Broca-Aphasie ▷ Symptome, Ursachen, Verlauf und Behandlung

Menschliches Gehirn mit Broca- und Wernicke-Areal
In diesem Artikel:
- Was ist eine Aphasie?
- Was sind die Symptome einer Broca-Aphasie?
- Was sind die Ursachen?
- Wer stellt die Diagnose?
- Patientengeschichte
- Therapie
- Krankheitsverlauf und Prognose
Was ist eine Aphasie?
Als Aphasie wird in der Medizin und Neuropsychologie eine durch Krankheit erworbene Beeinträchtigung der Sprache bezeichnet. Also eine Sprachstörung, die nach dem Erlernen der Sprache, des Lesens und Schreibens aufgetreten ist.
Hieraus wird verständlich, dass eine Aphasie für die Betroffenen und ihr Umfeld eine besonders schwere Belastung darstellt, da die sprachliche Verständigung nicht mehr oder nur eingeschränkt möglich ist.
Das Bewusstsein der Betroffenen und das Bewusstwerden der sprachlichen Einschränkungen sind nicht eingeschränkt, was in der Verzweiflung, sich sprachlich zu verständigen, zum Ausdruck kommt.
Verantwortlich für eine aphasische Störung ist die Funktionseinschränkung von definierten Regionen bzw. Arealen des Großhirns, den Sprachzentren. Sie befinden sich bei den meisten Menschen in der linken Großhirnhälfte. Sie betreffen das wichtigste Kommunikationsmittel des Menschen.
Zu den Sprachstörungen gehören nicht nur Störungen des Sprechens und Verstehens, also die Lautsprache, sondern auch Einschränkungen des Sprachverständnisses, des Lesens und des Schreibens, der Schriftsprache.
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Die Funktion der Sprachzentren besteht also darin, Sprachlaute in sinnvolle und grammatikalisch korrekte Worte oder Wortfolgen umzusetzen und Wort- oder Schriftinformationen zu verstehen.
Bei den Aphasien handelt es sich somit um Sprachsinn- und Sprachverwendungsstörungen.
Sie sind von den Sprechstörungen (Dysarthrie) abzugrenzen, einer Beeinträchtigung der Sprechmotorik. Diese werden durch eine Funktionsstörung der Artikulationsorgane, zum Beispiel der Lippen, der Zunge, des Kehlkopfs oder der Stimmlippen verursacht. Allerdings findet sich nicht selten die Kombination von Sprach- und Sprechstörungen.
Da für unterschiedliche Sprachleistungen, wie zum Beispiel die Spontansprache oder das Sprachverständnis, unterschiedliche Bereiche des Großhirns verantwortlich sind, finden sich eine Reihe von charakteristischen Sprachstörungen an definierten Orten bzw. werden durch Schädigungen von umschriebenen Hirnarealen verursacht.
Die vier Hauptformen, die einer bestimmten Hirnregion zugeordnet werden können, sind die
- Broca-Aphasie
- Wernicke-Aphasie
- Amnestische Aphasie
- Globale Aphasie
In diesem Artikel beschäftigen wir uns in Ergänzung zu unserem Artikel “Aphasie nach Schlaganfall” ausführlicher mit der Broca-Aphasie.
Was sind die Symptome einer Broca-Aphasie?
Die Broca-Aphasie ist Ausdruck einer gestörten Sprachproduktion. Hauptsymptom ist die Einschränkung der Spontansprache, der expressiven oder “motorischen” Sprache, die sich folgendermaßen äußert:
- Spärliche oder keine spontanen Äußerungen. Aufforderung zum Sprechen notwendig.
- Mühsame, offensichtlich anstrengende und stockende Sprachproduktion mit langen Pausen.
- Anstrengung beim Sprechen, sichtbar durch Verrenkungen des Unterkiefers und Mundes.
- Agrammatismus: Erhebliche Vereinfachung der Sprache durch Auslassen von Wortendungen bei Substantiven, Adjektiven und Verben. Bildung kurzer Sätze im Telegrammstil. Im Extremfall Bildung nur unzusammenhängender Worte in Zweier- oder Dreiergruppen. Beispiel: „Brot zwei…essen…und Käse… und Wurst drei“ statt „Ich habe zwei Käse- und drei Wurstbrote gegessen“.
- Phonematische Paraphasien, d.h., klangliche Veränderung von Worten durch Auslassen von Lauten. Vertauschen von einzelnen Buchstaben oder Silben; Beispiele: „Tock“ statt „Rock“, „Bluse“ statt „Blume“.
- Semantische Paraphasien, d.h., Vertauschen von Wörtern. Beispiel: Statt Motorrad „Reifen” oder statt Mutter „Tochter”.
- Probleme bei der Zuordnung von Funktionswörtern („sie”, „sich”, „seinen” usw.)
- Beeinträchtigung der Steuerung und Ausführung von Sprechbewegungen (Dysarthrie). Verwaschenes, undeutliches, leises Sprechen mit häufigem Luftholen.
Das Nachsprechen ist wie die Spontansprache beeinträchtigt. Auffällig sind vor allem Wortverkürzungen und phonematische Paraphasien. Entsprechendes findet sich beim Vorlesen oder beim Diktat.
Das Benennen von Gegenständen ist durch Wortfindungsstörungen erschwert.
Das Sprachverständnis ist für komplexe Wortfolgen gestört, allerdings wird der ungefähre Inhalt verstanden. Einfache Aufforderungen werden korrekt befolgt.
Das Leseverständnis ist entsprechend dem Sprachverständnis beeinträchtigt.
Erstaunlicherweise ist das Singen bekannter und in der Jugend erlernter Melodien und Texte wie “Hänschen klein…” oder “Großer Gott, wir loben Dich…” nicht selten fehlerfrei möglich.
Ebenfalls ist die Eigenwahrnehmung der Sprache bei Patienten mit Broca-Aphasie typischerweise gut erhalten, d.h. sie nehmen ihre Kommunikationsdefizite aktiv wahr und sind frustriert über ihre eingeschränkten Ausdrucksmöglichkeiten.
Meistens ist eine Broca-Aphasie mit anderen neurologischen Störungen verbunden, zum Beispiel mit einer Halbseitenlähmung, einer Gefühlsstörung oder einer Sprechstörung.
Was sind die Ursachen?
Die Broca-Aphasie wird vor allem durch Schlaganfälle und Schädel-Hirn-Verletzungen, auch durch Hirntumore sowie seltener durch Autoimmunerkrankungen, Hirnmetastasen, neurodegenerative Erkrankungen, entzündliche Erkrankungen des Gehirns u.a., hervorgerufen.
Die Schädigung (Läsion) im Falle der Broca-Aphasie ist im sogenannten Broca-Areal lokalisiert, das sich im unteren Stirnlappen (Frontallappen), bei den meisten Menschen der linken Gehirnhälfte, befindet.
Ursache ist häufig ein Verschluss der mittleren Hirnarterie (Arteria cerebri media) oder einer ihrer Äste, die Arteria praerolantica, welche unter anderem für die Blutversorgung des Broca-Sprachzentrums sorgt. Eine Unterbrechung dieser Durchblutung führt zu einem Blutmangel mit der Folge eines Hirninfarkts.
Wer stellt die Diagnose?
Die Diagnose einer Aphasie und die Beschreibung der sprachlichen Einschränkungen erfolgen durch die Fachgebiete der Neurologie und der Klinischen Neuropsychologie. Voraussetzung ist eine eingehende neurologische Untersuchung des zentralen und peripheren Nervensystems, um begleitende neurologische Ausfälle erfassen und diagnostisch einordnen zu können.
Patientengeschichte
Die 76-jährige Lena K., bei der seit vielen Jahren ein Bluthochdruck, ein erhöhter Cholesterin-Wert im Blut und ein Diabetes mellitus Typ II bekannt waren, verspürte beim Einkaufen am frühen Nachmittag ein Unwohlsein und ein “Kribbeln” der rechten Körperhälfte, auch im Gesicht.
Kurz darauf stürzte sie ohne Bewusstseinsstörung. Sie konnte sich selbst nicht aufrichten, da die rechte Seite gelähmt war. Dazu kam, dass sie ihre Sprache weitgehend verloren hatte. Nur wenige, unverständliche Laute konnte sie von sich geben.
Zum Glück rief eine Passantin sofort den Notarzt (112), der wenige Minuten später eintraf, die Notfallversorgung vornahm und Frau K. in das nächstgelegene Krankenhaus mit einer Stroke Unit begleitete.
Dort wurde unter dem Verdacht eines schweren Schlaganfalls unverzüglich eine Computertomographie des Schädels durchgeführt, die eine Hirnblutung ausschließen konnte. Die Angiographie der hirnversorgenden Arterien zeigte einen Verschluss der linken mittleren Hirnarterie, der Arteria cerebri media, welche für die Blutversorgung des Broca-Areals verantwortlich ist.
Der Verschluss wurde von einem Blutgerinnsel verursacht, welches aus der arteriosklerotisch eingeengten Halsschlagader abgeschwemmt wurde.
Nach Durchführung der Lyse-Therapie besserte sich erfreulicherweise die Halbseitenlähmung rasch, auch die Sprachstörung, die Broca-Aphasie.
Unter konsequenter krankengymnastischer, ergotherapeutischer und logopädischer Behandlung war bei Frau K. drei Monate nach dem Schlaganfall der Gebrauch der rechten Hand noch leicht eingeschränkt.
Beim Gehen machte sich noch eine spastische Gangstörung bemerkbar. Die Sprache war noch durch Wortfindungsstörungen, gelegentliche Wortverwechslungen gestört, das Sprachverständnis und Lesen aber ohne wesentliche Beeinträchtigung.
Therapie
Trotz ihrer eingeschränkten Sprachproduktion sind sich Broca-Aphasiker ihrer Sprachstörung bewusst, was eine erfolgreiche Behandlung erleichtert.
Die sprachtherapeutische bzw. logopädische Behandlung sollte so früh wie möglich beginnen. Doch auch Jahre nach Krankheitsbeginn lassen sich mit einer entsprechenden Therapie noch Erfolge erzielen.
Die Therapie der Logopädie hat dabei folgende Ziele:
- Die betroffenen Hirnareale zu reaktivieren (Reorganisation).
- Umgebende Hirnareale anzuregen, die Aufgaben der gestörten Areale zu übernehmen (Kompensation).
- Den Patienten oder die Patientin mit Geduld und in ruhiger Atmosphäre zum Sprechen zu animieren.
- Die Angst, nicht verstanden zu werden und Fehler zu machen, abzubauen.
- Die Angehörigen aufzuklären, um Verständnis und Mitarbeit zu bewirken, auch für häusliche Sprach-, Lese- und Schreibübungen.
- Den Patienten aus seiner Isolation zu befreien.
Die logopädischen Therapieinhalte bestehen daher u.a. aus der Zuordnung von Bildern und Begriffen, Satzergänzungsübungen sowie dem Nachsprechen von vorgegebenen Wörtern und Sätzen. Die logopädische Therapie einer Broca-Aphasie zielt somit in erster Linie darauf ab, das Sprachvermögen des Patienten zu verbessern.
Krankheitsverlauf und Prognose
Wie die Krankheit verläuft, hängt stark von der Ursache ab. Je früher eine Therapie beginnt, desto positiver wirkt sich dies auch auf den Verlauf aus.
Sofern die Aphasie auf einen Schlaganfall zurückzuführen ist, kann sich die Sprachfunktion in einem Drittel der Fälle innerhalb der ersten vier Wochen wieder normalisieren; über 40 Prozent der Schlaganfallpatienten mit Aphasie können nach sechs Monaten wieder frei von Symptomen sein.
Tipps zum Umgang mit Sprachstörungen
So klappt es mit der Kommunikation besser – Erfahren Sie, wie Sie den Umgang mit Aphasie-Betroffenen möglichst angenehm gestalten und die Rehabilitation unterstützen.- Eine Logopädin erklärt: Wie kann ich Ihre Sprachstörung verbessern?
- Akupunktur als Therapieoption bei einem Schlaganfall mit motorischer Aphasie?
- Aphasie nach einem Schlaganfall
- Rehabilitation nach einem Schlaganfall
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Artikel aktualisiert am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autor
unter Mitarbeit von Prof. Dr. med. Hans Joachim von Büdingen
Dr. med. Mark Dankhoff ist Facharzt für Allgemeinmedizin, Ernährungsmedizin, Diabetologische Grundversorgung, Hypertensiologie DHL, Adiposiologie DAG/AGA/DDG, Adipositas-Trainer AGA, Medizinischer Berater. Sein Schwerpunkt ist die Prävention und Therapie von kardiovaskulären Risikofaktoren und Erkrankungen. Seit 2021 ist er als Medical Advisor freiberuflich tätig. Dr. med. Mark Dankhoff ist Gründungsmitglied des „Im Puls. Think Tank Herz-Kreislauf e.V.“. [mehr]
Quellen
- Kurzlehrbuch Innere Medizin – Autoren: Baenkler H.-W. et al. – Verlag: Thieme Verlag, 2021, 4. überarbeitete Auflage – ISBN: 978-3-13-220000-5.
- Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie – Autoren: Diener, H. C. et al. – Herausgegeben von der Kommission „Leitlinien“ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Thieme Verlag, 2012, Print ISBN: 9783131324153, Online ISBN 9783131833655, DOI: 10.1055/b-002-37755
- Einführung in die Aphasiologie – Autoren: Grande M., Hußmann K. – Verlag: Thieme Verlag, 3. überarbeitete und erweiterte Auflage, 2016 – ISBN: 9783131111135
- Hagner M.: Aphasie. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-015714-4