Den Arztbrief neu denken – in Zukunft als Patientenbrief ▷ Auch für Patienten
In diesem Artikel:
- Wer schreibt den Arztbrief?
- Welche Bedeutung hat der Arztbrief?
- Wie hoch ist der Zeitaufwand für das Schreiben und Lesen von Arztbriefen?
- Struktur eines Arztbriefs
- Ist der Arztbrief datengeschützt?
- Was hat der Arztbrief mit Therapietreue bzw. Adhärenz zu tun?
Arztbriefe nicht nur über, sondern auch für den Patienten
Herz-Kreislauf-Erkrankungen, vor allem der Schlaganfall und Herzinfarkt, verzeichnen weltweit einen bedrohlichen und kontinuierlichen Anstieg. Es muss daher nach wirksamen Wegen gesucht werden, um diese Entwicklung aufzuhalten. Sehr ermutigend ist, dass 90 Prozent dieser meist notfallmäßig auftretenden Erkrankungen durch gezielte Aufklärung über die Risikofaktoren und deren Behandlung verhindert werden können.
Wodurch kann diese Zunahme von Herz-Kreislauf-Erkrankungen gestoppt werden?
- Durch erhöhte Konzentration auf die Gesundheitsbildung bzw. -kompetenz der Bevölkerung und Patienten.
- Durch konsequente Aufklärung und Einbeziehung der Patienten und Angehörigen, mit dem Ziel, Verständnis für das individuelle Krankheits-Problem zu erwecken und die Selbstverantwortung zu fördern.
- Durch Abbau der Distanz zwischen Arzt und Patient im Sinne einer Kommunikation auf Augenhöhe zur Verbesserung auch der Therapietreue (Adhärenz).
- Durch Transparenz der ärztlichen Diagnosen, Befunde und Therapien für den Patienten.
- Durch verständliche Erklärung von Dokumenten, die sich auf den Gesundheitszustand eines Menschen beziehen.
- Hierzu gehört auch der Arztbrief, der primär an Ärzte gerichtet ist, dessen Inhalt zukünftig aber auch den Betroffenen öas “Patientenbrief” zugänglich und verständlich gemacht werden sollte. Anzustreben wäre auch die Einbeziehung aller Bereiche (z.B. Therapeuten, Sozialhilfe), welche einen Patienten im Sinne einer sektorenübergreifenden Versorgung betreuen.
Wer schreibt den Arztbrief?
- ÄrztInnen bei Entlassung eines Patienten aus dem Krankenhaus. Der Arztbrief ist an weiterbehandelnde Ärzte gerichtet. Üblicherweise wird der Brief in der Klinik von einem Arzt in Weiterbildung erstellt und von einem Facharzt (Ober- oder Chefarzt) überprüft, da fachärztliche Beurteilung in der Berufsordnung vorgeschrieben ist. Der Verfasser bzw. die Klinik sind für die Richtigkeit verantwortlich. Der Leser des Arztbriefs muss sich auf dessen Aussagen verlassen können. Falsche oder missverständliche Angaben in einem Arztbrief können zu Behandlungsfehlern z.B. bei der Medikation führen. Auch unterlassene Empfehlungen zu weitergehenden Untersuchungen, die dann nicht durchgeführt werden, können negative juristische Folgen haben.
- Fachärzte in der Praxis dokumentieren ihre Diagnosen, Befunde und Therapieempfehlungen in aller Regel in Form eines Arztbriefs.
- Allgemein- oder Hausärzte schreiben und übermitteln nur ausnahmsweise Arztbriefe.
Der Weg des Arztbriefs ist somit eine Einbahnstraße in Richtung der Allgemein- und Hausärzte, wobei der Patient üblicherweise diesen Brief bzw. den Bericht über seinen Gesundheitszustand nicht erhält.
Welche Bedeutung hat der Arztbrief?
In der Klinik ist der Arztbrief das wichtigste Dokument zum Nachweis abrechnungsrelevanter Maßnahmen. Das bedeutet, dass die Informationen nicht nur für ÄrztInnen, sondern auch für die Krankenkassen als Kostenträger von Interesse sind.
Der Arztbrief ist primär an die Ärztin oder den Arzt gerichtet, die/der die weitere Behandlung übernimmt. Sinnvoll ist in vielen Fällen auch die Information von Therapeuten, z.B. Physio- oder Ergotherapeuten und der Akteure in der Nachsorge, wenn der Betroffene nach den Datenschutzbestimmungen sein Einverständnis erklärt hat. Dies würde eine sektorenübergreifende Versorgung sehr erleichtern.
Besonders sinnvoll wäre es, wenn auch der Patient “seinen Arztbrief” im Sinne eines “Patientenbriefs” erhalten, lesen und verstehen würde. Wenn er nicht verstanden wird, kann er in verständliche Erläuterungen übersetzt werden. Das kann gesprächsweise erfolgen, nachhaltiger jedoch in schriftlicher Form zum wiederholten Nachlesen.
Aktuelle Bewertung von Arztbriefen
“Viele Arztbriefe weisen erhebliche Defizite auf. Bemerkenswert ist, dass das Thema “Arztbrief” – gemessen an Bedeutung und Arbeitsaufwand – einen auffällig geringen Stellenwert in der ärztlichen Fachwelt sowie in der Aus-, Weiter- und Fortbildung hat.
Das Verfassen von Arztbriefen ist als Lernziel weder im Medizinstudium noch in der ärztlichen Weiterbildung fester Bestandteil. Fortbildungen der Ärztekammern zum Arztbrief sind selten und fokussieren sich auf die elektronische Erstellung und Versendung. Deutsche Leitlinien oder Empfehlungen von Fachgesellschaften zum Arztbrief gibt es nicht” (Unnewehr et al 20131).
Befragung von Hausärzten zur Qualität von Arztbriefen aus der Klinik
Sehr aufschlussreich und differenziert sind die Ergebnisse in einer 2019 publizierten Untersuchung der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf wiedergegeben, erstellt von Dr. phil. Sascha Bechmann.2
Das Ziel dieser Erhebung war, strukturierte Informationen über die Qualität von Arztbriefen auf der Basis der Beurteilung durch deutsche Hausärzte zu gewinnen.
Befragt wurden 197 ÄrztInnen zu ihrer Erfahrung, persönlichen Meinung und ihrem Umgang mit Entlassungsbriefen aus dem Krankenhaus. Die Ergebnisse dieser Studie sollen erstmals die Probleme dieser Briefe für den Empfänger bzw. Leser systematisch verdeutlichen.
“Der klinische Entlassungsbrief soll in erster Linie eines gewährleisten: Die verlustfreie und eindeutige Übermittlung therapierelevanter Informationen an den Hausarzt.”
In einem Punkt sind sich die befragten Ärzte einig: in der wesentlichen Bedeutung des Arztbriefes als Kommunikationsmittel zwischen Medizinern. So bewerteten 100 Prozent der Hausärzte den Arztbrief als wichtiges Instrument zur Arzt-Arzt-Kommunikation, welches wesentlich zur Meinungsbildung über den Patienten beiträgt.
Und nicht nur das: Die Hausärzte gaben überwiegend (87 Prozent) an, dass Arztbriefe auch einen entscheidenden Einfluss auf die Patient-Arzt-Beziehung haben” (Zitate aus der Publikation von Dr. S. Bechmann).
Die Ergebnisse dieser Befragung sind sehr bedenkenswert, da missverständliche und unvollständige Arztbriefe eher die Regel als die Ausnahme sind: 99 Prozent der Hausärzte gaben an, dass die Qualität verbesserungswürdig ist:
- Nicht selten werden missverständliche Formulierungen gewählt.
- Logische Fehler und unverständliche Abkürzungen kommen häufig vor.
- Relevante Informationen fehlen.
- Oft fehlt eine einheitliche Struktur.
- Ein schlechter Sprachstil, Rechtschreib-/Grammatikfehler, Floskeln und unnötige Wiederholungen wurden ebenfalls bemängelt.
- Als besonders wichtig wurden die Empfehlungen zur Therapie und v.a. Entlassmedikation erachtet, da es hier am häufigsten zu Unsicherheiten oder Fehlern kommt.
Nur 33 Prozent der Befragten gaben an, Arztbriefe vollständig zu lesen.
Wie hoch ist der Zeitaufwand für das Schreiben und Lesen von Arztbriefen?
In der Klinik ist der Dokumentationsaufwand sehr hoch, wie eine Studie 2003 nachgewiesen hat:3
In der Chirurgie durchschnittlich 162 Minuten/Arzt/Arbeitstag, in der Inneren Medizin 195 Minuten/Arzt/Arbeitstag.
Die exakte Dauer zur Erstellung eines Arztbriefes wurde nicht ermittelt. Hausärzte lesen, wie die Studie von Bechmann ausführt, nicht selten mehr als 10 Arztbriefe pro Tag, im Mittel 3 – 10 Briefe mit einem zeitlichen Gesamtaufwand zwischen 30 und 60 Minuten.
Der Zeitaufwand für das Schreiben und Lesen eines Arztbriefs ist somit ein großes Problem, welches durch Erziehung v.a. zum Schreiben durch eine standardisierte Struktur i.S. eines Leitfadens oder gar Leitlinie gelöst werden könnte. Gefordert sind also die Lehrer in der Klinik und Praxis, auch Fachgesellschaften.
Dank automatisierter Prozesse spart die Verfassung eines e-Arztbrief im Vergleich zum konventionellen Arztbrief allerdings Zeit.
Wie unterscheiden sich Arztbriefe aus der Klinik und Praxis?
Der Arztbrief aus der Klinik ist die schriftliche Zusammenfassung von Diagnosen, Befunden, Verlaufsbericht und Therapieempfehlungen in unmittelbarem Zusammenhang mit einer akuten Erkrankung, oft als Notfall. Dieser Bericht sollte strukturiert, verständlich und zeitnah erstellt werden.
Was erschwert die Erstellung eines Arztbriefes aus dem Krankenhaus?
Bei dem oft nur wenige Tage dauernden Aufenthalt, dem allgemeinen Zeitdruck, der nicht selten rasch wechselnden ärztlichen Betreuung und der Flut von Informationen aus unterschiedlichen Quellen ist es eine besondere Leistung, einen gut strukturierten Arztbrief zu erstellen.
Der Arztbrief aus der fachärztlichen Praxis nach dem Erstkontakt mit einem Patienten entspricht prinzipiell dem der Klinik. Danach werden Verlaufsberichte erstellt.
Struktur eines Arztbriefs (Patientenbriefs)
Prinzipiell ist anzustreben, dass möglichst viel Information in möglichst wenigen und verständlichen Sätzen enthalten ist. “In der Kürze liegt die Würze”. Beispiele sind auf dieser Webseite unter Patientengeschichten “Betroffene berichten” zu finden.
Zu bedenken ist die Situation der ärztlichen KollegInnen. Sie haben nur wenig Zeit. Eine strukturierte Folge bzw. Gliederung der einzelnen Punkte des Inhalts sollte strikt eingehalten werden. Abkürzungen, Wiederholungen oder Floskeln wie z.B.“die Vorgeschichte des Patienten dürfen wir als bekannt voraussetzen” sind konsequent zu vermeiden (s.Tabelle 2).
Was umgangssprachlich ausgedrückt werden kann, hilft dem Verständnis des Patienten.
Von größter Bedeutung ist, dass der Arztbrief den Adressaten unmittelbar nach der Behandlung zugestellt wird. Wenn nicht alle Befunde bei Entlassung vorliegen, kann ein “Vorläufiger Arztbrief” erstellt und die fehlenden Befunde nachgereicht werden. Allerdings wird der endgültige Arztbrief häufig nicht nachgereicht.
Eine Standardisierung des Arztbriefs ist anzustreben, wie auch eine Leitlinie zu seiner Erstellung. Eine Standardisierung wird durch eArztbriefe weiter gefördert. Die vorgegebene Strukturen helfen den Arztbrief zu optimieren und das Verfassen des Arztbriefes effizienter zu gestalten.
Der Arztbrief sollte folgende Angaben enthalten:
- Adressaten. Das sind weiterbehandelnde ÄrztInnen, evtl. TherapeutInnen (Physio- und Ergotherapeuten, Logopäden) im Sinne einer sektorenübergreifenden Kommunikation. Zudem der Patient oder betreuende Angehörige. Auch wenn letztere nicht alle Fachausdrücke verstehen, haben sie das wichtigste Dokument persönlich verfügbar und können entscheiden, mit wem sie die Informationen teilen bzw. besprechen.
- Patientendaten. Neben den persönlichen Daten und der Erhebung der Vorgeschichte (Anamnese) ist das Behandlungsdatum oder der Behandlungszeitraum zu vermerken, evtl. auch das weitere Vorgehen. Beispiel: “ Frau… wurde am 10.01.2021 notfallmäßig aufgenommen, bis zum 15.01.2021 stationär behandelt und in die Reha-Klinik….verlegt oder an den Hausarzt überwiesen”.
- Diagnosen mit ICD-10-Klassifikation. Zuerst wird die Hauptdiagnose als Grund für die aktuelle Behandlung aufgeführt und danach, wenn relevant, Nebendiagnosen. Hier können auch z.B. Operationen oder andere Eingriffe mit Datum erwähnt werden. Symptome oder Befunde sind nur dann anzuführen, wenn keine Diagnose gestellt werden kann. Zu vermeiden ist eine Aufblähung der Diagnosen unter abrechnungstechnischen Überlegungen bzw. Zwängen.
- Zusammenfassender Vorspann zur kompakten Information des Lesers? Für den Verfasser hat sich dieser Vorspann als Konzentrationsübung sehr bewährt. Die Leser sind dankbar. Beispiele: “Ursache der am Abend des….plötzlich aufgetretenen, schwersten Nacken- und Hinterkopfschmerzen mit Erbrechen und leichter Bewusstseinseinschränkung war eine Subarachnoidalblutung aus einem Aneurysma der rechten A.cerebri media, welches noch am Aufnahmetag neuroradiologisch durch Coiling erfolgreich behandelt wurde. Der weitere Verlauf war erfreulich unkompliziert”. “Die Ursache der am….aufgetretenen Synkope konnte nicht geklärt werden. Differenzialdiagnostisch wurden……ausgeschlossen”.
- Befunde. Die körperlichen, seelischen und geistigen Befunde, wie auch die der apparativen Untersuchungen und Laborbefunde werden in gleichbleibender Reihenfolge beschrieben. Bei der Wiedergabe von Ergebnissen apparativer Untersuchungen. z.B. Kernspintomographie (MRT), ist eine knappe Zusammenfassung bzw. Beurteilung sinnvoll, keinesfalls der ausführliche Befund als Textbaustein.
- Epikrise. Sie ist als zusammenfassende Beurteilung des Krankheitsverlaufs mit anamnestischen Angaben und als Ort für diagnostische und therapeutische Begründungen, wie auch für differenzialdiagnostische Erwägungen der aufwendigste und hohe Konzentration erfordernde Abschnitt des Arztbriefs.
- Therapieempfehlungen. Die vorgeschlagenen Behandlungen sind ausdrücklich immer Empfehlungen, die möglichst eindeutig zu formulieren sind. Vor allem Medikamente sind mit ihrer generischen Bezeichnung und Dosierung unmissverständlich zu empfehlen.
Sehr hilfreich sind die Dortmunder Arztbrief-Checkliste und die Tabelle mit typischen sprachlichen Schwierigkeiten in Arztbriefen, die hier mit freundlicher Genehmigung von Dr. Markus Unnewehr aus seiner in der Literaturliste aufgeführten Arbeit im Deutschen Ärzteblatt wiedergegeben werden.
Tabellen: nach Dortmunder Arztbrief-Checkliste und der Tabelle mit typischen sprachlichen Schwierigkeiten in Arztbriefen.
Wer kümmert sich um die Qualität der Arztbriefe?
Verantwortlich für die Qualität und Zuverlässigkeit des Inhalts ist der Facharzt in der Klinik oder in der fachärztlichen Praxis. Das Verfassen von Arztbriefen ist Bildungssache. Eine spezifische Schulung ist unumgänglich.
Ist der Arztbrief datengeschützt?
Für das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient ist die ärztliche Schweigepflicht als Kernelement der ärztlichen Berufsethik von höchster Bedeutung. Die Schweigepflicht ist rechtlich in der Berufsordnung für ÄrztInnen und der Landesärztekammern verankert.
Zudem im Strafgesetzbuch (StGB) § 203: “Verletzung von Privatgeheimnissen”. Die Schweigepflicht beinhaltet somit auch den Schutz des Patienten durch Wahrung des Patientengeheimnisses.
Patientendaten unterliegen dem besonderen Datenschutz. Der Umgang mit diesen Daten verpflichtet alle Mitarbeiter im Krankenhaus und in der ärztlichen Praxis zu höchster Verschwiegenheit.
Der Patient hat das Recht, zu bestimmen, an wen seine Daten in Zusammenhang mit einer Erkrankung oder ärztlichen Beratung weitergegeben werden. Hierzu ist eine schriftliche Erklärung des Patienten mit Unterschrift notwendig.
Wie wird der Arztbrief übermittelt?
Die wichtigste Forderung ist, dass der Arztbrief rechtzeitig, d.h., unmittelbar nach der Behandlung erstellt und verschickt wird. Gründe für eine Verzögerung sind der Zeitaufwand für die Erstellung des Arztbriefs, die Arbeitsverdichtung, die oft erhebliche Datenmenge und Defizite hinsichtlich einer vorgegebenen Struktur. Diese sollte einheitlich und übersichtlich sein, die Sätze kurz und prägnant, die Gliederung leserorientiert.
Arztbriefe werden heutzutage meistens elektronisch erstellt, ausgedruckt und mit der Post versandt. Vom Empfänger werden sie aufwendig mit einem Scanner digitalisiert. Das benötigt wertvolle Zeit. Alle Bemühungen gehen derzeit dahin, dass die Übermittlung der Arztbriefe ohne Medienbrüche erfolgt.
Im E-Health-Gesetz wird geregelt, dass das Krankenhaus oder der Arzt in der Praxis einen elektronischen Arztbrief (eArztbrief) über einen datengeschützten Kanal verschickt. Hierdurch soll ein schnellerer und effizienterer Austausch von Informationen mit den jeweiligen Adressaten gelingen. Denn durch die Technik des digitalen Arztbriefes kann der Prozess automatisiert werden.
Auf Wunsch des Patienten kann der elektronische Arztbrief auch in der elektronischen Patientenakte eingesehen werden.
Die elektronische Patientenakte
Die elektronischen Patientenakte soll neben Laborberichten und Therapieplänen, Mutterpass, Impfausweis auch die Arztbriefe umfassen. Dabei kann der Patient selbst entscheiden, was auf der Patientenakte gespeichert und was gelöscht werden soll.
Die Krankenkassen bieten ihren Versicherten eine kostenlose App zum Download an.
Mehr können Sie über die elektronische Patientenakte hier erfahren.
Was hat der Arztbrief mit Therapietreue bzw. Adhärenz zu tun?
Sehr viel. Und zwar sowohl in der Arzt-Patienten-Beziehung als auch in der Arzt-Arzt-Beziehung.
In der Arzt-Patienten-Beziehung bedeutet Adhärenz das Einhalten bzw. “Befolgen” von Empfehlungen, die ein Arzt mit einem Patienten auf Augenhöhe vereinbart. Die Verantwortung für die kontrollierte Umsetzung dieser Empfehlungen liegt somit nicht nur beim Arzt, sondern auch beim Patienten.
Wichtigste Voraussetzung für den Patienten ist allerdings das Verstehen des Sinns von ärztlichen Empfehlungen, um selbstverantwortlich handeln zu können.
Auf welchem Weg kann das notwendige Verständnis vermittelt werden?
Ärzte sprechen in ihrem Arztbrief oder im persönlichen Gespräch keine Geheim- oder Fremdsprache, sie sind aber mit ihrem “Fachlatein” für den Patienten oft nur schwer und nicht nachhaltig zu verstehen. Und gerade diese Barriere verhindert adhärentes Verhalten.
Wie soll man therapietreu sein, wenn man das eigene Gesundheitsproblem nicht versteht?
Neue Entwicklungen in Richtung Patientenbrief
Da es den ÄrztInnen vor allem im Arztbrief nicht gelingen kann und wird, sich in vielen Einzelheiten allgemeinverständlich auszudrücken, ist nach neuen Methoden zu suchen.
Ein sinnvoller Ansatz ist die “Übersetzung” eines Arztbriefs in einen “Patientenbrief” mit Erläuterung der Diagnosen, Befunde und Empfehlungen schriftlich in verständlicher Form. Dies sollte durch einen fachkompetenten Arzt erfolgen.
Hier bestehen einzelne Ansätze:
Auf der Internetseite https://washabich.de/ ist es möglich, eigene Befunde einzureichen und eine leicht verständliche “Übersetzung” durch einen erfahrenen Mediziner kostenlos zu erhalten. Hinter dem Projekt stehen ehrenamtliche Mediziner, die sich für eine bessere Arzt-Patienten-Kommunikation einsetzen.
Das Projekt “PASTA – Patientenbriefe nach stationären Aufenthalten beinhaltet die automatisierte Erstellung eines zusätzlichen Patientenbriefs, in dem die Erkrankung (Diagnose), die Befunde und Interpretation der durchgeführten Untersuchungen und das weitere Vorgehen allgemeinverständlich “übersetzt” werden. Bei Bewährung ist die breite Anwendung geplant. Weitere Ausführungen hierzu finden sich unten bei “Die Zukunft des Arztbriefs”
Wie geht die Ärztin oder der Arzt mit dem Arztbrief um?
In der Arzt-Arzt-Beziehung geht es zunächst um Kommunikation und Information unter Kollegen. Es geht aber auch um Vertrauen:
- Ist der Haus- oder Facharzt mit der Einschätzung des Krankheitsbildes und den Empfehlungen im Arztbrief aus dem Krankenhaus besonders hinsichtlich der medikamentösen Therapie einverstanden?
- Setzt der Haus- oder Facharzt Empfehlungen um oder “kocht er seine eigene Suppe”?
- Informiert ein Arzt den anderen über eine Veränderung oder das Beenden einer Therapie?
Hat die Kommunikation unter ÄrztInnen Einfluss auf die Therapietreue der PatientInnen?
Die zusammenfassende Beurteilung (Metaanalyse) bzw. Beantwortung dieser Frage ist eindeutig ja:4
Die vertrauensvolle Kommunikation unter Ärzten steht in direktem Zusammenhang mit der Therapietreue (Adhärenz). Das Risiko einer Nicht-Adhärenz des Patienten ist um 19 Prozent erhöht, wenn Ärzte schlecht kommunizieren. Spezielle Trainingsprogramme für ÄrztInnen hinsichtlich einer verbesserten Kommunikation bewirken eindeutig eine verbesserte Therapietreue. Entsprechende Programme werden bereits für MedizinstudentInnen empfohlen.
Wie wird ein Arztbrief vergütet?
Der Arztbrief des Krankenhauses wird nicht separat honoriert. Er ist das Dokument einer abgeschlossenen Behandlung.
Der Arztbrief des Arztes in der Praxis wird von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht gesondert vergütet. Dies wird sehr kritisch gesehen:
“Der Arztbrief ist nichts wert. Der Aufwand lohnt sich nicht. In der gesetzlichen Krankenversicherung wird bald nicht mal mehr das Porto bezahlt” (Kommentare von Ärzten in einer Facharztpraxis).
Sind diese Aussagen korrekt?
In der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ, Stand 01.01.2003), die für privat Versicherte gilt, steht unter Ziffer 75:
“Ausführlicher schriftlicher Krankheit- und Befundbericht (einschließlich Angaben zur Anamnese, zu dem(n) Befund(en), zur epikritischen Bewertung) und gegebenenfalls zur Therapie.
Die Befundmitteilung oder der einfache Befundbericht ist mit der Gebühr für die zugrundeliegende Leistung abgegolten”.
Wert dieser Leistung in Euro:
- nach dem 1 fach-Satz mit 7,58 €
- nach dem 2,3 fachen Satz (Regelsatz) mit 17,43 €
- nach dem 3,5 fachen Satz (Höchstsatz) mit 26,52 €
Die derzeitige Vergütung (Februar 2021) ist – wirtschaftlich gesehen – kein Anreiz zum Schreiben von Arztbriefen.
Vergütung von elektronischen Arztbriefen
Krankenkasse zahlt eine Vergütungspauschale von 55 ct pro Arztbrief: 28 ct für den Versand des Arztbriefes und 27 ct für den Empfänger des Arztbriefes, wenn die Arztbriefe über den E-Mail-Fachdienst KIM verschickt werden. Seit dem 01.04.2020 beträgt der gemeinsame Höchstwert 23,40 € pro Quartal und Arzt/Psychotherapeut.
Seit dem 01.07.2020 (befristet für die nächsten drei Jahre) ein Zuschlag: Zuschlag zur eArztbrief-Versandpauschale gemäß Anlage 8 § 2 Absatz 3 der TI-Finanzierungsvereinbarung: 1 Punkt (2020: 0,11 €) (GOP 01660)
Dieser Zuschlag kann auch dann gewährleistet werden, wenn der Höchstwert bereits erreicht oder überschritten ist.
Ist der Arztbrief auch für medizinische Laien verständlich zu machen?
Bei der Forderung nach Verständlichkeit des Arztbriefes auch für medizinische Laien ist der Bildungsgrad des Lesers zu berücksichtigen.
Unterschieden werden die leichte und die einfache Sprache.
- Die leichte Sprache besteht u.a. aus kurzen Hauptsätzen, möglichst wenig Nebensätzen, Verwendung von allgemein bekannten Wörtern, Fremdwörter werden erklärt. Nach Satzzeichen sollte ein Absatz folgen.
- Für die einfache Sprache gibt es keine eindeutigen Regeln. Sie ist komplexer aufgebaut. Längere Sätze und Nebensätze sind “erlaubt”, Fremdwörter müssen allerdings auch hier erklärt werden.
Für das Abfassen eines Arztbriefs ist weder die leichte noch die einfache Sprache anzuwenden, da es nicht gelingen wird, alle Fach- oder Fremdwörter mit einfachen Worten allgemeinverständlich zu vermitteln.
Kann der Arztbrief einem medizinischen Laien verständlich gemacht werden?
Üblicherweise ist der Arztbrief für einen Arzt bestimmt, der die Fachsprache oder das “Fachlatein” mit vielen Fremdwörtern erlernt hat und versteht. Sie sind meist aus dem Alt-Latein oder Alt-Griechisch abgeleitet.
Zur Erläuterung für den Patienten sind zwei Möglichkeiten denkbar:
- Das erklärende Gespräch mit dem Arzt. Hier fehlt aber oft die Zeit oder Geduld, ein Krankheitsbild umfassend und nachhaltig verständlich zu machen.
- Die schriftliche Übersetzung durch einen erfahrenen Arzt. Dann hat der Patient ein Dokument zum wiederholten Nachlesen. Dann kann er auch gezielt nachfragen, wenn sich Unsicherheiten ergeben sollten.
Die Zukunft des Arztbriefs
Aufgabe für die Zukunft wird es sein, durch Konzentration auf den Patienten auch für diesen einen lesbaren und verständlichen Informationsbrief als “Patientenbrief” zu formulieren.
Der Arztbrief muss viele und sehr unterschiedliche Ansprüche erfüllen. Die der ärztlichen KollegInnen, der PatientInnen und Angehörigen, der Therapeuten und auch die der Kostenträger. Daher wird es schwierig werden, in einem Arztbrief alle Ansprüche zu befriedigen.
Eine sinnvolle Lösung wäre eine Fassung als herkömmlicher Arztbrief und eine Fassung als Patientenbrief. Letzteren könnten durch Zusammenfassung der wesentlichen Informationen und Empfehlungen die Hausärzte übernehmen. Allerdings wäre zum Anreiz für ÄrztInnen in der Praxis, überhaupt einen Arztbrief oder Patientenbrief zu schreiben, die Vergütung entsprechend seiner zentralen Bedeutung wesentlich zu verbessern.
Um Kosten und Zeit zu sparen sind auch sogenannte automatisierte Patientenbriefe denkbar. Der Innovationsausschuss beim gemeinsamen Bundesausschuss empfiehlt, dass sich automatisiert erstellte laien-verständliche Patientenbriefe etablieren. Innerhalb des Projektes “PASTA” wurde die automatisierte Erstellung der Patientenbriefe mit Hilfe einer Software erprobt. Das Projekt zeigte einen positiven Einfluss des Patientenbriefes auf die Gesundheitskompetenz des Patienten. Das medizinische Personal bewertete die Erstellung des Patientenbriefes als “aufwandsarm”.
Das Ziel ist nun, dieses Angebot in die Regelversorgung mit aufzunehmen. Das Unternehmen “Was hab’ ich?” unterstützt bereits einige Organisationen bei der Umsetzung, damit möglichst viele Patienten von der neuen Software profitieren können.
Ein Kommentar von Martin Viertmann
Mitglied des Patientenbeirats und Schlaganfall-Betroffener
Arztbrief neu denken: Anmerkungen aus der Sicht eines Patienten
Aufgrund einer 35-jährigen Arzt- und Krankenhauserfahrung ist es mir ein Bedürfnis, zu diesem wichtigen Thema einen Kommentar zu schreiben.
Uns Patienten, durchweg medizinische Laien, fehlen die Kenntnisse über die Fachbegriffe, so dass wir die Untersuchungsergebnisse oft gar nicht zu- und einordnen können. Aber gerade dieses Verständnis über den eigenen Gesundheitszustand bildet die Grundlage für die Einhaltung von medizinischen Regeln (Adhärenz), um gesundheitliche Erfolge zu erzielen.
Daher sind einige grundlegende Forderungen zu stellen, die das Verfahren wesentlich vereinfachen würden.
- Patient und Hausarzt haben gleichermaßen einen Anspruch auf den Arztbericht, jedoch bedarf es einer Ausdrucksweise, die auch der Laie verstehen kann. Um dieses Ziel zu erreichen sind entweder getrennte Briefe für Arzt und Patient zu verfassen oder aber die Fachausdrücke sind in Klammern zu erläutern (z. B. KV = Kardioversion).
- Der geschilderte verwaltungstechnische Aufwand zur Erstellung eines Arztbriefes ist enorm hoch (hoher Zeitbedarf). Da diese Berichte vielfach von Assistenten gefertigt werden, muss davon ausgegangen werden, dass nicht immer mit der notwendigen Sorgfalt der Facharzt dieses Dokument auf seine fachliche Richtigkeit überprüft. Ich kann reihenweise Dokumente vorweisen, wo der Facharzt das Dokument noch nicht einmal unterschrieben hat, obwohl eine solche Unterschrift vorgesehen war.
- Da der Bericht unerlässlich ist, müssen Wege gefunden werden, die das Verfahren vereinfachen. Hier bietet sich die Gesundheitskarte an, auf der in einem Schema (tabellenartig) alle die Daten schon vermerkt sind, die sich bisher ereignet haben (ganz abgesehen von den persönlichen Daten). Diese Daten werden bei der Erfassung des Patienten erneut geladen und nur noch durch die neuen Erkenntnisse und Ergebnisse ergänzt. Dieses Schema muss ein Formular sein, dass ohne Probleme erweiterbar ist (das organisatorische Know How wäre in Zusammenarbeit mit den Krankenkassen und Fachärzten zu entwickeln). Damit würde ein erheblicher Verwaltungsaufwand eingespart, und die Ärzte könnten sich ihrer eigentlichen Aufgabe zuwenden. Ob bei dieser Gelegenheit zwei Systeme (Arztbrief und Patientenbrief) abgespeichert werden oder aber in einem Produkt die medizinischen Fachbegriffe erläutert werden, ist eine Frage der Machbarkeit.
- Die Digitalisierung und Schematisierung einer Behandlung kann bei entsprechender Programmierung und Beachtung des Datenschutzes auch der Fortbildung im Arztberuf dienen.
- Zugleich wäre es auch möglich, unter Wahrung des Datenschutzes die Daten für die Forschung zu verwenden.
- Die dokumentierten Daten (z. B. Labor) sollten nachverfolgbar bleiben, d. h. die werden ergänzt und nicht erneuert.
- Bei der Entwicklung eines Darstellungsprogramms ist darauf zu achten, dass für den Hausarzt die neuen Erkenntnisse schnell erkennbar bleiben, damit sie beim „Diagonallesen“ nicht übersehen werden.
- Trotzdem wird auch bei einem digitalen Arztbrief der Aufwand für die medizinische Information für den Arzt nicht unerheblich sein. Daher muss im Abrechnungsverfahren der Patientenbehandlung ein Posten vorgesehen sein, damit diese Leistung angemessen honoriert wird.
- Es ist für die Zukunft unverständlich, wenn noch immer nach einem Krankenhausaufenthalt erst ein „Vorläufiger Entlassbericht“ und erst später ein endgültiger Entlassbericht erstellt wird (doppelte Arbeit). Bestünde zwischen dem einweisenden Arzt und z. B. dem Krankenhaus eine digitale Verbindung, so könnte dem Hausarzt am Tage der Entlassung der Bericht zugemailt werden, während der Patient seinen Entlassbericht direkt erhält. Es ist mir unzählige Male passiert, dass der Entlassungsbericht entweder gar nicht oder erst Wochen später bei meinem Hausarzt ankam. Dies ist für die Fortsetzung der Therapie nicht haltbar.
- Immer wieder ist festzustellen, dass die Kommunikation zwischen Patient und Arzt sehr zu wünschen übrig lässt. Wenn der Arzt für den Patienten keine Zeit hat, wird auch die Therapietreue (Adhärenz) Schaden nehmen. Diese Zeit muss aufgewendet werden! Der Patient ist der Laie, der oftmals etwas mehr Zeit benötigt, um sein Anliegen vorzutragen.
Verstehen Sie, was in Ihrem Arztbrief steht?
Haben Sie oder ein Angehöriger etwas nicht verstanden? Sind Sie unsicher, was dies für Ihren Therapieverlauf bedeutet? Und wie Sie sich im Alltag verhalten sollen?
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Artikel erstmalig veröffentlicht am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autor
Prof. Dr. med. Hans Joachim von Büdingen ist niedergelassener Facharzt für Neurologie und Psychiatrie am Neurozentrum Ravensburg. Als Chefarzt leitete er die Abteilung für Neurologie und Klinische Neurophysiologie am Krankenhaus St. Elisabeth in Ravensburg. Zu den Schwerpunkten seiner Arbeit gehört die Diagnostik und Behandlung von Schlaganfällen. [mehr]
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Quellen
- Arztbrief: Die Kommunikation optimieren. – Autoren: Unnewehr M, Schaaf B, Friederichs H – Publikation: Dtsch Arztebl 110 (37) A-1672/ B-1478/C-1454 – URL: https://www.aerzteblatt.de/archiv/145890/Arztbrief-Die-Kommunikation-optimieren
- Arztbriefe: Epikrise in der Krise? Hausärzte bemängeln Sprache und Inhalt klinischer Entlassungsbriefe. – Autor: Bechmann S – (2019) Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
- Dokumentationsaufwand im ärztlichen Dienst der Krankenhäuser – Autoren: Blum K, Müller U – Publikation: Das Krankenhaus 95 (7) 544-548, 2003
- Physician Communication and Patient Adherence to Treatment: A Meta-analysis. – Autoren: Kelly B, Zolnierek BH, DiMatteo MR – Publikation: Med Care 47(8) 826-834, 2009 – DOI: 10.1097/MLR.0b013e31819a5acc
- Der Arztbrief – viel mehr als nur lästige Pflicht – Autor: Dr. Berit Bohnenkamp – Publikation: Deutsches Ärzteblatt, Heft 47, 2016
- Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss, Beschluss Des Innovationsausschusses Beim Gemeinsamen Bundesausschuss Gemäß § 92b Absatz 3 SGB V Zum Abgeschlossenen Projekt PASTA (01NVF17017), 21 February 2022