Neurochirurgie ▷ Untersuchungen, Behandlungen und Geschichte
In diesem Artikel:
- Was ist die Neurochirurgie?
- Wie wird man Neurochirurg?
- Welche Erkrankungen werden behandelt?
- Geschichte der Neurochirurgie
- Untersuchungen
- Behandlungsmethoden
- Neurochirurgie in der Schlaganfall–Behandlung
Was ist die Neurochirurgie?
Die Neurochirurgie (altgriechisch neūron = Nerv) ist ein eigenständiges medizinisches Fachgebiet, das aus der allgemeinen Chirurgie hervorgegangen ist. Sie befasst sich mit der Diagnostik und operativen Behandlung von Erkrankungen der Wirbelsäule, des zentralen und des peripheren Nervensystems. Es handelt sich meist um sogenannte mikrochirurgische Eingriffe zur Minimierung operationsbedingter Verletzungen von Nervengewebe.
Wie wird man Neurochirurg?
Um Neurochirurg zu werden, muss zunächst das Medizinstudium (6 Jahre) erfolgreich abgeschlossen werden. Danach folgt eine Weiterbildung zum Facharzt für Neurochirurgie, die 6 Jahre in Anspruch nimmt. In dieser Zeit müssen 48 Monate in der stationären Patientenversorgung, 6 Monate in der Intensivmedizin und 12 Monate in der Chirurgie und/oder Neurologie, Neuropathologie, Neuroradiologie, zudem 6 Monate in der Anästhesiologie, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde (HNO), Mund–Kiefer–Gesichtschirurgie, Anatomie, Augenheilkunde oder Kinder- und Jugendmedizin absolviert werden.1
Welche Erkrankungen werden behandelt?
- Bandscheibenvorfälle im Bereich der Hals- oder Lendenwirbelsäule
- Spinales Engesyndrom (Einengung des Wirbelkanals) im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule
- Tumore innerhalb des Schädels, der Wirbelsäule und an peripheren Nerven
- Verletzungen des Schädels, des Gehirns, des Rückenmarks und peripherer Nerven
- Blutungen und Gefäßmissbildungen (Hirnblutung, Subarachnoidalblutung aus einem Aneurysma, Angiome)
- Hirnabszesse
- Schmerzbehandlung oder Bewegungsstörungen wie zum Beispiel das Zittern (Tremor) beim Morbus Parkinson durch stereotaktische Implantation von Sonden
- Therapieresistente Epilepsie
Geschichte der Neurochirurgie2
Eingriffe wie zum Beispiel das Anlegen von Bohrlöchern am Schädel wurden bereits in vorgeschichtlicher Zeit durchgeführt, wie archäologische Skelettfunde feststellen konnten.
Erste exakt dokumentierte Schädeleingriffe datieren in das 16. Jahrhundert. Die Grundlagen für die Neurochirurgie, wie wir sie heute kennen, wurden im 19. Jahrhundert gelegt, als sich die Neurochirurgie als eigenständiges Fach aus der Chirurgie ablöste.
Dieser Onlinekurs erklärt Ihnen in 12 kompakten Modulen alles, was Sie jetzt wissen müssen.
Pioniere der Neurochirurgie arbeiteten überwiegend in den USA sowie in Schweden. Die erste neurochirurgische Fachabteilung an einer deutschen Universität wurde 1936 in Würzburg eingerichtet. Erst in den 1970er-Jahren wurde die Neurochirurgie in Deutschland ein eigenständiges Fachgebiet.
Welche diagnostischen Verfahren werden in der Neurochirurgie angewandt?3
Nach Erhebung der Vorgeschichte (Anamnese) und der körperlichen, neurologischen Untersuchung werden im Auftrag der Neurochirurgie folgende Verfahren von einem Facharzt für Radiologie oder Neuroradiologie durchgeführt:
Neuroradiologische Untersuchungsmethoden
Röntgenaufnahmen
Röntgenaufnahmen des Kopfes oder der Wirbelsäule zum Nachweis von knöchernen Verletzungen (Traumen) des Schädels, zum Beispiel bei einem Schädel-Hirn-Trauma oder einer Verletzung der Halswirbelsäule. Auch degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und Knochenschwund (Osteoporose) werden erkannt.
Computertomografie (CT)
Die Computertomografie (CT) ist eine bildgebende Untersuchung, die mit Röntgenstrahlen arbeitet. Durch die Anfertigung von Schichtaufnahmen bestimmter Körperregionen können Schnittbilder angefertigt und von einem Computer verrechnet werden. Dadurch werden Körperstrukturen exakter als bei der konventionellen Röntgenuntersuchung abgebildet. Dieses Verfahren dient zur Darstellung vor allem von Knochen, aber auch von Weichteilen, wie zum Beispiel von Organen (Gehirn, Lunge u.a.), bei Schädel-Hirn-Verletzungen, Tumoren, Blutungen und Wirbelsäulenerkrankungen.
In der Akutdiagnostik des Schlaganfalls spielt die Computertomographie des Schädels eine herausragende Rolle. Mit ihr kann in kurzer Zeit entschieden werden, ob als Ursache des Schlaganfalls eine Hirnblutung oder ein Hirninfarkt durch Blutmangel verantwortlich ist.
Die Untersuchungsdauer beträgt 10 – 20 Minuten.
CT–Angiographie
Mit der CT–Angiographie können durch Einspritzen eines jodhaltigen Röntgen-Kontrastmittels in eine Vene Blutgefäße dargestellt werden. Dieses Verfahren findet Anwendung, wenn der Verdacht auf eine Einengung (Stenose) oder einen Verschluss einer hirnversorgenden Arterie besteht. Sie ist auch zur Diagnose von Gefäßmissbildungen (Aneurysmen, Angiome) hilfreich.
Kernspintomographie (MRT)
Die Kernspintomographie (Magnet-Resonanz-Tomographie, MRT) ist ein Verfahren, das ebenfalls die bildliche Darstellung von einzelnen Abschnitten des Körpers durch Schichtaufnahmen bzw. Schnittbilder ermöglicht. Im Gegensatz zur Computertomographie arbeitet die MRT nicht mit Röntgenstrahlen, sondern mit einem Magnetfeld. Durch unterschiedliche technische Sequenzen können Knochen, Organe und Weichteile sehr detailgetreu und in mehreren Ebenen dargestellt werden.
In der Diagnostik des Schlaganfalls ist die Kernspintomographie zur Lokalisation der betroffenen Hirnregion besonders wichtig.
Mit der MRT-Angiographie gelingt die exakte Darstellung blutführender Gefäße des Körpers. Sowohl große Schlagadern wie die hirnzuführenden Arterien, als auch kleine Blutleiter werden dargestellt. Auch dünnwandige Aussackungen der Arterien (Aneurysmen) oder ein Blutschwamm im Gehirn (Hämangiom) können erkannt werden.
Eine MRT-Untersuchung dauert länger als eine CT-Untersuchung. Die Untersuchungsdauer beträgt je nach Fragestellung 20 – 60 Minuten.
Zerebrale Angiographie
Bei der zerebralen Angiographie, der Darstellung der Hirngefäße, wird über einen Katheter – meist von der Leiste aus – ein Röntgen-Kontrastmittel direkt in die hirnversorgenden Arterien gespritzt. Diese werden dann auf Röntgenbildern abgebildet. Hierdurch können Gefäßerkrankungen des Gehirns, wie beispielsweise Stenosen (Gefäßeinengungen), Aneurysmen (Gefäßaussackungen) oder Angiome (Gefäßmißbildungen) erkannt und z.T. auch behandelt werden.
MRT–gestützte Neuronavigation
Die Neuronavigation stellt ein computergestütztes Operationsverfahren dar, mit dem sich der Neurochirurg während eines Eingriffs an Gehirn oder Rückenmark im Millimeterbereich exakt orientieren kann. Aus den Daten der Computer- oder Kernspintomographie des Patienten wird ein dreidimensionales Bild erstellt, welches dem Neurochirurgen zur Planung und Durchführung der navigierten Operation dient.
Die Neuronavigation verbessert in Kombination mit der Mikrochirurgie die Präzision einer neurochirurgischen Operation und erhöht die Sicherheit für den Patienten.
Neurologische Untersuchungsmethoden
Elektroenzephalographie (EEG)
Bei der Elektroenzephalographie (EEG) wird die elektrische Aktivität der Hirnrinde (sog. Hirnströme) von der Schädeloberfläche abgeleitet und aufgezeichnet. Diese Methode ist vergleichbar mit der Elektrokardiographie (EKG), der Ableitung der Herzströme von der Brustwand. Das EEG ist vor allem zur Diagnostik von Krampfanfällen des Gehirns (Epilepsien) sehr hilfreich. Während eines epilepsiechirurgischen Eingriffs wird das EEG kontinuierlich abgeleitet.
Auch für die Einordnung von Bewusstseinsstörungen und zur Diagnostik des Hirntods ist das EEG sehr hilfreich.
Elektromyographie
Mit Hilfe der Elektromyographie kann die elektrische Muskelaktivität entweder von der Oberfläche oder dem Innern eines Muskels abgeleitet werden. Die Bewegungen der willkürlichen Muskulatur unseres Körpers werden vom Gehirn über das Rückenmark und über die peripheren Nerven gesteuert.
Durch die EMG-Untersuchung kann der Arzt erkennen, ob zum Beispiel die Ursache einer Lähmung (Parese) auf eine Schädigung des untersuchten Muskels oder eine Schädigung des Nerven zurückzuführen ist, der diesen Muskel versorgt.
Hilfreich ist die Elektromyographie auch als Verlaufsuntersuchung nach einer Nervenverletzung. Zudem wird sie bei neurochirurgischen Operationen im Bereich der Bewegungszentrale der Hirnrinde eingesetzt. Durch elektrische Reizung einer umschriebenen Hirnregion kann die dazugehörige Muskulatur durch ihre Zuckungen erkannt werden.
Elektroneurographie
Die Elektroneurographie wird zur Messung der Nervenleitgeschwindigkeit von peripheren Nerven angewandt. Dies ist für den Neurochirurgen vor allem bei Nervenverletzungen von Bedeutung.
Welche Behandlungsmethoden kommen in der Neurochirurgie zum Einsatz?
- Minimal-invasive und mikrochirurgische Operationen (v.a. bei Bandscheibenvorfall im Bereich der Hals- oder Lendenwirbelsäule, Spinalkanalstenose, Zysten im Wirbelkanal, Tumoren des Gehirns, Rückenmarks oder Nerven)
- Konservative und operative Versorgung von Verletzungen des Schädels, des Gehirns, des Rückenmarks, der Wirbelsäule und peripherer Nerven
- Diagnostische und therapeutische Infiltrationen. Zum Beispiel Nervenwurzelblockaden. Diese erfolgen zumeist unter Röntgenkontrolle durch die Computertomographie
- Stabilisierungsoperationen an der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule, zum Beispiel im Rahmen von Bandscheiben-Operationen, bei entzündlichen Veränderungen oder nach Verletzungen
- Implantation von Generatoren zur Rückenmarksstimulation bei Nervenschmerzen
- Ableitung von Nervenwasser (Liquor) bei erhöhtem Hirndruck
- Implantation von Pumpensystemen zur Gabe von Medikamenten direkt in den Rückenmarkskanal zur Spastik- und Schmerztherapie
- Stereotaktische Eingriffe durch bildgesteuerte und computerassistierte Zielführungssysteme zur schonenden Behandlung zum Beispiel von Hirntumoren oder zur Ausschaltung von Epilepsieherden.
- Stereotaktischer Einsatz der Tiefen Hirnstimulation (Deep Brain Stimulation, DBS) bei Bewegungsstörungen i.R. eines Morbus Parkinson, bei Depression oder dem Tourette-Syndrom
Bedeutung der Neurochirurgie für die Schlaganfall–Behandlung
Unter einem Schlaganfall versteht man eine plötzlich auftretende Durchblutungsstörung im Gehirn, die eine sofortige Behandlung erfordert. Jährlich erleiden in Deutschland ca. 270.000 Menschen einen Schlaganfall. Schlaganfälle gehören zu den häufigsten Todesursachen.5
Man unterscheidet verschiedene Formen des Schlaganfalls:
Während der Hirninfarkt bzw. der ischämische Schlaganfall durch einen Gefäßverschluss verursacht wird, kommt es bei einer Hirnblutung, auch hämorrhagischer Schlaganfall genannt, zu einem Einriss in der Wand eines Blutgefäßes im Gehirn, sodass Blut in gesundes Hirngewebe gelangt.
Die vaskuläre Neurochirurgie befasst sich mit Krankheiten der Hirngefäße und deren Behandlung. Dazu gehören beispielsweise Gefäßmißbildungen (Aneurysma, Angiom). Bei Patienten mit einer großen oder lebensbedrohlichen Hirnblutung kann diese nach Eröffnung der Schädeldecke entfernt werden.
Bei großen Hirninfarkten, die durch ihre Ausdehnung und die damit verbundene Hirnschwellung (Ödem) zu einer Drucksteigerung im Schädel führen, kann es nötig werden, dass ein Teil des Schädelknochens (“Knochendeckel”) entfernt werden muss, um diese Druckentwicklung zu vermindern. Ein zu hoher Druck im Gehirn kann weitere Schädigungen des Gehirngewebes bewirken und lebensbedrohlich sein.
In besonderen Fällen legt der Neurochirurg eine sogenannte externe Ventrikeldrainage (EVD) an. Hierbei wird durch ein spezielles Schlauchsystem Nervenwasser (Liquor) und / oder Blut nach außen abgeleitet und damit der Druck im Schädelinneren gesenkt.
Verbände/Gesellschaften
Webseite: www.bdnc.de
Webseite: www.dgnc.de
Sie haben Fragen zur Neurochirurgie? Tauschen Sie sich mit anderen Betroffenen und Angehörigen in unserem Forum aus.
- Ein Neurologe erklärt: Wie behandle ich Sie in meiner Praxis?
- Neurologie
- Neuroradiologie
- Kardiologie
Dieser Onlinekurs erklärt Ihnen in 12 kompakten Modulen alles, was Sie jetzt wissen müssen.
Artikel erstmalig veröffentlicht am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autorin
unter Mitarbeit von stud. med. Sedef Kuecuekuncular
Dr. med. Christina Rückert ist Fachärztin für Neurologie und Geriatrie und arbeitete mehr als 10 Jahre als Oberärztin an der Oberschwabenklinik in Ravensburg. Ihre berufliche Tätigkeit beinhaltete auch die stellvertretende ärztliche Leitung der Zentralen Notaufnahme. Seit Juli 2021 ist sie gemeinsam mit ihrem Mann – ebenfalls Facharzt für Neurologie – in eigener Praxis in Rothenburg ob der Tauber niedergelassen. Ein Schwerpunkt ihrer ambulanten Tätigkeit ist die Nachsorge von Patienten nach Schlaganfall. [mehr]Sie erhalten von uns regelmäßig und kostenlos aktuelle Informationen rund um den Schlaganfall.
Quellen
- Neurochirurgie: Was Ist ein Neurochirurg und was macht er? – URL: https://www.praktischarzt.de/arzt/facharztrichtungen/neurochirurg-facharzt-neurochirurgie/
- Historie Der Neurochirurgie | Universitätsklinikum Freiburg – URL: https://www.uniklinik-freiburg.de/neurochirurgie/abteilungen-und-sektionen/historie-der-neurochirurgie.html
- Neurochirurgie – Autoren: Regelsberger J, Grubel G, Schröder F., Schumpelick V, Bleese N, Mommsen P – Publikation: Kurzlehrbuch Chirurgie. 8. Auflage
- Neurochirurgische Schmerzbehandlung – URL: https://www.schmerzgesellschaft.de/topnavi/patienteninformationen/medizinische-schmerzbehandlung/neurochirurgische-schmerzbehandlung
- Häufigkeit und Zeitpunkt von Rezidiven nach inzidentem Schlaganfall – URL: https://www.aerzteblatt.de/archiv/210363/Haeufigkeit-und-Zeitpunkt-von-Rezidiven-nach-inzidentem-Schlaganfall
- Bundesärztekammer: Ärztestatistik zum 31. Dezember 2020 – URL: https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/Statistik_2020/2020-Statistik.pdf