Abnehmspritze – Wirksamkeit, Nebenwirkungen und Anwendung von GLP-1-Agonisten ▷ Ozempic & Co.
In diesem Artikel:
- Grundlagen
- Wirkmechanismus
- Indikationen
- Anwendung
- Wirkstoffe und Handelsnamen
- Wirksamkeit
- Nebenwirkungen
- Kosten und Kostenübernahme
Grundlagen und Definition
Diabetes und Adipositas gelten als zwei Faktoren des sog. metabolischen Syndroms und sind, zusammen mit anderen Risikofaktoren, hauptverantwortlich für das Entstehen schwerwiegender kardio-vaskulärer Erkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall.
GLP-1-Rezeptor-Agonisten, kurz GLP-1-RA, auch GLP-1-Agonisten bzw. Inkretin-Mimetika, sind blutzuckersenkende Arzneistoffe, die vor allem zur Therapie des Typ-2-Diabetes eingesetzt werden. Sie gehören zur Stoffgruppe der Antidiabetika.
In späteren Untersuchungen und Studien stellte sich heraus, dass die GLP-1-Agonisten u.a. einen das Übergewicht senkenden Effekt haben, weshalb sie in der Bevölkerung sowie in der Presse oft als Abnehmspritze bzw. Fett-weg-Spritze bezeichnet werden.
Wirkmechanismus
Bei GLP-1-Agonisten handelt es sich um eine Wirkstoffklasse innerhalb der Antidiabetika, die ursprünglich spezifisch zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 entwickelt wurde.
Es sind synthetisch hergestellte Polypeptide, welche die Wirkung der körpereigenen Hormone Glucagon-like Peptide 1 (GLP-1) und glukoseabhängiges insulinotropes Peptid (GIP) nachahmen. Diese werden bei Typ-2-Diabetikern vermindert ausgeschüttet, wodurch der Inkretin-Effekt, d. h. die blutzuckersenkende Wirkung verringert ist.
Im Gegensatz zu anderen Antidiabetika besteht unter GLP-1-Agonisten ein geringeres Risiko für Hypoglykämien, d.h. für Unterzuckerungen.
Indikationen
Diabetes mellitus Typ 2
Der primäre Einsatzbereich der GLP-1-Agonisten ist die Therapie des Diabetes mellitus Typ 2.
Wenngleich die American Diabetes Association Metformin als Mittel erster Wahl sieht, ist dennoch die zusätzliche Gabe eines GLP-1-Agonisten bei bestimmten Patienten denkbar.
Zu ihnen zählen Patienten mit einer Unverträglichkeit gegenüber Metformin, Patienten mit einem Hämoglobin A1c-Wert, der um mehr als 1,5% über dem Zielwert liegt, oder Patienten, die innerhalb von drei Monaten ihren Ziel-HbA1c-Wert nicht erreichen, insbesondere, wenn eine Atherosklerose, Herzinsuffizienz oder chronisches Nierenversagen vorliegen.
GLP-1-Agonisten können mit anderen Antidiabetika kombiniert werden, zum Beispiel mit Insulinen, Metformin oder Sulfonylharnstoffen. Für die Kombinationstherapie mit Insulinen sind Fixkombinationen erhältlich.
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Übergewicht und Adipositas
Neben der Behandlung des Typ-2-Diabetes sind einige GLP-1-Agonisten auch zur medikamentösen Therapie von Übergewicht und Adipositas zugelassen – in Ergänzung zu diätetischer Ernährung und sportlicher Betätigung.
Ihre Gabe wird empfohlen, sofern der Body-Mass-Index entweder mindestens 30 kg/m2 beträgt oder aber zwischen 27 und 30 kg/m2 liegt und mit mindestens einer gewichtsbezogenen Komplikation (z.B. Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörung) einhergeht.
Potentielle Anwendungsgebiete
Ebenfalls zeigen GLP-1-Agonisten stellenweise antidepressive und neuroprotektive Eigenschaften in der Anwendung bei Diabetikern. Da Diabetes einen Risikofaktor für Depressionen darstellt, wäre es auf diese Weise möglich, Depressionen vorzubeugen.
Ferner gibt es Hinweise darauf, dass GLP-1-Agonisten bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und chronischer Lebererkrankung (nichtalkoholische Steatohepatitis, NASH) die Erkrankung rückgängig machen oder deren Progredienz verhindern können.
In beiden möglichen Indikationsbereichen bleiben jedoch weiterführende Studien und Untersuchungen abzuwarten.
Anwendung
Da es sich bei GLP-1-Agonisten um Polypetide handelt, die im Magen-Darm-Trakt gespalten und damit unwirksam werden, müssen sie in der Regel subkutan, d.h. unter die Haut injiziert werden. Einige GLP-1-Agonisten werden täglich injiziert, andere wöchentlich.
Mittlerweile gibt es jedoch erste GLP-1-Agonisten, die oral angewendet werden können. Hier sei beispielhaft die Semaglutid-Tablette (Rybelsus®; zur Behandlung des Diabetes Typ 2) genannt, die in Deutschland jedoch nicht verfügbar ist. An weiteren oralen Applikationsformen wird derzeit noch geforscht.
Wirkstoffe und Handelsnamen
Folgende Substanzen sind in Deutschland zugelassen:
- Dulaglutid – Trulicity® (zur Behandlung des Diabetes Typ 2)
- Liraglutid – Victoza® (zur Behandlung des Diabetes Typ 2), Saxenda® (zur Adipositas-Behandlung)
- Semaglutid – Ozempic® (zur Behandlung des Diabetes Typ 2), Wegovy® (zur Adipositas-Behandlung)
- Exenatid – Byetta®, Bydureon® (zur Behandlung des Diabetes Typ 2)
- Lixisenatid – Suliqua® (zur Behandlung des Diabetes Typ 2)
- Tirzepatid – Mounjaro® (zur Behandlung des Diabetes Typ 2)
Wirkstoffe mit der Endung -glutid sind Derivate (Abkömmlinge) des GLP-1, während die Endung -enatid Derivate des Gifts der Gila-Krustenechse (Heloderma suspectum) beschreibt.
Folgende Substanzen sind nicht (mehr) erhältlich:
- Albiglutid – Eperzan® (zur Behandlung des Diabetes Typ 2; seit 2018 vom Markt)
- Taspoglutid (zur Behandlung des Diabetes Typ 2; Entwicklung 2010 eingestellt)
Wirksamkeit
Diabetes mellitus Typ 2: Der HbA1c-Wert konnte durch GLP-1-Agonisten laut zahlreicher Studien und Untersuchungen und je nach Start-HbA1c-Wert und evtl. Kombination mit anderen Antidiabetika um 0,6 bis 2,1% (gemittelte Werte) gesenkt werden.
Übergewicht/Adipositas: Hier können (je nach BMI-Ausgangslage) Gewichtsreduktionen bis zu 10% erreicht werden. Allerdings zeigt sich in verschiedenen Studien, dass nach einer gewissen Zeit (ca. ein Jahr) die Gewichtsabnahme ein Plateau erreicht.
Nebenwirkungen
Bei Anwendung von GLP-1-Agonisten werden als wesentliche Nebenwirkungen Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Bauchschmerzen oder Lokalreaktionen an der Injektionsstelle beschrieben.
Darüber hinaus verlangsamen GLP-1-Agonisten die Magenentleerung und erhöhen dadurch das Sättigungsgefühl. Dieses wird als Gastroparese (Magenlähmung mit deutlich verlangsamter Verdauung) bezeichnet.
In einer Studie zu unerwünschten gastrointestinalen Wirkungen bei adipösen Nichtdiabetikern, die GLP-1-Agonisten (Semaglutid oder Liraglutid) zur Gewichtsabnahme einsetzten, wurde ein signifikant erhöhtes Risiko für Pankreatitis (Entzündung der Bauchspeicheldrüse) und Ileus (Dünndarmverschluss) und festgestellt.
In einigen Studien war unter der Therapie mit GLP-1-Agonisten das Risiko für die Entwicklung eines Pankreaskarzinoms erhöht. Aktuelle Studien entkräften zwar diese früheren Daten; eine sichere Widerlegung ist jedoch derzeit nicht möglich.
Wechselwirkungen
Durch die verzögerte Magenentleerung (Gastroparese) kann die Absorption gleichzeitig oral verabreichter Arzneimittel verzögert oder vermindert werden.
Diese Veränderungen haben in der Regel keine klinischen Konsequenzen und erfordern keine Dosisanpassung, es sei denn, es handelt sich um ein Arzneimittel mit geringer therapeutischer Breite und/oder es besteht gleichzeitig eine eingeschränkte Nierenfunktion.
Anwendungsbeschränkungen
Bei schweren Nierenfunktionsstörungen wird die Anwendung von GLP-1-Agonisten nicht, bei schweren Leberfunktionsstörungen nur mit Vorsicht empfohlen.
Für die Anwendung in der Schwangerschaft liegen derzeit nur unzureichende Daten vor. Derzeit kursieren allerdings Meldungen, wonach Frauen unter GLP-1-Agonisten trotz Einnahme oraler Kontrazeptiva unerwartet bzw. ungeplant schwanger geworden seien. Ursächlich könnte die o.g. verzögerte Magenentleerung sein. Hier bleiben aussagekräftige Studien abzuwarten.
Kontraindikationen
Derzeit sind bis auf Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff keine weiteren Kontraindikationen bekannt.
Besondere Hinweise
GLP-1-Agonisten sollten vor geplanten Operationen oder anderen geplanten Eingriffen in Narkose abgesetzt werden. Auf die letzte Dosis am Operationstag bzw. am Tag vor dem Eingriff ist zu verzichten.
Sollten Sie notfallmäßig operiert werden, so werden Sie im Rahmen der Operationsvorbereitung grundsätzlich mit dem Narkoserisiko “voller Magen” eingestuft.
Dies geschieht zu Ihrer Sicherheit, denn aufgrund der Verzögerung der Magenentleerung durch GLP-1-Agonisten besteht ein Aspirationsrisiko, da sich noch Nahrungsreste im Magen befinden können. Die bei Adipositas gehäufte gastrointestinale Refluxerkrankung könnte das Risiko zusätzlich erhöhen.
Kosten und Kostenübernahme
Die Krankenkassen übernehmen die Kosten für GLP-1-Agonisten bisher nur bei der Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2, nicht bei Adipositas. Adipositas-Patienten müssen die Kosten von etwa 300 € pro Monat selbst übernehmen – auch, wenn der Arzt die Medikamente verschreibt.
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Autor
Dr. med. Mark Dankhoff ist Facharzt für Allgemeinmedizin, Ernährungsmedizin, Diabetologische Grundversorgung, Hypertensiologie DHL und Adipositas-Trainer. Sein Schwerpunkt ist die Prävention und Therapie von kardiovaskulären Risikofaktoren und Erkrankungen. Seit 2021 ist er als Medical Advisor freiberuflich tätig. Dr. med. Mark Dankhoff ist Gründungsmitglied des „Im Puls. Think Tank Herz-Kreislauf e.V.“. [mehr]
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