Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ▷ Publikation
Illustration: Gerd Altmann | Pixabay
Der Kernsatz des kürzlich im Deutschen Ärzteblatt publizierten Artikels „Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Prävention stärken“1 lautet:
“Herz-Kreislauf-Erkrankungen (HKE) verursachen in Deutschland die meisten Todesfälle und die höchsten Krankheitskosten. Experten fordern deshalb wirksamere Maßnahmen zur Verbesserung der kardiovaskulären Prävention.”
HKE (engl. cardiovascular diseases, CVD) verursachten im Jahr 2020 34 Prozent (338.000 Menschen) aller Sterbefälle. Mit 13,7 Prozent (46 Milliarden Euro) sind sie für die höchsten Kosten im deutschen Gesundheitssystem verantwortlich.
Die wichtigsten kardiovaskulären Erkrankungen
Die wichtigsten kardiovaskulären Erkrankungen sind nach der Definition der World Health Organisation (WHO):
- Bluthochdruck (Hypertonie)
- Koronare Herzerkrankung (Herzinfarkt)
- Zerebrovaskuläre Erkrankungen (Schlaganfall)
- Periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK, z.B. “Raucherbein”)
- Herzinsuffizienz
- Rheumatische Herzkrankheiten
- Herzmuskelerkrankungen (Kardiomyopathien)
- Angeborene Herzerkrankungen
Es handelt sich hierbei um überwiegend chronische Erkrankungen, die eine lebenslange – also chronische – Begleitung und Behandlung erfordern.
Kernaussagen
Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Sterbefälle ließen sich in etwa 80 Prozent der Fälle durch Veränderungen des Lebensstils und die Einnahme von Medikamenten vermeiden.
Gleichzeitig würde die Verhinderung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen das Gesundheitssystem finanziell entlasten. Präventionsmaßnahmen wie Gesundheitskurse können bei der Veränderung des Lebensstils unterstützend wirken.
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Die Autoren des Artikels betonen jedoch, dass in Deutschland eine Unterversorgung in der Durchführung von vorbeugenden Maßnahmen zu beobachten sei. Die Folge: Statt einer Senkung der Risikofaktoren sind in Deutschland im Durchschnitt immer mehr Menschen von Bluthochdruck, Übergewicht, Diabetes mellitus Typ 2 und erhöhten LDL-Cholesterinwerten betroffen und weisen damit ein höheres Risiko für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung auf.
Um die Entwicklung von vorbeugenden Maßnahmen voranzutreiben, fordern die Autoren des Artikels Ärzte, Kostenträger und die Politik dazu auf, die Entwicklung neuer und intensiver Präventionskonzepte anzuregen. Eine im Artikel vorgestellte Möglichkeit wären Weiterbildungen für Ärzte, in denen Experten der Präventionsmedizin der Ärzteschaft neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zur Prävention vermitteln.
Eine weitere Möglichkeit wäre der Einbezug von Präventions-Assistenten. Das können beispielsweise Menschen mit einer medizinischen Ausbildung sein, die eine spezielle Weiterbildung als Präventions-Assistenten absolvieren. Denn in der Realität des Praxisalltags bleibt Ärztinnen und Ärzten häufig nicht genug Zeit, um intensive Gespräche zu führen, um dem Patienten bei einer Lebensstiländerung unterstützend zur Seite zu stehen und in verständlicher und ausführlicher Form die eigenen Risikofaktoren zu besprechen.
In zwei Studien wurde untersucht, was der Einsatz von Präventions-Assistenten bewirken könnte. Hier organisierten die Assistenten Gruppenfortbildungen und standen mit den Patienten in persönlichen Gesprächen, via Telefon oder E-Mail im regelmäßigen Kontakt und besprachen die Risikofaktoren.
Das Ergebnis: Innerhalb von zwei Jahren kam es nahezu zu einer Halbierung von Herz-Kreislauf-Ereignissen wie Todesfällen oder Schlaganfällen.2,3
Kostenreduktion
Mit dem Ergebnis, dass durch eine effektive Prävention weniger Herzinfarkte, Schlaganfälle und andere HKE auftreten und behandelt werden müssen, wagen die Autoren eine Kostenschätzung bei Einsatz eines Präventions-Assistenten (PA) auf der Basis der IPP-Studie:
Wenn ein PA in 2 Jahren 300 Patienten betreut und in dieser Zeit 74.800 Euro verdient, beträgt die zu erwartende Kostenreduktion 184.900 Euro.
In der derzeit laufenden NET-IPP-Studie werden die Effekte eines Langzeit-Präventionsprogramms mit PA an größeren Patientenzahlen und an mehreren Behandlungszentren in Deutschland untersucht.
Ein Kommentar von Prof. Dr. med. Hans Joachim von Büdingen
Facharzt für Neurologie und Psychiatrie
Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) für Prävention
Im Jahr 2020 betrugen in Deutschland die Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) 241,5 Milliarden Euro. Davon wurden für Präventionsmaßnahmen 414,3 Millionen Euro ausgegeben.
Der Aufwand für Prävention lag somit bei ca. 2 Promille der Gesamtausgaben!
Diese Zahl unterstreicht die eminente Unterversorgung mit präventiven Maßnahmen.
Die 4 Säulen zur Verhinderung von Erkrankungen
- Prävention (Primär- und Sekundärprävention)
- Adhärenz (Therapietreue)
- Gesundheitsbildung, beginnend in der Grundschule
- Gesundheitskompetenz
Die tragfähigste Säule ist die Prävention. Sie zu verbessern, wie auch die Adhärenz, gelingt offenbar durch den Einsatz eines koordinierenden Bindeglieds in Menschengestalt zwischen Arzt und Patient.
Wer kann diese Aufgabe übernehmen?
Im Fachbereich der Kardiologie werden, wie oben in der Arbeit von Winbergen et al beschrieben, wissenschaftlich kontrolliert sehr erfolgreich “Präventionsassistenten” eingesetzt. Der Fokus ihrer Tätigkeit liegt in der Einstellung der Risikofaktoren.
Diese Tätigkeit beinhaltet wohl auch die Überwachung der Adhärenz und Förderung der Gesundheitskompetenz. Hiermit werden die wesentlichen Säulen zur Verhinderung von Erkrankungen durch persönliche Betreuung von Patienten und Angehörigen aufgerichtet.
Geschaffen werden soll und muss ein neuer Beruf, welcher auf Augenhöhe sowohl mit Ärzten als auch mit Patienten als verbindendes Glied in der Behandlungskette dient. Eine große Herausforderung an die Ausbildung und Verantwortung für die Ausführenden!
Im Fachbereich der Neurologie werden in Zusammenhang mit dem Schlaganfall mit vergleichbarer Motivation zum Beispiel die “Stroke Nurse” in Ravensburg, die “Schlaganfall-Lotsen” der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe oder das SANO-Projekt in Ludwigshafen zur persönlichen Nachsorge nach einem Schlaganfall eingesetzt. Die Einzelergebnisse der wissenschaftlichen Evaluation stehen noch aus, vorläufige Einschätzungen sind aber vielversprechend.
All diese Projekte bedienen sich nichtärztlicher Berufe, v.a. aus dem Pflegebereich, um Herz-Kreislauf-Erkrankungen effektiv zu verhindern. Die grundsätzlichen Ziele sind für die Kardiologie und vaskuläre Neurologie identisch.
Zu diskutieren wäre, ob die beteiligten Fachgebiete Kardiologie und Neurologie ein gemeinsames Konzept zur Beschreibung und Bewertung dieses neuen und anspruchsvollen Berufsbildes entwickeln könnten. Nicht als Hilfsberuf, sondern als eigenständiger Beruf mit Studium evtl. an einer universitären oder einer dualen Hochschule.
Sie haben Fragen zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen? Tauschen Sie sich mit anderen Betroffenen und Angehörigen in unserem Forum aus.
- Ein Appell: Wie lässt sich die Adhärenz endlich verbessern?
- Warum Kardiologen und Neurologen zusammenarbeiten müssen
- Gesundheitskompetenz in Deutschland
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Artikel aktualisiert am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autor
Prof. Dr. med. Hans Joachim von Büdingen ist niedergelassener Facharzt für Neurologie und Psychiatrie am Neurozentrum Ravensburg. Als Chefarzt leitete er die Abteilung für Neurologie und Klinische Neurophysiologie am Krankenhaus St. Elisabeth in Ravensburg. Zu den Schwerpunkten seiner Arbeit gehört die Diagnostik und Behandlung von Schlaganfällen. [mehr]
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Quellen
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Prävention stärken – Autoren: Wienbergen H et al. – Publikation: Dtsch Arztebl 2022; 119(18):A 815-9
- Nurse-coordinated multidisciplinary, familybased cardiovascular disease prevention programme (EUROACTION) with coronary heart disease and asymptomatic individuals at high risk for cardiovascular disease: a paired, cluster-randomized controlled trial – Autoren: Wood DA, Kotseva K, Con olly S et al. Publikation: Lancet 2008 – DOI: 10.1016/S0140-6736(08)60868-5
- Effects of an intensive long-term prevention programme after myocardial infarction – a randomized trial – Autoren: Harm Wienbergen, Andreas Fach, Sven Meyer, Jochen Meyer, Janina Stehmeier, Tina Backhaus, Stephan Michel, Kirsten Krämer, Rico Osteresch, Johannes Schmucker, Henning Haase, Tobias Härle, Albrecht Elsässer, Rainer Hambrecht – Publikation: European Journal of Preventive Cardiology, Volume 26, Issue 5, 1 March 2019, Pages 522–530 – DOI: 10.1177/2047487318781109