Studie: Können drei Blutwerte das Schlaganfall-Risiko voraussagen? ▷ Forschung
Hintergrund
Im Jahr 2024 sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen (HKE), nach wie vor eine der größten Herausforderungen für die globale Gesundheit, die jedes Jahr Millionen von Menschenleben fordert und die Gesundheitssysteme weltweit belastet. Die wirtschaftliche Belastung in Verbindung mit den erheblichen Auswirkungen auf Einzelpersonen und Familien unterstreicht die Dringlichkeit der frühzeitigen Erkennung des individuellen Risikos für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung und der rechtzeitigen Einleitung von Präventionsmaßnahmen.
Drei objektiv messbare, charakteristische biologische Merkmale, die auf bestimmte Prozesse im menschlichen Körper hinweisen können – sogenannte Biomarker – werden bereits erfolgreich zur Kurzzeit-Vorhersage des kardiovaskulären Risikos über einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren eingesetzt.1
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Ihre Aussagekraft über längere Zeiträume von bis zu 30 Jahren muss noch erforscht werden. Es ist von entscheidender Bedeutung, die Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen schon in jungen Jahren zu verstehen und das Risiko frühzeitig zu erkennen, da in jungen Jahren getroffene Entscheidungen zum Lebensstil und Gesundheitsverhalten die langfristige Herz-Kreislauf-Gesundheit maßgeblich beeinflussen und künftige Gesundheitsprobleme reduzieren können.
Die Studie
Allgemeines Ziel der “Women’s Health Study” (Langzeitstudie zur Frauengesundheit) war es, die Aussagekraft dreier bereits für die Vorhersage von Herz-Kreislauf-Erkrankungen über einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren eingesetzten Biomarker für die Langzeit-Vorhersage zu erforschen.
Als Biomarker für die Vorhersage wurden in dieser Studie folgende drei Blutparameter verwendet:
Hochsensitives C-reaktives Protein (hsCRP)
Das C-reaktive Protein ist ein körpereigenes Protein, das bei akuten Entzündungen vermehrt gebildet wird. Mithilfe von sehr sensitiven Meßmethoden kann CRP auch in geringsten Konzentrationen nachgewiesen werden, wobei dies als hsCRP bezeichnet wird. CRP ist ein wichtiger Faktor bei der Entstehung von Arteriosklerose, einer Erkrankung der arteriellen Gefäßwände, bei der es zur Ablagerung von Cholesterin in den Gefäßwänden und zu chronischen Entzündungsprozessen kommt.
CRP wird darüber hinaus mit der Entwicklung von Diabetes mellitus und Bluthochdruck in Verbindung gebracht – zwei der Hauptrisikofaktoren für die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.2 Aus diesem Grund ist hsCRP als Marker für das Risiko der Entstehung einer Herz-Kreislauf-Erkrankung relevant. Der Normwert des CRP liegt in einem Referenzbereich von unter 5 mg/L.3 Der Richtwert für hsCRP liegt bei unter 1 mg/L.4
LDL-Cholesterin
Beim LDL-Cholesterin handelt es sich um einen weiteren Faktor, der die Entstehung von Arteriosklerose begünstigt und daher ein idealer Marker für das kardiovaskuläre Risiko ist. Das “low density lipoprotein”, kurz LDL, bezeichnet cholesterinreiche Lipoproteine von geringer Dichte, die Cholesterin aus der Leber in außerhalb der Leber liegende Gewebe transportieren. Der Normwert für das LDL-Cholesterin liegt in einem Referenzbereich von < 4,0 mmol/L beziehungsweise < 155 mg/dL.3
Lipoprotein (a)
Dieses Transportprotein hat strukturelle Ähnlichkeiten mit dem LDL-Cholesterin und transportiert Blutfette wie die Triglyceride und das Cholesterin. Wenn Lipoprotein (a) erhöht ist, kann es zur Entstehung sogenannter Fett-Plaques beitragen, die sich in den Blutgefäßen ablagern und so das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen. Der Normwert für Lipoprotein (a) liegt im Referenzbereich von unter 75 nmol/L beziehungsweise 30 mg/dL. Frauen haben durchschnittlich etwa 5 bis 10 Prozent höhere Werte als Männer.3,5
Grund für die Auswahl der oben genannten biologischen Marker ist ihre Unabhängigkeit voneinander und ihre Beeinflussbarkeit durch bereits verfügbare therapeutische Maßnahmen.
Hauptziel (primärer Endpunkt) für die Analysen war die Klärung der Frage, wie viele gravierende kardiovaskuläre Ereignisse in einem Beobachtungszeitraum von 30 Jahren auftreten. Hierzu zählten unter anderem das Auftreten eines Herzinfarktes, eines hämorrhagischen oder ischämischen Schlaganfalls oder der Tod aufgrund einer Herz-Kreislauf-Erkrankung.
An der Studie nahmen insgesamt 27.939 zum Zeitpunkt der Aufnahme in Bezug auf schwerwiegende Herz-Kreislauf-Erkrankungen gesunde, in Gesundheitsberufen tätige Frauen aus den Vereinigten Staaten teil.
94 Prozent der Studien-Teilnehmerinnen hatten eine weiße Hautfarbe und der durchschnittliche Body Mass Index als Maß für das Körpergewicht lag mit 25,9 kg/m² überwiegend im normalen Bereich.
Das durchschnittliche Alter der Frauen lag zu Studienbeginn bei 54,7 Jahren, bei einigen der Teilnehmerinnen lagen Risikofaktoren für das Auftreten kardiovaskulärer Erkrankungen vor:
- 25 Prozent der Teilnehmerinnen hatten Bluthochdruck
- 12 Prozent der Frauen waren Raucherinnen
- Bei 2,5 Prozent der Teilnehmerinnen lag die Diagnose “Diabetes mellitus” vor
- In 14,4 Prozent erlitten die Eltern der Probandinnen vor ihrem 65. Lebensjahr einen Herzinfarkt
Die Frauen wurden hinsichtlich der in Blutproben bestimmten Biomarker in fünf Gruppen eingeteilt, die sich nach der Konzentration der gemessenen Werte richteten:
- hsCRP < 0,65
- LDL-Cholesterin < 96,1
- Lipoprotein (a) < 3,6
- hsCRP > 5,18 mg/dL
- LDL-Cholesterin > 150,7 mg/dL
- Lipoprotein (a) > 44,1 mg/dL
Die Werte der Gruppen 2 bis 4 lagen in gleichmäßiger Verteilung zwischen denen der Gruppen 1 und 5.
Die durchschnittliche Nachbeobachtungs-Dauer betrug 27,4 Jahre und das Maximum lag bei 30 Jahren.
Die Ergebnisse
Während der insgesamt 30-jährigen Beobachtungsphase traten 3.662 schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf.
Frauen aus der 5. Gruppe, deren Werte in Bezug auf die drei Biomarker am stärksten erhöht waren, wiesen auch ein deutlich erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse auf. Das Risiko lag für hsCRP um 70 Prozent, für LDL-Cholesterin um 36 Prozent und für Lipoprotein (a) um 33 Prozent höher verglichen mit Frauen aus der 1. Gruppe.
Das Risiko für das Auftreten eines kardiovaskulären Ereignisses addierte sich in einem Modell mit verschiedenen Kombinationen an erhöhten Biomarker-Werten. Am höchsten war das Risiko dafür, in den nächsten 30 Jahren eine schwerwiegende Herz-Kreislauf-Erkrankung zu entwickeln, wenn alle drei Biomarker-Werte außerhalb der Norm lagen.
Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass jeder Biomarker für sich eine zuverlässige Vorhersage des Risikos für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ermöglichte. Die aktuellen Daten zeigen darüber hinaus, dass eine Kombination der drei biologischen Marker die umfassendsten und zuverlässigsten Informationen lieferte und die Identifizierung des langfristigen Risikos für Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich verbesserte.
Die Ergebnisse des Gesamtrisikos für Herz-Kreislauf-Erkrankungen stimmten mit den spezifischen Risiken für die koronare Herzkrankheit (KHK) und Schlaganfälle überein. Teilnehmerinnen mit den höchsten Werten in allen drei Messgrößen hatten ein mehr als 1,5-fach erhöhtes Risiko für einen Schlaganfall und ein mehr als dreifach erhöhtes Risiko für eine Erkrankung der Herzkranzgefäße im Vergleich zu Frauen mit den niedrigsten Werten.6
Die Studienergebnisse wurden auf dem Kongress der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie vorgestellt und in der Fachzeitschrift “The New England Journal of Medicine” veröffentlicht.7
Diskussion
Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden nach aktuellem Stand, insbesondere bei Frauen, nach wie vor zu selten diagnostiziert und behandelt.6,7
Die in der “Women’s Health”-Studie gewonnenen Daten unterstützen die Bemühungen, frühzeitig Strategien zur Vermeidung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen einleiten zu können. Eine Risikoabschätzung fokussierte sich bislang auf Zeiträume von fünf bis zehn Jahren. Der Grundstein für die Entstehung kardiovaskulärer Erkrankungen wird jedoch häufig weitaus früher gelegt. Bereits die Etablierung bestimmter Verhaltensweisen und Lebensgewohnheiten in jungen Jahren nimmt Einfluss auf die Entstehung und das Ausmaß von Herz-Kreislauf-Erkrankungen Jahrzehnte später.
Die kombinierte Bewertung der drei Blut-Biomarker hat eine Vorhersagekraft, die weit über die bislang üblichen 10-Jahres-Schätzungen hinausgeht. Die langfristigen 30-Jahres-Ergebnisse zeigen darüber hinaus, dass das Lebenszeitrisiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Frauen häufig unterschätzt wird, wenn nur die kurzfristigen 5- und 10-Jahres-Daten berücksichtigt werden.
Die an der Studie beteiligten Wissenschaftler weisen darauf hin, dass die Langzeitbetrachtung eine frühere Erkennung des Risikos für Frauen für die Entstehung kardiovaskulärer Erkrankungen und folglich die Ergreifung von Präventionsmaßnahmen zur Risikominderung ermöglicht. Ein proaktives Management von entsprechenden Risikofaktoren und eine Anpassung der Lebensweise kann die Wahrscheinlichkeit für künftige gesundheitliche Komplikationen erheblich reduzieren.
Insbesondere Lipoprotein (a) kann mit einer einzigen Messung eine sich auf lange Sicht steigernde Belastung widerspiegeln, da dieser Wert zu mindestens 90 Prozent genetisch vorbestimmt ist. Im Gegensatz dazu stellen das LDL-Cholesterin und das hochsensible CRP deutlich dynamischere Marker dar, für die mehrere Messungen im Rahmen der Studie vermutlich noch aussagekräftiger gewesen wären.2
Die gleichzeitige Bestimmung von LDL-Cholesterin, hochsensitivem CRP und Lipoprotein(a)-Spiegeln kann Ärzten bei der Auswahl geeigneter pharmakologischer Wirkstoffe zum langfristigen Schutz vor Arteriosklerose helfen. So kann der rechtzeitige Einsatz von Statinen und anderen Lipidsenkern sowie des von der FDA zugelassenen niedrig konzentrierten Wirkstoffs Colchicin zur Entzündungshemmung dazu beitragen, das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen ergänzend zur Anpassung des Lebensstils zu senken.
An der “Women’s Health”-Studie nahmen zwar ausschließlich Frauen teil, die Forscher würden jedoch ähnliche Ergebnisse bei Männern erwarten.6
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Artikel erstmalig veröffentlicht am: - Nächste geplante Aktualisierung am:
Autoren
Dipl.-Biol. Claudia Helbig unter Mitarbeit von Prof. Dr. med. Hans Joachim von Büdingen
Claudia Helbig ist Diplom-Human- und Molekularbiologin und hat zuvor eine Ausbildung zur Arzthelferin absolviert. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Medizinischen Biochemie und Molekularbiologie hat sie Medizinstudenten in Pathobiochemie-Seminaren und Praktika betreut. Nach Ihrer Arbeit in der pharmazeutischen Forschung hat sie in einem Auftragsforschungsinstitut für klinische Studien unter anderem Visiten mit Studienteilnehmern zur Erhebung von Studiendaten durchgeführt und Texte für die Website verfasst. Mit ihrem interdisziplinären Hintergrund und ihrer Leidenschaft zu schreiben möchte sie naturwissenschaftliche Inhalte fachlich fundiert, empathisch und verständlich an Interessierte vermitteln. [mehr]
Quellen
- Inflammation, Cholesterol, Lipoprotein(a), and 30-Year Cardiovascular Outcomes in Women (2024) – Autoren: Ridker, Paul M.; Moorthy, M. Vinayaga; Cook, Nancy R.; Rifai, Nader; Lee, I-Min; Buring, Julie E. – Publikation: New England Journal of Medicine, 2024, S. NEJMoa2405182 – DOI: 10.1056/NEJMoa2405182
- Prevention of Cardiovascular Disease — Don’t Stop Thinking about Tomorrow – Autoren: Blumenthal, Roger S.; Martin, Seth S. – Publikation: New England Journal of Medicine, 2024, S. NEJMe2409080 – DOI: 10.1056/NEJMe2409080
- Laborwerte: Referenzbereiche; Thieme via medici; (abgerufen am 06.09.2024) – URL: https://viamedici.thieme.de/lernmodul/15855707/15855706/laborwerte+referenzbereiche
- CRP hochsensitiv (hsCRP); (abgerufen am 06.09.2024) – URL: http://leistungsverzeichnis.labor-gaertner.de/entry/282
- Lipoprotein (a) – Lp(a) (12.05.2024); (abgerufen am 06.09.2024) – Autor: Prof. Dr. med. Hans Joachim von Büdingen – URL: https://schlaganfallbegleitung.de/wissen/lipoprotein-a
- Single blood test predicts 30-year cardiovascular disease risks for women; National Heart, Lung and Blood Institute (NHI) (30.08.2024); (abgerufen am 05.09.2024) – URL: https://www.nhlbi.nih.gov/news/2024/single-blood-test-predicts-30-year-cardiovascular-disease-risks-women
- Measuring three factors can predict women’s 30-year risk for heart disease (01.09.2024); (abgerufen am 05.09.2024) – Autorin: Kalvaitis, Katie – URL: https://www.healio.com/news/cardiology/20240901/measuring-three-factors-can-predict-womens-30year-risk-for-heart-disease?utm_source=selligent&utm_medium=email&utm_campaign=news