.11586
- Hirntodkriterium und Organspende: aktuelle neurowissenschaftliche Perspektive – Autoren: Uwe Walter – Publikation: Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz volume 63, pages1519–1530 (2020) – DOI: 10.1007/s00103-020-03245-1
- Irreversibler Hirnfunktionsausfall – Teil 1: Fallstricke der klinischen Diagnostik – Autoren: R. W. C. Janzen, J. Lambeck, W.-D. Niesen, F. Erbguth – Publikation: Der Nervenarzt volume 91, pages743–757 (2020) – DOI: 10.1007/s00115-020-00952-7
- Irreversibler Hirnfunktionsausfall – Teil 2. Spinalisationsphänomene – Autoren: R. W. C. Janzen, J. Lambeck, W. Niesen, F. Erbguth – Publikation: Der Nervenarzt volume 92, pages169–180 (2021) – DOI: 10.1007/s00115-020-01048-y
- Deutscher Ethikrat veröffentlicht Stellungnahme zum Thema Hirntod und Entscheidung zur Organspende – Deutscher Ethikrat – URL: https://www.ethikrat.org/mitteilungen/mitteilungen/2015/deutscher-ethikrat-veroeffentlicht-stellungnahme-zum-thema-hirntod-und-entscheidung-zur-organspende/
- Atraumatische Vorfelddiagnostik des Hirntodes mit der Dopplersonographie – Autoren: Büdingen HJ, von Reutern G-M (1979) – Publikation: Dtsch.med.Wschr. 104, 1347-1351 – DOI: 10.1055/s-0028-1129097
- Neue Richtlinie zur Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls veröffentlicht – URL: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/63384/Neue-Richtlinie-zur-Feststellung-des-irreversiblen-Hirnfunktionsausfalls-veroeffentlicht
- Gemeinsame Stellungnahme der DGN, DGNC und DGNI zur Feststellung des Hirntodes – URL: https://www.dgni.de/aerzte/stellungnahmen/476-gemeinsame-stellungnahme-der-dgn-dgnc-und-dgni-zur-feststellung-des-hirntodes.html
- Bericht zur Repräsentativstudie 2018 „Wissen, Einstellung und Verhalten der Allgemeinbevölkerung zur Organ- und Gewebespende“. BZgA-Forschungsbericht. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) – Autoren: Caille-Brillet, A.-L., Zimmering, R., Thaiss, H. M. (2019). – URL: https://www.bzga.de/fileadmin/user_upload/PDF/studien/Organ_und_Gewebespende_2018_Ergebnisbericht.pdf
- Der Hirntod. Todeszeitbestimmung bei irreversiblem Funktionsverlust des Gehirns. – Autoren: Heinz Penin, Christoph Käufer Hrsg (1969): Georg Thieme Verlag, Stuttgart