Kritik am Gesundheitssystem ▷ Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Der US-amerikanische Kardiologe Prof. Robert Califf hielt als oberster Kommissar der Food and Drug Administration (FDA) eine äußerst kritische Rede zur Eröffnung der Jahrestagung der American Heart Association (AHA) im November 2022.
Seine Zusammenfassung:
„Wir alle wissen, was zu tun ist, aber wir tun es nicht”.
“Obwohl die USA über viele neue Technologien und Innovationen im Gesundheitswesen verfügen, hat dies keine Auswirkung auf die Gesundheitsstatistiken und die Lebenserwartung”.
“Es ist Zeit für eine Abrechnung” hinsichtlich der Herz-Kreislauf-Erkrankungen (HKE), besonders der Koronaren-Herz-Erkrankungen (KHK) und anderen Problemen des öffentlichen Gesundheitswesens.
Die Ausführungen von Prof. Califf sind in wesentlichen Teilen auch auf das Deutsche Gesundheitswesen übertragbar.
Die Kernaussagen:
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Was kann getan werden?
- Unser Beweis-Generierungs-System muss neu belebt werden, damit wir mit weniger Argumenten wissen, was funktioniert und was nicht.
- Konzentrieren wir uns unermüdlich auf Interventionen, die darauf abzielen, die Hauptursachen für Tod und vorzeitigen Funktionsverlust zu bekämpfen, also auf Prävention und Nachsorge.
- Konzentrieren Sie sich auf die Grundlagen häufiger, nicht übertragbarer Krankheiten.
- Verbringen Sie jeden Tag damit, Fehlinformationen zu bekämpfen.
Leider ist es nicht gelungen, den Originaltext der Rede von Prof. Califf einzusehen. Er ist unseres Wissens nicht publiziert. Die Zitate stammen aus der Zeitschrift “Cardiovascular Business” (Autor: Dave Fornell) vom 11.11.2022.
Kommentar
Auch das Deutsche Gesundheitswesen konzentriert sich überwiegend, erfolgreich und mit großem finanziellem Aufwand auf die Akutbehandlung (Intervention) von Herzinfarkt und Schlaganfall. Obwohl vielfach ausdrücklich, häufig wiederholt und klagend festgestellt wird, dass Vorsorge (Prävention) und Nachsorge (Postvention) nicht ausreichend beachtet werden, sind diese Bereiche weiterhin weitgehend ausgeblendet.
Obwohl alle Prognosen für einen dramatischen Anstieg der häufigsten, nicht übertragbaren Erkrankungen – der Herz-Kreislauf-Erkrankungen – sprechen. Auch bei jüngeren Menschen.
Mit Prävention und Nachsorge wird kein Geld verdient. Im Gegenteil, es muss investiert werden. Hierbei handelt es sich allerdings um eine Investition in die Zukunft der Gesundheit unserer Bevölkerung. Offenbar können die bisher praktizierten Bemühungen um Prävention den Prozess der ständigen Zunahme von Herzinfarkten und Schlaganfällen nicht aufhalten.
Was also tun?
Höchste Priorität sollte der Gesundheitsbildung zukommen, der Erziehung zur Gesundheit, mit dem Ziel, in unserer Gesellschaft bei allen Schichten Gesundheitskompetenz und Adhärenz zu erreichen.
Beginnend in der Vorschule, Schule, dann in der Ausbildung und im Beruf. Die Konzeption und Umsetzung eines Lehrfachs “Gesundheitskunde”, auch mit Behandlung der übertragbaren und nicht-übertragbaren Krankheiten, wäre eine staatliche und gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Es reicht nicht aus, sich überwiegend auf Ernährung und Bewegung zu konzentrieren.
Unsere Gesellschaft ist – natürlich mit Ausnahmen – gewohnt, sich mit einer Krankheit erst dann auseinanderzusetzen, wenn sie auftritt. Da sich einerseits gerade Herz-Kreislauf-Erkrankungen oft schleichend und unbemerkt entwickeln, andererseits aber in vielen Fällen verhindert werden können, kommt der Prävention eine hervorragende Bedeutung zu.
Problematisch ist die Forderung nach der Evidenz (Nachweis der Wirksamkeit) einer Handlung oder Behandlung. Im medizinischen Bereich wird für therapeutische Empfehlungen Evidenz gefordert, d. h. der wissenschaftlich überprüfte Nachweis des Nutzens einer Untersuchung oder Behandlung für den Patienten.
Der Nachweis zum Beispiel des Nutzens eines Lehrfachs Gesundheitskunde kann nicht kurzfristig geführt werden, hierzu braucht es viele Jahre oder gar Jahrzehnte.
Beispiele von innovativen Lösungen einer patientengerechten Nachsorge sind der Einsatz von Stroke Nurses (www.strokenurse.de), Schlaganfall-Lotsen (www.schlaganfall-hilfe.de/de/das-tun-wir/aktivitaeten/schlaganfall-lotsen) oder Cardio-Lotsen (www.cardiolotse.de). Sie begleiten Patienten nach der Entlassung aus dem Krankenhaus.
Die persönliche und individuelle Betreuung erhöht nachgewiesenermaßen die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Angehörigen, zudem die Adhärenz. Noch ist nicht mit ausreichender Sicherheit bzw. Evidenz nachgewiesen, dass der Einsatz einer strukturierten, individuellen Nachsorge erneute kardiovaskuläre Ereignisse verhindert.
Zunehmend an Bedeutung werden digitale Lösungen zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz gewinnen.
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Autor
Prof. Dr. med. Hans Joachim von Büdingen ist niedergelassener Facharzt für Neurologie und Psychiatrie am Neurozentrum Ravensburg. Als Chefarzt leitete er die Abteilung für Neurologie und Klinische Neurophysiologie am Krankenhaus St. Elisabeth in Ravensburg. Zu den Schwerpunkten seiner Arbeit gehört die Diagnostik und Behandlung von Schlaganfällen. [mehr]
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